Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos
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1804 — Im Herbst steht England allein gegen die Flotten Frankreichs und Spaniens. Wieder einmal h?ngt die Drohung einver Invasion ?ber der Insel. Um die Spanier zu schw?chen, wird Vizeadmiral Sir Richard Bolitho in die Karibik entsandt, wo er deren reichbeladenen Sibergaleeren kapern soll. Dabei k?mpft Bolitho so todesmutig, als h?tte er nichts mehr zu verlieren. Die Zerr?ttung seiner Ehe und seine drohende Erblindung haben ihn in tiefe Depressionen gest?rzt…
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Es war eine schwierige Geburt gewesen, während Bolithos Abwesenheit auf See. Die Ärzte hatten Belinda vor einem zweiten Kind gewarnt, und als Folge davon war eine Entfremdung zwischen den Eheleuten eingetreten, die Bolitho nicht verstand und als ungerecht empfand. Ein andermal hatte Belinda spitz geäußert:»Ich habe dir von Anfang an erklärt, ich bin nicht Cheney. Hätte ich ihr nicht so ähnlich gesehen, wären wir jetzt wohl kaum verheiratet.»
Bolitho hatte versucht, die Barriere zwischen ihnen niederzureißen, Belinda an sich zu ziehen und ihre Angst zu beschwichtigen. Er wollte ihr von seiner Augenverletzung erzählen und von dem, was sie bedeuten konnte. Statt dessen hatten sie sich in London getroffen, und es war zu unerklärlichen, bitteren Feindseligkeiten zwischen ihnen gekommen, die beide später bedauerten.
Bolitho tippte an seine blanken Knöpfe und dachte wieder an das Kind. Es war jetzt sechzehn Monate alt. Verzweifelt fragte er sich, ob Elizabeth nie in Falmouth spielen, im Sand tollen und schmutzig nach Hause kommen würde, um gescholten und geliebt zu werden.
Jenour hörte ihn seufzen, zog aber die falschen Schlüsse daraus. »Thor müßte schon ziemlich weit weg sein, Sir Richard«, meinte er aufmunternd.
Bolitho nickte. Das Mörserschiff war in der vergangenen Nacht heimlich ausgelaufen, aber Gott allein wußte, ob nicht Spione längst Einzelheiten über den beabsichtigten Einsatz weitergemeldet hatten. Zur Täuschung hatte man Gerüchte in Umlauf gesetzt, wonach Thor den Leichter nach St. Christopher schleppen sollte. Sogar Glassport war genötigt worden, seinen Widerstand aufzugeben, und hatte eine Decksladung mit dem deutlich sichtbaren Namen dieses Bestimmungshafens besorgt.
Wie auch immer, jetzt war es zu spät für Alternativen. Vielleicht war es dafür schon zu spät gewesen, als er darauf bestanden hatte, seinem neuen Geschwader vorauszusegeln und mit des spanischen Königs Gold auf seine Weise umzugehen. Todessehnsucht? Somervells Wort steckte in seinem Kopf wie ein Widerhaken.
Er sagte:»Imrie wird sich zweifellos freuen, wieder auf See zu sein.»
Jenour musterte besorgt die aufrechte Gestalt, die den Hut abgelegt und die Halsbinde gelockert hatte. Bolitho merkte es nicht, er dachte an seine anderen Kommandanten. Haven hatte in einem Punkt recht behalten: Die drei patrouillierenden Fahrzeuge seiner kleinen Streitmacht waren noch nicht nach English Harbour zurückgekehrt. Entweder hatten Glassports Schoner sie nicht zu finden vermocht, oder es hatte jeder für sich beschlossen, die Zeit anderswo totzuschlagen. Er stellte sich die Gesichter vor, als die Kommandanten in der großen Kajüte versammelt waren. Thynne von der Obdurate, die noch ihre Sturmschäden reparierte, war der einzige etatmäßige Kommandant unter ihnen. Bolitho behandelten sie mit einer höflichen Wachsamkeit. Sie alle hatten den toten Price gekannt, und vielleicht sahen sie in Bolithos Strategie einen Diebstahl seiner Ideen.
Diese Befürchtung hatte er Jenour gegenüber geäußert, nicht etwa, weil der junge Flaggleutnant schon über genug Erfahrung und Klugheit als Kritiker verfügte, sondern weil er sie mit einem teilen wollte, dem er vertrauen konnte.
Aber Jenour hielt das bezeichnenderweise für ausgeschlossen und hatte beharrlich erklärt:»Sie kennen Ihre bisherigen Leistungen, Sir Richard, das genügt jedem. «Jenour war ein angenehmer, eifriger junger Mann, der ihn an niemanden erinnerte. Vielleicht hatte er ihn sich deshalb ausgesucht. Deshalb und wegen seiner verblüffenden Kenntnisse über Bolithos bisherige Unternehmen, seine Schiffe und Gefechte.
Die drei Briggs Upholder, Tetrarch und Vesta sollten morgen die Anker lic hten und mit dem Flaggschiff auslaufen. Blieb nur zu hoffen, daß sie nicht auf feindliche Fregatten stießen, bevor sie das Festland erreichten. Alle drei zusammen trugen sie nur zweiundvierzig Kanonen. Wenn doch wenigstens ihre einzige Korvette aufsein Rückrufsignal reagiert hätte! Denn die Phaedra sah wie eine kleine Fregatte aus, und in den richtigen Händen konnte sie auch als eine solche kämpfen. Oder maß er sie schon wieder an seiner ersten Korvette und dem damit verbundenen
Glück?
Bolitho schritt langsam zum Ende der Aufschleppe, dorthin, wo sie in die unruhigen Wellen tauchte. Das Wasser war dunkel wie Ebenholz, betupft mit gelegentlichen Reflexen der Ankerlaternen oder, wie im Fall der Hyperion, von den Spiegelbildern der erleuchteten offenen Stückpforten. Er fühlte die warme Brise an seinen Wangen und versuchte sich die Seekarte mit allen Unwägbarkeiten vorzustellen, die ihnen auf jeder der sechshundert Seemeilen zustoßen konnten.
Er wollte sich nicht aufregen, wenn er an Haven dachte. Haven war kein Feigling, aber von anderen, tieferen Sorgen besessen. Was er auch von seiner Kommandierung auf einen Veteranen wie Hyperion hielt, Bolitho sah es anders. Das Schiff mochte alt sein, gewiß, aber es war noch immer ein weit besserer Segler als die meisten seiner Sorte. Ungewöhnlich, daß ein Flaggkapitän sich zum Gegner seines Admirals machte, ob er ihn nun haßte oder nicht. Die Karriereleiter war schwer genug zu erklettern, ohne daß man sich noch selbst Hindernisse in den Weg legte. Doch Haven wies jeden persönlichen Kontakt zurück, und als auf der Überfahrt von England traditionsgemäß seine Gegenwart an der Tafel nötig war, wo Bolitho einige jüngere Offiziere bewirtete, hatte er sich abseits gehalten. Bolitho dachte an das Bildnis von Havens hübscher Frau. War sie die Ursache seiner Probleme? Das allerdings hätte er gut verstehen können.
Der Schatten eines Fischerboots glitt an der ihnen am nächsten liegenden Brigg vorüber. Brachte es dem Feind eine Nachricht? Falls die Dons herausbekamen, was er beabsichtigte, konnte der Admiral in Havanna wenige Stunden nach Erhalt der Nachricht ein ganzes Geschwader in See haben.
Es wurde Zeit, zur Anlegebrücke zu gehen, wo die Barkasse wartete, aber Bolitho zögerte noch. Es war so friedlich hier, ein Aufschub vor der Gefahr und dem Ruf der Pflicht.
Der Fischer war verschwunden, ohne zu ahnen, welche Gedankengänge er ausgelöst hatte. Bolitho starrte auf die leuchtenden Reihen offener Stückpforten der Hyperion. Das sah aus, als ob sie innerlich brannte. In ihrem rundlichen Rumpf drängten sich sechshundert Seelen — alle ihm überantwortet. Sie verlangten nicht viel, aber oft wurden ihnen selbst noch die einfachsten Bequemlichkeiten vorenthalten. Er konnte sich die anonymen Seesoldaten in ihrer Sektion des Decks vorstellen, wo sie wohnten und auch ihre Ausrüstung reinigten und putzten. Er sah andere Quartiere vor sich, wo die Seeleute zwischen Kanonen ihre Freiwachen verbrachten, an traditionellen Kleinigkeiten bastelten oder winzige Schiffsmodelle aus Knochen und Muscheln schnitzten. Wie konnten ihre von schwerer Arbeit groben Hände solch feine Arbeiten hervorbringen? Dann die Fähnriche der Hyperion, acht an der Zahl, die den Lehrstoff für ihr Leutnantsexamen studierten, manchmal bei schwächster Beleuchtung, einem Docht in einer alten Kartusche.
Die Offiziere hatten sich noch nicht hervorgetan, aber mit der Zeit würden sie zeigen, was sie konnten oder was nicht. Bolitho schlug mit seinem Hut nach einem durch die Dunkelheit summenden Insekt. Führerschaft, darauf kam es an. Alles beruhte auf guter Führerschaft.
Als er sich wieder dem Bootsschuppen zuwandte, hörte er Jenours Schritte davoneilen. Eine Kutsche rollte heran, ein Pferd stampfte unruhig, und die Stimme eines Mannes suchte es zu besänftigen.
Jenour kam zurück und wisperte:»Eine Dame, Sir Richard.»
Bolithos Herz erriet ihren Namen. Er fragte sich keinen Moment, wer da zu dieser späten Stunde kommen mochte. Vielleicht hatte er sie unbewußt erwartet, in der Hoffnung, daß sie ihn schon finden würde. Und trotzdem fühlte er sich unvorbereitet.
Sie begegneten einander unter dem aufgepallten Rumpf eines alten Bootes. Catherine war von Kopf bis Fuß in einen Umhang gehüllt, dessen Kapuze lose über ihrem Haar hing. Hinter ihr sah man die Kutsche warten, den Mann neben dem Pferd stehen, beleuchtet von zwei kleinen Laternen, die ihren gelben Schein auf die Straße warfen. Jenour wollte sich zurückziehen, aber sie winkte seine Entschuldigung beiseite.»Lassen Sie nur, ich habe ja auch meine Zofe bei mir.»