Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio
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Richard Bolitho ist Leutnant geworden und l?uft 1774 als Dritter Offizier auf der Fregatte 'Destiny' nach Rio de Janeiro aus. Ihr Auftrag ist die Suche nach einem verschwundenen Goldtransporter, denn die Admiralit?t in London bef?rchtet, da? mit diesem Gold der Aufstand in den jungen amerikanischen Kolonien unterst?tzt wird. Am schweren Borddienst unter einem harten Kommandanten, am j?hen Tod guter Freunde, aber auch an einer ersten Liebe reift Richard Bolitho zu dem Mann heran, der den sp?teren Seehelden schon ahnen l??t. Dieser Roman steht chronologisch an vierter Stelle der inzwischen auf dreiundzwanzig Titel angewachsenen marinehistorischen Romanserie um den Seehelden Richard Bolitho.
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Die Gig war mit dem Befehl zurückgekehrt, daß Lockyer, der Schreiber des Kommandanten, mit einigen Papieren aus dem Safe nachkommen solle. Jetzt stand er am Schanzkleid und machte sich mit seiner Dokumententasche wichtig, während die Fallreepsgasten einen Bootsmannsstuhl an der Nock der Großrah befestigten, mit dem sie ihn in die Gig hinunterlassen wollten.
Palliser trat zu ihnen und sagte verächtlich:»Schaut euch den alten Narren an. Geht nie an Land, aber wenn doch, dann muß erst ein Fahrstuhl für ihn aufgeriggt werden, damit er nicht vom Fallreep fällt und ertrinkt.»
Rhodes grinste, als es endlich gelungen war, den Schreiber ins Boot zu fieren.»Er ist offenbar der Älteste an Bord.»
Über den Satz dachte Bolitho nach. Das war nämlich eine der Entdeckungen, die er gemacht hatte: Sie waren eine sehr junge Besatzung, mit nur wenigen von den älteren Leuten dazwischen, wie er sie auf den großen Linienschiffen gewohnt gewesen war. Der Sailing Master eines Linienschiffs zum Beispiel war üblicherweise schon bejahrt, wenn er solch einen verantwortungsvollen Posten erreichte; aber ihr Gulliver war noch keine dreißig.
Die meisten Männer, die an den Netzen lehnten oder an Deck herumlungerten, sahen gesund aus: hauptsächlich ein Verdienst ihres Schiffsarztes, hatte Rhodes behauptet. Darin zeigte sich der Wert eines Arztes, der sich um die Leute kümmerte und wußte, wie man dem gefürchteten Skorbut und anderen Krankheiten vorbeugte, die ein ganzes Schiff lahmen konnten.
Bulkley war einer der wenigen Bevorzugten, die an Land gehen durften. Der Kommandant hatte ihm befohlen, so viel frisches Obst und Fruchtsäfte einzukaufen, wie er für erforderlich hielt; Codd, der Zahlmeister, hatte ähnliche Anweisungen für alles erreichbare Gemüse.
Bolitho nahm den Hut ab und ließ die Sonne sein Gesicht wärmen. Es wäre schön gewesen, Funchal zu durchstreifen und dann in einer der schattigen Tavernen auszuruhen, von denen ihm Bulkley und andere erzählt hatten.
Die Gig hatte jetzt die Landungsbrücke erreicht, und einige Seesoldaten der Destiny bahnten dem alten Lockyer einen Weg durch die gaffende Menge.
Palliser sagte:»Wie ich sehe, ist Ihr Schatten nicht fern.»
Bolitho wandte den Kopf und sah Stockdale auf dem Batteriedeck neben einem Zwölfpfünder knien. Er hörte Vallance, dem Oberfeuerwerker, aufmerksam zu und zeigte dann auf die Lafette. Bolitho sah, daß Vallance nickte und dann Stockdale anerkennend auf die Schulter klopfte.
Das war ungewöhnlich. Bolitho hatte schon mitbekommen, daß Val-lance nicht gerade der umgänglichste Deckoffizier an Bord war. Er wachte eifersüchtig über seinen Bereich, der von der Pulverkammer bis zur Geschützbedienung reichte. Jetzt kam er nach achtern und tippte vor Palliser grüßend an den Hut.
«Dieser neue Mann Stockdale, Sir, hat ein Problem an der Kanone gelöst, mit dem ich mich schon seit Monaten herumschlug. Es handelte sich um eine Neuerung, mit der ich bisher nicht glücklich war. «Er lächelte, was bei ihm selten vorkam.»Stockdale meint, wir könnten die Lafette so umsetzen, daß…»
Palliser hob beide Hände.»Sie überraschen mich, Mr. Vallance. Aber tun Sie, was Sie für richtig halten. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Ihr Stockdale ist zwar ziemlich schweigsam, scheint sich aber hier an Bord wohl zu fühlen.»
Bolitho bemerkte, daß Stockdale vorn Batteriedeck zu ihm heraufschaute. Als er ihm zunickte, leuchtete das zerschlagene Gesicht des Mannes im Sonnenlicht auf und warf ein Lächeln zurück.
Jury, der Midshipman der Wache, rief:»Gig stößt von Land ab, Sir!»
«Das ging aber schnell. «Rhodes griff nach einem Fernrohr.»Wenn der Kommandant schon zurückkommt, lasse ich am besten. «Er schnappte nach Luft und setzte schnell hinzu:»Sir, sie bringen Lok-kyer zurück!»
Palliser nahm ein zweites Glas und richtete es auf die grüngestrichene Gig. Dann sagte er ruhig:»Der Schreiber ist tot. Sergeant Bar-mouth hält ihn.»
Bolitho ließ sich das Teleskop von Rhodes geben. Im ersten Augenblick bemerkte er nichts Ungewöhnliches. Die schlanke Gig näherte sich schnell, die weißen Riemenblätter hoben und senkten sich in flottem Takt, denn die Männer in ihren rot-weiß-karierten Hemden und mit den geteerten Hüten legten sich kräftig ins Zeug.
Als die Gig einen Bogen fuhr, um einem treibenden Baumstamm auszuweichen, sah Bolitho, daß Barmouth, der Sergeant der Seesoldaten, den spärlich behaarten Kopf des Schreibers so hielt, daß er nicht auf die Kissen des Hecksitzes fiel. Eine schreckliche Wunde lief quer über Lockyers Kehle; im Sonnenlicht hatte sie die gleiche rote Farbe wie der Waffenrock des Soldaten.
Rhodes murmelte:»Ausgerechnet jetzt ist der Schiffsarzt an Land. Mein Gott, das wird eine schöne Bescherung!»
Palliser schnippte mit den Fingern.»Wo ist dieser Mann, den Sie mit den anderen Neuen an Bord brachten? Dieser Apothekergehilfe, Mr. Bolitho!»
Rhodes antwortete schnell:»Ich hole ihn, Sir. Er hat schon Aushilfsdienst im Krankenrevier gemacht.»
Palliser sah Jury an.»Sagen Sie dem Bootsmannsmaat der Wache, er soll Leute zum Bootsheißen holen!«Er rieb sich das Kinn.»Das war kein Unfall.»
Die Boote der Einheimischen machten Platz, damit die Gig an den Großrüsten anlegen konnte.
Als die schlanke, unaufgeklärte Gig hochgeheißt und über die Laufbrücke eingeschwungen wurde, ging es wie ein Aufstöhnen durchs Schiff. Blut rann aus dem Boot an Deck, und Bolitho sah, wie der Apothekergehilfe mit Rhodes herbeieilte, um den leblosen Körper in Empfang zu nehmen.
Der Name des Apothekergehilfen war Spillane: ein stets ordentlich gekleideter, aber verschlossener Mann, eigentlich nicht der Typ, der eine sichere Stellung an Land einem Abenteuer zuliebe oder» um Erfahrungen zu sammeln «verließ, dachte Bolitho. Aber jetzt schien er sich kompetent zu fühlen; als Bolitho sah, wie er den Matrosen Anweisungen gab, war er froh, daß sie ihn an Bord hatten.
Sergeant Barmouth berichtete:»Also, Sir, ich hatte dafür gesorgt, daß der Schreiber sicher durch die Menge kam, und wollte gerade meinen Platz an der Landungsbrücke wieder einnehmen, als ich einen Schrei hörte. Gleich darauf brüllten alle durcheinander — Sie wissen ja, wie das in dieser Weltgegend üblich ist, Sir.»
Palliser nickte.»Verstehe, Sergeant. Und was geschah dann?»
«Ich fand Lockyer in einer Gasse, Sir. Mit durchgeschnittener Kehle. «Barmouth wurde blaß, als er seinen eigenen Vorgesetzten über das Achterdeck auf sich zukommen sah. Nun würde er alles noch einmal für Colpoys wiederholen müssen. Der Leutnant der Seesoldaten liebte es nicht — wie die meisten seiner Zunft —, wenn die Marineoffiziere sich in seine Angelegenheiten mischten, egal, wie dringend sie waren.
Palliser fragte kühl:»Lockyers Tasche fehlte?«»Jawohl, Sir!»
Palliser kam zu einem Entschluß.»Mr. Bolitho, nehmen Sie den
Kutter, einen Midshipman und sechs Mann. Ich gebe Ihnen die Adresse, wo Sie den Kommandanten finden. Melden Sie ihm, was geschehen ist. Keine Dramatisierung, nur die Tatsachen, soweit Sie sie kennen.»
Bolitho berührte kurz seinen Hut. Er war überrascht, obwohl er noch unter dem Schock des plötzlichen Todes von Lockyer stand. Also wußte Palliser doch mehr von der Mission des Kommandanten, als er bisher zugegeben hatte. Und als Bolitho den Zettel mit dem Straßennamen und einer kleinen Kartenskizze musterte, den Palliser ihm in die Hand drückte, wußte er, daß dies weder die Residenz des Gouverneurs war noch irgendein anderes offizielles Gebäude.
«Nehmen Sie Mr. Jury, und suchen Sie sich selber die sechs Männer zusammen. Ich möchte aber, daß sie anständig aussehen.»
Bolitho nickte Jury zu und hörte noch, wie Palliser zu Rhodes sagte:»Ich hätte Sie schicken können, aber Bolitho und Jury haben noch nagelneue Uniformen und bringen damit unser Schiff weniger in Mißkredit.»
In kürzester Zeit saßen sie im Kutter und pullten zum Ufer. Bolitho war erst eine Woche auf See, aber die Zeit schien ihm viel länger, so stark war der Wechsel seiner Umgebung.