Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik
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1777 — Aus der Rebellion der amerikanischen Kolonien ist ein erbitterter Krieg gegen England geworden, der die Royal Navy vor eine harte Bew?hrungsprobe stellt. Als blutjunger Offizier nimmt Richard Bolitho an den gef?hrlichen Eins?tzen des mit 80 Kanonen best?ckten Linienschiffs Trojan und den dramatischen Seegefechten in den Gew?ssern der Bahamas teil. Nach der Eroberung einer Brigg erh?lt er das Kommando ?ber diese Prise und damit die Gelegenheit, sich durch einen weiteren gewagten Handstreich ruhmreich auszuzeichnen.
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XVII Die Besten von allen
Bolitho wartete, bis das Schiff einigermaßen still lag, und richtete dann sein Teleskop auf die andere Brigg. Er sah ihre Bram- und Marssegel, die sich klar gegen den blauen Himmel abhoben, aber der untere Teil des Schiffes verschwamm im Dunst.
Wenn es die Revenge war, die alte Mischief, würde ihr Kapitän die White Hills sofort erkennen, sobald sie in entsprechender Entfernung war. Möglicherweise hatte er sie schon erkannt. Den Kurs zu ändern und vor den Wind zu gehen, würde ihm rascher verraten, was sich ereignet hatte, als wenn man es darauf ankommen ließe.
Bolitho blickte hinauf zum Wimpel. Der Wind hatte um einen weiteren Strich geschralt. Die Versuchung, abzudrehen, war groß. Aber ein Entkommen war bei den häufigen Kursänderungen trotzdem nicht möglich, denn die andere Brigg konnte sie bald einholen. Mit ihrer kleinen Prisencrew hatten sie keine Aussicht, die Manöver so rasch und exakt auszuführen wie die andere, wahrscheinlich vollzählige Besatzung.
Er sagte:»Fallen Sie einen Strich ab, Stockdale.»
Aus dem Mast hörte er Quinns Stimme:»Ich kann sie jetzt genau erkennen! Es ist die alte Mischief. Da bin ich ganz sicher!»
Frowd fluchte:»Verdammter Mist! Wir würden ihr besser die Hacken zeigen!»
Stockdale meldete vom Ruder:»Nordost zu Ost liegt an, Sir!»
Bolitho rief durch die hohlen Hände:»An die Brassen! Buller, mehr Leute an die Luvbrassen!»
Er paßte genau auf, wie die Rahen langsam herausschwangen, so daß sich jedes Segel bis an den Rand seiner Kapazität füllte. Die Kursänderung war jedoch zu geringfügig, um den Anschein einer Flucht zu erwecken.
Couzens kam nach achtern gerannt, die Hände schmutzig, das Hemd an mehreren Stellen zerrissen.
«Schiri ist klar zum Gefecht, Sir, alle Geschütze sind geladen!»
Bolitho lächelte dünn. Alle Geschütze, das bedeutete kümmerliche acht Sechspfünder. Die White Hüls war für vierzehn Kanonen und für ein paar Schwenkgeschütze konstruiert, aber all diese Waffen waren wohl mit der Yawl auf den Grund des Meeres gesunken. Acht Geschütze, also lediglich vier auf jeder Seite. Der Versuch, alle Kanonen auf eine Seite zu bringen, würde zweifellos von der anderen Brigg bemerkt werden. Ihre Größe nahm überraschend schnell zu, und Bolitho sah das Sonnenlicht von Metall oder vielleicht auch von verschiedenen Ferngläsern reflektieren.
Sie steuerte einen konvergierenden Kurs mit der White Hills und lag jetzt mit dieser auf gleicher Höhe.
Ihr Kapitän kannte Tracy persönlich, sie mußten sich also bis zum Einbruch der Dunkelheit weit genug entfernt halten und sich irgendeinen Trick ausdenken, um Tracys Abwesenheit glaubhaft erscheinen zu lassen.
«Land in Lee, Sir!«Der Ausguck hatte die Augen offengehalten, während Quinn ausschließlich die Brigg beobachtete.
Bolitho sah Frowds Verzweiflung. Das Land war höchstwahrscheinlich eine oder mehrere der kleinen Inseln, die nach dem Passieren von Nevis ihren Kurs säumen sollten, fünfzig Meilen lang bis Antigua. So nah lag das Land, und doch so fern.
«Die Brigg ändert Kurs, Sir!«Dann noch ein Ruf:»Sie hat ihre Flagge gesetzt!»
Bolitho nickte grimmig.»Heißen Sie die gleiche Flagge, Mr. Couzens!«Er sah, wie die Flagge mit den roten und weißen Streifen an der Gaffel hochging und dann auswehte.
Frowd richtete sich mühsam auf.»Es ist zwecklos, verdammt! Sie schließt immer dichter auf und hat außerdem noch den Windvorteil.»
«Vielleicht wollen sie mit uns sprechen und feststellen, ob wir die Geschütze und Munition an Bord haben. Vielleicht sollten die beiden sich hier irgendwo treffen. «Bolitho dachte laut und sah Frowd zustimmend nicken.
Stockdale zog Couzens am Ärmel.»Halten Sie auch unsere Flagge bereit, Mr. Couzens. Ich kann mir nicht vorstellen, daß unser Kommandant unter falscher Flagge kämpfen will.»
Frowd knurrte verzweifelt:»Wie könnten wir kämpfen, Sie Narr! Diese Kaperschiffe sind immer bis ans Schanzkleid bewaffnet! Sie müssen einen Feind so schnell wie möglich besiegen, bevor er
Hilfe bekommt und sie vertreibt. «Er stöhnte:»Kämpfen? Sie müssen verrückt sein!»
Bolitho hatte sich jetzt entschieden.»Wir beginnen mit Segelkürzen, als ob wir mit ihnen sprechen wollten. Wenn wir nahe genug herankommen, ohne ihren Argwohn zu erregen, beharken wir ihr Achterdeck und erledigen so viele von ihren Offizieren wie möglich. Dann machen wir, daß wir wegkommen.»
Stockdale nickte.»Später können wir zwei Geschütze nach achtern schaffen, Sir. Eine Hecksalve ist besser als gar nichts.»
Bolitho stand ganz still, um in Ruhe zu überlegen. Er hatte keine andere Wahl, und auch dies war kein Ausweg. Aber es gab nur entweder einen raschen, tollkühnen Überraschungsangriff oder Übergabe.
«Gei auf Großsegel!»
Bolitho sah die paar überzähligen Leute aufentern, um das Großsegel zu bergen. Der andere Kapitän würde die geringe Besatzungszahl sehen und wohl daraus folgern, daß sie in einem Gefecht gewesen waren. Das klaffende Loch in der Bordwand, das vom Achtzehnpfünder der Trojan herrührte, sprach ebenfalls eine deutliche Sprache.
Er richtete sein Glas auf das andere Schiff, ohne sich um das Fluchen seiner Leute zu kümmern, die auf der Großrah mit dem störrischen Segeltuch kämpften. Frowd hatte recht, sie war schwer bewaffnet, und es wimmelte an Deck von Leuten.
Er überlegte, was wohl mit ihrem ursprünglichen Kommandanten geschehen war, nachdem die Freibeuter sie gekapert hatten. Vierzehn Kanonen und eine entschlossene Besatzung machten sie zu einem beachtlichen Gegner. Bolitho sah ihr Deck, als sie jetzt stark überholte. Die Geschütze auf der abgewandten Seite waren alle unbesetzt, auf der ihm zugekehrten Seite ragten ein paar Köpfe über die geschlossenen Geschützpforten, jedoch waren die Kanonen wohl geladen und schußbereit.
Moffitt kam über das Deck und sagte:»Sie werden mich brauchen, Sir, ich weiß schon, wie ich mit diesen Halunken sprechen muß!»
«Ja, halten Sie sich bereit.»
Er studierte ihre Segelstellung, ihre schäumende Bugwelle, als sie jetzt noch näher kam. Ihre Rahen schwangen so rasch und exakt herum wie bei einem Modell, das von einer einzigen Hand bedient wird.
Eine halbe Meile, nicht mehr.
Er wandte den Blick von der Brigg ab und binnenbords seinen eigenen Leuten zu, die sich aufgeregt und mit lebhaften Gesten unterhielten; selbst die Verwundeten reckten den Hals, um über die Reling zu sehen.
«Kommen Sie herunter, Mr. Quinn!«Er rief Stockdale und Buller zu:»Paßt auf, daß die Leute ihre Waffen nicht sehen lassen. Sobald ich das Kommando gebe, fahrt ihr diese vier Geschütze so schnell aus und feuert, was ihr könnt. Wenn es uns gelingt, ihre Offiziere zu dezimieren, werden wir die Verwirrung ausnutzen und zu verschwinden versuchen.»
Quinn erschien atemlos neben ihm, den Blick auf den Gegner gerichtet.
«Denkst du, sie werden uns angreifen?»
«Nein. «Bolitho verschränkte die Arme und hoffte, daß er jenseits des glitzernden Wasserstreifens so entspannt wirkte, wie er sich den Anschein gab, in Wirklichkeit aber keineswegs fühlte.»Sie hätten sonst schon längst gefeuert, sie haben alle Vorteile auf ihrer Seite.»
Wenn der Wind jetzt drehte. Er schloß diese Möglichkeit aus, fixierte die Segel und den Wimpel an der Mastspitze. Es blies frisch und gleichmäßig aus Nordwest. Die Rahen standen richtig, an Backbord bei fast halbem Wind angebraßt. Wenn sie nur den Argwohn des anderen Kommandanten weiterhin zerstreuen und ihn bis zur Dunkelheit hinhalten konnten, dann schafften sie es vielleicht, ihn im Lauf der Nacht abzuschütteln und zwischen den Inseln zu verschwinden.
Selbst wenn der feindliche Kapitän sie dann nach Tagesanbruch wiederfand, konnten sie ihm möglicherweise in dem engen Fahrwasser zwischen Nevis und St. Christophers entkommen oder ihn gar auf Grund locken.