Der Wiedersacher
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Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.
"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost
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»Sind Sie sicher, daß Ihr Freund keinen Arzt braucht?« fragte sie.
»Ganz sicher. Ein paar Stunden Schlaf, und er ist wieder in Ordnung. « Der Ausländer schüttelte den Kopf und sah sie offen an, während sein Begleiter rasch den Blick senkte. Offenbar wollte er nicht erkannt werden. Aber Charlotte entging keineswegs, wie nervös er war. In der Ferne hörte sie wieder eine Polizeisirene. Sie fragte sich, ob das Auftauchen dieser drei sonderbaren Burschen etwas damit zu tun hatte. Wenn, war es nicht ihr Problem. Achselzuckend trat sie beiseite, um den Eingang freizugeben, und deutete zugleich hinter sich.
»Die erste Etage. Sie können sich ein Zimmer aussuchen. Die Türen sind offen.«
Wenn dem Ausländer dies sonderbar vorkam – was es ja schließlich auch war – , so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Er nickte nur und ging so rasch an ihr vorbei, daß sein Begleiter Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten und den reglosen Burschen zwischen ihnen fast losgelassen hätte. Charlotte fiel erst jetzt auf, daß der Ausländer ein Jackett trug, das ihm um mindestens zwei Nummern zu klein war. Und der bewußtlose Typ sah auch so aus, als käme er aus der Kleiderkammer der Heilsarmee. Sie hatte einen Blick für so was.
»Frühstück gibt es keines«, rief sie den dreien hinterher. »Aber auf dem Zimmer steht eine Kaffeemaschine. Und um elf fängt der nächste Tag an. Wenn Sie dann noch da sind, müssen Sie nachzahlen.«
»Das geht in Ordnung. So lange bleiben wir bestimmt nicht.«
Charlotte blickte den dreien nach, bis sie die Treppe erreicht hatten und aus ihrem Sichtfeld verschwanden. Sie war völlig verwirrt – und sie hatte Angst und wußte nicht einmal genau, wovor. Im Grunde nicht vor diesen drei Männern; obwohl der Ausländer in seinem viel zu kleinen Anzug und mit seiner seltsamen Art zu reden schon reichlich unheimlich war. Aber das war es nicht. Charlotte hatte Erfahrung mit unheimlichen Gästen. Diese drei waren seltsam, aber es waren längst nicht die schrägsten Vögel, die sie je aufgenommen hatte, und sicherlich auch nicht die gefährlichsten. Aber etwas an ihnen war anders. Anders als an allen anderen, die sie jemals aufgenommen hatte.
Sie schloß dieTür, ließ das Kolibri-Fenster aber geöffnet und blickte im Schein des hereinströmenden Mondlichtes auf die drei Banknoten, die sie noch immer in der rechten Hand hielt. Dreihundert – ein guter Preis für eine Nacht; zumal, wenn sie nur noch zwei oder drei Stunden lang war. Eigentlich zu viel, selbst für ein Schwulentrio, das eine verschwiegene Unterkunft suchte. Aber dafür hielt Charlotte die drei schon längst nicht mehr. Vielmehr fragte sie sich, ob jemand, der so viel Geld nur dafür bezahlte, hereingelassen zu werden und keine dummen Fragen beantworten zu müssen, nicht vielleicht auch bereit war, noch viel mehr zu bezahlen.
Vielleicht. Aber vielleicht war er auch bereit, noch ganz andere Dinge zu tun, um sein Inkognito zu wahren. Sie ließ den Gedanken, den dreien zu folgen und mehr zu verlangen, rasch wieder fallen und verstaute das Geld hastig in der Kitteltasche. Sie hatte gelernt, daß ihre Gäste ein gewisses Maß an Gier akzeptierten, ja, sogar erwarteten, es aber nicht gut war, den Bogen zu überspannen. Dieses gewisse Maß zu überschreiten konnte sogar ausgesprochen ungesund sein.
Außerdem konnte sie das Geld verdammt gut gebrauchen. Die Dreihundert würden sie für den Rest der Woche aller finanzieller Sorgen entheben, und das war schon mehr, als sie in den meisten Wochen behaupten konnte. Sie schloß die Fensterklappe und verriegelte sorgfältig die Tür. Es konnte ihr gleich sein, was diese drei dort oben taten und wer sie waren. Es hatte ihr gleich zu sein.
Aber tief in sich wußte sie, daß das nicht stimmte. Es hatte niemals gestimmt. Nur war es ihr noch niemals so klar gewesen wie heute.
Sie schüttelte unwillig den Kopf, zwang ein grimmiges Lächeln auf ihre Lippen und versuchte den Gedanken zu verscheuchen, wie sie es schon so oft getan hatte. Es ging nicht. Statt in das Gefängnis zurückzukehren, in das sie ihn und andere, ähnliche schon vor zehn oder vielleicht auch zwanzig Jahren eingesperrt hatte und an dessen Wänden sie seither unentwegt weitergemauert hatte, wurde er im Gegenteil eher stärker, und dann, ganz plötzlich, war es ihr, als hebe sich ein Schleier von ihren Augen, und zum erstenmal seit – seit Jahren? seit einem Jahrzehnt? überhaupt? – seit langer, langer Zeit sah sie ihre Umgebung so, wie sie wirklich war: Das Hotel war schon längst kein Hotel mehr, sondern eine heruntergekommene Absteige, in der die Gäste nach Stunden bezahlten und das nicht einmal mehr verblichenen Glanz zeigte, sondern einfach nur noch schäbig war.
Charlotte blinzelte. Sie fühlte sich … fremd, und das auf eine unheimliche, kaum in Worte zu fassende Weise. Sie lebte seit annähernd vierzig Jahren in diesem Haus, aber sie hatte es niemals zuvor mit einer solchen Klarheit gesehen wie jetzt: eine Blinde, der plötzlich das Augenlicht zurückgegeben worden war, so daß sie sich in ihrer ein Leben lang vertraut geglaubten Umgebung nicht mehr zurechtfand. Alles hier war schäbig. Es war billig, und es war vor allem eines: verlogen.
Das war nicht immer so gewesen, aber sie konnte sich einfach nicht daran erinnern, wann dieses Haus aufgehört hatte, ein Haus zu sein, und zum Grab ihrerTräume und dem Kerker ihres Gewissens zu werden begann. Vor zehn Jahren? Vor zwanzig? Oder schon damals, als sie dieses Haus übernommen hatte, selbst noch fast ein Kind, das am Grab seiner Eltern ein Geschenk entgegennahm, ohne zu ahnen, was es sich selbst und seiner Seele damit antat?
Charlotte machte einen Schritt, blieb wieder stehen und sah sich aus weit aufgerissenen Augen um, deren Ausdruck, hätte sie ihn sehen können, sie selbst mehr als alles andere erschreckt hätte. Zumindest hier unten und in den drei kleinen Räumen, die sie selbst bewohnte, blitzte alles vor Sauberkeit, aber das änderte nichts daran, daß sie plötzlich das Gefühl hatte, im Schmutz zu ersticken. Wann hatte es angefangen? Wann, um Gottes willen, hatte sie aufgehört, sich um Dinge zu kümmern, die sie nichts angingen, und wann hatte sie angefangen, tatsächlich an all die Lügen zu glauben, mit denen sie seither lebte?
Sie wußte es nicht, und vielleicht war das das Schlimmste überhaupt. Sie konnte nicht einmal mehr sagen, wann sie sich selbst verraten hatte. Sie
Der Vorhang wurde so abrupt wieder zugezogen, wie er sich gehoben hatte, und von einer Sekunde auf die andere erschienen ihr ihre Gedanken ebenso bizarr und dumm, wie sie der Anblick ihres eigenen Hauses erschreckt hatte.
Was für ein Unsinn!
Sie schüttelte übertrieben heftig den Kopf, lächelte nervös und warf noch einmal einen Blick in die Richtung, in der das sonderbareTrio verschwunden war. Was war los mit ihr? Wurde sie allmählich senil, oder hatten die drei sie nur in einem ungünstigen Moment erwischt? Es konnte ihr nicht nur egal sein, was diese drei dort oben trieben, es war ihr egal, verdammt noch mal, sogar scheißegal. Es ging sie nichts an. Jeder hatte das Recht, sein eigenes Leben zu leben und zu tun und zu lassen, was immer er wollte. Wenn sie ihnen das Zimmer nicht vermietete, würden sie es eben auf dem Rücksitz eines Autos treiben oder in irgendeinem Park. Es änderte nichts. Und es ging sie nichts an.
Charlotte straffte die mageren Schultern, drehte sich endgültig herum und machte sich auf den Rückweg in die Küche. Dort gab es Ungeziefer, das sie wirklich beseitigen sollte.
Gegen jede Erwartung war er noch im Wagen wieder eingeschlafen. Vielleicht war es nichts als eine verspätete Reaktion auf irgendeine der Drogen, mit denen er noch immer bis zum Stehkragen vollgestopft war, vielleicht auch eine ganz natürliche Abwehrreaktion seines Körpers, mit dem dieser auf den Streß und die Angst reagierte; möglicherweise war es auch nur seine Art, wie eine hysterische Jungfer in Ohnmacht zu fallen – so oder so, als Brenner erwachte, konnte er sich weder erinnern, wo er war, noch, wie er hierhergekommen war. Er lag wieder einmal auf einem Bett, er hatte wieder einmal Kopfschmerzen, und er erwachte wieder einmal mit der quälenden Erinnerung an einen völlig konfusen Alptraum.