Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik
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1777 — Aus der Rebellion der amerikanischen Kolonien ist ein erbitterter Krieg gegen England geworden, der die Royal Navy vor eine harte Bew?hrungsprobe stellt. Als blutjunger Offizier nimmt Richard Bolitho an den gef?hrlichen Eins?tzen des mit 80 Kanonen best?ckten Linienschiffs Trojan und den dramatischen Seegefechten in den Gew?ssern der Bahamas teil. Nach der Eroberung einer Brigg erh?lt er das Kommando ?ber diese Prise und damit die Gelegenheit, sich durch einen weiteren gewagten Handstreich ruhmreich auszuzeichnen.
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hatte.
Er stellte sich vor, welchen Eindruck die Trojan wohl vom Land aus machte: die Galionsfigur — der grimmig blickende trojanische Krieger — Bugsprit und Klüverbaum, ja die ganze Back vom Gischt übersprüht; der massige, schwarz und lederfarben glänzende Rumpf, der die vorbeizischenden weißen Schaumkronen widerspiegelte, als wolle er sich vom Lande reinwaschen.
Probyns grobe Stimme ertönte von vorn, wo er seinen Leuten beim Kalten des zweiten Ankers Anweisungen zuschrie. Er würde nach diesem Geschrei viel trinken müssen, dachte Bolitho.
Er blickte nach achtern, hinweg über seine eigenen Seeleute, die teils an den Stagen herunterrutschten, teils aus den Wanten herabsprangen und unten vor dem Mast wieder antraten. Dann sah er, daß der Kommandant ihn beobachtete. Über das halbe Schiff hinweg, durch all das Gewühl und Gehaste, schienen ihre Blicke sich zu begegnen.
Verlegen griff Bolitho nach oben und rückte seinen Hut zurecht; er meinte, ein kleines, aber nachdrückliches Nicken des Kommandanten bemerkt zu haben.
Aber die träumerische Stimmung war bald wieder verflogen, die Trojan ließ keinem Zeit für Phantastereien.»An die Brassen! Klar zum Wenden!«Sparke rief:»Mr. Bolitho!»
Bolitho legte die Hand an den Hut.»Aye, Sir, ich weiß. Notieren Sie den Mann da!»
Als das Wendemanöver zu des Kommandanten und auch zu Bunces Zufriedenheit ausgeführt, das Schiff über Stag gegangen und auf den neuen Kurs eingesteuert war, hatten Regen und Dunst das achteraus liegende Land bereits verschluckt.
II Ein verwegener Plan
Leutnant Richard Bolitho ging zur Luvseite des Achterdecks und griff in das Mattennetz, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Über und vor ihm türmten sich die gewaltigen Pyramiden der Segel, beeindruckend selbst für jemanden, der diesen Anblick gewohnt war. Besonders nach all der Enttäuschung und Mühe der letzten viereinhalb Tage, dachte er.
Der Wind, der ihnen von Sandy Hook aus so vielversprechend gefolgt war, hatte innerhalb weniger Stunden gedreht, als habe der Teufel selbst die Hand im Spiel. Ohne Warnung sprang er um, schralte, frischte auf oder flaute ab, so daß keine Wache ohne wenigstens ein Alle-Mann-Manöver auskam, um Segel zu reffen, zu bergen oder wieder zu setzen. Ein ganzer Tag war nötig gewesen, um die gefürchteten Nantucketbänke zu umrunden. Die See kochte unter dem Klüverbaum, als würde sie von der Hölle angeheizt.
Als sie dann allmählich wieder vier, ja fünf Knoten Fahrt machten, hatte der Wind erneut gedreht und aufgefrischt. In den heulenden, orgelnden Böen kämpften die atemlosen Seeleute mit dem von der Nässe steifen Segeltuch, packten mit schwieligen Fäusten hinein, um zu reffen, während die stampfende Welt um sie herum, hoch über dem Deck, verrückt spielte.
Aber jetzt war es anders. Die Trojan steuerte beinahe rechtweisend Nord, die Rahen hart angebraßt, um so viel wie möglich vom Wind auszunutzen, und auf ihrer Leeseite schäumte das Wasser als Beweis ihrer beachtlichen Fahrt.
Bolitho ließ den Blick über das obere Batteriedeck schweifen.
Unter der Schanzreling lungerten die Leute herum und schwatzten wie immer, wenn sie gespannt darauf warteten, was der Koch ihnen wohl zu Mittag vorsetzen würde. Aus dem fettigen Qualm, der aus dem Kombüsenschornstein quoll und nach Lee davonzog, schloß Bolitho, daß es wieder einmal das Gebräu aus gehacktem Salzfleisch war, herausgekratzt aus den verkrusteten Fässern, gemischt mit feucht gewordenem, glitschigem und muffigem Schiffszwieback, Hafermehl und den Resten vom Vortag. George Triphook, den Chefkoch, haßte jeder mit Ausnahme einiger Speichellecker, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen schien er diesen Haß und die gegen ihn laut werdenden Flüche von Herzen zu genießen.
Bolitho spürte plötzlich Heißhunger; aber ihm war klar, daß das Essen, das ihn nach seiner Ablösung in der Messe erwartete, kaum besser sein würde als dieser Fraß hier.
Dann dachte er an seine Mutter und an das große graue Haus in Falmouth. Er ging ein paar Schritte zur Seite und ließ Couzens stehen, seinen aufmerksamen Midshipman, der ihm sonst auf Schritt und Tritt folgte.
Wie furchtbar der Schlag gewesen war! In der Marine riskierte man sein Leben wohl ein dutzendmal am Tage auf die verschiedenste Weise: durch Krankheit, Schiffbruch, Kanonendonner. Die Wände der Kirche in Falmouth hingen voller Gedenktafeln mit den Namen und Taten von Seeoffizieren — Söhnen der Stadt Falmouth — , die mit ihren Schiffen ausgelaufen waren, um nie mehr zurückzukommen.
Aber seine Mutter! Bei ihr dachte man nicht an so etwas. Sie war immer jugendlich und voller Leben gewesen, immer bereit, einzuspringen und die Verantwortung für die Familie auf ihre Schultern zu laden, die Verantwortung für Haus und Land, wenn der Vater, Kapitän James Bolitho, nicht daheim war. Und das war oft der Fall.
Bolitho und sein Bruder Hugh, seine beiden Schwestern Felicity und Nancy, sie alle hatten die Mutter geliebt, jeder auf seine Weise. Als er von der Destiny nach Hause gekommen war, noch an den Folgen seiner Verwundung leidend, hätte er sie nötiger gebraucht denn je. Aber sie war tot. Er konnte sich auch jetzt noch nicht vorstellen, daß sie nicht daheim war in Falmouth, die See unter Pendennis Castle mit einem Lachen beobachtete, das ansteckend wirkte und alle Niedergeschlagenheit beiseite fegte.
Eine Erkältung, hatten sie gesagt, dann ein plötzliches Fieber. In wenigen Wochen war es zu Ende gewesen.
Er konnte sich seinen Vater vorstellen, jetzt, in diesem Augenblick: Captain James, unter diesem Namen kannte und schätzte man ihn daheim. Er war ein angesehener Friedensrichter, seit er seinen Arm verloren hatte und aus dem aktiven Dienst ausscheiden mußte. Das Haus im Winter, die schlammigen, heckengesäumten Wege, auf denen die Neuigkeiten immer etwas verspätet eintrafen, die Landbevölkerung war viel zu beschäftigt mit ihren eigenen Sorgen, mit der Kälte, der Nässe, verlorenen Tieren, räubernden Füchsen und anderem, um sich für den weit entfernten Krieg zu interessieren. Aber sein Vater tat es. Wie ein Kriegsschiff, das bei Carrick Roads vor Anker lag, so brütete er vor sich hin und sehnte sich nach dem Leben, das ihn ausgestoßen, ihn zurückgewiesen hatte. Nun war er vollständig allein.
Für ihn muß es tausendmal schwerer sein, dachte Bolitho traurig.
Cairns erschien an Deck und kam nach einem prüfenden Blick auf Kompaß und Schiefertafel, wo der Steuermannsmaat der Wache seine halbstündlichen Eintragungen machte, herüber zu Bo-litho.
Dieser berührte grüßend seinen Hut.»Sie liegt stetig, Sir. Nord bei Ost, voll und bei.»
Cairns nickte. Er hatte sehr helle Augen, die durch einen hindurchsehen konnten.
«Wir müssen wohl reffen, wenn es noch mehr auffrischt. Trotzdem lassen wir soviel wie möglich stehen.»
Er hielt die Hand über die Augen, als er jetzt nach Backbord blickte, denn obwohl die Sonne nicht schien, war die Strahlung intensiv und blendete. Es war schwierig, die Grenze zwischen Himmel und Wasser zu erkennen, die See wirkte wie eine Wüste ruhelosen, grau glänzenden Stahls. Aber der Abstand zwischen den einzelnen Brechern war jetzt größer, sie rollten unter Trojans fettem Heck hinweg, lüfteten es und verursachten noch mehr Schlagseite. Gelegentlich brach sich einer von ihnen an der Luvpforte, bevor er zum jenseitigen Horizont weiterrollte.
Sie hatten den gesamten Seeraum für sich allein, denn seit sie
Nantucket gerundet und Kurs auf die Einfahrt der Massachusetts Bay genommen hatten, waren sie nicht nur frei von Land, sondern auch von der örtlichen Küstenschiffahrt. Irgendwo in Luv, rund sechzig Meilen entfernt, lag Boston. An Bord der Trojan konnten sich nicht wenige noch an die Stadt erinnern, wie sie einmal gewesen war, bevor aus Spannung und Verbitterung offener Haß und Blutvergießen wurde.