Der Wiedersacher
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Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.
"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost
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»Sehen Sie?« sagte Salid. Er versuchte zu lächeln, aber es wirkte ebenso unecht wie die Erleichterung, die er mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte. »Nichts passiert.«
Er ließ das Gewehr sinken und entspannte sich, und im gleichen Moment ertönte ein peitschender Knall.
Seine Kleider hatten gebrannt. Die Hitze hatte sein Haar zu Asche versengt und seine Hände mit roten, nässenden Blasen überzogen, so daß es aussah, als trüge er feuchte rote Gummihandschuhe, und er vermutete, daß sein Gesicht auch keinen wesentlich anderen Anblick bot. Wenn er atmete, dann schrie jeder einzelne Nerv in seiner Kehle vor Schmerz auf, und seine Lungen, die tausend Grad heiße Luft eingesogen hatten, schickten weißglühende Schmerzpfeile in jeden Winkel seines Körpers. Trotzdem lebte er noch.
Kenneally konnte nicht sagen, wie er aus dem Helikopterwrack herausgekommen war. Er erinnerte sich daran, aber es schienen die Erinnerungen eines anderen zu sein. Es mußte so sein, denn wenn die Bilder, die in seinem Kopf waren, wirkliche Erinnerungen gewesen wären, dann hätte das bedeutet, daß er, eingehüllt in einen Mantel aus loderndem Feuer, direkt aus dem Wrack herausmarschiert wäre, brennend wie ein Dämon aus tiefsten Abgründen der Hölle und über schmelzendes Metall hinwegschreitend, ein Wesen, dessen Element das Feuer war, das Hitze atmete und in dessen Adern flüssige Lava pulsierte.
Natürlich war das nicht möglich. Es war eine Halluzination darin hatte er ja mittlerweile Übung – , einTrugbild, ausgelöst durch die vermeintlicheTodeserfahrung und die Qualen, die er litt. Die Wahrheit war wohl eher, daß er aus dem Wrack herausgeschleudert worden war, so daß ihn die unmittelbare Wucht der Explosion nicht erfassen konnte. Es spielte auch keine Rolle. Er lebte, und das war alles, was im Moment wichtig war.
Kenneally machte sich nichts vor. Er hatte genug Erfahrung in solchen Dingen, um zu wissen, daß seine Verletzungen mit ziemlicher Sicherheit tödlich waren. Er würde sterben, und wenn nicht, dann den Rest seines Lebens als entstellter Krüppel im Rollstuhl zubringen, was für ihn die schlimmere Alternative darstellte. Aber er lebte jetzt, und der Schock und die Unmengen von Adrenalin, die seinen Blutkreislauf überfluteten, schützten ihn sogar noch vor den schlimmsten Schmerzen. Dieser Zustand würde nicht lange anhalten, das wußte er. Geschichten von Männern, die mit tödlichen Verletzungen oder abgerissenen Gliedmaßen noch stundenlang weitergekämpft hatten, gehörten ins Reich der Legenden. Ihm blieben bestenfalls Minuten. Aber vielleicht reichte diese Frist, um seine Aufgabe zu Ende zu bringen und Salid und einen oder auch beide andere zu erschießen. Danach – wenn seine Kraft noch reichte – würde er sich selbst töten.
Die Ruine des Klosters schien unendlich weit entfernt zu sein. Aus den Sekunden, die der Helikopter gebraucht hätte, um die Distanz zurückzulegen, wurde eine nicht enden wollende Tortur, die ihn mit jedem Schritt eine Winzigkeit mehr Kraft zu kosten schien, als er aufbringen konnte. Seine Füße hinterließen blutige Abdrücke im Schnee, und er spürte, wie das Leben aus unzähligen winzigen Wunden aus ihm herausfloß; nicht einmal schnell, aber unerbittlich. Vielleicht hatte das Schicksal sich ja eine n besonders grausamen Scherz für das Ende aufbewahrt – etwa den, daß er Salid gerade noch sehen konnte, aber nicht mehr die Kraft hatte, auf ihn anzulegen und abzudrücken.
Nach hundert Ewigkeiten erreichte er das Tor. Er nahm es nicht wirklich zur Kenntnis. Der Weg hierher hatte ihn in eine Maschine verwandelt, die zu nichts anderem mehr fähig war, als einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich weiterzuschleppen, nicht mehr dazu, zu sehen, wohin er ging. Er prallte gegen die Mauer, stürzte mit einem laut losen Schmerzensschrei zurück und blieb hilflos wie eine auf den Rücken gefallene Schildkröte liegen. Er wußte nicht mehr, wo er war. Wer er war. Was er hier sollte.
Halt. Das stimmte nicht. Salid. Der Mann, der dich richten wird. Er mußte Salid töten. Er wußte nicht mehr, wer oder was dieser Salid war, geschweige denn, warum er ihn töten sollte. Er wußte nur, daß er es tun mußte. Es war wichtig. Wichtig für ihn. Wenn es ihm nicht gelang, dann war alles, woran er sein Leben lang geglaubt hatte, falsch gewesen.
Aus einem winzigen, bisher unentdeckten Reservoir an Kraft in seinem Körper nahm er die Energie, sich auf den Bauch zu wälzen und sogar mühsam auf Hände und Knie hochzustemmen. Seine Handflächen schienen zu explodieren, als er sie mit seinem vollen Körpergewicht belastete. Es war, als griffe er in glühende Glasscherben. Trotzdem stemmte er sich weiter hoch, kam irgendwie auf die Füße und taumelte in denTorbogen hinein. Er war fast blind, aber er konnte noch hören. Geräusche. Das leise Säuseln des Windes. Das Wispern und Flüstern des Waldes. Schritte. Stimmen?
Stimmen. Salids Stimme.
Die Erkenntnis öffnete die Ventile zu einem weiteren, bisher unentdeckten Potential, aber auch zu einem weiteren Begreifen: nämlich dem, daß er jetzt von den absolut letzten Reserven zehrte, jenen Energien, die für das Leben selbst zuständig waren und nicht für Dinge wie Bewegung, Gedanken und Handeln. Er verbrauchte seine Lebenskraft. Jeder Atemzug, den er von jetzt an tat, kostete ihn ein Jahr. Aber er brauchte auch nicht mehr viel Zeit. Ein paar Sekunden. Nicht mehr, als not tat, ein Gewehr zu heben und einen Finger zu krümmen.
Sein Denken klärte sich noch einmal, und er konnte auch plötzlich wieder ein bißchen besser sehen. Salid und die beiden anderen standen nur wenige Schritte vor ihm. Er erkannte Salid auf die gleiche Weise wie vorhin: Er war der einzige, der eine Waffe trug.
Der Mann, der dich richten wird? Nein.
Er glaubte nicht an diesen Humbug. Das alles war nicht wahr. Aberglaube. Etwas für primitive Völker und schlichte Gemüter, nicht für einen Mann wie ihn, der mehr über das Leben und denTod erfahren hatte, als er wollte. Er würde
diesem verdammten Insektenmann beweisen, daß es nicht wahr war. Er würde sterben, aber nicht von Salids Hand.
Kenneally hob das Gewehr, zielte und drückte ab.
Salid keuchte, torkelte gegen die Wand und schlug beide Hände gegen den Hals. Zwischen seinen Fingern quoll hellrotes, sprudelndes Blut in einem pulsierenden Strom hervor. Würgend fiel er zu Boden, wälzte sich auf den Rücken und wieder zurück und lag dann plötzlich still. Seine Bewegungen endeten so abrupt wie die einer Maschine, deren Stecker herausgezogen worden war.
Der Schuß hätte ebensogut Brenner selbst treffen können. Für einen Moment glaubte er sogar den Schmerz zu spüren, der Salids Leben auslöschte, dann machte sich ein Gefühl sonderbar prickelnder Lähmung in seinen Gliedern breit. Er empfand nicht einmal mehr wirklichen Schrecken, als hätte er seine Gefühle nun endgültig bis zur Neige ausgeschöpft, und da war einfach nichts mehr, was er noch spüren konnte. Johannes schlug neben ihm entsetzt die Hand vor das Gesicht und stieß ein halblautes Schluchzen aus, aber auch das nahm Brenner kaum mehr zur Kenntnis. Er fragte sich, warum, doch selbst diese Frage stellte er sich nicht mehr verbittert oder zornig, sondern mit kalter, fast wissenschaftlicher Neugier. Es war so sinnlos. Warum waren sie so weit gekommen? Nur damit Salid hier, an diesem Ort, starb?
Er hörte ein Geräusch, und als er aufsah, taumelte eine Alptraumgestalt auf sie zu. In der düsteren Beleuchtung des Torbogens war er fast nur als Schemen zu erkennen, aber das machte es nicht besser, sondern beinahe schlimmer, denn es ließ seiner Phantasie genug Spielraum, um die Schrecken zu komplettieren, die seine Augen mehr errieten als sahen.
Der Mann mußte gebrannt haben. Sein Anzug war zu einem Gespinst aus grauer Asche und halb verkohlten Fäden geworden, die sich überall in sein Fleisch hineingefressen zu haben schienen. Gesicht, Schädel und Hände waren eine einzige, fürchterliche Brandwunde, hier und da von großen Flecken aus geronnenem Blut bedeckt, wie schorfiger Ausschlag. Brenner war nicht sicher, ob der Verbrannte überhaupt noch sehen konnte; seine Augen waren zugeschwollen, vielleicht gar nicht mehr da, und die Lippen durch die Einwirkung unvorstellbarer Hitze zu einem immerwährenden Grinsen zurückgezogen. Er torkelte, weil mindestens eines seiner Beine gebrochen war, und seine Schritte hinterließen blutige Fußabdrücke auf dem Boden. Die Erscheinung hatte kein Recht mehr, am Leben zu sein, geschweige denn, sich zu bewegen. Aber sie war da, schlurfte taumelnd wie die böse Karikatur eines Menschen auf sie zu und schleifte zu allem Überfluß auch noch die ausgeglühten Reste eines Gewehres hinter sich her. Wenn er mit dieser Waffe geschossen hatte, dann war es ein Wunder, daß sie ihm nicht in den Händen explodiert war.