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Der Wiedersacher

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Der Wiedersacher
Название: Der Wiedersacher
Автор: Hohlbein Wolfgang
Дата добавления: 16 январь 2020
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Der Wiedersacher - читать бесплатно онлайн , автор Hohlbein Wolfgang

Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.

"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost

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Du hastTausende von uns getötet. Aber du hast dich gemeint. Du kämpfst gegen uns, weil du es nicht wagst, dich dir selbst zu stellen. »Nein! « wimmerte Charlotte. »Das ist nicht wahr. Ich habe euch nichts getan. Ihr habt mir nichts vorzuwerfen! Ich habe nur mein Haus verteidigt! «

Aber du hast diesen Kampf doch schon längst verloren. Schon vor zwanzig Jahren.

»Nein!« keuchte Charlotte. »Hör auf! Das ist nicht wahr! Mein Haus ist sauber! «

Erinnerst du dich? An jenen Tag, an dem dieses junge Paar kam? Du hattest Sorgen. Die Bank machte dir Arger, und das Hotel warf schon lange nicht mehr genug ab, um davon zu leben. Du hattest Angst, es verkaufen zu müssen.

»Hör auf! « keuchte Charlotte. Sie erinnerte sich. Es war gar nicht nötig, sich zu erinnern. Sie hatte es niemals vergessen; sie hatte sich nur eingeredet, den Moment vergessen zu haben, an dem es begonnen hatte.

Damals war es noch nicht wie heute. Da konnte nicht jeder mit jedem ins Hotel gehen und tun, was er wollte. Du hattest deine Verantwortung. Es war deine Aufgabe, darauf zu achten, daß dein Haus sauber bleibt. Die beiden waren sehr jung.

Und sie hatte das Geld gebraucht, jeden Pfennig davon. Die beiden waren sehr jung. Zu jung. Er vielleicht zwanzig, sie allerhöchstens sechzehn, und das schlechte Gewissen und die Nervosität standen ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie hätte sie nicht hereinlassen dürfen. Sie waren Kinder, die hier nichts zu suchen hatten. Aber sie hatte das Geld gebraucht, jeden Pfennig davon. Und das war der Moment gewesen, in dem sie die Weichen gestellt hatte. Eine Kleinigkeit, nur eine winzige Kleinigkeit. Aber auch ein winziger Schritt in die falsche Richtung war ein Schritt in die falsche Richtung. Und diesem ersten war ein zweiter gefolgt und ein dritter und dann immer mehr.

Die Spinne bewegte sich wieder ein paar winzige trippelnde Schritte weit, und als sich Charlottes Blick von ihr löste, erkannte sie eine zweite, etwas größere Spinne von anderem Körperbau und hellerer Farbe, die mit fast gemächlichen

Schritten in ihr Gesichtsfeld hineinmarschierte. Sie konnte den Kopf keinen Millimeter bewegen, aber sie glaubte, daß diese beiden Tiere nicht einmal die einzigen waren. Da war eine Bewegung in ihren Augenwinkeln, und irgend etwas berührte ihren unverletzten, wenn auch gelähmten Fuß.

Damals hast du dich selbst verraten, fuhr die Spinne fort. Du hast gesündigt. Gegen alles, woran du je geglaubt hast. Du tötest uns, aber du meinst dich.

»Das ist nicht wahr! « stöhnte Charlotte. Trotz allem kam es ihr noch immer absurd vor, daß sie hier auf dem Boden lag und mit einer Spinne diskutierte, die nicht größer als ein Fingernagel war, aber sie begriff auch zugleich, daß sie in Wahrheit mit sich selbst sprach; mit jenem Teil von sich, den sie die letzten zwanzig Jahre hinweg sorgsam im tiefsten Kerker ihrer Seele eingesperrt hatte. Sie hatte geglaubt, den Schlüssel weggeworfen zu haben, aber irgendwie war dieTür zu seinem Verließ doch aufgestoßen worden.

»Das ist nicht wahr!« sagte sie noch einmal, »Ich achte auf Sauberkeit, das ist alles. Ich kann kein Ungeziefer hier dulden. Und keinen Schmutz. Alles andere geht mich nichts an.«

Hinter den beiden Spinnen erschien ein weiteres Geschöpf. Es war nicht größer, sah aber vollkommen anders aus: die vielbeinige, fühlerbewehrte Ausgabe eines Gürteltieres, dessen Panzer die Farbe von zerschrammtem Kupfer hatte. Eine Kakerlake.

Das stimmt nicht, sagte die Spinne. Es geht dich etwas an. Du weißt, was sie dort oben in den Zimmern tun. Du stellst es dir vor. In jeder Sekunde. In jedem Augenblick. Du weißt, was sie dort treiben. Die Schwulen. Die Perversen. Die Ehebrecher. Du weißt es, und du leidest darunter. Es geht dich sehr wohl etwas an. Weil du es nicht erträgst. Der Schmutz und Abschaum, gegen den du kämpfst, das Ungeziefer-du lebst von ihm.

Zu der ersten Kakerlake gesellte sich eine zweite, dritte, und dann waren es plötzlich so viele, daß Charlotte sie nicht mehr zählen konnte. Die Tiere rückten in einer fast militärisch anmutenden Kolonne näher und hielten schließlich inne; eine Armee winziger gepanzerter Monstren, die vor ihr Aufstellung nahm und auf das Angriffssignal wartete.

Du hast Tausende von uns getötet, aber die Sauberkeit, die du wolltest, hast du damit nicht erreicht. Du hast Leben vernichtet, um deine Lüge zu zementieren. Aber nicht einmal das ist dir gelungen.

Und das war die Wahrheit. Wenn es in ihrem Leben jemals etwas gegeben hatte, woran sie glaubte, so waren es Werte wie Ehre, Anstand, Sitte und Moral gewesen. Werte, die vielleicht heute ein wenig aus der Mode gekommen waren, und vielleicht sogar zu Recht, aber für sie waren sie wichtig gewesen. Es ging sie vielleicht tatsächlich nichts an, was andere taten, wer mit wem, wann und wie, aber es ging sie sehr wohl etwas an, wenn dies unter ihrem Dach geschah. Sie hatte ihr Haus zu dem werden lassen, was sie auf der ganzen Welt am meisten verabscheute, und sie hatte es nicht nur zugelassen, sie hatte davon profitiert.

Überall rings um sie herum raschelte und trippelte es jetzt; ein Geräusch wie Popcorn, das in einem Nebenzimmer auf den Boden fällt. Die sanfte Berührung an ihrem Fuß war längst nicht mehr die einzige. Sie konnte spüren, wie unzählige winzige Beinchen über ihren Körper huschten, Antennen über ihre Haut tasteten und glattes Chitin sich an ihren Kleidern rieb. Das ganze Zimmer schien lebendig geworden zu sein. Sie waren alle gekommen. Jedes einzelne Ungeziefer, das sie vernichtet hatte. Seltsamerweise blieb der Schrecken aus, den sie bei dieser Erkenntnis verspüren sollte. Vielleicht, weil sie tief in sich drin jetzt wußte, daß all dies nicht wirklich geschah. Die Spinnen, Kakerlaken, Schaben, Wanzen, Käfer und Flöhe waren nicht wirklich da.

Sie mußte aus diesem Alptraum erwachen. Sie durfte sich nicht unterkriegen lassen. Jeder mußte für sich selbst entscheiden, was er tat, und niemand hatte das Recht, sich in diese Entscheidung einzumischen. Wenn ihr Krieg gegen den Schmutz und die Schädlinge nichts als ein Krieg gegen sich selbst gewesen war, dann war das ihre Sache. Und sie würde diesen Krieg weiterführen, gleich morgen, wenn sie wieder auf den Beinen war.

Doch zuerst mußte sie hier raus.

»Es … es tut mir so leid«, log sie. »Ich werde dafür büßen.« O ja, antwortete die Spinne mit einem Seufzen, in dem zugleich eine tiefeTraurigkeit und eine chitinklare Härte lag. Das wirst du.

Sie machte einen Satz und sprang Charlotte ins Gesicht, und mit einer Verzögerung von vielleicht einer halben Sekunde rückte die gesamte restliche Insektenarmee näher, und Charlotte begriff zu spät, daß sie sich getäuscht hatte. Es war keine Halluzination. Die Kreaturen waren da. Sie waren gekommen, um sie für alles bezahlen zu lassen, was sie ihnen angetan hatte. Sie krochen in ihre Haare, ihre Ohren, den Mund und die Nase, sie huschten über ihre Haut und suchten sich ihren Weg unter ihre Kleider, stechend, beißend, kratzend. Einige wenige dieser Stiche und Bisse taten spürbar weh, die meisten aber vermochten sie nicht wirklich zu verletzten. Es war allenfalls wie das Scheuern von feinem Sandpapier auf der Haut, das im ersten Moment nicht einmal wirklich unangenehm, geschweige denn schmerzhaft war.

Aber nur im ersten Moment. Zwanzig Jahre waren lang. Sie hatte viele unschuldige Leben ausgelöscht in dieser Zeit, und sie waren alle gekommen.

Ausnahmslos.

»Das ist … lächerlich«, sagte Johannes. Er sagte es ohnesonderliche Überzeugung und auch nicht besonders laut, dafür aber mit um so größerer Nervosität. Sein Blick war scheinbar auf Salids Gesicht gerichtet, aber das stimmte nicht. In Wahrheit starrte er einen Punkt fünf Zentimeter vor Salids Augen an.

Und Brenner … empfand eigentlich gar nichts. Salids Behauptung war einfach grotesk. Lächerlich. Völlig verrückt. Aber er war weder überrascht noch erstaunt oder gar amüsiert. Er kam sich vor wie der Zuschauer in einem Film, der von seinem bequemen Kinosessel aus die Handlung oben auf der Leinwand verfolgte, ohne wirklich daran beteiligt zu sein; im Grunde auch ohne, daß sie ihn wirklich interessierte. Abwechselnd betrachtete er Salids und Johannes' Gesicht, und ihm fiel zum erstenmal auf, wie unnatürlich ihr Mienenspiel wirkte: Sie beide kämpften offenbar mit aller Kraft um ihre Fassung, und bei beiden schien nicht sicher, daß sie diesen Kampf gewinnen würden.

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