The Stand. Das letze Gefecht
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Kurzbeschreibung
In einem entv?lkerten Amerika versucht eine Handvoll ?berlebender, die Zivilisation zu retten. Ihr Gegenspieler ist eine mytische Gestalt, die man den Dunklen Mann nennt, die Verk?rperung des absolut B?sen. In der W?ste von Nevada kommt es zum Entscheidungskampf um das Schicksal der Menschheit. "The Stand", Stephen Kings Vision vom letzten Gefecht zwischen Gut und B?se, war bislang nur in einer stark gek?rzten Version zug?nglich.Die hier ver?ffentlichte Urfassung zeigt die Gr??e seines apokalyptischen Entwurfs.Manche nennen diesen Roman sein Meisterwerk!
Autorenportrait
Stephen King wurde 1947 in Portland, Maine, geboren. Er war zun?chst als Englischlehrer t?tig, bevor ihm 1973 mit seinem ersten Roman 'Carrie' der Durchbruch gelang. Seither hat er mehr als 30 Romane geschrieben und ?ber 100 Kurzgeschichten verfasst und gilt als einer der erfolgreichsten Schriftsteller weltweit.
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Manche mochten ein so strenges Gericht als zu hart empfinden, aber Mutter Abagail zählte nicht dazu. Er hatte es schon einmal mit Wassser getan, und irgendwann einmal würde Er es mit Feuer tun. Es war nicht ihre Sache, über Gott zu richten, obwohl sie wünschte, Er hätte diesen Kelch an ihr vorübergehen lassen. Aber wenn es um Gericht ging, gab sie sich mit der Antwort zufrieden, die Gott Moses aus dem brennenden Busch gegeben hatte, als Moses Fragen für angebracht hielt. Wer bist du! fragt Moses, und Gott ruft so gewitzt, wie man sich nur wünschen kann aus dem Busch: Ich binder ICH BIN. Mit anderen Worten: Moses, hör auf, auf diesen Busch hier zu klopfen, und sieh zu, daß du deinen alten Hintern bewegst.
Sie kicherte und nickte mit dem Kopf und tauchte den Toast in den breiten Mund der Tasse, bis er so weich war, daß sie ihn kauen konnte. Vor sechzehn Jahren hatte sie ihrem letzten Zahn Lebewohl gesagt. Zahnlos war sie aus dem Leib ihrer Mutter gekommen, und zahnlos würde sie ins Grab sinken.
Ihre Urenkelin Molly und ihr Mann hatten ihr ein Jahr später zum Muttertag ein Gebiß geschenkt, dem Jahr, als sie selbst dreiundneunzig wurde, aber es tat ihr am Gaumen weh, und sie trug es nur, wenn Molly und Jim zu Besuch kamen. Dann nahm sie es aus dem Kasten in der Schublade, spülte es gut ab und setzte es ein. Und wenn sie noch Zeit hatte, bevor Molly und Jim kamen, schnitt sie Grimassen im fleckigen Spiegel in der Küche und knurrte durch diese großen, weißen falschen Zähne und lachte Tränen. Sie sah aus wie ein alter schwarzer Alligator aus den Everglades.
Sie war alt und schwach, aber ihr Verstand war noch ziemlich in Ordnung. Sie hieß Abagail Freemantle und war 1882 geboren, was sie mit ihrer Geburtsurkunde beweisen konnte. Sie hatte in ihrem Leben auf Erden viel gesehen, aber nichts, was man mit den Ereignissen des vergangenen Monats oder so auch nur annähernd vergleichen konnte. Nein, so etwas war noch nie dagewesen, und jetzt kam die Zeit, wo sie in die Sache hineingezogen wurde, und das war ihr zuwider. Sie war alt. Sie wollte ihre Ruhe haben und sich am Wechsel der Jahreszeiten freuen, bis Gott es leid war, sie bei ihrer täglichen Runde zu beobachten, und beschloß, sie in sein Reich zu holen. Aber was geschah, wenn man Gott in Frage stellte? Die Antwort, die man dann bekam, hieß: Ich binder ICH BIN, und das war alles. Als sein eigener Sohn ihn bat, er möge den Kelch an ihm vorübergehen lassen, hatte Gott nicht einmal geantwortet ... und sie stand unendlich viel tiefer. Nur eine ganz gewöhnliche Sünderin, das war sie, und der Gedanke ängstigte sie, daß Gott herabgeschaut hatte, als im Frühjahr 1882 ein kleines Mädchenbaby den Kopf zwischen den Beinen seiner Mutter herausstreckte, und zu sich gesagt hatte: Ich werde sie lange Zeit auf der Erde lassen. 1990, hinter einem riesigen Berg von Kalenderblättern, wartet Arbeit auf sie.
Ihre Zeit hier in Hemingford Home ging zu Ende, und die letzte Arbeit, die sie noch zu verrichten hatte, lag vor ihr im Westen, in der Nähe der Rocky Mountains. Er hatte Moses einen Berg besteigen und Noah ein Boot bauen lassen; er hatte mitangesehen, wie sein eigener Sohn ans Kreuz genagelt wurde. Was kümmerte es ihn, welche schreckliche Angst Abagail Freemantle vor dem Mann ohne Gesicht hatte, vor ihm, der sie in ihren Träumen verfolgte?
Sie sah ihn nie; sie mußte ihn nicht sehen. Er war ein Schatten, der um die Mittagszeit durch den Mais schlich, ein kalter Lufthauch, eine Aaskrähe, die von einem Telefondraht auf einen herabsah. Seine Stimme sprach zu ihr in all jenen Lauten, vor denen sie sich immer gefürchtet hatte - flüsternd war sie wie das Ticken eines Klopfkäfers unter der Treppe, der den baldigen Tod eines nahen Angehörigen verkündet; dröhnend war sie wie der Donner in den Wolken, die aus dem Westen kamen wie ein tobendes Armageddon. Und manchmal hörte sie keinen Laut, nur das einsame Rauschen des Nachtwinds im Mais, aber sie wußte, daß er in der Nähe war, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte, und das war das Allerschlimmste, denn dann schien der Mann ohne Gesicht nur wenig geringer als Gott selbst zu sein; dann schien es, als wäre sie in Reichweite des dunklen Engels, der schweigend über Ägypten geflogen war und in jedem Haus, dessen Türpfosten nicht mit Blut bespritzt war, das Erstgeborene getötet hatte. Das ängstigte sie am allermeisten. Sie wurde wieder zum Kind in ihrer Angst und wußte, daß auch andere ihn kannten und Angst vor ihm hatten, aber nur ihr allein war eine klare Vision von seiner schrecklichen Macht zuteil geworden.
»Ach, ja«, sagte sie und schob das letzte Stück Toast in den Mund. Sie schaukelte hin und her und trank Kaffee. Es war ein schöner heller Tag, kein Teil ihres Körpers machte ihr besondere Beschwerden, und sie sprach ein kurzes Dankgebet für dieses Geschenk. Gott ist groß, Gott ist gut; das kleinste Kind konnte diese Worte lernen, und sie umfaßten die ganze Welt und alles, was darin war, gut und böse.
»Gott ist groß«, sagte Mutter Abagail. »Gott ist gut. Danke für den Sonnenschein und für den Kaffee. Für den guten Stuhlgang von gestern abend. Du hattest recht, die Datteln haben es geschafft, aber lieber Gott, ich finde den Geschmack so ekelhaft. Was bin ich nur für eine? Gott ist groß...«
Sie hatte den Kaffee fast ausgetrunken. Sie stellte die Tasse ab und schaukelte; ihr der Sonne zugewandtes Gesicht war wie ein seltsames lebendes, von Kohleadern durchzogenes Stück Fels. Sie döste... sie schlief. Ihr Herz, dessen Wände jetzt so dünn waren wie Seidenpapier, schlug, wie es während der letzten 39475 Tage jede Minute geschlagen hatte. Wie bei einem Baby in der Wiege hätte man die Hand auf ihre Brust legen müssen, um festzustellen, ob sie überhaupt atmete.
Aber das Lächeln blieb.
Seit den Jahren, da sie ein Mädchen gewesen war, hatte sich alles sehr verändert. Die Freemantles waren als befreite Sklaven nach Nebraska gekommen, und Abagails eigene Urenkelin Molly hatte einmal auf gemeine, zynische Weise gelacht und angedeutet, dass das Geld, mit dem Abbys Vater ihr Haus gekauft hatte - Geld, das ihm Sam Freemantle aus Lewis, South Carolina, als Lohn für die acht Jahre bezahlt hatte, die ihr Daddy und seine Brüder nach Ende des Bürgerkriegs geblieben waren -, »Gewissensgeld« gewesen sei. Abagail hatte den Mund gehalten, als Molly das gesagt hatte - Molly und Jim und die anderen waren jung und verstanden nur extrem Gutes und extrem Böses - aber innerlich hatte sie die Augen verdreht und zu sich gesagt: Gewissensgeld? Nun, kann es denn Geld geben, das sauberer ist?
Die Freemantles hatten sich also in Hemingford Home niedergelassen, und Abby war als letztes Kind ihrer Eltern hier geboren worden. Ihr Vater hatte es verstanden, die Leute umzustimmen, die weder von Niggern kaufen noch ihnen etwas verkaufen wollten; er erwarb immer nur ein kleines Stück Land auf einmal, um keinen zu beunruhigen, der sich wegen »dieser schwarzen Dreckskerle in Columbus« Sorgen machte; er war der erste im Polk-County gewesen, der den Fruchtwechsel einführte, der erste, der Kunstdünger verwendete; und im März 1902 war Gary Sites ins Haus gekommen, um John Freemantle mitzuteilen, daß er in die Farmervereinigung aufgenommen worden war. Er war der erste Schwarze im ganzen Staat Nebraska, der das geschafft hatte. Das war ein großartiges Jahr gewesen.
Ihr kam in den Sinn, daß jeder, der auf sein Leben zurückblickte, sich ein Jahr herausgreifen und sagen konnte: »Das war das beste.« Es schien, als gäbe es für jeden eine Jahreszeit, wenn alles sich zusammenfügte, passend und harmonisch und voller Wunder. Erst später machte man sich Gedanken darüber, warum es so gekommen war. Es war, als würde man zehn Köstlichkeiten zugleich in den Kühlschrank tun, so daß jede ein wenig den Geschmack der anderen annahm. Die Pilze schmeckten nach Schinken, der Schinken nach Pilzen; das Wildbret hatte einen Hauch des wilden Geschmacks von Rebhuhn und das Rebhuhn einen winzigen Hauch Gurke. Im späteren Leben wünschte man sich vielleicht, daß all die guten Dinge, die man in einem einzigen Jahr bekommen hatte, etwas besser verteilt gewesen wären, daß man eines der goldenen Dinge nehmen und über einen Zeitraum von vielleicht drei Jahren verteilen könnte, in denen einem nichts Gutes widerfahren war, an das man sich erinnern konnte, nicht einmal etwas Schlechtes. Aber es hatte eben alles seinen geregelten Gang genommen, wie es nun mal auf dieser Welt sein sollte, die Gott geschaffen und Adam und Eva um ein Haar zerstört hatten - die Wäsche war gewaschen, die Böden waren geschrubbt, die Kinder versorgt und die Kleider genäht worden; drei Jahre, in denen nichts den einförmigen grauen Strom der Zeit unterbrochen hatte, abgesehen von Ostern, dem 4. Juli, Erntedank und Weihnachten. Aber die Art und Weise, wie Gott seine Wunder wirkte, war für die Menschen unergründlich, und für Abby Freemantle und ihren Vater war 1902 ein großartiges Jahr gewesen.