Das Glasperlenspiel
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Das Glasperlenspiel ist Hermann Hesses intellektuelle Antwort auf die Barbarei des Hitlerfaschismus. Mit der Utopie seiner p?dagogischen Provinz Kastalien entwirft der Autor dar?ber hinaus eine Gegenwelt zu Diktatur und Verbrechen des Dritten Reichs und stellt die Frage nach den erzieherisch-bildenden M?glichkeiten des Geistes. Die in sich geschlossene geistige Welt der Zucht und der Askese in Kastalien findet h?chsten Ausdruck und Vollendung in der Kunst des Glasperlenspiels: einem Spiel, bei dem »s?mtliche Inhalte und Werte unserer Kultur« miteinander kommunizieren. Der Roman basiert auf der Idee einer ?berzeitlichen Biografie des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht, der in einigen Wiedergeburten gro?e Epochen der Menschheitsgeschichte miterlebt.
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Während Knecht dies alles von seinem Freunde allmählich erfuhr, in manchen Besuchen und Begegnungen, hatte er ihm im Austausch auch von seinen eigenen Erfahrungen und Problemen vieles mitgeteilt, er ließ den andern nie in die Lage dessen kommen, der gebeichtet hat und mit dem Wechsel der Stunde und Stimmung dies wieder bereut und zurückzunehmen wünscht, sondern erhielt und stärkte das Vertrauen Plinios durch seine eigene Offenheit und Hingabe. Allmählich tat sich sein Leben vor dem Freunde auf, ein anscheinend einfaches, gradliniges, musterhaftes, geregeltes Leben innerhalb einer klar aufgebauten hierarchischen Ordnung, eine Laufbahn voll Erfolg und Anerkennung, und dennoch eher ein hartes, opferreiches und recht einsames Leben, und wenn vieles in ihm für den Mann von draußen nicht ganz verständlich war, so waren es doch die Hauptströmungen und Grundstimmungen, und nichts vermochte er besser zu verstehen und mitzufühlen als Knechts Verlangen nach Jugend, nach jungen unverbildeten Schülern, nach einer bescheidenen Tätigkeit ohne Glanz und ohne den ewigen Zwang zur Repräsentation, nach der Tätigkeit etwa eines Latein- oder Musiklehrers an einer niederen Schule. Und es war ganz im Stil von Knechts heilkünstlerischer und erzieherischer Methode, daß er diesen Patienten nicht nur durch seine große Offenheit gewann, sondern ihm auch die Suggestion gab, ihm helfen und dienen zu können, und damit den Antrieb, es wirklich zu tun. Auch konnte in der Tat Designori dem Magister von manchem Nutzen sein, weniger in der Hauptfrage, desto mehr aber bei der Befriedigung von dessen Neugierde und Wissensdurst nach hundert Einzelheiten des Weltlebens.
Warum Knecht die nicht leichte Aufgabe auf sich nahm, seinen melancholischen Jugendfreund wieder lächeln und lachen zu lehren, und ob dabei die Erwägung, daß jener ihm durch Gegendienste nützlich werden könne, überhaupt eine Rolle spielte, wissen wir nicht. Designori, also derjenige, der es am ehesten wissen mußte, hat nicht daran geglaubt. Er hat später erzählt: »Wenn ich mir darüber klarzuwerden versuche, wie es Freund Knecht angefangen hat, auf einen so resignierten und in sich verschlossenen Menschen wie mich zu wirken, so sehe ich immer deutlicher, daß es zum größten Teil auf Zauberei beruhte, und ich muß sagen, auch auf Schelmerei. Er war ein viel größerer Schelm, als seine Leute ahnten, voll Spiel, voll Witz, voll Durchtriebenheit, voll Spaß am Zaubern, am Sichverstellen, am überraschenden Verschwinden und Auftauchen. Ich glaube, schon im Augenblick meines ersten Erscheinens bei der kastalischen Behörde hat er beschlossen, mich zu fangen und auf seine Art zu beeinflussen, das heißt aufzuwecken und in bessere Form zu bringen. Wenigstens gab er sich gleich von der ersten Stunde an Mühe, mich zu gewinnen. Warum er es tat, warum er sich mit mir belud, das kann ich nicht sagen. Ich glaube, Menschen von seiner Art tun das meiste unbewußt, wie reflektorisch, sie fühlen sich vor eine Aufgabe gestellt, hören sich von einer Not angerufen und geben sich dem Anruf ohne weiteres hin. Er fand mich mißtrauisch und scheu, keineswegs bereit, ihm in die Arme zu sinken oder gar ihn um Hilfe zu bitten; er fand mich, den einst so offenen und mitteilsamen Freund, enttäuscht und zugeschlossen, und dieses Hindernis, diese nicht geringe Schwierigkeit schien es nun gerade zu sein, was ihn reizte. Er ließ nicht nach, so spröde ich auch war, und er hat denn ja auch erreicht, was er wollte. Dabei bediente er sich unter andrem des Kunstgriffs, unser Verhältnis zueinander als ein gegenseitiges erscheinen zu lassen, so als entspräche seiner Kraft die meine, seinem Wert der meine, als entspräche meiner Hilfsbedürftigkeit eine ebensolche bei ihm. Schon beim ersten längeren Gespräch deutete er mir an, daß er auf so etwas wie mein Erscheinen gewartet, ja sich danach gesehnt habe, und allmählich weihte er mich dann in seinen Plan ein, das Amt niederzulegen und die Provinz zu verlassen, und ließ stets merken, wie sehr er dabei auf meinen Rat, meinen Beistand, meine Verschwiegenheit rechne, da er außer mir in der Welt draußen keine Freunde und keinerlei Erfahrung besitze. Ich gestehe, daß ich das gerne hörte und daß es nicht wenig dazu beigetragen hat, ihm mein volles Vertrauen zu gewinnen und mich gewissermaßen ihm auszuliefern; ich glaubte ihm vollkommen. Aber später, im Laufe der Zeit, ist es mir dennoch wieder vollkommen zweifelhaft und unwahrscheinlich geworden, und ich hätte durchaus nicht sagen können, ob und wieweit er wirklich etwas von mir erwartete, und auch nicht, ob seine Art und Weise, mich einzufangen, unschuldig oder diplomatisch, naiv oder hintergründig, aufrichtig oder künstlich und spielerisch war. Er war mir zu weit überlegen, und er hat mir zu viel Gutes erwiesen, als daß ich solche Untersuchungen überhaupt gewagt hätte. Auf jeden Fall halte ich heute die Fiktion, seine Lage sei der meinen ähnlich und er auf meine Sympathie und Dienstbereitschaft ebenso angewiesen wie ich auf die seine, für nichts als eine Artigkeit, für eine gewinnende und angenehme Suggestion, in die er mich einspann; nur wüßte ich nicht zu sagen, wieweit sein Spiel mit mir bewußt, erdacht und gewollt und wieweit es trotz allem naiv und Natur war. Denn Magister Josef ist ja ein großer Künstler gewesen; einerseits konnte er dem Drang zum Erziehen, zum Beeinflussen, Heilen, Helfen, Entfalten so wenig widerstehen, daß ihm die Mittel nahezu gleichgültig wurden, andrerseits war es ihm ja unmöglich, auch das Kleinste ohne volle Hingabe zu tun. Gewiß aber ist das eine, daß er sich damals meiner wie ein Freund und wie ein großer Arzt und Führer angenommen, daß er mich nicht mehr losgelassen und schließlich soweit geweckt und geheilt hat, als dies überhaupt möglich war. Und es war merkwürdig und paßte ganz zu ihm: während er tat, als nähme er meine Hilfe zu seinem Entkommen aus dem Amt in Anspruch, und während er meine oft derben und naiven Kritiken, ja Anzweiflungen und Beschimpfungen gegen Kastalien gelassen und oft sogar mit Beifall anhörte, während er selbst darum kämpfte, sich von Kastalien freizumachen, hat er mich doch in Tat und Wahrheit dorthin zurückgelockt und geführt, er hat mich wieder zur Meditation gebracht, er hat mich durch kastalische Musik und Versenkung, kastalische Heiterkeit, kastalische Tapferkeit erzogen und umgeformt, er hat mich, der ich trotz meiner Sehnsucht nach euch so ganz un- und antikastalisch war, wieder zu euresgleichen, er hat aus meiner unglücklichen Liebe zu euch eine glückliche gemacht.«
So hat Designori sich geäußert, und er hatte wohl Grund für seine bewundernde Dankbarkeit. Mag es bei Knaben und Jünglingen nicht allzu schwer sein, sie mit Hilfe unsrer altbewährten Methoden zum Lebensstil des Ordens zu erziehen, bei einem Manne, der schon gegen fünfzigjährig war, war es gewiß eine schwere Aufgabe, auch wenn dieser Mann viel guten Willen mitbrachte. Nicht daß Designori ein Voll-oder gar ein Musterkastalier geworden wäre. Aber was Knecht sich vorgesetzt hatte, ist ihm voll gelungen: den Trotz und die bittere Schwere seiner Traurigkeit aufzulösen, die überempfindlich und scheu gewordene Seele der Harmonie und Heiterkeit wieder näherzubringen, eine Anzahl seiner schlechten Gewohnheiten durch gute zu ersetzen. Natürlich konnte der Glasperlenspielmeister die Menge von Kleinarbeit, deren es dabei bedurfte, nicht alle selber leisten; er nahm den Apparat und die Kräfte Waldzells und des Ordens für den Ehrengast in Anspruch, für eine gewisse Zeit gab er ihm sogar einen Meditationsmeister aus Hirsland, dem Sitz der Ordensleitung, zur ständigen Kontrolle seiner Übungen mit nach Hause. Plan und Leitung aber blieben in seiner Hand.
Es war im achten Jahre seines Magisteramtes, daß er zum erstenmal den so oft wiederholten Einladungen seines Freundes folgte und ihn in seinem Hause in der Hauptstadt besuchte. Mit Erlaubnis der Ordensleitung, deren Vorsteher Alexander seinem Herzen nahe stand, benutzte er einen Feiertag für diesen Besuch, von dem er sich viel versprach und den er doch seit einem Jahre immer wieder hinausgezögert hatte, teils weil er seines Freundes erst sicher sein wollte, teils wohl auch aus einer natürlichen Bangigkeit, es war ja sein erster Schritt in jene Welt hinüber, aus welcher sein Kamerad Plinio diese starre Traurigkeit mitgebracht und die für ihn so viele wichtige Geheimnisse hatte. Er fand das moderne Haus, das sein Freund gegen das alte Stadthaus der Designori eingetauscht hatte, von einer stattlichen, sehr klugen, zurückhaltenden Dame regiert, die Dame aber von ihrem hübschen, vorlauten und eher unartigen Söhnchen beherrscht, um dessen Person sich hier alles zu drehen schien und das von seiner Mutter die rechthaberisch präpotente, etwas demütigende Haltung gegen den Vater gelernt zu haben schien. Übrigens war man hier kühl und mißtrauisch gegen alles Kastalische, doch widerstanden Mutter und Sohn der Persönlichkeit des Magisters, dessen Amt für sie außerdem etwas von Geheimnis, Weihe und Legendenhaftigkeit hatte, nicht sehr lange. Immerhin ging es beim ersten Besuche äußerst steif und gezwungen zu. Knecht verhielt sich beobachtend, abwartend und schweigsam, die Dame empfing ihn mit kühler formeller Höflichkeit und innerer Ablehnung, so etwa wie einen feindlichen hohen Offizier in Einquartierung, der Sohn Tito war der am wenigsten Befangene, er mochte schon oft genug beobachtender, vielleicht amüsierter Zeuge und Nutznießer ähnlicher Situationen gewesen sein. Sein Vater schien den Herrn im Hause mehr zu spielen, als er es war. Zwischen ihm und der Frau herrschte ein Ton sanfter, behutsamer, etwas ängstlicher, wie auf Zehenspitzen gehender Höflichkeit, von der Frau weit leichter und natürlicher innegehalten als von ihrem Mann. Seinem Sohn gegenüber zeigte dieser eine Bemühung um Kameradschaftlichkeit, welche der Junge bald auszunützen, bald patzig zurückzuweisen gewohnt schien. Kurz, es war ein mühevolles, unschuldloses, von unterdrückten Trieben schwül geheiztes Beisammensein, voll von Furcht vor Störungen und Ausbrüchen, voll von Spannungen, und der Stil von Benehmen und Rede war, wie der Stil des ganzen Hauses, ein wenig allzu gepflegt und gewollt, als könne man den Schutzwall gegen etwaige Einbrüche und Überfälle gar nicht fest, nicht dicht und sicher genug aufbauen. Und noch eine Beobachtung Knechts, die er sich merkte: ein großer Teil der wiedergewonnenen Heiterkeit war aus Plinios Gesicht wieder geschwunden; er, der in Waldzell oder im Haus der Ordensleitung in Hirsland seine Schwere und Traurigkeit schon beinahe ganz verloren zu haben schien, stand hier in seinem eigenen Hause wieder ganz im Schatten und forderte Kritik sowohl wie Mitleid heraus. Das Haus war schön und zeugte von Reichtum und Verwöhntheit, jeder Raum war seinen Dimensionen gemäß eingerichtet, jeder zu einem angenehmen Zwei- oder Dreiklang von Farben gestimmt, da und dort ein Kunstwerk von Wert, mit Vergnügen ließ Knecht seine Blicke wandern; doch wollte alle diese Augenweide ihm am Ende um einen Grad allzu schön erscheinen, allzu vollkommen und wohlbedacht, ohne Werden, ohne Geschehen, ohne Erneuerung, und er spürte, daß auch diese Schönheit der Räume und Gegenstände den Sinn einer Beschwörung, einer schutzsuchenden Gebärde habe, und daß diese Zimmer, Bilder, Vasen und Blumen ein Leben umschlossen und begleiteten, das sich nach Harmonie und Schönheit sehnte, ohne sie anders erreichen zu können als eben in der Pflege solch abgestimmter Umgebung.