Der Wiedersacher
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Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.
"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost
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Brenner sagte nichts. Er saß einfach weiter reglos da, Johannes' Kopf und Schultern in den Schoß gebettet und die rechte Hand über den gebrochenen Augen, wie um ihn vor diesem letzten, schrecklichen Anblick zu beschützen: dem Engel, der zum Teufel geworden war und nun kam, um als letzten ihn zu holen und es zu Ende zu bringen. Er fürchtete das Sterben nicht mehr. Er wollte nur noch, daß es vorbei wäre.
Astrid blieb zwei Schritte vor ihm stehen und sah lange und mit einer nur angedeuteten, aber sichtbaren Spur von Trauer auf Salids Leichnam herab, ehe sie sich an ihn wandte. In ihrem Blick war etwas, das Brenner schaudern ließ und es ihm unmöglich machte, ihm länger als einige Sekundenbruchteile standzuhalten.
»Warum?« fragte er noch einmal. »Warum dieses grausame Spiel? Hat es euch Spaß gemacht, uns zu quälen?« Plötzlich schrie er: »Warum habt ihr uns nicht sofort vernichtet?«
»Weil die Dinge so geschehen mußten, wie sie vorherbestimmt sind«, antwortete Astrid. Sie deutete auf Salid, dann auf Johannes. »Es war seine Aufgabe, dich hierherzubringen, und die seine, dich zu beschützen.«
Wenn es so ist, dann hat er versagt, dachte Brenner. Dann wurde ihm klar, daß Astrid gar nicht Salid gemeint hatte. Ihre Hand wies in die andere Richtung, auf den verbrannten Mann.
»Ich habe auf dich gewartet«, sagte Astrid. »Du hast lange gebraucht, aber es mußte wohl sein.« Sie deutete mit einer Handbewegung hinter sich, tiefer in die Schatten hinein, in denen sich der gewölbte Gang verlor. Brenner glaubte eine Bewegung jenseits der Schwärze wahrzunehmen, aber sie war nicht deutlich genug, um ihr irgendein Erkennen zuzuordnen.
»Komm«, sagte Astrid. »ER erwartet dich.«
Brenner ließ Johannes' reglosen Körper sehr vorsichtig zu Boden gleiten, Schloß mit einer ebenso behutsamen Bewegung seine Augen und trat auf das Mädchen zu. Astrid drehte sich um und ging vor ihm her.
Der Weg war nicht weit. Das rote Licht, das sie schon von oben aus gesehen hatten, stammte von einer Anzahl heftig rußender Fackeln, die an den Wänden des Tunnelgewölbes angebracht waren und sie zu einer massiven, höchstens anderthalb Meter hohen Tür geleiteten, die mit einem zentnerschweren Eichenriegel gesichert war. Es gab kein modernes Schloß, nicht einmal einen einfachen Splint, um den Riegel zu sichern, aber gerade die Einfachheit der Konstruktion war es, die sie besonders massiv erscheinen ließ; kein High Tech-Schloß, das man mit einer Büroklammer und etwas Geschick öffnen konnte, sondern ein einfaches, simples Ding, das für die Ewigkeit geschaffen schien. Etwa in Brusthöhe war eine Klappe in dieTür eingelassen, zwanzig mal zwanzig Zentimeter und mit einem doppelten Kreuz aus rostigen Eisenstäben gesichert. Es war eine Kerkertür.
Astrid öffnete sie, trat gebückt hindurch und winkte Brenner zu, ihr zu folgen. Er gehorchte, mit klopfendem Herzen, aber trotzdem sehr schnell, und er richtete sich auf der anderen Seite derTür so hastig auf, daß er schmerzhaft mit dem Rücken an dem niedrigen Sturz entlangschrammte und das Gesicht verzog, ehe er einen weiteren Schritt machte, um sich nicht noch mehr zu verletzen. Möglicherweise war ihm ja eine tragende Rolle in der letzten Schlacht zwischen Gut und Böse zugedacht worden, aber das hieß leider nicht, daß er immun gegen körperlichen Schmerz gewesen wäre.
Aufmerksam sah er sich um. Nicht, daß es viel zu sehen gegeben hätte. Der Raum bestätigte den Eindruck, den die Tür erweckt hatte, und er war das, was man hinter einer Kerkertür erwartete: ein Kerker. Er hatte einen quadratischen Grundriß und maß allerhöchstens fünf Schritte in jede Richtung, und die Decke war so niedrig, daß Brenner gerade noch aufrecht darin stehen konnte, obwohl er alles andere als ein Riese war. Wie der Gang, der hierherführte, war auch die Zelle selbst nicht gemauert, sondern offensichtlich aus dem natürlichen Felsuntergrund herausgemeißelt worden – praktischerweise gleich mit Mobiliar. Es gab eine zwei Meter lange und halb so breite Lagerstatt und einen etwas kleineren, dafür höheren Altarstein, der offensichtlich als Tisch gedient hatte. Die Wände waren schwarz und von einer mindestens zwei Zentimeter dicken Rußschicht bedeckt, und in der Luft hing ein schwacher, aber penetranter Geruch nach Rauch, nach heißem Kerzenwachs und Essen und nach dem Schweiß von zweitausend Jahren Gefangenschaft.
Der Bewohner dieser Kerkerzelle war nirgends zu sehen, aber es gab einen zweiten, ebenso niedrigen Durchgang auf der anderen Seite, der allerdings keineTür hatte. Astrid deutete auf diesen Durchgang und wiederholte ihre einladende Handbewegung von gerade, machte aber zugleich durch ihre Haltung klar, daß sie Brenner nicht weiter folgen würde. Vielleicht war auch ihre Aufgabe damit erfüllt, daß sie ihn hierhergebracht hatte.
Brenner betrat den angrenzenden Raum. Diesmal war er vorsichtig und stieß sich nicht, aber er verschwendete auch keinen Blick auf seine Umgebung. Sein Herz hämmerte. Obwohl sich die Kälte so tief in seinen Körper gegraben hatte, daß er noch immer am ganzen Leib zitterte, waren seine Hände schweißnaß. ER war da. Ganz dicht. Brenner spürte seine Nähe, noch bevor er sich aufr ichtete und zu der Gestalt herumdrehte, die am anderen Ende des Raumes stand und ihn ansah. Brenner spürte seinen Blick, wie etwas Unsichtbares, Weißglühendes, das seine Haut berührte und ihn verbrennen mußte wie das Feuer eine Motte, die dem Licht zu nahe gekommen war. Brenner richtete sich auf, schloß die Augen und raffte noch einmal all seinen Mut zusammen. Dann drehte er sich um.
Sie alle hatten sich getäuscht. Salid. Johannes. Der verbrannte Mann. Er selbst.
Es war nicht der Widersacher, den sie alle gefürchtet hatten. Statt des Alten Feindes, statt einer Gestalt mit Teufelsschweif, mit Pferdefuß und Hörnern und flammendem Atem stand er einem schlanken jungen Mann gegenüber. Er war etwas größer als Brenner selbst und bekleidet mit einem einfachen, knöchellangen Gewand, das irgendwann vor zweitausend Jahren aus der Mode gekommen sein mußte, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. Die Male an seinen Händen und Füßen waren kleiner, als er erwartet hatte; keine klaffenden Wunden, sondern dünne, rote Linien, wie vor langer Zeit verheilte Narben.
Was Brenner am meisten überraschte, war seine Jugend. Er sah keinenTag älter aus als dreißig, und daran änderten weder der weiße Bart irgend etwas noch das schulterlange, schneeweiße Haar, gebleicht in den langen Jahren der Gefangenschaft. Sein Gesicht war immer noch das eines Dreißigjährigen – eines sehr jung gebliebenen Dreißigjährigen , der nur versuchte, älter auszusehen. Das einzige, was diesen Eindruck Lügen strafte, waren die Augen. Sie waren nicht jung, aber sie waren auch nicht alt. Sie waren zeitlos. Es waren die Augen eines Wesens, für das eine Million Jahre wie ein Tag war und eine Sekunde wie eine Ewigkeit und das … größer war als ein Mensch. Was immer dieses Wesen war, das da in der Gestalt eines jungen Mannes mit Narben an Händen und Füßen und einer Reihe winziger roter Wunden an der Stirn vor ihm stand, es war gewaltig. Vielleicht nicht einmal wirklich besser als sie, aber auf jeden Fall gewaltiger. Sein Zorn, wie seine Gnade, mußte unermeßlich sein.
Die Gestalt im weißen Kleid hob die Hand und deutete auf Brenner.
Und im gleichen Moment wußte er.
»Das habe ich nie getan. Ich kam als Freund zu euch. Nicht als Richtet.«
»Du lügst«, behauptete Judas. »Du wurdest geschickt, um über uns zu urteilen. Aber das lasse ich nicht zu. Ich habe dich durchschaut. Du kannst alle anderen täuschen, aber nicht mich. Ich weiß, warum du wirklich hier bist. Ich weiß, was du bist. «
» Und deshalb willst du mich töten«, sagte er.
Judas zog die Hand wieder unter dem Gewand hervor. Sie war leer. Ach wollte, ich könnte es«, flüsterte er. »Bei Gott, ich wollte, ich hätte die Kraft dazu. Aber ich kann es nicht. «