Die Entscheidung: Kapitan Bolitho in der Falle
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Heyward kam vom Geschützdeck, um seine Pflicht wieder zu versehen.
Tyrell sagte:»Entlassen Sie die Wache unter Deck. Dann sollen die Unteroffiziere nach achtern kommen.»
Heyward fragte zögernd:»Wird das für mich schlecht ausgehen?»
Tyrell klopfte ihm auf die Schulter.»Bei Gott, nein!«Er lachte über sein Erstaunen.»Sie haben dem Kapitän einen Gefallen getan! Wenn Sie ihn eher gerufen hätten, wäre er gezwungen gewesen, den Kurs zu ändern. Ihr Fehler hat es ihm gestattet, eine andere Richtung einzuschlagen. «Er ging pfeifend weg, seine bloßen Füße verursachten auf den gischtdurchnäßten Planken ein klatschendes Geräusch.
Heyward ging über das krängende Deck zu Buckle ans Steuer.»Ich glaube, das verstehe ich nicht.»
Buckle sah ihn zweifelnd an.»Dann versuchen Sie es nicht erst, das ist mein Rat. «Er schlurfte zum Niedergang und fügte hinzu:»Und das nächstemal, wenn Sie mit meinem Schiff lieber Gott spielen möchten, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es zuerst bekanntmachen würden!»
Heyward blickte auf den Kompaß und ging zur Luvseite hinüber. Leutnant der Wache zu sein, hieß mehr, als nur einen Auftrag zu haben. Er betrachtete die gespannten Großsegel und grinste. Das wäre beinahe ins Auge gegangen, und einmal war er vom plötzlichen Wechsel der Ereignisse so überwältigt worden, daß er dachte, das Schiff würde durchgehen und ihn und alle an Bord mit unwiderstehlicher Gewalt entführen. In den letzten Augenblicken hatte er etwas gelernt. Sollte dies alles wieder passieren, so wußte er, was er zu tun hatte. Dessen war er ganz sicher.
Stockdale wartete in der Kajüte mit Bolithos Hemd und fragte ihn, nachdem er ihm ein Handtuch gereicht hatte:»Sind Sie damals wirklich auf Wache eingeschlafen, Sir?»
Bolitho rieb sich Arme und Brust ab und fühlte, wie das Salz auf seinen Lippen wie eine zweite Haut trocknete.
«Beinahe. «Blieb denn vor Stockdale gar nichts verborgen?» Aber wir müssen die Dinge manchmal etwas ausschmücken.»
Er stieg aus seiner tropfnassen Hose und warf sie quer durch die Kajüte. Als er seinen nackten Körper weiter abrieb, lauschte er Heywards gemessenen Schritten an Deck.
Dann sagte er ruhig:»Ich habe einmal von einem Leutnant gehört, der einen Mann auspeitschen ließ, weil er vom Ausguck etwas Falsches berichtet hatte. Danach war der Seemann so eingeschüchtert, daß er bei echter Gefahr den Mund hielt, aus Furcht, wieder geschlagen zu werden. Als Folge davon lief das Schiff auf Grund, und der Leutnant ertrank.»
Stockdale beobachtete ihn aufmerksam.»Geschieht ihm recht. «Er schüttelte eine frische Hose aus und reichte sie hinüber. Ungefähr eine Minute lang sagte er nichts, aber seine Stirne blieb gerunzelt. Dann fragte er:»Und was geschah mit dem Seemann, Sir?»
Bolitho blickte ihn an.»Ich fürchte, er wurde wegen Vernachlässigung seiner Pflicht ausgepeitscht.»
Stockdales zernarbtes Gesicht strahlte in einem breiten Grinsen.»Ich habe wieder mal recht, Sir — nicht wahr? Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt!»
Bolitho setzte sich und zog seine Hose vollends an. Wie schon so oft, hatte Stockdale das letzte Wort gehabt.
Verhängnisvolles Schicksal
Leutnant Tyrell hielt sich krampfhaft an der Achterdeckreling fest und starrte angestrengt über das Steuerbordschanzkleid.»Verdammter Nebel!«Er lehnte sich über die Reling und versuchte verzweifelt, weiter als bis zum Vorschiff zu sehen.»Und unser gottverfluchtes Glück!»
Bolitho sagte nichts, sondern ging zur entgegengesetzten Seite des Decks hinüber. Schon vor Beginn der Dämmerung, als die Wassertiefe ständig gelotet wurde und aller Augen und Ohren gespannt die ausgesungenen Werte hörten, auf die Geräusche der entfernten Brandung horchten und gelegentliche Gischtspritzer in der Dunkelheit bemerkten, war er sich des immer dichter werdenden Nebels bewußt geworden. Das war hier zu dieser Jahreszeit nicht ungewöhnlich, doch hatte er erwartet, daß es beim ersten Schein der Morgensonne aufklaren würde.
Als er jetzt querab schaute, wußte er, daß der Nebel dichter denn je war. Er bewegte sich mit dem Wind, hing zwischen den Wanten und schien sich in die Takelage zu klammern wie blasse Schlingpflanzen. Über den Großmastrahen konnte er gar nichts sehen, und abgesehen von einem freien Fleck Wassers unterhalb des Achterdecks war auch die See im wallenden Nebel verborgen. Da er mit dem Schiff Schritt hielt, nahm der Nebel den Eindruck der Bewegung weg, und man hatte das Gefühl, als ob die Sparrow wie ein Geisterschiff in einer Wolke schwebte.
Eine Stimme unterhalb des Achterdecks rief:»Marke fünf!»
Die Stimme des Seemanns wurde zum Schweigen gebracht, als diese Meldung von den Lotgasten am Anker von Mund zu Mund weitergegeben wurde. Nachdem sie über der Sandbank waren, hatte Bolitho» Klar Schiff zum Gefecht «befohlen, und da der Nebel sowohl Sicht als auch Geräusche verschluckte, mußten sie jede Vorsichtsmaßnahme ergreifen.
Er blickte wieder zum Großmarssegel hinauf. Es zog das Schiff stetig über die Untiefen, die flappende Leinwand glänzte in dem grauen Licht vor Feuchtigkeit und zeigte an, daß irgendwo über dem Nebel die Sonne schien und vielleicht sogar Land in Sicht war.
«Tiefe vier!»
Bolitho wanderte nach achtern zum Ruder, wo Buckle mit seinen Männern stand; der Nebel glitt durch seine gespreizten Beine und ließ ihn wie ein Gespenst erscheinen.
Er salutierte, als Bolitho näher kam, und berichtete:»Das Schiff hält sich gut, Sir. Kurs Süd zu Ost wie vorher.»
Vom Geschützdeck hörte man das kratzende Geräusch von Holz auf Holz, und als Bolitho sich umdrehte, sah er einen der langen Riemen über dem Wasser schweben und dann wieder in die Reihe der anderen zurückkehren. Er hatte vor einer Stunde angeordnet, die Riemen auszulegen, denn wenn der Wind abfiel oder sie auf eine Untiefe stießen, waren sie das einzige Mittel, wieder freizukommen.
«Wahrschau an Deck!«Die Stimme des Ausgucks schien vom Nebel selbst zu kommen.»Schiff an Steuerbord!»
Bolitho starrte nach oben, und es wurde ihm zum erstenmal bewußt, daß der Nebel leicht gelblich war wie der Nordseenebel. Endlich Sonne. Hoch über dem Deck, isoliert durch eine Nebelschicht, hatte der Ausguck ein anderes Schiff entdeckt.
Er sah, daß Tyrell und die anderen ihn beobachteten; sie alle waren vom Ruf des Ausgucks in ihren verschiedenen Tätigkeiten aufgeschreckt worden.
Bolitho sagte:»Ich werde aufentern, Mr. Tyrell. «Er machte seinen Säbel los und übergab ihn Stockdale.»Passen Sie gut auf und vergewissern Sie sich, daß der Anker jeden Moment geworfen werden kann, wenn nötig. «Er eilte zum Schanzkleid, hin und her gerissen zwischen dem unerwarteten Anblick eines fremden Schiffes und der wachsenden Übelkeit beim Gedanken, in den Ausguck hinaufzusteigen.
Dann schwang er sich hinaus in die Großwanten und ergriff die bebenden Taue mit solcher Kraft, daß man den Eindruck gewinnen konnte, das Schiff sei in einem Orkan. Durch die Wanten hindurch sah er Graves unten auf dem Geschützdeck mit eingezogenen Schultern stehen, nicht rechts und nicht links blickend.
Bethune stand in seiner Nähe, eine Hand ruhte auf einem Zwölfpfünder, die andere beschattete seine Augen, als er in den Nebel hinaufspähte. Überall auf dem Schiff standen die Leute wie Statisten herum, die bloßen Rücken feucht vom Wasser, das unablässig von der Takelage heruntertropfte, so daß es aussah, als schwitzten sie, als kämen sie gerade aus einer Schlacht.
Hie und da sah man ein kariertes Hemd oder die dunkelblau und weißen der Feuerwerkersmaaten, die sich von den übrigen abhoben, als hätte der Künstler gerade noch Zeit gefunden, ihnen die richtige Haltung zu geben, ehe er zu einem anderen Teil des Bildes überging.
«Marke fünf!«Der Laut kam vom Vorschiff wie eine Klage.
In Gedanken stellte Bolitho sich die Karte vor. Die Flut war jetzt auf ihrem Höhepunkt. Bald würden auch die sogenannten sicheren Rinnen zwischen den Untiefen und Sandbänken naher zueinanderrücken wie große Kiefer, die sich um die Beute schließen.