Die letzte Diagnose
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ORBIT HOSPITAL ist ein Klinikum im All, das allen raumfahrenden Lebensformen der Galaxis medizinische Hilfe leistet. Es nimmt alle Gesch?pfe auf, ob sie ein Dutzend Gliedma?en haben oder gar keine, ob sie sich von Radioaktivit?t ern?hren oder Wasser atmen – von anderen exotischen Gewohnheiten und Bed?rfnissen ganz zu schweigen. Es ist ein ?kologisches Tollhaus und ein organisatorischer Irrwitz, aber es ist f?r alle da und es funktioniert. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes – lebensnotwendig.
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6. Kapitel
Der Anblick der Prozession, die sich vom Personalraum aus langsam in Gang setzte, brachte alle anderen Aktivitäten und Unterhaltungen auf der Station zum Stillstand. Angeführt wurde der Zug von Chefarzt Medalont, gefolgt von Oberschwester Leethveeschi, der namenlosen hudlarischen Schwester sowie einem kelgianischen und einem nidianischen Assistenzarzt, die gemeinsam einen mit Schwerkraftneutralisatoren ausgestatteten Schwebewagen lenkten, auf dem sich die Reanimationsausrüstung für sämtliche im Hospital vertretenen Spezies befand. Ein Terrestrier, der die grüne Uniform des Monitorkorps trug, bildete das Schlußlicht. Zwangsläufig mußten sie die ganze Station durchqueren, bevor sie sich in einem Halbkreis um Hewlitts Bett versammelten.
Obwohl er sich nur fünf Stunden zuvor noch in Lebensgefahr befunden hatte, war ihm dadurch weder die Angst vor der Anwesenheit von Extraterrestriern genommen worden, noch hatte es etwas an seiner negativen Grundeinstellung ihnen gegenüber geändert.
»Und was, zum Teufel, haben Sie dieses Mal mit mir vor?« wollte er von Medalont wissen.
»Nichts Besonderes«, antwortete der Chefarzt mit einer Stimme, die auf einen anderen Melfaner möglicherweise hätte beruhigend wirken können. »Keine Sorge, ich will Ihnen nur noch einmal etwas Blut abnehmen. Bitte machen Sie dazu den Oberarm frei.«
Der kelgianische Assistenzarzt blickte seinen nidianischen Kollegen an, wobei sich sein silbriges Fell zu Stacheln aufrichtete. Dann zog er den Reanimationswagen näher heran und fügte hinzu: »Wenn Sie uns nichts tun, Patient Hewlitt, dann werden wir Ihnen auch nichts tun.«
Aufgrund der wenigen und sehr kurzen Gespräche mit dem kelgianischen Patienten aus dem Bett gegenüber wußte Hewlitt, daß die Angehörigen dieser Spezies außerstande waren zu lügen. Durch die ständigen sowohl unterschwelligen als auch ausdrucksstarken Bewegungen des silberfarbenenFells drückten die Kelgianer unwillkürlich ihre Gefühle und Gedanken aus, so daß ein Artgenosse stets wußte, was der andere von ihm hielt. Es handelte sich um eine Art visueller Telepathie, und deshalb kannte und verstand diese Spezies nicht einmal die Bedeutung des Wortes Lüge. Dieselben Probleme hatten sie mit Begriffen wie Takt, Höflichkeit und Diplomatie oder mit dem rücksichtsvollen Verhalten gegenüber Patienten.
Erneut spürte Hewlitt, wie der kleine Metallring gegen seine Haut gedrückt wurde.
»Das Instrument, mit dem ich Ihren Arm gerade berühre, hat eine vertieft sitzende, sehr feine und kurze Nadel, deren Einstich Sie nicht spüren werden, und eine zweite Nadel, die länger und etwas dicker ist«, informierte ihn Medalont. »Mit der ersten injiziere ich Ihnen ein lokales Betäubungsmittel, das die unteren Nervenstränge desensibilisiert, und mit der zweiten entnehme ich Ihnen das Blut. Sehen Sie? Das war's schon. Danke sehr, Patient Hewlitt. Wie fühlen Sie sich?«
»Gut«, antwortete Hewlitt. »Wie sollte ich mich denn Ihrer Ansicht nach fühlen?«
Medalont ignorierte die Frage und sagte: »Spüren Sie irgendwelche Veränderungen, auch wenn es sich dabei nur um sehr leichte handelt?«
»Nein«, antwortete Hewlitt.
»Merken Sie irgendeinen unangenehmen Druck in der Brust oder vielleicht in den Armen? Haben Sie Atembeschwerden? Spüren Sie ein Kribbeln oder einen Gefühlsverlust in den Gliedmaßen? Haben Sie Kopfschmerzen?«
»Nein, nichts dergleichen«, sagte Hewlitt. »Die Stelle, an der Sie das Blut abgenommen haben, fühlt sich nur etwas taub an. So, wie beim letzten Mal.«
»Falls die von mir eben genannten Symptome auch nur ansatzweise auftreten, könnten sie bereits eine Vorwarnung sein«, klärte ihn Medalont auf. »Sie können sogar derart schwach auftreten, daß Sie eher das Gefühl hätten, sich alles nur einzubilden.«»Soweit ich weiß, habe ich derzeit keine schwachen Symptome und erst recht keine eingebildeten«, meinte Hewlitt, wobei es ihm nur mit Mühe gelang, seine Wut zu unterdrücken.
Der Terrestrier in der grünen Uniform grinste kurz, besann sich aber wieder schnell darauf, lieber nichts zu sagen und keine Regung zu zeigen.
»Haben Sie irgendwelche psychischen Probleme?« hakte Medalont nach. »Sorgen oder Ängste vielleicht, die ab einem gewissen Punkt durchaus physischen Stress verursachen können. Nun, ich merke zwar, daß ich mich gerade auf Lieutenant Braithwaites Territorium begebe, aber … «
»Das tun Sie allerdings«, fuhr der uniformierte Mann dazwischen, der sich nun zum ersten Mal zu Wort meldete. »Aber nur zu, schließlich machen das alle hier.«
Bevor der Chefarzt antworten konnte, sagte Hewlitt: »Wenn Sie damit meinen, ob ich mir Sorgen mache, dann kann ich Ihnen versichern, daß ich mir sogar große Sorgen mache. Ich hatte noch nie einen Herzanfall gehabt, bevor ich hier ins Orbit Hospital gebracht wurde. Trotzdem glaube ich nicht, daß es mir so schlecht geht, um vor lauter Angst einen zweiten zu erleiden.«
»Hatten Sie denn Angstzustände, bevor Sie den ersten bekommen haben?« erkundigte sich Medalont.
»Nein, ich war nur etwas übermüdet, ansonsten aber völlig entspannt«, erwiderte Hewlitt. »Im Moment sitzt mir allerdings der Schrecken immer noch in den Gliedern.«
»Wir werden es nicht zulassen, daß Ihnen so etwas noch einmal zustößt«, sprach ihm Medalont Mut zu. »Sie brauchen sich also wirklich keine Sorgen zu machen.«
Plötzlich trat ein Schweigen ein, das eine Ewigkeit zu dauern schien. Leethveeschis Körper pulsierte langsam in der Chlorhülle, die Sprechmembran der Hudlarerin blieb still, das Fell des Kelgianers machte wellenartige Bewegungen, als ob ein heftiger Wind wehen würde, während sein nidianischer Kollege die Gerätschaften auf dem Schwebewagenkontrollierte und sich Medalonts Zangen wie ein leises organisches Metronom regelmäßig öffneten und wieder schlossen. Der Chefarzt unterbrach als erster die Stille.
»Oberschwester Leethveeschi, bitte sagen Sie mir noch einmal, wieviel Zeit schätzungsweise von der ersten Blutabnahme, die ich durchgeführt habe, bis zur Auslösung des Alarms verstrichen ist, und wann der nachfolgende Anfall eintrat.«
»Aus Rücksicht auf die Gefühle des Patienten, der etwas von
medizinischer Nomenklatur zu verstehen scheint, würde ich es für
angebrachter halten, wenn wir ihm diese Informationen vorenthalten«, schlug Leethveeschi vor.
»Und ich hoffe, daß der Patient durch genaue Aufklärung vielleicht in der Lage sein wird, selbst etwas Licht in das Dunkel seines Zustands zu bringen«, widersprach Medalont entschieden. »Fahren Sie also fort, Oberschwester.«
»Ungefähr zwölfeinhalb Minuten nachdem Sie dem Patienten Blut abgenommen haben und gegangen sind«, begann Leethveeschi in einem Ton, der so ätzend wie das Chlor war, das sie einatmete, »lösten die Sensordaten des Patienten den Alarm aus. Bereits zehn Sekunden später gab er keinerlei Lebenszeichen mehr von sich, und die sensorische Reaktion sowie die Gehirntätigkeit standen unverkennbar kurz vor dem Stillstand. Da sich das Pflegepersonal außerhalb der Station befand und voll und ganz mit den Vorbereitungen für die Essensausteilung beschäftigt war, entschied ich mich, die anderen nicht zu informieren, um keine Zeit zu verlieren. In Anbetracht des bis zu diesem Zeitpunkt stabilen Gesundheitszustands des Patienten, hatte ich eher eine Fehlfunktion der Überwachungsgeräte als einen Herzstillstand erwartet. Als ich beim Patienten ankam, habe ich sofort eine Herzmassage eingeleitet. Vierzig Sekunden später verlor er das Bewußtsein und blieb in diesem Zustand, bis der Rettungstrupp sechs Minuten und fünfzehn Sekunden später eintraf.«