Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos
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1804 — Im Herbst steht England allein gegen die Flotten Frankreichs und Spaniens. Wieder einmal h?ngt die Drohung einver Invasion ?ber der Insel. Um die Spanier zu schw?chen, wird Vizeadmiral Sir Richard Bolitho in die Karibik entsandt, wo er deren reichbeladenen Sibergaleeren kapern soll. Dabei k?mpft Bolitho so todesmutig, als h?tte er nichts mehr zu verlieren. Die Zerr?ttung seiner Ehe und seine drohende Erblindung haben ihn in tiefe Depressionen gest?rzt…
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Bolitho sah ihn an, entdeckte aber nichts anderes in seinem Gesicht als flüchtiges Interesse. Er hatte jedoch Alldays Miene bemerkt und seine stumme Warnung. Zufällige Namensgleichheit? Bolitho legte sich die Frage vor, ob er mehr wissen wollte. Er erhob sich.
«Ich gehe an Deck spazieren.»
Beim Hinausgehen fühlte er Blachfords Blicke im Rücken.
Erst am nächsten Tag waren Herricks drei Schiffe so nahe, daß man Signale austauschen konnte. Fähnriche bedienten die Flaggleinen, angefeuert von Jenour, dem bewußt war, daß der Mißmut seinen Vizeadmiral überkam.
Bolitho hielt sich am Stag fest und verglich die drei Hinzugekommenen mit seinem eigenen Vierundsiebziger, wie sie unter gekürzten Segeln im Wasser lagen. Als ob sie und nicht ihre Kommandanten Anweisungen erwarteten. Das Wetter hatte sich nicht gebessert, vielmehr über Nacht eine steile Dünung entwickelt. Bolitho bedeckte sein verletztes Auge mit der Hand. Seine Haut war feucht und heiß wie damals in dem Fieber, das Catherine und ihn zusammengebracht hatte.
Keen kam über die schlüpfrigen Planken und stellte sich neben ihn, sein Fernrohr umgekehrt unterm Arm, um die Linsen vor Spritzwasser zu schützen.»Der Wind kommt stetig aus Nordost, Sir Richard.»
«Danke. «Bolitho versuchte, das Quietschen der Pumpen zu überhören. Das alte Schiff arbeitete in allen Verbänden, und sie hatten jede Nachtwache pumpen müssen. Gott sei Dank verstand Keen sein Handwerk und kannte die Grenzen seiner Autorität. Haven hätte die unglücklichen Seeleute längst auspeitschen lassen, dachte er erbittert. Kaum eine Stunde war vergangen, ohne daß man die Leute nach oben gepfiffen hatte, um Segel wegzunehmen oder wieder zu setzen. Das Bedienen der Pumpen, das Festlaschen losegekommener Ausrüstung, all das erforderte sowohl Geduld als auch Disziplin, um die Männer davon abzuhalten, einander an die Gurgel zu gehen. Auch die Offiziere waren nicht frei von Temperamentsausbrüchen. Es kam zum Streit, wenn ein Leutnant seinen Vorgänger nur wenige Minuten verspätet ablöste. Bolitho hatte gehört, wie Keen einen zurechtwies, sich seiner Uniform entsprechend zu benehmen. Es war für alle nicht leicht.
Bolitho sagte:»Wenn es noch rauher wird, können wir nicht mehr Boote aussetzen. «Er musterte die verstreuten Schiffe, die seine Führung erwarteten. Benbow schlingerte beim Wenden, ihre
Segel wogten und knallten, glänzten dann in der gefilterten Helle wie Brustpanzer. Herrick kam, um mit ihm zu reden. Von Angesicht zu Angesicht, typisch für ihn.
Herricks Boot brauchte drei Anläufe, ehe es der Bugmann an den Großrüsten festmachen konnte. Aber in der Kajüte klangen die Geräusche gedämpft, und nur der Horizont, verwischt durch das dicke Glas der Heckfenster, schwankte wie betrunken. Herrick kam gleich zur Sache.
«Ich will wissen, was du vorhast. «Er schüttelte den Kopf, als Ozzard sich mit einem Tablett in der Hand näherte.»Nein, danke.»
«Ich muß so bald wie möglich auf mein Flaggschiff zurück«, fuhr er fort. Und mit einem Blick auf das an den Fenstern herunterrinnende Spritzwasser:»Mir gefällt dies Wetter überhaupt nicht.»
Bolitho erkundigte sich:»Immer noch keine Spur von der Mouette, Thomas? Ich habe die Phaedra hinterhergeschickt, sie zu suchen.»
Herrick schüttelte den Kopf und beugte sich im Sessel vor.»Kapitän Sinclair weiß selbst, worum es geht. Er wird das feindliche Geschwader finden.»
Bolitho entgegnete:»Ich brauche jedes Fahrzeug, das für uns aufklären kann. Das ist keine Kritik.»
Herrick lehnte sich wieder zurück.»Ich glaube, wir sollten in Richtung Toulon segeln. Dann werden wir sehen, was los ist, auf die eine oder andere Art.»
Bolitho legte seine Hände auf den Tisch. Durch das Holz fühlte er, wie das ganze Schiff zitterte und das Ruderblatt gegen den Schaft ruckte.»Sollte der Feind wieder ins Mittelmeer kommen, Thomas, könnten wir ebenso leicht die Verbindung zu ihm verlieren wie Nelson, als er ihm nach Westen davonlief. «Entschlossen sagte er:»Ich habe die Absicht, nach Gibraltar zu gehen. Wenn wir dort keine Informationen vorfinden, laufen wir durch die Straße und schließen uns der Flotte im Atlantik an. Ich sehe keinen anderen Ausweg.»
Herrick beäugte ihn eigensinnig.»Oder wir bleiben hier und warten. Niemand kann uns daraus einen Vorwurf machen. Man wird uns aber sicherlich verurteilen, wenn wir Toulon ignorieren und den Gegner verfehlen.»
«Ich würde mir nur selber Vorwürfe machen, Thomas. Mein Kopf sagt mir das eine, mein Gefühl befiehlt mir das Gegenteil.»
Herrick neigte sein Ohr und lauschte auf die Pumpen.»Steht es so schlecht?»
«Das Schiff hält noch mehr aus.»
«Ich habe Absolute in den Hafen geschickt, weil sie zu verrottet war.»
Bolitho erwiderte:»Ich könnte sie jetzt gebrauchen, verrottet oder nicht.»
Herrick stand auf und ging zu den Heckfenstern.»Ich sollte aufbrechen. Das ist nicht unhöflich gemeint, aber mein Boot wird hart zu kämpfen haben, so wie es draußen aussieht.»
Bolitho schaute ihm voll ins Gesicht.»Hör zu, Thomas. Es ist mir egal, was du über mein Privatleben denkst; denn das ist nicht ausschlaggebend. Aber ich brauche deine volle Unterstützung, weil wir bald kämpfen werden. «Er stützte den Kopf in die Hände.»Ich spüre es.»
Herrick zögerte, als wittere er eine Falle.»Als Zweiter Befehlshaber bin ich jederzeit bereit, wenn man uns zum Kampf ruft. Aber ich glaube noch immer, daß du dich irrst.»
Bolitho sagte verzweifelt:»Du hörst nicht zu, Mann! Ich befehle nicht, ich spreche von Unterstützung. «Er bemerkte Herricks Erstaunen und rief aus:»Um Gottes willen, Thomas, muß ich erst bitten? Ich werde langsam blind, hat sich das noch nicht zu dir herumgesprochen?»
Herrick schnappte nach Luft.»Ich hatte keine Ahnung…»
Bolitho sah fort.»Ich muß dich auch bitten, es für dich zu behalten. «Er fuhr herum, seine Stimme war rauh.»Aber wenn ich falle, mußt du diese Männer führen, mußt du sie dazu kriegen, notfalls ein Wunder zu vollbringen. Hörst du jetzt zu?»
Es klopfte. Bolitho rief:»Ja?»
Keen trat ein und schaute ins Leere.»Signal von der Phaedra, Sir, übermittelt durch Tybalt.»
Herrick fragte schnell:»Was ist mit La Mouettel»
Keen sah nur Bolitho an und erwiderte kurz:»Sie ist versenkt!»
Ihre Blicke trafen sich.»Neuigkeiten über den Feind, Val?»
«Ein spanisches Geschwader ist unterwegs — westwärts, Sir Richard.»
Herrick fragte:»Wie stark?»
Noch immer vermied es Keen, ihn anzusehen.»Phaedra hat noch keine Einzelheiten gemeldet. Sie wurde verfolgt, beschossen und beschädigt. «Er trat einen Schritt vor und ließ die Arme sinken.»Aber soviel wir wissen, sind es Linienschiffe.»
Bolitho fuhr sich durchs Haar.»Wie viele Schiffe hat Nelson?»
Keen sah ihn an und wußte, worauf er hinauswollte.
«Es war von zwei Dutzend Linienschiffen die Rede, Sir Richard. Die Franzosen und ihre spanischen Verbündeten, sagt man, hätten mehr als dreißig. Darunter befinden sich einige der größten und erstklassigsten, die zur Zeit schwimmen.»
Bolitho lauschte dem Ächzen des Windes. Teile und herrsche. Wie gut Villeneuve alles vorbereitet hatte. Dieser gewaltigen Kampfkraft, die Phaedra rein zufällig entdeckt hatte, dieser zahlenmäßigen Übermacht war Nelson unterlegen.
Er stellte fest:»Wenn sie durch die Straße entkommen, kriegen wir sie niemals rechtzeitig zu fassen. «Und mit Blick auf Keen:»Signal an Phaedra: zum Flaggschiff aufschließen. Und wenn das kleine Schiff dicht genug heran ist, im Klartext: gut gemacht.»
Als Keen gegangen war, äußerte Herrick plötzlich entschlossen:»Ich mache mit! Sag mir, was ich tun soll.»
Bolitho starrte durch die fleckigen Fenster.»Möglichst wenig signalisieren, Thomas, wir sprachen schon darüber.»
«Und dein Auge?«Es klang bedrückt.
«O nein, nichts mehr davon, Thomas. Die kleine Phaedra hat meine Blindheit aufgewogen. Aber wenn meine Flagge niedergeholt wird, muß Benbow die Führung übernehmen.»