Feind in Sicht: Kommandant Bolithos Zweikampf im Atlantik
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1795 — in der Biskaya: Kurz nach seiner Hochzeit mit Cheney mu? Richard Bolitho mit seiner «Hyperion» und einer noch unerprobten Mannschaft auslaufen, um die britische Blockade der Seeh?fe Frankreichs zu verst?rken. Ein grausames Verbrechen, dem Kapit?n Bolitho unt?tig zusehen mu?, macht ihn zum Todfeind des franz?sischen Admirals Lequiller; ?ber Tausende von Seemeilen jagt er ihn bis nach Westindien und wieder zur?ck in spanische Gew?sser, ehe er ihn endlich in der Biskaya stellen und in einem m?rderischen Seegefecht bezwingen kann.
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Als er schließlich die Saling erreichte, fand er dort einen ergrauten, bezopften Seemann, der bereits zur Seite rückte, um ihm Platz zum Sitzen zu machen. Bolitho nickte dankbar, mußte aber erst wieder zu Atem kommen. Einige Augenblicke lehnte er sich an die zitternde Stenge, während er nach dem umgehängten Teleskop tastete und versuchte, nicht zu dem weit unter ihm liegenden Deck hinunterzusehen.
Er hörte Midshipman Gascoigne rufen:»Sie hat Erkennungssignal gehißt, Sir!«Inch mußte etwas gesagt haben, denn Sekunden später entfaltete sich das vorbereitete Bestätigungssignal als helles Rechteck an der Marsrah des Hauptmasts.
Bolitho stellte sein Glas ein und sah die schlanke Fregatte in seinem Blickfeld tanzen. Sprühwasser stieg wie ein Vorhang über ihren Bug auf. Er vergaß seine Ängste, als er sich an seine Dienstzeit auf Fregatten erinnerte: immer in Fahrt, mit dem Schwung und der Spannung, die sich auf einem Schiff dieses Typs übertrug. Er empfand Mitgefühl mit dem Kommandanten auf einsamem Wachdienst: Tag für Tag hin und her patrouillieren, ohne daß man etwas vorweisen konnte. Unter diesen Umständen war es auf einem Linienschiff schon schlimm genug, aber im ranken Rumpf einer Fregatte mußte es ein einziger Alptraum sein.
Er riß den Blick von dem anderen Schiff los und richtete ihn auf die im wachsenden Dunkel verschwindende Landzunge im Norden der Flußmündung. Ein paar helle Flecken, wahrscheinlich Unterkünfte der Küstenwache. So dicht unter Land schienen sie sich in der Strömung zu bewegen und die See stillzustehen. Bolitho setzte das Glas ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
Er hörte Inchs Stimme, die der Wind herauftrug:»Captain, Sir! Die Ithuriel hat nichts Neues zu berichten.»
Er wartete, bis das Besansegel einen Augenblick im unsteten Wind flatterte, und konnte dann die perspektivisch verkürzten Gestalten auf dem Achterdeck sehen. Ihre Gesichter hoben sich bleich von den ausgelaugten Planken ab: Gascoigne — die Seiten seines Signalbuchs flatterten im Wind. Und Stepkyne, das Glas auf die Fregatte gerichtet, die sie, auf dem entgegengesetzten Bug liegend, passierte. Selbst sein eigenes Schiff wirkte klein und gedrungen, und es war kaum vorstellbar, daß sechshundert menschliche Wesen ihr Leben in dem kompakten Rumpf verbrachten.
Er dachte auch an die beengten Verhältnisse auf der Fregatte. Sie war nur eine von vielen, wettererprobt und auf sich selbst angewiesen, aber unentbehrlich, wenn der Feind in seinen Häfen eingeschlossen bleiben sollte. Bolitho schluckte schwer und griff nach einer Pardune. Eine weitere lange Kletterpartie wagte er nicht, nicht einmal abwärts. Also schwang er sich vor den verblüfften Augen des Ausgucks von der Saling und legte mit angehaltenem Atem den Weg zum Achterdeck auf eine schnellere, wenn auch weniger würdevolle Weise zurück. Keuchend erreichte er das Deck, war sich der grinsenden Seeleute ringsum bewußt, aber auch des Schmerzes in seinem Bein, wo ihm das dicke Stag bei der raschen Abfahrt die Haut versengt hatte.
Steif sagte er:»Ehe das Licht völlig schwindet, will ich der Ithu-riel noch ein Signal geben. «Er winkte Gascoigne zu sich.»Ich habe den Namen ihres Kommandanten vergessen.»
Gascoigne stand immer noch verwundert der Mund offen, als könne er nicht glauben, daß ein Kommandant sich so merkwürdig verhielt. Er klappte sein Buch auf und stammelte: «Ithuriel, 32 Geschütze, Kommandant ist Kapitän Curry, Sir!»
Es würde banal klingen, wenn er ihm ein gutes neues Jahr wünschte, dachte Bolitho, aber es war besser als nichts.
Stepkyne sagte:»Sie haben sie gut in Schuß gehalten, trotz des verdammten Wetters.»
Bolitho nahm Gascoignes großes Signalteleskop und hob es über die Netze. Die Fregatte lag jetzt in Höhe des Achterdecks der Hyperion, und er konnte die gedrängten Gestalten auf dem Achterdeck unter dem zerfetzten Rest der Nationalflagge sehen. Er blinzelte ein paar Mal hastig, um klarer sehen zu können, aber… Er irrte sich! Er mußte sich irren. Seine Stimme klang immer noch gefaßt, als er kurz befahl:»Setzen Sie folgendes Signal, Mr. Gascoigne: Hermes an Ithuriel. Viel Glück.»
Er ignorierte die Überraschung auf dem blassen Gesicht des Midshipman und schnauzte:»Ganz richtig. Ich habe >Hermes< gesagt!«Dann fügte er hinzu:»Vielen Dank, Mr. Stepkyne.»
Niemand äußerte etwas. Die unmittelbar neben Bolitho Stehenden wandten sogar die Augen von ihm ab, als ob sie nicht Zeugen dieses Wahnsinns werden wollten.
Gascoigne meldete leise:»Sie hat bestätigt, Sir.»
«Legen Sie das Schiff auf Backbordbug, Mr. Gossett«, befahl Bolitho, ohne den Steuermann anzusehen.»Wir drehen nach Westen ab. «Als dann die Pfeifen schrillten und die Matrosen zu den Brassen liefen, erklärte er schroff:»Die Ithuriel ist eine Fregatte mit 32 Geschützen, meine Herren. Dieses Schiff hat aber 36 Kanonen. Und nur ein Franzose würde uns für die Hermes halten.»
Jetzt starrten ihn alle an.»Mr. Stepkyne beobachtete genau, erkannte aber nicht die volle Bedeutung: Sie ist zu gut in Schuß, zu sauber und gepflegt für die Ithuriel nach vielen Wochen Blockade.»
«Aber was hat das zu bedeuten, Sir?«fragte Inch völlig ratlos.
Bolitho beobachtete das Herumholen der Rahen und wie die Segel sich wieder mit Wind füllten.
«Es bedeutet, meine Herren, daß die Ithuriel erobert worden ist. Nur so konnten diese Leute unser Erkennungssignal setzen.«Überraschend, wie ruhig und gefaßt es klang. Er begriff, daß sie es noch nicht durchschauten, während jede Faser seines Körpers danach schrie, daß sie es genauso verstehen sollten wie er. Er bemerkte Allday, der sich auf einen Neunpfünder stützte und zu der Fregatte zurückblickte, die nach und nach in Gischt und sinkende Dunkelheit glitt. Allday mußte wissen, was Bolitho empfand. Er war an Bord seines Schiffes gewesen, der Phalarope, als es von einem amerikanischen Kaperschiff angegriffen worden war. Auch dieses Schiff war eine ehemalige britische Fregatte gewesen, die in die Hände der Feinde gefallen war.
Bohrend fragte Bolitho:»Warum geben die Franzosen sich solche Mühe, uns zu täuschen? Sie haben eine gute Fregatte erobert. Warum wollen sie das geheimhalten?»
Gossett sagte:»Mir scheint, sie haben was zu verheimlichen.»
Bolitho lächelte böse.»Genau das glaube ich, Mr. Gossett. «Er blickte zu dem flatternden Wimpel hinauf. «Wir haben keine Zeit, das Geschwader zu informieren, selbst wenn wir es finden könnten. «Seine Stimme klang härter.»Sobald es ganz dunkel ist, wenden wir und versuchen, wieder eine Position im Norden der Flußmündung zu gewinnen. Ich habe keinen Zweifel, daß der Kommandant der Fregatte, wer das auch ist, über Nacht vor Anker gehen wird. Er wird wissen, daß viele Tage, vielleicht sogar Wochen, vergehen werden, ehe wieder ein Schiff von unserem Geschwader hier erscheint.»
Er versuchte, die Erbitterung in seiner Stimme zu unterdrücken. Wenn Pelham-Martin seine drei Fregatten und möglichst auch die
Schaluppen in einem engen Bogen und in Sichtweite voneinander um das zu überwachende Gebiet konzentriert hätte, wäre es nie dazu gekommen. Im gleichen nüchternen Ton fuhr er fort:»Wir werden so nahe an das Ufer heranlaufen, wie es uns möglich ist. Sobald sich das erste Tageslicht zeigt, will ich den Wind im Rük-ken haben. «Er warf einen kalten Blick auf die nächsten Kanonen.»Diesmal werde ich als erster reden, und zwar nachdrücklich.»
Als sich die Wolkenbänke auf den Horizont legten und das Meer in völlige Dunkelheit hüllten, schritt Bolitho immer noch auf dem Achterdeck hin und her. Er war vom Sprühwasser bis auf die Haut durchnäßt, spürte aber nichts davon. Er hatte die Fregatte wieder vor Augen, empfand die Arroganz ihres Kommandanten, als er auf die Signale des Zweideckers antwortete. Es war um Haaresbreite gegangen. Wenige Minuten später hätten sich die beiden Schiffe getrennt. Dann hätte die Hyperion dem Kommodore gemeldet, daß es nichts Ungewöhnliches zu berichten gab, und Pelham-Martin wäre nur allzu bereit gewesen, diese Meldung zu akzeptieren.