Die letzte Diagnose
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ORBIT HOSPITAL ist ein Klinikum im All, das allen raumfahrenden Lebensformen der Galaxis medizinische Hilfe leistet. Es nimmt alle Gesch?pfe auf, ob sie ein Dutzend Gliedma?en haben oder gar keine, ob sie sich von Radioaktivit?t ern?hren oder Wasser atmen – von anderen exotischen Gewohnheiten und Bed?rfnissen ganz zu schweigen. Es ist ein ?kologisches Tollhaus und ein organisatorischer Irrwitz, aber es ist f?r alle da und es funktioniert. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes – lebensnotwendig.
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»Wenn wir die Hilfe der hier stationierten Einheit des Monitorkorps ablehnen, dann würde der Colonel mit Sicherheit annehmen, daß wir etwas zu verheimlichen versuchen, Freund Hewlitt«, erklärte ihm Prilicla. »Dabei verheimlichen wir gar nichts, denn wir wissen ja noch nicht einmal, ob es überhaupt etwas zu verheimlichen gibt – mit Ausnahme unserer eigenen Verlegenheit vielleicht, in die wir uns demnächst bringen könnten.
Der einzige Grund, das Haus aufzusuchen, besteht darin, altes Terrain zu erforschen, in der Hoffnung, daß uns oder Ihnen währenddessen etwas Hilfreiches einfällt. Ich spüre, daß Sie mit Skepsis vermischte Enttäuschung ausstrahlen. Vielleicht haben Sie einen triftigeren Grund erwartet. Die Wahrheit ist, daß wir keine klare Vorstellung von dem haben, was wir dort, falls überhaupt, finden werden.
Und jetzt lassen Sie uns mit der Einsatzbesprechung fortfahren… «
Selbst wenn angeblich niemand weiß, wonach gesucht werden soll, so sind Captain Fletcher und das ganze medizinische Team für dieses Vorhaben zumindest gut ausgerüstet, dachte Hewlitt etwas spöttisch. Auch wenn sein Kommunikator eingeschaltet war, so verlief das Gesprächdoch viel zu speziell und zu technisch, als daß er etwas hätte verstehen oder dazu beitragen können. Deshalb hörte er nur zu, ohne etwas zu sagen, bis die Besprechung durch eine Ansage aus dem Wandlautsprecher unterbrochen wurde.
»Ich habe eine Mitteilung für Sie. Das von Colonel Shech-Rar versprochene Material ist eingetroffen. Wie lauten die Anweisungen?«
»Spielen Sie es auf unserem Repeaterschirm ab, Freund Haslam, und lassen Sie bitte als erstes den Unfallbericht ablaufen«, ordnete Prilicla an, wobei er sich Hewlitt so weit näherte, bis sich dessen Haare durch den Luftzug des Flügelschlags bewegten. »Sie können gern bleiben, Freund Hewlitt. Sollten Sie das Material oder unsere Unterhaltung allerdings als zu bedrückend empfinden, dann gehen Sie ruhig zu Ihrem Bett zurück, und errichten Sie ein schalldichtes Feld um sich herum.«
»Das alles liegt schon sehr lange zurück«, erwiderte Hewlitt. »Ich bin damals noch viel zu jung gewesen, als daß man mir alle Einzelheiten erzählt hätte, aber jetzt will ich Bescheid wissen. Ich werde das schon verkraften. Trotzdem danke für Ihr Mitgefühl.«
»Nun, ich werde ja merken, wie es Ihnen dabei ergeht, Freund Hewlitt. Also legen Sie los, Freund Haslam«, forderte er den Lieutenant auf.
Der Bericht begann mit den Fotos auf den offiziellen Dienstausweisen seiner Eltern. Hewlitt staunte nicht schlecht, denn auf den Bildern sahen seine Eltern nicht älter aus, als er heute war. Er hatte sie längst nicht so jung und natürlich auch viel größer in Erinnerung gehabt. Während die persönlichen und physiologischen Daten aufgeführt wurden, dachte er immer noch darüber nach, daß die beiden sehr ernst in die Kamera geschaut hatten; es mußte sich um einen der wenigen Augenblicke gehandelt haben, in denen sie einmal nicht gelächelt hatten. Viele Erinnerungen kehrten zurück, klar und deutlich, und sie deckten sich mit den aufgeführten Details des von den Ermittlern rekonstruierten Unfalls.
In jenem schicksalsschweren Augenblick war sein Vater viel zu beschäftigt gewesen, als daß er ihn auch nur hätte ansehen können, doch seine Mutter hatte ihn angelächelt und ihm gesagt, er brauche keine Angstzu haben. Dann war sie über die Rückenlehne des Copilotensitzes gestiegen, um sich neben ihn zu zwängen. Mit einem Arm hatte sie ihn auf ihrem Schoß festgehalten und mit der freien Hand den Sicherheitsgurt um sie beide herumgelegt. Damals konnte er durch die Flugzeugkuppel hindurch sehen, wie sich der Himmel und die bewaldeten Berge drehten und sie den Bäumen so nahe kamen, daß selbst einzelne Zweige zu erkennen waren. Dann drückte ihn seine Mutter kopfüber auf ihren Schoß, so daß sein Hinterkopf zwischen ihre Brüste gepreßt wurde. Plötzlich gab es einen heftigen Ruck – das Flugzeug kippte auf die Seite und wurde auseinandergerissen. Schließlich krachte es laut, und während er durch die Luft geschleudert wurde, spürte er den Regen und die kalte Luft im Gesicht.
Zwar erinnerte er sich noch an den heftigen Schmerz, den er beim Aufprall auf den Boden empfunden hatte, aber an nichts mehr, was danach geschah, bis er von einem Angehörigen des Rettungstrupps, der auf das automatische Notsignal hin reagiert hatte, gefragt wurde, wo er sich verletzt habe.
Dem Bericht zufolge war die Flugzeugkanzel von einer Baumkrone durchbohrt worden. Als die Maschine gefunden wurde, steckte das Cockpit immer noch in den oberen Zweigen fest, während der Rest des Flugzeugs auf den Boden gekracht und den Berg hinuntergerollt war, wo es fünfundvierzig Meter weiter zerschellt liegengeblieben war, bevor es Feuer gefangen hatte. Da das bewaldete Gebiet durch heftige Regenfälle an jenem Tag durchweicht war, hatten die Flammen nicht bis zu dem Teil des Hangs hinauf dringen können, wo sich der einzige Überlebende befunden hatte – ein sieben Jahre alter Junge. Danach wurde der Bericht mit einer ausführlichen Erörterung der technischen Beweise fortgesetzt, die von den Ermittlern zusammengetragen worden waren. Diesen Abschnitt überging Prilicla jedoch, da sich Captain Fletcher später damit befassen sollte. Der Bericht endete mit einigen kurzen Angaben über die Autopsie und die Behandlung der Unfallopfer.
Seine Eltern hatten schwere Verletzungen erlitten, und alles wies darauf
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hin, daß sie wahrscheinlich schon tot, zumindest aber bewußtlos gewesen waren, bevor sie von den Flammen verschlungen worden waren, so daß sie nichts mehr gespürt hatten. Als Hewlitt damals gefunden wurde, stand er noch unter Schock und war völlig verwirrt, doch ansonsten war er unverletzt geblieben, und man nahm an, daß die kleinen Blutflecken auf seiner Kleidung von seiner Mutter stammten. Dennoch behielt man ihn für neun Tage zur Beobachtung im Krankenhaus, genau die Zeit, die seine nächste Angehörige, seine Großmutter, zum Anreisen benötigte, um die Beerdigung der sterblichen Überreste seiner Eltern zu arrangieren und ihn dann mit auf die Erde zu nehmen.
Wie ihm erst jetzt bewußt wurde, hatte es seine Großmutter damals nicht zugelassen, daß er seine Eltern noch ein letztes Mal zu sehen bekam, weil der Vorgang der Einäscherung bereits im brennenden Flugzeug begonnen hatte.
Für einen Moment kehrten der alte, aber nie richtig überwundene Schmerz und die Trauer über den Verlust wie eine schwarze Leere zurück und schnürten ihm die Brust zusammen. Hewlitt gab sich jedoch redlich Mühe, seinen Gefühlen keinen freien Lauf zu lassen, denn Prilicla beobachtete ihn und begann bereits, in der Luft hin und her zu schwanken. Also verdrängte er die schmerzliche Erinnerung und versuchte, sich auf den nächsten Bericht zu konzentrieren, der auf dem Bildschirm erschien.
»Vielen Dank, Freund Hewlitt«, merkte der Empath an und fuhr dann in geschäftsmäßigem Ton fort: »Wie wir sehen können, bezieht sich dieser Bericht auf den Gesundheitszustand, die medizinische Behandlung und das Verhalten des Überlebenden während seines neuntägigen Krankenhausaufenthalts. Offenbar bereitete der kleine Hewlitt schon damals seinen Ärzten einiges Kopfzerbrechen.
Diese Probleme tauchten zum ersten Mal auf, als der damals noch den Rang eines Stabsarzt bekleidende Telford ein oral einzunehmendes Beruhigungsmittel verordnete. Obwohl unverletzt, war der Patient einer physischen Erschöpfung nahe und durch den Verlust seiner Eltern völlig verstört und außerstande zu schlafen. Die Folge war eine heftige, aberuntypische Reaktion: Er bekam Magenschmerzen, Atembeschwerden und Hautausschläge auf Brust und Rücken. Während der Stabsarzt immer noch die Ursachen herauszufinden versuchte, klangen die Symptome bereits wieder ab. Es wurde ein anderes Beruhigungsmittel verschrieben, das vorsichtshalber anfangs nur in minimalen Dosen subkutan injiziert wurde. Dieses Mal folgte ein exakt zwei Komma sechs Minuten andauernder Herzstillstand, begleitet von wiederholt auftretender Beeinträchtigung der Atemtätigkeit. Beides blieb ohne feststellbare Auswirkungen.«