Der Schwarm
Der Schwarm читать книгу онлайн
Ein Fischer verschwindet vor Peru, spurlos. Цlbohrexperten stoЯen in der norwegischen See auf merkwьrdige Organismen, die hunderte Quadratkilometer Meeresboden in Besitz genommen haben. Wдhrenddessen geht mit den Walen entlang der Kьste British Columbias eine unheimliche Verдnderung vor. Nichts von alledem scheint miteinander in Zusammenhang zu stehen. Doch Sigur Johanson, norwegischer Biologe und Schцngeist, glaubt nicht an Zufдlle. Auch der indianische Walforscher Leon Anawak gelangt zu einer beunruhigenden Erkenntnis: Eine Katastrophe bahnt sich an. Doch wer oder was lцst sie aus? Wдhrend die Welt an den Abgrund gerдt, kommen die Wissenschaftler zusammen mit der britischen Journalistin Karen Weaver einer ungeheuerlichen Wahrheit auf die Spur.
Внимание! Книга может содержать контент только для совершеннолетних. Для несовершеннолетних чтение данного контента СТРОГО ЗАПРЕЩЕНО! Если в книге присутствует наличие пропаганды ЛГБТ и другого, запрещенного контента - просьба написать на почту [email protected] для удаления материала
»Wenn du dich auf den Rücken legst«, sagte er, »gehört das Universum dir. Mit allem, was drin ist. Versuch’s.«
Sie sah ihn an. Im Dunkeln leuchteten ihre Augen. »Hast du schon mal Sternschnuppen hier gesehen?«
»Ja. Mehrfach.«
»Und? Hast du dir was gewünscht?«
»Dafür mangelt es mir an romantischer Substanz.« Er ließ sich neben ihr auf den Planken nieder. »Ich habe es einfach genossen.«
Lund kicherte. »Du glaubst an gar nichts, was?«
»Und du?«
»Ich bin die Letzte, die an so was glaubt.«
»Ich weiß. Dir macht man keine Freude mit Blumen oder Sternschnuppen. Kare wird seine liebe Not haben. Das Romantischste, was man dir schenken kann, ist wahrscheinlich eine Stabilitätsanalyse für meerestechnische Konstruktionen.«
Lund sah ihn weiter an. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und ließ sich langsam nach hinten sinken. Ihr Pullover rutschte hoch und gab ihren Bauchnabel frei. »Glaubst du das wirklich?«
Johanson stützte sich auf den Ellenbogen und betrachtete sie. »Nein. Nicht wirklich.«
»Du glaubst, ich bin unromantisch.«
»Ich glaube, du hast dir noch keine Gedanken darüber gemacht, wie Romantik funktioniert.«
Wieder hefteten sich ihre Blicke aneinander.
Lange.
Zu lange.
Er fand seine Finger in ihrem Haar wieder, fuhr langsam durch die Strähnen. Sie sah zu ihm hoch.
»Vielleicht zeigst du es mir«, flüsterte sie.
Johanson beugte sich hinab, bis zwischen ihren Lippen nur noch eine dünne Schicht erhitzter Luft vibrierte. Sie schlang einen Arm um seinen Nacken. Ihre Augen waren geschlossen.
Küssen. Jetzt.
Tausend Geräusche und Gedanken flatterten durch Johansons Hirn, verdichteten sich zu einem Wirbel und zerrten an seiner Konzentration. Immer noch verharrten sie beide in angespannter Stellung, als müsse erst jemand ein Zeichen geben, ein Signal, eine Genehmigung, hier bitte, in doppelter Ausfertigung, eine für Sie, eine für Sie. Sie dürfen die Braut jetzt küssen, Sie dürfen jetzt leidenschaftlich werden, wirklich leidenschaftlich. Das sah schon nicht schlecht aus, aber jetzt glauben Sie bitte dran!
Seien Sie leidenschaftlich, Mann!
Was ist los?, dachte Johanson. Was stimmt hier nicht?
Er spürte Lunds Körperwärme, nahm ihren Duft in sich auf, und es war ein köstlicher, wunderbarer, einladender Duft.
Aber es war, als sei er im falschen Haus. Nicht an ihn erging diese Einladung.
»Es funktioniert nicht«, sagte Lund im selben Moment.
Einen Atemzug lang, auf der Kippe zwischen Kapitulation und trotzigem Beharren, fühlte sich Johanson, als sei er in eiskaltes Wasser gefallen. Dann verging der kurze Schmerz. Etwas erlosch. Der Rest von Glut verflüchtigte sich in der klaren Luft über dem See und machte ungeheurer Erleichterung Platz.
»Du hast Recht«, sagte er.
Sie lösten sich voneinander, langsam, widerstrebend, als hätten ihre Körper noch nicht begriffen, was die Köpfe längst ausgehandelt hatten. Johanson sah die Frage in ihren Augen, die sie wahrscheinlich auch in seinen las: Wie viel haben wir vermasselt? Kaputtgemacht? Für immer versaut?
»Alles okay?«, fragte er.
Lund antwortete nicht. Er setzte sich vor sie hin, mit dem Rücken zur Bootswand. Dann fiel ihm auf, dass er die Flasche noch umklammert hielt, und er reichte sie ihr.
»Offenbar«, sagte er, »ist unsere Freundschaft zu stark für die Liebe.«
Er wusste, dass es platt und pathetisch klang, aber es verfehlte seine Wirkung nicht. Sie begann zu kichern, nervös zuerst, dann offensichtlich erleichtert. Griff nach der Flasche, nahm einen langen Schluck und lachte laut auf. Fuhr sich durchs Gesicht, als wollte sie dieses laute, unpassende Lachen wegwischen, aber es drang weiterhin dumpf zwischen ihren Fingern hindurch, und Johanson lachte schließlich mit.
»Puh«, machte sie.
Dann schwiegen sie eine ganze Weile.
»Bist du sauer?«, fragte sie schließlich leise.
»Nein. Du?«
»Ich … nein, ich bin nicht sauer. Überhaupt nicht. Es ist nur …« Sie stockte. »Es ist alles so wirr. Auf der Thorvaldson, weißt du, der Abend in deiner Kabine. Eine Minute länger, und … ich meine, es hätte passieren können, aber heute …«
Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und trank.
»Nein«, sagte er. »Seien wir ehrlich, es wäre ebenso ausgegangen. Ganz genauso wie gerade.«
»Woran liegt’s?«
»Du liebst ihn.«
Lund schlang die Arme um ihre Knie. »Kare?«
»Wen sonst?«
Sie starrte vor sich hin, eine ganze Zeit lang, und Johanson formte die Lippen wieder um den Flaschenhals, weil es nicht seine Aufgabe war, Tina Lund ihre Gefühle zu erklären.
»Ich dachte, ich kann dem entkommen, Sigur.«
Pause. Wenn sie eine Antwort erwartet, dachte er, wird sie lange warten müssen. Sie wird es von selber kapieren müssen.
»Wir waren immer mal wieder so weit, du und ich«, sagte sie nach einer Weile. »Keiner von uns wollte sich binden, eigentlich ideale Voraussetzungen. — Aber wir haben die Option nie eingelöst. — Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, es muss jetzt unbedingt sein, ich … ich war nie in dich verliebt. Ich wollte nie verliebt sein. Aber die Vorstellung, dass es irgendwann passiert, hatte ihren Reiz. Jeder lebt weiter sein Leben, keine Verpflichtung, keine Bindung. Ich war sogar überzeugt, dass es bald passieren würde, ich fand, dass es fällig war! — Und plötzlich kommt Kare daher, und ich denke: Mein Gott, das ist verbindlich! Alles oder nichts. Liebe ist verbindlich, und das hier ist …«
»Das ist Liebe.«
»Ich dachte eher, es ist was anderes. Wie Grippe. Ich konnte mich nicht mehr vernünftig auf meinen Job konzentrieren, ich war in Gedanken ständig woanders, ich hatte einfach das Gefühl, mir wird der Boden unter den Füßen weggezogen, und das passt nicht in mein Leben, das bin nicht ich.«
»Und da hast du gedacht, bevor du die Kontrolle verlierst, löst du endlich die Option ein.«
»Du bist ja doch sauer!«
»Ich bin nicht sauer. Ich verstehe dich. Ich war auch nie in dich verliebt.« Er überlegte. »Begehrt habe ich dich. Übrigens erst richtig, seit du mit Kare zusammen bist. Aber ich bin ein alter Jäger, ich glaube, es war einfach ärgerlich, dass mir da einer die Beute streitig machte, es hat mich gefuchst und in meiner Eitelkeit gekränkt …« Er lachte leise. »Kennst du diesen wunderbaren Film mit Cher und Nicolas Cage? Mondsüchtig. Jemand fragt, warum wollen Männer mit Frauen schlafen? Und die Antwort ist: Weil sie Angst vor dem Tod haben. Mhm. Wie komme ich jetzt darauf?«
»Weil alles mit Angst zu tun hat. Angst vor dem Alleinsein, Angst davor, nicht gefragt zu sein — aber schlimmer ist die Angst, wählen zu können und dich falsch zu entscheiden. So, dass du aus der Nummer nicht mehr rauskommst. Du und ich, wir würden nie etwas anderes als ein Verhältnis haben, und mit Kare … mit Kare könnte ich nie etwas anderes haben als eine Beziehung. Es brauchte nicht viel, dass mir das klar wurde. Du willst jemanden, den du eigentlich gar nicht kennst, du willst ihn um jeden Preis. Du bekommst ihn aber nur, wenn du sein Leben mitkaufst. Und plötzlich wirst du misstrauisch.«
»Es könnte sich als Fehler herausstellen.«
Sie nickte.
»Warst du eigentlich je mit einem zusammen?«, fragte er. »So richtig, meine ich.«
»Einmal«, erwiderte sie. »Ist schon was her.«
»Dein Erster?«
»Mhm.«
»Was ist passiert?«
»Es ist unoriginell, was passierte. Wirklich. Ich würde gerne mit was Wuchtigem aufwarten, aber Tatsache ist, dass er irgendwann Schluss machte und ich das heulende Elend bekam.«
»Und danach?«
Sie stützte das Kinn auf. Wie sie dort im Mondlicht saß, eine kleine, steile Falte zwischen den Brauen, sah sie wunderbar aus. Dennoch empfand Johanson nicht die Spur des Bedauerns. Weder, dass sie es versucht hatten, noch, wie es ausgegangen war.
»Danach war ich jedes Mal diejenige, die es beendet hat.«