Der Wiedersacher
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Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.
"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost
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Das Entsetzen, auf das Brenner wartete, kam noch immer nicht. Er begriff nur, daß seine Angst von vorhin berechtigt gewesen war. Der Dämon war da, nur daß er nicht hinter der Tür gelauert hatte, sondern auf der anderen Seite, verborgen in der Schwärze der letzten, immerwährenden Nacht, die sich über der Welt ausgebreitet hatte. Er hatte Salid geholt, und er würde nun sie holen, zuerst Johannes, dann ihn. Er hätte davonlaufen können; das … Ding, das da auf so groteske Weise herangehumpelt und – geschlurft kam, war nicht schnell. Er mußte nicht einmal rennen, um ihm zu entkommen.
Aber wozu? Wohin?
Es gab nichts mehr, wohin sie flüchten konnten.
Und Brenner war des Davonlaufens endgültig müde. Er war sein ganzes Leben lang davongelaufen, vor irgend etwas oder irgend jemandem – meistens vor sich selbst – , aber nun wollte er nicht mehr.
Doch die Alptraumgestalt war nicht gekommen, um ihn zu vernichten. Sie schleppte sich weiter mit kleinen, mühevollen Schritten heran. Ihre linke Schulter streifte an der Wand entlang und hinterließ eine dunkelrote Spur auf dem Ruß, und als sie näherkam, spürte Brenner den Geruch von verbranntem Fleisch und heißem Metall, der sie umgab. Er machte keinen Versuch, vor ihr zurückzuweichen, aber der verbrannte Mann unternahm seinerseits nichts, um Johannes oder ihm etwas zuleide zu tun. Torkelnd näherte er sich Salids Leiche, blieb dicht hinter ihr stehen und hob sein Gewehr. Die Mündung zielte kurz auf Salids Kopf, aber die Finger hatten wohl nicht mehr die Kraft, den Abzug zu betätigen. Nach wenig mehr als einer Sekunde ließ er die Waffe wieder sinken. Seine Hände öffneten sich. Das Gewehr fiel klappernd zu Boden. Er taumelte, stieß einen seltsamen, gurgelnden Laut aus, ein Geräusch, als versuche er mit Stimmorganen zu reden, die nicht mehr da waren, und streckte die Hand nach Brenner aus. In der Bewegung lag nichts Drohendes. Es sah mehr aus wie ein verzweifeltes Flehen nach Hilfe.
Brenner wich nun doch vor der fürchterlichen Gestalt zurück; nicht aus Angst, sondern simplem Ekel, den der Anblick der verstümmelten Hand und der Geruch in ihm wachriefen. Der verbrannte Mann ließ den Arm wieder sinken, wandte sich mit einem fast flehenden Blick an Johannes und drehte sich schließlich zur Tür herum. Das flackernde rote Licht aus der Tiefe verschmolz mit der Farbe dessen, was einmal sein Gesicht gewesen war, und nun sah er endgültig aus wie der Dämon, für den Brenner ihn im ersten Augenblick gehalten hatte. Er taumelte, machte einen unbeholfenen Schritt auf die Tür zu und blieb so dicht vor der obersten Stufe stehen, daß er in die Tiefe stürzen würde, wenn er das Gleichgewicht verlor.
Salid bewegte sich. Brenner registrierte die Bewegung nur aus den Augenwinkeln, und im allerersten Moment nahm er sie nicht einmal richtig zur Kenntnis; etwas, das einfach nicht sein konnte, denn Salid war tot. So tot, wie es nur ging. Die Kugel hatte seinen Hals zerfetzt, und er la g in einer unglaublich großen Blutlache. Trotzdem bewegte er sich. Tod und Leben waren nicht mehr das, was sie einmal gewesen waren.
Langsam, mit sehr mühevollen, nichtsdestoweniger aber auch sehr zielgerichteten Bewegungen stemmte er sich hoch und griff nach seinem Gewehr. Das Geschoß schien nicht nur seine Muskeln und Sehnen, sondern auch den Knochen zertrümmert zu haben, denn sein Kopf pendelte haltlos von einer Seite auf die andere, aber seine Hände hielten das Gewehr sicher und sehr fest. Das helle Klicken, mit dem er die Patrone in den Lauf schob, hallte wie ein Kanonenschuß von den Wänden des Torgewölbes wider.
Dann geschah alles gleichzeitig.
Der verbrannte Mann drehte sich herum und starrte Salid an. Seine Augen weiteten sich, und trotz der Verheerung, der seine Züge anheim gefallen waren, konnte Brenner den Ausdruck grenzenlosen Erschreckens erkennen, der sich plötzlich darauf breit machte. »Also doch«, flüsterte er.
Gleichzeitig jedoch schrie Johannes so gellend auf, als wäre er es, den die tödliche Kugel getroffen hätte. »Nein!« schrie er. »Nein! Nicht schon wieder! Ich lasse es nicht zu! NICHT MEHR!«
Er sprang vor, ohne Rücksicht darauf, daß er damit genau zwischen Salid und den verbrannten Mann geriet, und damit direkt in die Schußlinie. Mit einer verzweifelten Bewegung klammerte er sich an Salid und versuchte ihm die Waffe zu entreißen, aber er kam einen Sekundenbruchteil zu spät. Vielleicht war er es sogar selbst, der durch seinen Aufprall den Abzug betätigte.
Der Schuß klang sonderbar gedämpft. Johannes schrie auf, diesmal vor Schmerz statt Entsetzen, ließ Salid aber trotzdem nicht los, sondern klammerte sich nur noch fester an ihn.
Salid feuerte ein zweites Mal. Der Schuß schleuderte Johannes zurück, aber er ließ Salids Schultern immer noch nicht los, sondern zerrte ihn mit sich. Aneinandergeklammert prallten sie gegen den verbrannten Mann und stürzten, scheinbar zu einem einzigen, unentwirrbaren Knäuel aus Gliedern und Körpern geworden, die Treppe hinunter.
Brenner hetzte hinterher, so schnell er konnte. Er hatte keine Chance, einem der drei irgendwie zu helfen: Die Treppe führte so steil in die Tiefe, daß es schon unter normalen Umständen gefährlich gewesen wäre, sie hinabzugehen. Einen stür zenden Mann – und erst recht drei! – aufzuhalten, war praktisch unmöglich, ohne selbst mitgerissen zu werden. Er hielt nicht einmal mit ihnen Schritt. Salid, Johannes und der Mann schlugen mit einem fürchterlichen Laut am Fuße der Treppe auf, noch bevor Brenner die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatte. Trotzdem rannte er weiter, so schnell er nur konnte, und sprang die letzten Stufen mit einem einzigen Satz hinab, zu dem er normalerweise niemals den Mut aufgebracht hätte. Er fiel auf die Knie, wimmerte, als ein neuer, grausamer Schmerz durch seine beiden Kniescheiben schoß, und kroch hastig und auf allen vieren weiter.
Er kam zu spät. Salid lag mit weit offenstehenden, gebrochenen Augen in einer neuen und schon wieder mit erschreckender Schnelligkeit anwachsenden Blutlache. Der verbrannte Mann war ein Stück zur Seite gerollt und reglos liegengeblieben, und auch er konnte nicht mehr leben. Die Treppe hatte fünfunddreißig Stufen. Fünfunddreißig Chancen, sich das Genick zu brechen oder auf andere Weise zu Schaden zu kommen. Er selbst hatte den Weg dieseTreppe hinunter überlebt, aber da hatte ihn die gleiche, unheimliche Macht beschützt, die zu bekämpfen sie nun gekommen waren. Brenner schenkte der verkohlten Gestalt nur einen flüchtigen Blick, kroch dann zu Johannes hin und drehte ihn auf den Rücken.
Johannes war tot. In seiner Brust und seinem Bauch klafften zwei furchtbare Wunden, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht stand in krassem Gegensatz zu dem Anblick. Zum erstenmal, seit Brenner den jungen Jesuiten kennengelernt hatte, glaubte er einen Ausdruck von Frieden auf seinen Zügen zu entdecken, eine Erleichterung, die trotz der Grimasse entsetzlicher Qual deutlich zu erkennen war. Das unheimliche Feuer in seinen Augen war erloschen, aber sie waren auch nicht so leer, wie es die einesToten sein sollten. Brenner las etwas darin, was in seiner beruhigenden Wirkung angesichts der Situation, in der er sich befand, geradezu absurd erschien: eine Botschaft, die nur für ihn allein bestimmt war, und an deren Wahrhaftigkeit es keinen Zweifel gab. Johannes hatte seinen Frieden gefunden. Wo immer sein Geist jetzt war,es war nicht mehr das Fegefeuer, durch das er gegangen war. Trotzdem
»Warum?« flüsterte Brenner. Er sprach das Wort nicht einmal wirklich aus, sondern formulierte es nur in Gedanken, ein verbitterter, stummer Schrei, der voller Verzweiflung nach einer Erklärung für all dieses sinnlose Sterben verlangte.
Und er bekam eine Antwort.
»Weil es notwendig war. Für sie und für die ganze Menschheit.«
Die Stimme kam vom oberen Ende der Treppe, und er wußte, was er sehen würde, noch bevor er den Kopf hob und hinaufsah. Es war wie eine getreuliche Wiederholung der Szene vor dreiTagen, dem allerletzten Bild, das er gesehen hatte, ehe eine der fünfunddreißig Treppenstufen sein Bewußtsein auslöschte. Das Mädchen stand da, sogar noch in der gleichen Haltung, als wäre in diesem kleinen Teil der Welt einfach die Zeit stehengeblieben, um jetzt, vierTage und eine Schöpfungsperiode später, weiterzulaufen.