Der Wiedersacher
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Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.
"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost
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Aber Salid schlug ihn nicht nieder. Statt dessen sagte er: »Ich weiß, wo das Mädchen ist.«
Professor Schneider sah auf die Uhr, schüttelte den Ärmel seines weißen Krankenhauskittels wieder herunter und trat mit einer entschlossenen Bewegung in den Aufzug. Fünfzehn Minuten, wenn er die Zeit mitrechnete, die er bei Brenner verbracht hatte. Das sollte Alexander ausreichen, ihrem ungebetenen Besucher alles zu sagen, was er ihm zu sagen hatte. Für Schneider jedenfalls hatte diese Frist gereicht, um zu einem Entschluß zu gelangen. Er würde diese Farce beenden. Heute noch.
Er drückte den Aufzugknopf und wartete voller Ungeduld darauf, daß sich die Türen schlossen und die Kabine losfuhr. Er war nicht sofort zurück in sein Büro gegangen, sondern noch einmal hinunter ins Erdgeschoß gefahren – wie er sich selbst eingeredet hatte, um noch einmal mit dem Pförtner zu sprechen und sich davon zu überzeugen, daß alles in Ordnung war, in Wahrheit aber aus einem ganz anderen Grund. Nämlich dem, eine Zigarette zu rauchen. In der gesamten Klinik herrschte strengstes Rauchverbot – an das sich nicht einmal seine eigene Oberschwester hielt – , und Schneider hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, ein-oder zweimal pro Nacht nach draußen zu gehen, um seinem Laster zu frönen. Die Zigarettehatte nicht geschmeckt, und die bittere Kälte hatte ein Übriges dazu getan, ihn rasch wieder nach drinnen zu treiben, und trotzdem war er in der kurzen Atempause zu einem Entschluß gekommen, der vielleicht sein gesamtes weiteres Leben verändern würde.
Er würde jetzt nach oben fahren und von diesem Alexander verlangen, daß er ihm reinen Wein einschenkte. Und diesmal würde er keinen Widerspruch dulden und auch keine Ausflüchte akzeptieren, ganz egal, von welcher Seite aus man ihn unter Druck setzte. Man muß Gott – und seinem Gewissen mehr gehorchen als den Menschen, sagte er sich. Oder war es nur, weil er sich wegen seiner Machtlosigkeit in diesem schäbigen Spiel verabscheute?
Der Aufzug hielt an. Schneider quetschte sich schräg durch die Türen, die plötzlich mit quälender Langsamkeit auseinanderzugleiten schienen, wandte sich rasch nach links und zog seinen Schlüsselbund aus derTasche, während er mit weit ausgreifenden Schritten den Korridor entlangeilte. Er rannte fast. Schneider kannte sich selbst zu gut, um nicht zu wissen, daß jetzt jede Sekunde wichtig war. Er war jetzt wild entschlossen, Alexander zu zwingen, endlich Farbe zu bekennen. Zeit zu vergeuden bedeutete in diesem Fall, Zeit zum Nachdenken zu haben. Nachdenken darüber, welche Folgen sein Entschluß haben konnte. Folgen für ihn, für die Klinik, vielleicht für Brenner.
Er öffnete die Zwischentür, die zu dem Bereich der Klinik gehörte, den er vor drei Tagen – nach einem kurzen, aber äußerst hitzigen Telefongespräch – komplett hatte räumen lassen, ließ sie hinter sich wieder ins Schloß fallen und legte sich in Gedanken noch einmal ganz genau die Worte zurecht, mit denen er das Gespräch eröffnen würde. Sie waren wichtig, vielleicht entscheidend. Alexander war ein meisterhafter Rhetoriker. Aus allen Rededuellen, die sich Schneider bisher mit ihm geliefert hatte, war der Geistliche bisher stets als Sieger hervorgegangen. Wenn er den Anfang verpatzte, konnte er sich den Rest mit ziemlicher Sicherheit sparen.
Schneider öffnete die Tür zum Vorzimmer, trat mit einem energischen Schritt hindurch
– und blieb wie angewurzelt wieder stehen.
Das Bild, das sich ihm bot, war so bizarr, daß es ihm im allerersten Moment schwerfiel, es als Wirklichkeit zu akzeptieren. Sein Vorzimmer hatte sich in die Kulisse eines amerikanischen Action-Krimis verwandelt.
Alexander und Johannes befanden sich nicht mehr in seinem Büro, wo er sie zurückgelassen hatte. Johannes kniete in einer fast grotesken Haltung am Boden, die rechte Hand um ein kleines Goldkreuz gekrampft, das er bisher offenbar an einer dünnen Goldkette um den Hals getragen hatte, die linke, zur Faust geballt, gegen den Mund gepreßt, und Alexander lag vor ihm auf dem Rücken. Seine Augen starrten weit geöffnet und leer gegen die Decke, und sein Kopf war so weit zur Seite gebogen, daß Schneider keine vierzehn Semester Medizinstudium benötigt hätte, um zu wissen, daß sein Genick gebrochen war. Eine zweite, reglose Gestalt lag unmittelbar neben derTür am Boden. Schwester Marianne.
Schneider überwand endlich seinen Schrecken und erinnerte sich wieder daran, daß er Arzt war. Rasch ließ er sich neben der reglos daliegenden Schwester auf die Knie sinken und beugte sich über sie.
» Er … er hat ihn umgebracht«, stammelte Johannes. »Er hat ihn einfach … umgebracht! «
»Wer?« fragte Schneider. Seine Finger glitten über Mariannes Halsschlagader und tasteten nach dem Puls. Er war schwach, aber regelmäßig und fühlbar. Sie lebte. Gott sei Dank, sie lebte.
»Er hat ihn einfach umgebracht«, stammelte Johannes wieder. »Es ging so schnell. Ich … ich konnte nichts tun! Er hat ihn einfach getötet! Einfach so, als … als wäre es nichts.«
Behutsam hob Schneider Mariannes Augenlider an, begutachtete ihre Pupillen und tastete anschließend ihren Schädel nach Verletzungen ab, konnte aber außer einer Beule am Hinterkopf nichts feststellen. Nicht, daß ihn das beruhigte; die schlimmsten Verletzungen waren häufig die, die man nicht sofort sah. Aber zumindest war ihr Schädel nicht gebrochen. Schneider stand rasch auf, ging die wenigen Schritte zu Alexander hinüber und ließ sich abermals auf die Knie sinken. Es war überflüssig, ihn zu untersuchen, aber er tat es trotzdem. Allerdings änderte es nichts. Der alte Mann, der ihn so das Fürchten gelehrt hatte, war tot. Mit einem Ruck hob Schneider den Kopf und sah Johannes an.
Das Gesicht des jüngeren war erstarrt, und es hatte die Farbe von Recycling-Papier angenommen. Sein Blick war wie gebannt auf Alexanders gebrochene Augen gerichtet.
»Was ist passiert?« fragte Schneider.
»Er hat ihn getötet«, stammelte Johannes. »Einfach so. Völlig grundlos und – «
»Wer?« unterbrach ihn Schneider. Als Johannes nicht gleich antwortete, packte er ihn bei den Schultern und schüttelte ihn so heftig, daß seine Zähne aufeinanderschlugen. »Wer?«
»Ein… ein Mann«, antwortete Johannes stockend. Obwohl Schneider ihn immer noch schüttelte, starrte er immer noch auf Alexander herab.
»Ein Mann? Was für ein Mann? Was ist passiert?« Schneider kam nicht einmal für eine Sekunde die Idee, daß Johannes für das verantwortlich sein könnte, was er sah. Er kannte diesen jungen Mann nicht – wenngleich er wohl nun dieTatsache akzeptieren mußte, daß dieser wirklich ein Geistlicher war. Doch wenn er eines ganz bestimmt nicht war, dann ein gewissenloser Mörder.
»Ich … ich weiß nicht«, antwortete Johannes stockend. »Er war ganz plötzlich da und … und hat ihn getötet. Aber warum? Jesus Christus, ich … ich verstehe einfach nicht, warum er es getan hat. «
Schneider begann zu ahnen, daß er wahrscheinlich keine konkrete Antwort bekommen würde. Was immer hier auch wirklich geschehen war, hatte den jungen Priester vollkommen aus der Bahn geworfen. Aber eines mußte er noch wissen, denn es war vielleicht lebenswichtig.
»Ist er noch hier?«
Eine halbe Sekunde lang hatte er fast Angst, Johannes könnte nicken und auf die Tür zum Nebenzimmer deuten, aber als er dann eine Antwort bekam, überraschte sie ihn trotzdem kaum.
»Er… er wollte zu Brenner.«
Brenner. Es war fast, als hätte er genau das erwartet. Es ergab keinen Sinn, weil ihm einfach zu viele Informationen fehlten, und trotzdem paßte es ins Bild.
Schneider stand auf, ging zum Schreibtisch und hob den Telefonhörer ab, um die Nummer der Polizei zu wählen.
Der Sturm hatte ihn wieder ausgespien, aber während er durch das tobende weiße Crescendo stapfte, war Weichster felsenfest davon überzeugt, daß dieses heulende Chaos ringsum das unwiderruflich Letzte sein würde, was er in seinem Leben hörte und sah. Er fürchtete sich nicht davor. Der Tod war eine Erlösung gegen das, was er dort drinnen in der Turnhalle gesehen hatte. Und wahrscheinlich würde es schnell gehen – Erfrieren sollte ja ein angenehmerTod sein, und dieTemperaturen waren so weit gefallen, daß sein Atem zu Eis zu werden schien, noch ehe er über seine Lippen kam. Der Wind schnitt durch seine Jacke, als wäre sie gar nicht da, undder brüllende Sturm tat ein Übriges, um auch noch das letzte Gefühl aus seinem Körper herauszuprügeln. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft gehabt, seine Waffe zu halten, und sie irgendwo auf halbem Wege weggeworfen.