Der Brander: Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik
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1802 — Boston und Karibik. Der Friede von Amiens hat die beiden Erbfeinde England und Frankreich keineswegs vers?hnt. Vizeadmiral Richard Bolitho, unterwegs in diplomatischer Mission, mu? erleben, da? er mit seinem leichten Linienschiff «Achates» mitten in einen unerkl?rten Krieg segelt. Politische Winkelz?ge, Piraterie, Rebellion und schlie?lich Brandstiftung machen aus Bolithos Einsatz einen Kampf gegen alle.
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Keen mußte lächeln. Da hatte er etwas Neues erfahren. Das alte Käthchen? Ein Schiff, dem seine Leute einen solchen Kosenamen gaben, mußte ein gutes Schiff sein.
Das Boot machte an den Großrüsten fest, und Hauptmann Dewar von den Royal Marines [3] zog seinen Säbel. Wie stets ging Keen das leise, metallische Zischen unter die Haut. Es weckte Erinnerungen, war ein Akkord im Vorspiel zur Schlacht.
Noch einmal musterte der Kommandant sein Schiff. Alle Freiwächter waren vom Schanzkleid zurückgewichen, und selbst die Toppgasten, die oben in den Rahen arbeiteten, hielten inne und starrten zur Pforte hinunter.
Die kleinen Trommelbuben der Marine-Infanterie hoben ihre Schlagstöcke, die Bootsmannsgehilfen befeuchteten die Lippen für ihre Signalpfeifen.
Ebenso stolz wie nervös trat Keen nach vorn; das Ganze war unwichtig — und doch entscheidend.
Bolithos Zweispitz erschien oberhalb der geschrubbten Gräting, die Pfeifen schrillten und zwitscherten, und Hauptmann Deward bellte:»Royal Marines — präsentiert das Gewehr!»
Beim letzten Wort, als die weißen Ton Wölkchen von den hochgerissenen Musketenriemen aufstiegen, intonierten die Querpfeifen die alte Weise vom Heart of Oak, dem Herz aus Eiche.
Bolitho lüpfte grüßend den Hut zur Flagge am Heck, dann lächelte er Keen an.
Gemeinsam machten sie Front nach vorn, wo die Admiralsflagge schneidig zum Fockmasttopp aufstieg und auswehte.
Bolitho und Keen tauschten einen Händedruck.»Das Schiff macht Ihnen alle Ehre«, sagte der Vizeadmiral.
«Unsere Ehre sind Sie, Sir«, erwiderte Keen.
Bolitho musterte die starren Mienen der Seesoldaten, die nervösen, wachsamen Kadetten. Mit der Zeit würde er sie kennenlernen, so wie sie ihn. Er stand wieder an Deck eines Schiffes, und der grüne Schatten jenseits der Bucht, das Land, war nur noch eine Erinnerung.
Bolitho zupfte an seinem feuchten Hemd, dann setzte er abermals seine Unterschrift unter einen der vielen Briefe, die Yovell, sein pummeliger Sekretär, säuberlich aufgesetzt hatte.
Er sah sich in der geräumigen Achterkajüte um, die viel größer war, als er in einem Schiff von dreizehnhundert Tonnen erwartet hätte.
Ozzard, sein schmächtiger Steward, schenkte ihm frischen Kaffee nach und huschte wieder davon, nach nebenan in seine Pantry. Falls er es bedauerte, die Sicherheit des Herrenhauses in Falmouth verlassen zu müssen, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Ozzard war ein Sonderling und ursprünglich Gehilfe in einer Anwaltskanzlei gewesen, ehe er das gefährliche Leben bei der Kriegsmarine gewählt hatte — nicht ganz freiwillig, wie manche behaupteten. Aber mochte er auch knapp dem Kerker entronnen sein, für Bolitho war er Gold wert.
Dann wandte sich Bolitho zu Keen um, der an den offenen Heckfenstern stand; sein gutes Aussehen und geschliffenes Benehmen täuschten leicht darüber hinweg, daß er ein erfahrener, tüchtiger Marineoffizier war.
«Also, Val, was halten Sie davon?»
Keen drehte sich um, doch sein Gesicht blieb im Schatten.
«Ich habe die Seekarte studiert und bin mir jetzt darüber klar, welche Bedeutung die Insel San Felipe während des Krieges hatte. Wer sie besitzt, ist fast unangreifbar. «Er zuckte die Schultern.»Eine weite Bucht schützt die Festung, die von ihrem erhöhten Standort alle Zufahrten beherrscht, nötigenfalls auch die Stadt selbst. Mir ist unbegreiflich, warum wir sie den Franzosen zurückgeben. «Dann dachte er an Pascoe und fügte hinzu:»Aber ich nehme an, Ihre Lordschaften sind besser informiert als ich.»
Bolitho schmunzelte.»Darauf würde ich mich nicht verlassen, Val.»
Der Kaffee schmeckte gut. Bolitho fühlte sich nach seiner ersten Nacht an Bord überraschend frisch und ausgeruht. Die Reise mit der Kutsche war anstrengend gewesen, und die vielen Aufenthalte in Landgasthäusern oder zum Pferdewechsel hatten ihm zu viel Zeit gelassen, an Belinda zu denken und sie zu vermissen.
Jetzt stellte das Schiff seine Ansprüche, und das belebte ihn. Den Geruch nach frischer Farbe und Pech, nach Hanf und den fünfhundert Offizieren, Matrosen und Soldaten auf engem Raum konnte er nicht ignorieren; er wollte es auch gar nicht.
Mit Achates schien er Glück gehabt zu haben; jede neue Information verstärkte seine Gewißheit, daß sie keinen Vergleich zu scheuen hatte. Vielleicht war Admiral Sheaffes Wahl doch richtig gewesen: ein kleiner 64er statt eines bombastischen Geschwaders, das Amerikaner ebenso wie Franzosen möglicherweise nur eingeschüchtert hätte.
Bolitho sagte zu Keen:»Ich habe Kapitän Duncan in Plymouth schon benachrichtigen lassen. Er läuft mit seiner Sparrowhawk umgehend nach San Felipe aus, auf dem direkten Weg.»
Wie gut konnte er sich Duncans rotes, gegerbtes Gesicht vorstellen, wenn er seine Order las! Auch er mußte froh sein, mit seiner Fregatte in See gehen zu können, bevor sie ihm unter den Füßen weg eingemottet wurde. Duncan hatte ebenso wie Keen zu seinem alten Geschwader gehört. Die beiden waren wie verlängerte Arme für ihn.
Aber an eines konnte er sich nur schwer gewöhnen: daß er nicht mehr auf die schriftlichen Befehle seines vorgesetzten Flaggoffiziers zu warten brauchte. Über die Ungewißheit seiner Rolle oder die Unfairness seiner Aufgabe mußte er sich nicht mehr grämen. Jetzt lag die Entscheidung allein bei ihm, wann und wie zu handeln war. Und mit der Entscheidung auch die volle Verantwortung.
Er fügte hinzu:»Duncans Anwesenheit könnte den Schock der Bewohner von San Felipe etwas mildern. Ich bezweifle, daß der Gouverneur derselben Meinung ist wie das Parlament.»
Ozzard kam herbeigetrippelt und wartete, bis Bolitho ihn zur Kenntnis nahm. Er erinnerte an einen eifrigen Maulwurf, wie er so seine Hände vor der Brust baumeln ließ.
«Bitte um Entschuldigung, Captain«, sagte er zu Keen,»doch der Erste Offizier läßt sich empfehlen und Ihnen melden, daß der Wind umgesprungen, aber immer noch sehr leicht ist.»
Keen grinste zu Bolitho hinüber.»Ich habe ihm gesagt, er soll mich gleich verständigen. Es ist nur ein Hauch, aber wenigstens können wir jetzt den Anker ausbrechen. Mit Ihrer Erlaubnis, Sir?»
Bolitho nickte, von der Erregung angesteckt.»Yovell, bringen Sie meine Depeschen zum Werftboot, das längsseits liegt.»
Er sah den Sekretär seinen letzten Brief an Belinda mit besonderer Sorgfalt davontragen. Den würde sie lesen, wenn die Achates den Lizard [4] passierte, unterwegs zu den langen Rollern des Atlantik.
Durch das offene Skylight konnte er Keens Stimme hören, das Trillern der Bootsmannspfeifen und das Klatschen nackter Füße auf trok-kenen Planken; die Seeleute hasteten auf Stationen.
Bolitho zwang sich, weiter ruhig sitzen zu bleiben und Kaffee zu schlürfen. Keen hatte genug am Hals, wenn er das für ihn neue Schiff zum erstenmal in Fahrt brachte, weg vom bedrohlichen Land. Dabei konnte er keinen Admiral brauchen, der ihm über die Schulter sah.
Wie oft hatte er selbst an der Querreling des Hüttendecks gestanden, voll Hoffnung und mit erregt klopfendem Herzen, während er sich den Kopf zermarterte, ob er nicht etwas vergessen hatte, für das es jetzt ohnehin zu spät war.
Taljen knarrten. Tauwerk quietschte in unzähligen Blöcken, und ganz schwach, scheinbar von weither, hörte Bolitho die Fiedel wimmern, auf der ein Shantyman den arbeitenden Matrosen den Takt angab.
Keuchend kam Yovell zurück.»Alle Depeschen unterwegs zur Küste, Sir«, meldete er mit seinem weichen Devon-Akzent.
Auch Keen trat wieder ein, den Hut unter den Arm geklemmt.
«Anker ist kurzstag, Sir. Würden Sie mir vielleicht an Deck Gesellschaft leisten? Es täte den Leuten gut. Sie jetzt in ihrer Mitte zu sehen.»
Bolitho dankte ihm lächelnd, und dann fiel Keens Blick auf Pascoe.
«Eines verstehe ich nicht, Sir. Gerade eben wurde durch Kurier dieser Brief für den Flaggleutnant gebracht. Er kam gerade noch rechtzeitig.»