Der Wiedersacher
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Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.
"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost
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Kenneally nahm auf dem Hocker Platz, auf dem der Arzt gesessen hatte, und sah Heidmann nachdenklich ins Gesicht. Er tat das sehr lange – drei, vier, fünf Sekunden – , und die Art, auf die er ihn musterte, ließ Heidmann innerlich erschauern. Womit immer er gerechnet hatte, nichts davon war in Kenneallys Blick. Seine Augen waren kaum weniger kalt als die der Insekten, denen er im Haus begegnet war. »Können Sie mich verstehen?« fragte er.
Heidmann antwortete auf die gleiche Art, auf die er sich mit dem Arzt verständigt hatte, und Kenneally runzelte flüchtig die Stirn.
»Was ist da drüben passiert?« fragte er. »Wo sind Smith und die anderen?«
»Tot«, antwortete Heidmann. Das Medikament hatte seine Wirkung jetzt voll entfaltet. Er hatte immer noch Schmerzen, fühlte sich aber zugleich auch auf eine wohlige Art benommen. Das Reden bereitete ihm weniger Mühe, als er erwartet hatte.
»Salid hat sie umgebracht«, vermutete Kenneally, aber Heidmann schüttelte mühsam den Kopf.
»Sie dürfen da … nicht wieder hineingehen«, sagte er stockend. »Schicken Sie … niemanden mehr … dorthin.« Kenneally runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«
»Es war nicht … Salid«, sagte Heidmann mühsam. Das Gefühl wohliger Benommenheit wich einer immer heftigeren Müdigkeit. Aber so sehr er sich die Ohnmacht gerade zurückgewünscht hatte, so heftig kämpfte er jetzt dagegen an. Er durfte nicht das Bewußtsein verlieren, noch nicht. »Die … Käfer«, murmelte er. »Sie werden … alle töten.«
»Käfer?« Zum erstenmal sah er so etwas wie eine menschliche Regung auf Kenneallys Gesicht: einen Ausdruck ungläubiger Verblüffung. »Wovon reden Sie?«
»Insekten«, flüsterte Heidmann. Seine Stimme war so leise, daß er nicht einmal sicher war, ob er das Wort überhaupt aussprach. Trotzdem fuhr er fort: »Käfer … überall. Sie … haben Smith gefressen und … die Frau. «
»Was zumTeufel hat Ihnen dieser Idiot von Arzt gespritzt?« fragte Kenneally.
»Nein!« stöhnte Heidmann. »Es ist … wahr. Gehen Sie nicht… zurück.«
Kenneally starrte ihn noch einen Moment lang zornig an, dann stand er mit einem so heftigen Ruck auf, daß sein Schemel zurückflog und umfiel. Ohne Heidmann auch nur noch eines einzigen weiteren Blickes zu würdigen, wandte er sich um und ging.
»Nein«, keuchte Heidmann. »Bleiben Sie … hier! Es ist wahr. Sie dürfen nicht … nicht wieder zurück.«
Aber Kenneally hörte ihn nicht mehr. Er hatte den Wagen längst verlassen. Heidmann konnte hören, wie er sich draußen auf englisch mit jemandem unterhielt. Eine dumpfe Verzweiflung begann sich in ihm breitzumachen. Sie durften nicht zurück. Die Insekten hatten ihn gehen lassen, aber nur, um die anderen zu warnen. Sie würden keinen weiteren Eindringling in ihrem Reich dulden.
Der Gedanke, was den Männern widerfahren würde, die sich vermutlich gerade in diesem Moment auf Kenneallys Befehl hin bereitmachten, das Haus zu stürmen, erfüllte ihn mit einem solchen Entsetzen, daß er all seine Kraft zusammennahm und sich mühsam ein kleines Stück weit in die Höhe stemmte. Sein Körper quittierte diese Anstrengung mit einer neuen Welle wütender Schmerzen, aber Heidmann biß die Zähne zusammen und kämpfte sich weiter hoch. Erneut begannen rote Schleier vor seinen Augen zu tanzen und ihm wurde übel, doch er kämpfte auch dieses Gefühl nieder und stemmte sich in einer verzweifelten Anstrengung auf der unverletzten linken Hand in die Höhe, so weit es ging. Stöhnend hob er den Kopf und zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Er war nicht mehr allein. jemand hatte den Krankenwagen betreten und stand gebückt vor ihm.
Im allerersten Moment dachte er, es wäre Kenneally, der noch einmal zurückgekommen war, oder vielleicht der Arzt. Dann klärte sich sein Blick, und er erkannte, daß es keiner von beiden war.
Heidmann erstarrte. Etwas in ihm erlosch. Er spürte keinen Schmerz mehr, keine Angst. Alles, was er gerade noch gedacht und gefühlt hatte, war fort, und alles, wozu er fähig war, war, das Gesicht des Fremden anzustarren, der den Krankenwagen betreten hatte und auf ihn herabblickte. Dieses Gesicht – großer Gott, dieses Gesicht!
»Nein! « flüsterte er. Und dann noch einmal: »Nein! «
Die Gestalt hob den Arm und streckte die Hand nach ihm aus. Heidmann keuchte vor Entsetzen, stieß sich sowohl mit der unverletzten rechten als auch mit der verstümmelten linken Hand ab und kroch, die gelähmte untere Hälfte seines Körpers wie ein lebloses Anhängsel mit sich zerrend, von dem Fremden fort. Sein Blick hing dabei wie gebannt an dessen Augen. Augen, die groß und dunkel und uralt waren, von einem Wissen erfüllt, dessen bloße Ahnung etwas in ihm zu verbrennen schien. Er hatte das Gefühl, sterben zu müssen, wenn er ihrem Blick auch nur noch eine weitere Sekunde ausgesetzt war, aber es war ihm auch unmöglich, ihm auszuweichen. Wimmernd vor Furcht kroch er zurück, so weit er konnte. Die Hand des Fremden folgte ihm, näherte sich seinem Gesicht und berührte ihn flüchtig an der Stirn.
Ein weißglühender Ball aus purem Feuer explodierte in Heidmanns Rücken, breitete sich rasend schnell in seinem ganzen Körper aus – und erlosch.
Mit ihm erloschen die Schmerzen, und zugleich kehrte das Gefühl in die untere Hälfte seines Körpers zurück. So abrupt, daß sich seine Beine ruckartig fast einen halben Meter von der Liege hoben und dann zurückfielen. Heidmann keuchte vorÜberraschung und Schrecken, setzte sich auf und betrachtete aus ungläubig aufgerissenen Augen seine Beine. Sie zitterten. Er konnte fühlen, wie sie zitterten. Er war nicht länger gelähmt. Er hatte gespürt, wie die Gewehrkugeln sein Rückgrat zertrümmert und die empfindlichen Nerven ein für alle Male durchtrennt hatten, aber er konnte die Beine bewegen! Und mehr noch: Als er die rechte Hand hob und seine Finger betrachtete, sah er, daß die Wunde nicht nur aufgehört hatte zu bluten, sondern praktisch vollkommen verheilt war. Das Wunder hatte seine Grenzen – das abgerissene Fingerglied war nicht nachgewachsen, aber der Stumpf war mit glatter, rosafarbener Haut überzogen und tat nicht einmal weh.
Heidmann hob mit einem Ruck den Kopf und sah sich um. Er war allein. Der unheimliche Fremde war so lautlos verschwunden, wie er gekommen war.
Einen kurzen Moment lang erwog er sehr ernsthaft die Möglichkeit, daß er ins Koma gefallen war und einer bizarren Fieberphantasie erlag, schob diesen Gedanken aber sofort wieder von sich. Selbst wenn es so war, hätte er keine Möglichkeit, sich Klarheit zu verschaffen, und trotz allem war das Geschehen so real, wie es nur sein konnte; mehr noch – ihm war, als spüre er zum erstenmal im Leben überhaupt, was Realität bedeutete und als sei ganz im Gegenteil alles, was er bisher erlebt hatte, nur ein Ausschnitt eines viel größeren, komplizierteren Ganzen gewesen, das er auch jetzt noch nicht erfassen konnte, aber nun zum erstenmal überhaupt erahnte. So mußte sich jemand fühlen, der von den Toten zurückgekommen war. Er hatte gehört, daß Menschen, die nach einem klinischen Tod wieder aufgewacht waren, ein völlig anderes Verhältnis zum Leben entwickelten, aber er hatte nicht geglaubt, daß es so war.
Ohne sich der Bewegung selbst bewußt zu sein, setzte er sich endgültig auf und schwang die Beine von der lederbezogenen Liege. Erst als seine Füße den Metallboden des Wagens berührten, wurde ihm klar, welches Wunder diese eigentlich so selbstverständliche Bewegung darstellte. Nicht einmal, weil sie noch vor einer Minute für ihn vollkommen unmöglich gewesen wäre. Plötzlich überkam ihn eine große, fast allgewaltige Ehrfurcht vor dem Leben selbst. Zum allererstenmal, seit er denken konnte, wurde ihm klar, wie gewaltig dieses Wunder war, das er bisher als so ganz selbstverständlich hingenommen hatte, und welche unvorstellbare Macht nötig gewesen sein mußte, um es aus dem Nichts zu erschaffen.
Zum allererstenmal in seinem Leben spürte Heidmann, daß es einen Gott gab.
Er stand auf, ging gebückt die zwei Schritte bis zur Tür und trat aus dem Wagen. Kälte, Dunkelheit und der eisige Wind schlugen über ihm zusammen, aber obwohl er sofort am ganzen Leib zu zittern begann und sein eigener Atem eine graue Wolke vor seinem Gesicht bildete, breitete sich ein Lächeln auf seinen Zügen aus. Er litt nicht unter der Kälte oder dem schneidenden Wind, sondern genoß jedes einzelne dieser Gefühle mit einer niemals gekanntenTiefe, denn auch sie warenTeil des gewaltigen Wunders, dessen er sich nun bewußt war.