Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos
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1804 — Im Herbst steht England allein gegen die Flotten Frankreichs und Spaniens. Wieder einmal h?ngt die Drohung einver Invasion ?ber der Insel. Um die Spanier zu schw?chen, wird Vizeadmiral Sir Richard Bolitho in die Karibik entsandt, wo er deren reichbeladenen Sibergaleeren kapern soll. Dabei k?mpft Bolitho so todesmutig, als h?tte er nichts mehr zu verlieren. Die Zerr?ttung seiner Ehe und seine drohende Erblindung haben ihn in tiefe Depressionen gest?rzt…
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Nun war er hier und hatte, was er sich gewünscht hatte: Hyperion. Sie wären beinahe zusammen gestorben.
Yovell trat beiseite, sein rotbäckiges Gesicht wurde wachsam.»Der Kommandant, Sir Richard.»
Haven kam herein, den Hut unterm Arm.»Schiff liegt vor Anker, Sir.»
Bolitho nickte. Er hatte Haven angewiesen, ihn nicht mit seinem Titel anzureden, es sei denn, die Etikette verlangte es. Die Kluft zwischen ihnen war ohnehin groß genug.
«Ich komme.»
Ein Schatten verdunkelte die Tür, und Bolitho entging nicht der Anflug von Ärger auf Havens Gesicht.
Doch Allday drückte sich am Flaggkapitän vorbei.»Die Barkasse liegt bereit, Sir Richard. «Nachdenklich betrachtete er die Degen in ihrer Halterung.»Den richtigen heute?»
Bolitho lächelte; Allday hatte zwar eigene Probleme, aber die behielt er für sich. Bootssteurer? Ein echter Freund wäre die bessere Bezeichnung für ihn gewesen. Sicherlich mißbilligte es Haven, daß ein Untergebener kommen und gehen konnte, wie es ihm gefiel.
Allday beugte sich vor und schnallte Bolitho den alten Familiendegen um. Die Lederscheide war schon mehrmals erneuert worden, aber der verfärbte Griff war noch derselbe und die blanke, veraltete Klinge so scharf wie eh und je.
Bolitho tätschelte den Degen an seiner Hüfte.»Noch ein guter Freund. «Ihre Augen trafen sich. Aller Einfluß seines Ranges zählte nichts im Vergleich zu ihrer engen Bindung.
Haven war mittelgroß, fast untersetzt, mit lockigem rotblo ndem Haar. Erst Anfang der Dreißig, hatte er doch schon das Aussehen eines seriösen Anwalts oder eines Kaufmanns in der Londoner City. Seine Miene drückte zurückhaltende Erwartung aus. Bolitho hatte ihn gelegentlich in seiner Kajüte aufgesucht und dort das kleine Porträt einer hübschen Frau mit lockigem Haar in einem Blumenkranz bewundert.
«Meine Frau«, hatte Haven entgegnet, aber in einem Tonfall, der weitere Fragen ausschloß. Ein seltsamer Mann, dachte Bolitho. Doch das Schiff wurde von ihm geschickt geführt, trotz der vielen neuen Leute und einer Überzahl von Landratten. Es schien aber, daß auch dem Ersten viel Verdienst daran zukam.
Bolitho schritt durch die Tür, an dem strammstehenden Seesoldaten vorbei und in das gleißende Sonnenlicht hinaus. Es war sonderbar, das Ruder verlassen und in Mittschiffsstellung festgelascht zu sehen. Auf See hatte Bolitho täglich seine einsamen Spaziergänge an der Windseite des Achterdecks absolviert, hatte sein kleines Geleit und die dazugehörende Fregatte beobachtet, während er über die abgenutzten Planken schritt ohne nachzudenken, den Geschütztaljen und Ringbolzen automatisch ausweichend.
Augen sahen ihn vorübergehen, um sich schnell abzuwenden, wenn er in ihre Richtung blickte. Damit mußte er leben, aber er würde es nie leiden können.
Nun lag das Schiff still. Taue wurden heruntergegeben, Decksoffiziere beaufsichtigten halbnackte Matrosen, damit das Flaggschiff des Admirals so schmuck aussah, wie man es erwarten konnte. Hoch oben im schwarzen Gewirr der Stage, Pardunen und festgemachten Segel bewegten sich perspektivisch verkürzte Gestalten und sicherten eifrig alles.
Einige der Leutnants gingen dem Admiral aus dem Weg, als er übers Achterdeck schritt, um herunterzuschauen auf die Reihen der Achtzehnpfünder, welche die Originalbatterie der Zwölfpfünder ersetzt hatten.
Geisterhaft tauchten Gesichter vor ihm auf, Kanonendonner übertönte die gebrüllten Anweisungen und das Geklapper der Blöcke. Die Decks schienen durch Einschläge wieder wie von Riesenkrallen zerkratzt. Darauf Männer, die fielen und starben und nach Hilfe flehten, wo es keine gab. Sein eigener Neffe Adam, damals vierzehn Jahre alt, mitten drin, bleich und doch wild entschlossen, als die kämpfenden Schiffe zu einem letzten Ringen zusammenprallten.
Havens Stimme riß Bolitho aus seinen Erinnerungen.
«Das Boot lieg bereit, Sir.»
Bolitho wies an ihm vorbei.»Wieso haben Sie keine Windhutzen aufriggen lassen, Kapitän?»
Warum konnte er es nicht über sich bringen, Haven mit Vornamen anzureden? Was war mit ihm los?
Der zuckte mit den Achseln.»Sie sind von Land aus kein schöner Anblick, Sir.»
«Aber sie fuhren den Leuten in den Batteriedecks frische Luft zu. Also hoch damit.»
Er gab sich Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken, daß Haven nicht der Backofenhitze in den übervölkerten Decks Rechnung trug. Die Hyperion war hundertachtzig Fuß lang und trug eine Besatzung von sechshundert Offizieren, Matrosen und Seesoldaten. In dieser Hitze mußten sie sich wie doppelt so viele vorkommen.
Er sah, wie Haven dem Ersten Leutnant die Anordnung kurz weitergab. Letzterer warf Bolitho einen dankbaren Blick zu. Frische Luft!
Der Erste war auch so ein komischer Vogel. Mit über dreißig etwas alt für seinen Rang, war er schon Kommandant einer Brigg gewesen. Als man die Brigg auflegte, wurde seine Ernennung nicht bestätigt, man stufte ihn auf den alten Dienstgrad zurück. Er war schlank und im Gegensatz zu seinem Kommandanten ein Mann von sichtbarem Eifer und Enthusiasmus. Sein gutes, zigeunerhaftes Aussehen erinnerte Bolitho an ein Gesicht aus der Vergangenheit, er wußte nur nicht, an welches. Bei seinen Untergebenen war er anscheinend beliebt und alles in allem jene Sorte Offizier, der die Fähnriche nachzueifern strebten.
Unterhalb des schön geschwungenen Bugsprits waren die breiten Schultern der Galionsfigur zu sehen. Sie hatte sich ihm eingeprägt, als er das Schiff in Plymouth verlassen mußte. Hyperion war damals so angeschlagen und beschädigt gewesen, daß er sich kaum vorstellen konnte, wie sie davor ausgesehen hatte. Nur die Galionsfigur erzählte eine andere Geschichte.
Ihre Goldfarbe mochte Schrammen davongetragen haben, aber die stechenden blauen Augen unter der Krone aus Sonnenstrahlen starrten so anmaßend wie immer in die Welt. Ein muskulöser Arm streckte noch den gleichen Dreizack dem Horizont entgegen. Sogar von achtern wirkte der Anblick auf Bolitho vertraut. Hyperion, einer der Titanen, hatte die Schmach eines Lebens als Invalide abgeworfen.
Allday beobachtete Bolitho scharf. Er hatte den nachdenklichen Blick erkannt und erriet, was er bedeutete. Der Vizeadmiral war mit seinen Gedanken wieder mal ganz woanders. Ob er mit ihm übereinstimmte oder nicht, er hing an ihm wie an keinem anderen und wäre für ihn ohne Zögern gestorben.»Die Barkasse ist bereit, Sir Richard. «Gern hätte er hinzugefügt, daß die Bootscrew noch nicht perfekt war. Noch nicht…
Bolitho ging langsam zur Pforte. Das Boot lag unten längsseits. Jenour, sein neuer Flaggleutnant, saß schon darin, desgleichen Yovell mit einer Dokumentenmappe auf den fetten Schenkeln. Ein Fähnrich stand steif wie ein Ladestock im Heck. Bolitho vermied es, die jugendlichen Gesichtszüge zu studieren. Das war alles vorbei. Er kannte keinen auf diesem Schiff.
Schnell blickte er in die Runde und sah, wie die Pfeifer der Ehrenwache ihre Instrumente an die feuchten Lippen hoben, sah die Seesoldaten die Gewehre präsentieren. Er sah Haven und seinen Ersten Leutnant, dazu all die anderen anonymen Gesichter, das Blau und Weiß der Offiziere, das Scharlachrot der Seesoldaten, die gebräunten Körper der Seeleute. Am liebsten hätte er ihnen gesagt:»Ich bin hier zwar Admiral, aber die Hyperion ist noch immer mein Schiff.»
Er hörte Allday ins Boot klettern und wußte, daß er ängstlich auf ihn achtete, auch wenn er es verbarg, immer bereit zuzugreifen, falls sein Auge sich wieder verschleierte und er den Halt verlor. Bolitho lüftete den Hut, und sofort stimmten Trommeln und Pfeifen ihre lebhafte Weise an, die Royal Marines präsentierten die Gewehre, während der Degen ihres Majors grüßend funkelte.
Bolitho kletterte das steile Fallreep hinunter ins Boot. Sein letzter Blick auf Haven überraschte ihn: Die Augen des Kommandanten waren kalt und feindlich. Es würde gut sein, sich dessen zu erinnern.
Das Wachboot glitt heran und wartete, um die Barkasse durch die vor Anker liegenden Schiffe und den Verkehr der Hafenfahrzeuge zu geleiten.