Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio
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Richard Bolitho ist Leutnant geworden und l?uft 1774 als Dritter Offizier auf der Fregatte 'Destiny' nach Rio de Janeiro aus. Ihr Auftrag ist die Suche nach einem verschwundenen Goldtransporter, denn die Admiralit?t in London bef?rchtet, da? mit diesem Gold der Aufstand in den jungen amerikanischen Kolonien unterst?tzt wird. Am schweren Borddienst unter einem harten Kommandanten, am j?hen Tod guter Freunde, aber auch an einer ersten Liebe reift Richard Bolitho zu dem Mann heran, der den sp?teren Seehelden schon ahnen l??t. Dieser Roman steht chronologisch an vierter Stelle der inzwischen auf dreiundzwanzig Titel angewachsenen marinehistorischen Romanserie um den Seehelden Richard Bolitho.
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Alexander Kent
Kanonenfutter — Leutnant Bolithos Handstreich in Rio
Für Winifred, in Liebe
I Willkommen an Bord
Richard Bolitho drückte dem Mann, der seine Seekiste zur Pier getragen hatte, ein paar Münzen in die Hand. Ihn fröstelte in der naßkalten Luft. Obwohl der Vormittag schon halb herum war, lagen die langgestreckten Häuserreihen von Plymouth und die Umgebung noch in Nebelschwaden gehüllt. Kein Windhauch war zu spüren, alles wirkte düster und unheimlich.
Bolitho reckte sich und ließ seine Blicke angestrengt über das kabbelige Wasser des Hamoaze schweifen. Dabei spürte er die ungewohnt steife Leutnantsuniform, die — wie alles in seiner Seekiste — funkelnagelneu war: die weißen Aufschläge auf seinem Rock ebenso wie der Hut mit der im Dreieck hochgeschlagenen Krempe, den er etwas ungeschickt auf sein schwarzes Haar gestülpt hatte. Sogar Kniehose und Schuhe stammten aus demselben Geschäft in Falmouth — seiner Heimatstadt in der Grafschaft auf der anderen Uferseite —, von demselben Schneider, der, wie schon seine Vorfahren, neuernannte Seeoffiziere eingekleidet hatte, seit man sich erinnern konnte.
Dies war ein großer Augenblick für Richard Bolitho, die Verwirklichung all seines Hoffens und Strebens: dieser erste, oft unerreichbar scheinende Schritt vom Kadettenlogis zur Offiziersmesse, zur Würde eines Königlichen Seeoffiziers.
Er drückte seinen Hut so fest in die Stirn, als wolle er sich damit noch einmal selber bestätigen. Es war tatsächlich ein großer Augenblick.
«Sie wollen auf die Destiny, Sir?»
Der Mann, der seine Seekiste getragen hatte, stand immer noch neben ihm. In dem trüben Licht wirkte er ärmlich und abgerissen, doch unverkennbar als das, was er einmal gewesen war: ein Seemann.
Bolitho sagte:»Ja, sie muß irgendwo da draußen liegen.»
Der Mann folgte seinem Blick über das Wasser, doch seine Augen schienen in unbekannte Fernen zu schauen.
«Eine schöne Fregatte, Sir. Knapp drei Jahre alt. «Er nickte traurig.»Sie wird schon seit Monaten ausgerüstet. Es heißt, für eine lange Reise.»
Bolitho dachte über den Mann und all die Hunderte von Männern nach, die in den Häfen und Küstenorten herumlungerten, Arbeit suchten und sich dabei nach der See sehnten, die sie so oft aus vollem Herzen verflucht hatten.
Aber man schrieb jetzt Februar 1774, und bekanntlich befand sich England seit Jahren im Frieden. Sicherlich gab es hier und da auf der Welt kriegerische Zusammenstöße, aber dabei ging es meist um örtliche Handelsinteressen oder um Selbstbehauptung. Die alten Feinde blieben trotzdem die gleichen: entschlossen, ihre Zeit abzuwarten und den schwachen Punkt des Gegners zu finden, um diesen eines günstigen Tages zu benutzen.
Schiffe und Männer, die einst ihr Gewicht in Gold wert gewesen waren, hatte man ausgemustert. Die Schiffe verrotteten, die Seeleute — wie diese zerlumpte Gestalt mit fingerloser rechter Hand und einer tiefen Narbe auf der Backe — hatte man ohne Abfindung und Versorgung einfach an Land gesetzt.
Bolitho fragte:»Auf welchem Schiff sind Sie gefahren?»
Der Mann schien plötzlich zu wachsen, als er antwortete:
«Auf der Torbay, Sir. Unter Käpt'n Keppel. «Genauso schnell sank er wieder zusammen.»Gibt's eine Chance für mich bei Ihnen an Bord,
Sir?»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Ich bin neu und weiß noch nicht, wie es auf der Destiny aussieht.»
Der Mann seufzte.»Ich werde Ihnen ein Boot rufen, Sir.»
Er steckte zwei Finger seiner heilen Hand in den Mund und ließ einen durchdringenden Pfiff ertönen. Als Antwort hörte man durch den Nebel das Plätschern von Riemen, und dann näherte sich langsam ein Ruderboot.
Bolitho rief:»Zur Destiny, bitte!»
Als er sich umdrehte, um seinem abgerissenen Begleiter noch ein paar Münzen zuzustecken, war der schon wie ein Geist im Nebel verschwunden.
Bolitho kletterte ins Boot, zog seinen neuen Umhang fester und klemmte den Säbel zwischen die Knie. Das Warten war vorüber. Es hieß nicht länger: übermorgen oder morgen. Es war jetzt.
Das Boot dümpelte und gluckste in dem kabbeligen Wasser, während der Ruderer Bolitho mit wenig Sympathie musterte. Wieder so ein junger Fant, der armen Seeleuten das Leben zur Hölle machen wird, dachte er wohl. Und er mochte überlegen, ob der junge Offizier mit dem ernsten Gesicht und dem schwarzen, im Nacken zusammengebundenen Haar überhaupt wußte, was er für das Übersetzen bezahlen mußte. Er sprach mit dem Akzent eines Mannes aus dem Westen. Auch wenn er nur ein» Ausländer «vom jenseitigen Ufer war, aus Cornwall, so würde er sich doch von ihm nicht anschmieren lassen.
Bolitho rekapitulierte noch einmal, was er bisher über sein neues Schiff erfahren hatte: drei Jahre alt, hatte der zerlumpte Träger gesagt. Er sollte es wissen. Denn ganz Plymouth grübelte darüber, warum man sich in diesen schweren Zeiten solche Mühe mit der Ausrüstung und Bemannung einer Fregatte machte.
Im übrigen: Mit achtundzwanzig Kanonen bestückt, dabei schnell und beweglich, war die Destiny ein Schiffstyp, von dem die meisten jungen Offiziere träumten. Im Krieg war eine Fregatte nur lose der Flotte zugeordnet, war schneller als jedes größere Schiff und stärker als jedes kleinere: kurz, ein Faktor, mit dem man rechnen mußte. An Bord einer Fregatte gab es auch bessere Aussichten auf frühzeitige Beförderung, und später — wenn man den Gipfel, nämlich das Kommando über solch ein Schiff, erreicht hatte — bot sie auch Aussicht auf kühne Unternehmungen und reiche Prisengelder.
Bolitho dachte an sein letztes Schiff, das Linienschiff Gorgon: vierundsiebzig Kanonen, riesengroß und plump, mit einem Gewimmel von Menschen, mit gewaltigen Segeln, meilenlangem Tauwerk und riesigen Masten und Rahen. Es war außerdem eine Schule gewesen, eine sehr strenge Schule, in der die jungen Kadetten und Fähnriche vieles lernen mußten, vor allem aber, ihre Gefühle zu beherrschen und auch Ungerechtigkeiten zu ertragen.
Bolitho schaute hoch, als der Bootsmann sagte:»Müßte jetzt in Sicht kommen, Sir.»
Bolitho spähte nach vorn, froh über die Unterbrechung. Was hatte seine Mutter gesagt, als er sich von ihr in dem großen grauen Haus in Falmouth verabschiedet hatte?» Wirf alles hinter dich, Dick. Du kannst nichts ungeschehen machen. Darum paß jetzt auf dich auf. Die See taugt nicht für Träumer.»
Die Nebelwand wurde erst dunkler und teilte sich dann, als das vor Anker liegende Schiff aus dem Dunst auftauchte. Das Boot näherte sich seinem Bug von der Steuerbordseite und schwabberte unter dem weit vorragenden Klüverbaum nach achtern. Wie Bolithos neue Uniform auf der nassen Pier, so schien die Destiny in den trüben Nebelschwaden zu schimmern.
Von ihrer schlank wirkenden, schwarz-gelben Bordwand bis zu den drei Mastspitzen war sie ein Vollblut. Ihre Wanten, Stage und Pardu-nen waren neu geteert, ihre Rahen sauber quergebraßt, und jedes Segel war sorgfältig aufgetucht. Bolitho schaute zur Galionsfigur empor, die ihn zu begrüßen schien. Es war die schönste Figur, die er je gesehen hatte: ein barbusiges Mädchen, dessen ausgestreckter Arm auf den fernen Horizont zu weisen schien. In der anderen Hand hielt es einen Lorbeerkranz. Nur die goldenen Blätter und die starren blauen Augen setzten Farbakzente in das reine Weiß der Gestalt.
Zwischen zwei Riemenschlägen erläuterte der Bootsmann:»Man sagt, der Holzschnitzer hat seine junge Braut als Modell für die Figur benutzt, Sir. «Er zeigte grinsend seine häßlichen Zähne.»Ich wette, er hat ein paar Kerls wegboxen müssen, ehe er sie bekam.»
Bolitho musterte die Fregatte, als sie an ihrer Bordwand entlang-dümpelten, und sah, daß sich ein paar Leute auf der Laufbrücke hoch über ihm zu schaffen machten. Sie war ein schönes Schiff. Er hatte Glück gehabt.