Gebirgspass
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Auf einem fremden Planeten k?mpft seit sechzehn Jahren ein H?uflein Erdenmenschen den Kampf um’s ?berleben.
Durch eine Havarie ihres Raumschiffes, durch hohe Radioaktivit?t im Schiff und eisige K?lte au?erhalb gezwungen, den Landeplatz zu verlassen, sto?en sie endlich nach qualvoller, viele Todesopfer kostender ?berwindung einer Gebirgskette auf ein w?rmendes Niederungsgebiet. Die ?berlebenden versuchen, sich der „Wildnis“ anzupassen. Die „Erdgeborenen“ wissen um die Gefahr des Vergessens, ahnen den bereits sp?rbaren R?ckfall in eine „Urzeit“, wenn es ihnen nicht gelingt, moralische und ethische Werte der menschlichen Zivilisation und deren jahrtausendealtes Wissen weiterzugeben an die „Jugend“, damit diese die Kraft aufbringt, eines Tages den Pa? zu bezwingen, um zu dem Raumschiff zu gelangen, in der Hoffnung auf eine R?ckkehr zur Erde …
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„Ist es dort warm?“ fragte Marjana.
„Nein“, erwiderte Oleg. Er schnupperte. Im Schiff herrschte ein fremder, unheilvoller Geruch, so daß Oleg Angst hatte, es zu betreten. Doch ihm wurde schlagartig bewußt, daß er jetzt wichtiger war als Dick, daß der andere sich mehr fürchtete.
Dick bemühte sich inzwischen, mit Hilfe von Feuersteinen die Fackel zu entzünden. Schließlich begann sie zu brennen, mit kleiner, im Tageslicht kaum sichtbarer Flamme. Dick stieg die Leiter zur Hälfte hoch und reichte Oleg die Fackel. Weiter ging er keinen Schritt. Oleg nahm die Fackel und leuchtete ins Schiff hinein. Vor ihm lag Finsternis, unter den Füßen spürte er den rauhen, ebenen Fußboden. Und Oleg sagte laut, um die eigene Angst zu ersticken: „Na, ich geh dann. Nehmt euch gleichfalls Fackeln und folgt mir. Ich erwarte euch im Schiff!“
Der Boden unter seinen Füßen federte leicht, als würde er über die Rinde lebender Bäume schreiten. Aber Oleg wußte, daß der Fußboden etwas Lebloses war und es auf der Erde solche Bäume nicht gab. Ihm kam es vor, als würde irgendwo da vorn jemand auf ihn warten, und er blieb wie erstarrt stehen. Doch dann begriff er, daß nur sein eigener Atem, von irgendwelchen Gegenständen reflektiert, zu ihm zurückkehrte. Oleg tat erneut einen Schritt, und das Licht der Fackel, nun stärker geworden, erhellte die nach oben zu gewölbte Wand. Eine helle, glänzende Wand. Er berührte sie vorsichtig — sie war kalt.
Nun bin ich also daheim, dachte Oleg. Zwar besitze ich schon ein Zuhause — die Siedlung —, aber jetzt gibt es noch dieses Haus. Es nennt sich kosmisches Forschungsraumschiff „Pol“, ist mir schon tausend Mal im Traum erschienen und in Wirklichkeit doch ganz anders.
Dabei kenne ich es bereits, bin sogar hier geboren.
Irgendwo im dunklen Innern des Schiffes befindet sich der Raum, in dem ich zur Welt kam.
„Wo steckst du?“ fragte Dick.
Oleg drehte sich um. Dicks Silhouette füllte fast die Lukenöffnung aus.
„Komm her, hab keine Angst“, rief Oleg, „hier ist niemand.“
„Kann auch gar nicht“, sagte Dick betont laut, „er wäre längst erfroren.“ Seine Stimme hallte durch den Korridor.
Oleg hielt ihm die Fackel hin, damit er seine daran anzünden konnte. Dann wartete er, bis der andere Marjana Platz machte und auch ihre Fackel anbrannte.
Die drei Fackeln erhellten alles viel besser, nur die Kälte war gewaltig. Nicht zu vergleichen mit dem Frost draußen, denn dort lebte die Luft. Hier dagegen war sie tot.
Der Korridor mündete schon bald in eine Tür, und nun wußte Oleg, wie sie zu öffnen war. Dick und Marjana beobachteten ihn und erkannten die Sicherheit in seinen Handlungen. Sie war nicht absolut, verriet aber eine größere Verbundenheit mit dem Schiff, als die beiden sie besaßen. Für sie war das Schiff eine furchteinflößende Höhle, und wären nicht der Hunger, die Angst vor der Eiswüste gewesen — sie wären draußen geblieben.
Vielleicht hätte sich das anders verhalten, wenn Thomas es bis hierher geschafft hätte. Oleg war in ihren Augen noch kein Führer und nicht imstande, die Geheimnisse zu lüften.
Immerhin, sagten sie sich, besser Oleg als keiner.
Die Tür führte in eine runde Halle, wie sie ihnen noch nie zu Gesicht gekommen war. Hier hätte ihre ganze Siedlung Platz gefunden. Trotz des Lichts, das von den drei Fackeln ausging, lag die Decke des Raums im Dunkeln.
„Der Hangar“, sagte Oleg, womit er die vom Alten übernommenen Worte wiederholte. „Hier befinden sich die Landeboote und die anderen Transportmittel. Doch bei der Landung wurde die Stromversorgung außer Betrieb gesetzt, was verhängnisvolle Folgen hatte.“
„Ja, die Besatzung und die Passagiere waren gezwungen, den Weg durch die Berge zu Fuß zurückzulegen“, ergänzte Marjana.
Der Alte hatte im Unterricht immer darauf gedrungen, daß sie die Geschichte der Siedlung auswendig lernten, auch den Beginn dieser Geschichte, damit sie das nie vergaßen. „Wenn die Menschen kein Papier besitzen“, sagte er stets, „lernen sie ihre Geschichte auswendig. Ohne die Geschichte geben sie ihr Menschsein auf.“ „Und das alles unter großen Opfern …“ fuhr Dick fort, verstummte aber sofort. Hier war es unmöglich, laut zu sprechen.
Vor ihnen, den Weg versperrend, lag ein etwa zehn Meter langer Zylinder.
„Aha“, sagte Oleg, „das muß das Landeboot sein, das sie aus dem Hangar schleppen wollten, bevor sie überstürzt aufbrechen mußten.“
„Wie kalt es hier ist“, sagte Marjana.
„Ja, es ist noch die Winterkälte“, erwiderte Dick. Und an Oleg gewandt, dessen Führungsrolle er nun doch anerkannte: „Und wohin jetzt?“
„Irgendwo muß eine offene Tür zu den Triebwerken sein“, antwortete Oleg. „Dort dürfen wir aber nicht rein.
Wir müssen die Treppe finden, die nach oben führt.“
„Wie gut du alles behalten hast“, sagte Marjana. Sie gingen weiter an den Wänden entlang.
„Hier gibt’s bestimmt viele nützliche Dinge“, sagte Dick. „Die Frage ist nur, wie wir sie nach Hause schleppen.“
„Und wenn hier doch die Toten umgehn?“ sagte Marjana.
„Hör schon auf, sonst hau ich dir eine runter“, schimpfte Dick.
„Aber ja, natürlich …“ Oleg blieb stehen.
„Was ist los, hast du was entdeckt?“ „Nein, aber mir ist ein Gedanke gekommen. Wenn wir die Enden der Leiter zurückbiegen, können wir sie mit Gegenständen beladen und hinter uns herziehn. Wie den Schlitten, den Sergejew gebaut hat.“
„Und ich dachte schon, du hättest einen Toten gesehn“, sagte Marjana.
„Das mit der Leiter hab ich mir auch schon überlegt“, stimmte Dick eilig zu.
„Hier ist die erste Tür“, sagte Oleg, „aber die interessiert uns nicht.“
„Ich schau trotzdem mal rein“, erwiderte Dick.
„Dort könnte es Strahlung geben“, sagte Oleg, „der Alte hat uns davor gewarnt.“
„Die kann mir nichts anhaben, ich bin stark“, prahlte Dick.
„Strahlung ist unsichtbar, das weißt du doch, du hast es im Unterricht gehört.“ Oleg ging, die Fackel dicht an die Wand haltend, weiter. Es war keine ebene Wand, hier gab es Nischen, freiliegende Schalttafeln mit allen möglichen Knöpfen oder kalt glänzenden Bildschirmen.
Thomas war Ingenieur gewesen, er hätte gewußt, was all diese Knöpfe bedeuteten und welche Macht sie bargen.
„Da haben sie nun so was Gewaltiges zusammengebaut“, sagte Dick, der sich mit dem Schiff noch immer nicht anfreunden konnte, „und sind trotzdem zu Bruch gegangen.“ „Dafür sind sie durch den Himmel geflogen“, erwiderte Marjana.
„Da ist die Tür“, sagte Oleg. „Von dort aus gelangen wir in die Wohnkabinen und zur Navigationszentrale.“
Die Worte „Navigationszentrale“ und „Steuerpult“
hatten geradezu etwas Beschwörendes an sich. Und nun würde er, Oleg, diese Zentrale gleich zu Gesicht bekommen.
„Weißt du noch die Nummer deines Zimmers?“ fragte Marjana.
„Kajüte heißt das“, berichtigte Oleg. „Natürlich weiß ich sie. Es war die vierundvierzig.“
„Mein Vater hat mich gebeten, unsere aufzusuchen und mich dort umzusehn. Wir hatten die hundertzehn. Du bist auf dem Schiff geboren, nicht wahr?“
Oleg gab keine Antwort, diese Frage erforderte keine.
Seltsam war nur, daß Marjana an das gleiche dachte wie er.
Es ist immer merkwürdig, wenn jemand, den man nicht für besonders klug hält, plötzlich genauso denkt wie man selbst.
Oleg schob die Tür zur Seite — und prallte zurück. Er hatte vergessen, daß die Havariebeleuchtung im Schiff noch funktionieren konnte, obwohl der Alte darauf aufmerksam gemacht hatte. Sie beruhte auf dem Prinzip der Fluoreszenz, wirkte also autonom aus sich heraus. Es gibt Farben, die ihre Leuchteigenschaft über viele Jahre erhalten, und mit diesen Farben waren einige Korridore und Navigationszentren des Schiffes gestrichen.
Das Licht kam von überall und nirgends und machte alles ringsum hell. Wenigstens so hell, daß die Fackeln gleichsam verloschen — ihr Schein war nutzlos und unsichtbar geworden.
„Oje“, sagte Marjana, „und wenn hier nun doch jemand lebt?“