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Das Glasperlenspiel

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Das Glasperlenspiel
Название: Das Glasperlenspiel
Автор: Hesse Hermann
Дата добавления: 15 январь 2020
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Das Glasperlenspiel - читать бесплатно онлайн , автор Hesse Hermann

Das Glasperlenspiel ist Hermann Hesses intellektuelle Antwort auf die Barbarei des Hitlerfaschismus. Mit der Utopie seiner p?dagogischen Provinz Kastalien entwirft der Autor dar?ber hinaus eine Gegenwelt zu Diktatur und Verbrechen des Dritten Reichs und stellt die Frage nach den erzieherisch-bildenden M?glichkeiten des Geistes. Die in sich geschlossene geistige Welt der Zucht und der Askese in Kastalien findet h?chsten Ausdruck und Vollendung in der Kunst des Glasperlenspiels: einem Spiel, bei dem »s?mtliche Inhalte und Werte unserer Kultur« miteinander kommunizieren. Der Roman basiert auf der Idee einer ?berzeitlichen Biografie des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht, der in einigen Wiedergeburten gro?e Epochen der Menschheitsgeschichte miterlebt.

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»Ich glaube,« sagte Plinio nachdenklich, »du bist auch heute noch etwas allzu höflich. Du sagst »wir beide,« aber es waren ja nicht wir beide, die einander suchten und nicht finden konnten. Das Suchen, die Liebe war ganz auf meiner Seite, und so auch die Enttäuschung und das Leid. Was hat sich denn, ich frage dich, in deinem Leben geändert nach unsrer Begegnung? Nichts! Bei mir dagegen bedeutete sie einen tiefen und schmerzlichen Einschnitt, und ich kann darum nicht in das Lachen mit einstimmen, mit dem du sie abtust.«

»Verzeih,« begütigte Knecht freundlich, »ich bin wohl voreilig gewesen. Aber ich hoffe dich mit der Zeit doch dahin zu bringen, daß du in mein Lachen einstimmst. Du hast recht, du bist damals verwundet worden, nicht durch mich zwar, wie du meintest und auch noch immer zu meinen scheinst, wohl aber durch die zwischen euch und Kastalien liegende Kluft und Entfremdung, die wir beide während unsrer Schülerfreundschaft überwunden zu haben schienen und die nun plötzlich so schrecklich breit und tief vor uns klaffte. Soweit du mir persönlich schuld gibst, bitte ich dich, deine Anklage freimütig auszusprechen.«

»Ach, eine Anklage war es nie. Wohl aber eine Klage. Du hast sie damals nicht gehört, und willst sie auch heute, wie es scheint, nicht hören. Du hast sie damals mit Lächeln und guter Haltung beantwortet und tust es heute wieder.«

Obwohl er Freundschaft und tiefes Wohlwollen im Blick des Meisters spürte, konnte er nicht aufhören, dies zu betonen; ihm war, dies lang und schmerzlich Getragene müsse nun einmal abgeworfen werden.

Knecht änderte den Ausdruck seiner Züge nicht. Er sann ein wenig, schließlich sagte er behutsam: »Ich beginne dich wohl erst jetzt zu verstehen, Freund. Vielleicht hast du recht, und es muß auch hierüber gesprochen werden. Ich möchte vorerst dich nur daran erinnern, daß du doch eigentlich nur dann das Recht hättest, ein Eingehen von mir auf das, was du deine Klage nennst, zu erwarten, wenn du diese Klage auch wirklich ausgesprochen hättest. Es war aber so, daß du bei jenem Abendgespräch im Gästehaus keineswegs Klagen äußertest, sondern du tratest, ganz wie auch ich, so forsch und tapfer wie möglich auf, du spieltest gleich mir den Tadellosen und den, der gar nichts zu klagen hat. Heimlich aber erwartetest du, wie ich jetzt höre, daß ich dennoch die heimliche Klage vernehme und hinter deiner Maske dein wahres Gesicht erkenne. Nun, etwas davon habe ich damals wohl bemerken können, wenn auch längst nicht alles. Aber wie sollte ich, ohne deinen Stolz zu verletzen, dir zu verstehen geben, daß ich Sorge um dich habe, daß ich dich bemitleide? Und was hätte es genutzt, dir die Hand hinzustrecken, da doch meine Hand leer war und ich dir nichts zu geben hatte, keinen Rat, keinen Trost, keine Freundschaft, da doch unsre Wege so völlig getrennte waren? Ja, damals war mir das verborgene Unbehagen und Unglück, das du hinter flottem Auftreten verbargst, lästig und störend, es war mir, offen gestanden, widerlich, es enthielt einen Anspruch auf Teilnahme und Mitgefühl, dem dein Auftreten nicht entsprach, es hatte etwas sich Aufdrängendes und Kindisches, so schien mir, und half meine Gefühle nur erkälten. Du erhobest Anspruch auf meine Kameradschaft, du wolltest ein Kastalier, ein Glasperlenspieler sein, und schienest dabei so unbeherrscht, so wunderlich, so an egoistische Gefühle verloren! So etwa war damals mein Urteil; denn ich sah wohl, daß von Kastallertum bei dir beinahe nichts übriggeblieben war, du hattest offenbar sogar die Grundregeln vergessen. Gut, das war nicht meine Sache. Aber warum kämest du nun nach Waldzell und wolltest uns als Kameraden begrüßen? Das war mir, wie gesagt, ärgerlich und widerlich, und du hast damals vollkommen recht gehabt, wenn du meine beflissene Höflichkeit als Ablehnung gedeutet hast. Ja, ich lehnte dich instinktiv ab, und nicht, weil du ein Weltkind warst, sondern weil du Anspruch darauf machtest, als Kastalier zu gelten. Als du dann nach so vielen Jahren neulich wieder auftauchtest, war nichts mehr davon an dir zu spüren, du sahest weltlich aus und sprachest wie einer von draußen, und besonders fremd berührte mich der Ausdruck von Trauer, Kummer oder Unglück in deinem Gesicht; aber alles, deine Haltung, deine Worte, sogar noch deine Traurigkeit, gefiel mir, war schön, paßte zu dir, war deiner würdig, nichts daran störte mich, ich konnte dich annehmen und bejahen ohne jeden inneren Widerspruch, es bedurfte dieses Mal keines Übermaßes an Höflichkeit und Haltung, und so bin ich dir denn sogleich als Freund entgegengekommen und habe mich bestrebt, dir meine Liebe und Teilnahme zu zeigen. Diesmal war es ja eher umgekehrt als einstmals, diesmal war es eher so, daß ich mich um dich bemühte und um dich warb, während du dich sehr zurückhieltest, nur nahm ich freilich stillschweigend dein Erscheinen in unsrer Provinz und dein Interesse für deren Geschicke als eine Art von Bekenntnis der Anhänglichkeit und Treue. Nun, und schließlich gingest du ja auch auf mein Werben ein, und wir sind so weit, daß wir uns einer dem andern eröffnen und, so hoffe ich, unsre alte Freundschaft erneuern können.

Du sagtest eben, jene Jugendbegegnung sei für dich etwas Schmerzliches, für mich aber bedeutungslos gewesen. Wir wollen darüber nicht streiten, magst du recht haben. Unsre jetzige Begegnung aber, Amice, ist mir keineswegs bedeutungslos, sie bedeutet mir viel mehr, als ich dir heute sagen und als du irgend vermuten kannst. Sie bedeutet mir, um es kurz anzudeuten, nicht bloß die Wiederkehr eines verlorengewesenen Freundes und damit die Auferstehung einer vergangenen Zeit zu neuer Kraft und Wandlung. Vor allem bedeutet sie mir einen Anruf, ein Entgegenkommen, sie öffnet mir einen Weg zu eurer Welt, sie stellt mich von neuem vor das alte Problem einer Synthese zwischen euch und uns, und das geschieht, sage ich dir, zur rechten Stunde. Der Ruf findet mich diesmal nicht taub, er findet mich wacher, als ich es jemals war, denn er überrascht mich eigentlich nicht, er erscheint mir nicht als Fremdes und von außen Kommendes, dem man sich öffnen oder auch verschließen kann, sondern er kommt wie aus mir selber, er ist die Antwort auf ein sehr stark und drängend gewordenes Verlangen, auf eine Not und Sehnsucht in mir selbst. Aber davon ein andermal, es ist schon spät, wir brauchen beide Ruhe.

Du sprachst vorhin von meiner Heiterkeit und deiner Traurigkeit und meintest, so scheint mir, ich werde dem, was du deine »Klage« nennst, nicht gerecht, auch heute nicht, da ich diese Klage mit Lächeln beantworte. Hier ist etwas, was ich nicht recht verstehe. Warum soll eine Klage nicht mit Heiterkeit angehört, warum muß sie, statt mit Lächeln, wieder mit Traurigkeit beantwortet werden? Daß du, mit deinem Kummer und deiner Beladenheit, wieder nach Kastalien und zu mir gekommen bist, daraus glaube ich schließen zu dürfen, es sei dir vielleicht gerade an unsrer Heiterkeit etwas gelegen. Wenn ich nun aber deine Traurigkeit und Schwere nicht mitmachen und mich von ihr nicht anstecken lassen darf, so bedeutet das nicht, daß ich sie nicht gelten lasse und ernst nehme. Die Miene, die du trägst und die dein Leben und Schicksal in der Welt dir aufgedrückt hat, wird von mir vollkommen anerkannt, sie kommt dir zu und gehört zu dir und ist mir lieb und achtbar, obschon ich hoffe, sie sich noch ändern zu sehen. Woher sie kommt, kann ich nur ahnen, du wirst mir später davon soviel sagen oder verschweigen, als dir richtig erscheint. Sehen kann ich nur, daß du ein schweres Leben zu haben scheinst. Warum aber glaubst du, daß ich dir und deinem Schweren nicht gerecht werden wolle und könne?«

Designoris Gesicht war wieder düster geworden. »Manchmal,« sagte er resigniert, »kommt es mir so vor, als hätten wir nicht nur zwei verschiedene Ausdrucksweisen und Sprachen, von welchen jede sich nur andeutungsweise in die andre übersetzen läßt, nein, als seien wir überhaupt und grundsätzlich verschiedene Wesen, die einander niemals verstehen können. Und wer von uns eigentlich der echte und vollwertige Mensch sei, ihr oder wir, oder ob überhaupt einer von uns es sei, scheint mir immer wieder zweifelhaft. Es gab Zeiten, da habe ich zu euch Ordensleuten und Glasperlenspielern emporgeblickt mit einer Verehrung, einem Minderwertigkeitsgefühl und einem Neid wie zu ewig heiteren, ewig spielenden und ihr eigenes Dasein genießenden, keinem Leide erreichbaren Göttern oder Übermenschen. Zu andern Zeiten seid ihr mir bald beneidenswert, bald bemitleidenswert, bald verächtlich erschienen. Kastrierte, künstlich in einer ewigen Kindheit Zurückgehaltene, kindlich und kindisch in eurer leidenschaftslosen, sauber umzäunten, wohlaufgeräumten Spiel- und Kindergartenwelt, wo sorgfältig jede Nase geputzt und jede unbekömmliche Gefühls- oder Gedankenregung beschwichtigt und unterdrückt wird, wo man lebenslänglich artige, ungefährliche, unblutige Spiele spielt und jede störende Lebensregung, jedes große Gefühl, jede echte Leidenschaft, jede Herzenswallung sofort durch meditative Therapie kontrolliert, abbiegt und neutralisiert. Ist es nicht eine künstliche, sterilisierte, schulmeisterlich beschnittene Welt, eine Halb- und Scheinwelt bloß, in der ihr da feige vegetiert, eine Welt ohne Laster, ohne Leidenschaften, ohne Hunger, ohne Saft und ohne Salz, eine Welt ohne Familie, ohne Mütter, ohne Kinder, ja beinahe ohne Frauen! Das Triebleben ist meditativ gebändigt, gefährliche, waghalsige und schwer zu verantwortende Dinge, wie Wirtschaft, Rechtspflege, Politik, hat man seit Generationen andern überlassen, feig und wohlgeschützt, ohne Nahrungssorgen und ohne viel lästige Pflichten führt man sein Drohnenleben und gibt sich, damit es nicht langweilig werde, eifrig mit allen diesen gelehrten Spezialitäten ab, zählt Silben und Buchstaben, musiziert und spielt das Glasperlenspiel, während draußen im Schmutz der Welt arme gehetzte Menschen das wirkliche Leben leben und die wirkliche Arbeit tun.«

Mit unermüdeter, freundlicher Aufmerksamkeit hatte Knecht ihn angehört.

»Lieber Freund,« sagte er bedächtig, »wie sehr haben deine Worte mich an unsre Schülerzeit und an deine damalige Kritik und Angriffslust erinnert! Nur daß ich heute nicht mehr dieselbe Rolle habe wie damals; meine Aufgabe ist heute nicht die Verteidigung des Ordens und der Provinz gegen deine Angriffe, und es ist mir recht lieb, daß diese schwierige Aufgabe, an der ich mich schon einmal überanstrengt habe, mich diesmal nichts angeht. Gerade auf solche prachtvolle Attacken, wie du eben wieder eine geritten hast, ist es nämlich etwas schwer zu antworten. Du redest da zum Beispiel von Leuten, welche da draußen im Lande »das wirkliche Leben leben und die wirkliche Arbeit tun.« Das klingt so absolut und schön und treuherzig, beinahe schon wie ein Axiom, und wenn jemand dagegen ankämpfen wollte, so müßte er geradezu unartig werden und den Redner daran erinnern, daß doch dessen eigene »wirkliche Arbeit« zum Teil darin bestehe, in einer Kommission zum Wohle und zur Erhaltung Kastaliens mitzuwirken. Aber lassen wir für einen Augenblick das Spaßen! Ich sehe aus deinen Worten und höre es aus ihrem Ton, daß du noch immer das Herz voll Haß gegen uns hast, und doch zugleich voll verzweifelter Liebe zu uns, voll Neid oder Sehnsucht. Wir sind für dich Feiglinge, Drohnen oder spielende Kinder in einem Kindergarten, aber zuzeiten hast du auch ewig heitere Götter in uns gesehen. Eines jedenfalls glaube ich aus deinen Worten schließen zu dürfen: an deiner Traurigkeit, deinem Unglück, oder wie wir es nennen mögen, ist doch wohl Kastalien nicht schuldig, es muß anderswoher kommen. Wären wir Kastalier schuld, so wären gewiß deine Vorwürfe und Einwände gegen uns nicht heute noch dieselben wie in den Diskussionen unsrer Knabenzeit. In späteren Unterhaltungen wirst du mir mehr erzählen, und ich zweifle nicht daran, daß wir einen Weg finden werden, dich glücklicher und heiterer, oder zumindest dein Verhältnis zu Kastalien freier und angenehmer zu machen. Soviel ich bis jetzt sehen kann, stehst du zu uns und Kastalien, und damit zu deiner eigenen Jugend und Schulzeit, in einem falschen, gebundenen, sentimentalen Verhältnis, du hast deine eigene Seele in kastalisch und weltlich aufgespalten und plagst dich übermäßig um Dinge, für die dich keine Verantwortung trifft. Möglicherweise aber nimmst du auch andere Dinge zu leicht, deren Verantwortung bei dir selber liegt. Ich vermute, daß du schon längere Zeit keine Meditationsübungen mehr gepflegt hast. Ist es nicht so?«

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