Der Schwarm
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Ein Fischer verschwindet vor Peru, spurlos. Цlbohrexperten stoЯen in der norwegischen See auf merkwьrdige Organismen, die hunderte Quadratkilometer Meeresboden in Besitz genommen haben. Wдhrenddessen geht mit den Walen entlang der Kьste British Columbias eine unheimliche Verдnderung vor. Nichts von alledem scheint miteinander in Zusammenhang zu stehen. Doch Sigur Johanson, norwegischer Biologe und Schцngeist, glaubt nicht an Zufдlle. Auch der indianische Walforscher Leon Anawak gelangt zu einer beunruhigenden Erkenntnis: Eine Katastrophe bahnt sich an. Doch wer oder was lцst sie aus? Wдhrend die Welt an den Abgrund gerдt, kommen die Wissenschaftler zusammen mit der britischen Journalistin Karen Weaver einer ungeheuerlichen Wahrheit auf die Spur.
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Ja, warum, dachte Johanson.
Weil ich es gerne hätte. Nur möglichst so, dass es nichts kaputtmacht. Er fühlte sich Kare Sverdrup gegenüber nicht im Mindesten verpflichtet. Aber Lunds plötzliche Bereitschaft, mit ihm zum See zu fahren, irritierte ihn. Vor Wochen noch hätte er sich keine Gedanken darüber gemacht. Sporadische Unternehmungen, Verabredungen zum Essen, all das war Teil ihres selbstironisch inszenierten Dauerflirts, ohne dass jemals etwas folgte. Das hier gehörte nicht zum Flirt.
Mit einem Mal wusste er, was ihn störte. Im selben Moment wurde ihm auch klar, was Lund in den letzten Tagen so sehr beschäftigt haben musste.
»Wenn ihr beide Ärger habt«, sagte er, »lass mich aus dem Spiel. Einverstanden? Du kannst mitkommen, aber ich bin nicht da, um Kare unter Druck zu setzen.«
»Du interpretierst ein bisschen viel rein in die Sache.« Lund zuckte die Achseln. »Also gut. Vielleicht hast du Recht. Lassen wir’s.«
»Ja.«
»Besser so. Ich muss einfach ein bisschen nachdenken.«
»Mach das.«
Sie standen weiterhin unentschlossen in der Diele herum.
»Also dann«, sagte Johanson. Er beugte sich vor, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und schob sie sanft nach draußen auf die Straße. Dann schloss er die Haustüre hinter ihnen ab. Allmählich wurde es dämmrig. Es nieselte beständig. Er würde den größten Teil der Strecke im Dunkeln zurücklegen, aber es war ihm beinahe recht so. Er würde Sibelius’ Finlandia-Symphonie hören. Sibelius und die Dunkelheit. Das war gut.
»Montag bist du wieder da?«, fragte Lund, während sie mit ihm zum Wagen ging.
»Ich schätze, schon Sonntag Nachmittag.«
»Wir können ja telefonieren.«
»Sicher. Was hast du so vor?«
Sie zuckte die Achseln. »Arbeit hätte ich genug.«
Er verkniff sich eine weitere Frage nach Kare Sverdrup.
Im selben Moment sagte Lund: »Kare ist übers Wochenende verreist. Zu seinen Eltern.«
Johanson öffnete die Fahrertür und verharrte. »Du musst ja nicht immer nur arbeiten«, sagte er.
Sie lächelte. »Nein. Natürlich nicht.«
»Außerdem … könntest du gar nicht mitfahren. Du hast nichts dabei für ein Wochenende am See.«
»Was braucht man denn?«
»Gutes Schuhwerk vor allen Dingen. Und was Warmes zum Anziehen.«
Lund sah an sich herunter. Sie trug Schnürstiefel mit dicken Sohlen. »Was braucht man noch?«, fragte sie. »Na ja. Wie gesagt, einen Pullover …« Johanson fuhr sich über den Bart »Einiges habe ich auch im Haus.«
»Mhm. Weil man ja nie weiß.«
»Richtig. Man weiß ja nie.«
Er sah sie an. Dann musste er lachen.
»Okay, Frau Kompliziert. Letzte Mitfahrgelegenheit.«
»Ich und kompliziert?« Lund riss die Beifahrertür auf und grinste. »Das werden wir auf der Fahrt ausdiskutieren.«
Als sie den unbefestigten Weg zur Hütte erreichten, war es bereits dunkel, und der Jeep rumpelte unter den Scherenschnitten der Bäume hindurch zum Ufer. Vor ihnen lag der See wie ein zweiter, in Wälder gebetteter Himmel. Die Oberfläche war voller Sterne, wo die Wolken sich auseinander geschoben hatten, während es unten in Trondheim wahrscheinlich immer noch regnete.
Johanson brachte den Koffer ins Haus und trat neben Lund auf die Veranda. Die Bohlen knarrten leise. Jedes Mal aufs Neue fühlte er sich ergriffen von der Stille, die umso offenbarer wurde, weil sie voller Geräusche war: Rascheln, Zirpen und leises Knacken, der ferne Schrei eines Vogels, Bewegungen im Unterholz, Undeutbares. Eine kurze Verandatreppe führte auf eine Wiese, die zum Wasser hin sanft abfiel. Von dort erstreckte sich ein windschiefer Landungssteg. Das Boot am Ende, mit dem er manchmal zum Angeln hinausfuhr, lag reglos da.
Lund sah hinaus. »Und das hast du alles für dich alleine?«, fragte sie.
»Meistens.«
Sie schwieg eine Weile. »Du musst ziemlich gut mit dir selber klarkommen, schätze ich.«
Johanson lachte leise. »Wieso glaubst du das?«
»Wenn du hier niemanden findest außer dich selber … ich meine, deine Gesellschaft muss dir angenehm sein.«
»Oh ja. Ich kann hier draußen mit mir umspringen, wie ich will. Mich mögen, mich verabscheuen …«
Sie wandte ihm den Kopf zu.
»So was kommt vor? Dass du dich verabscheust?«
»Selten. Und wenn, verabscheue ich mich dafür. Komm rein. Ich mache uns einen Risotto.«
Sie gingen hinein.
Johanson schnitt Zwiebeln in der kleinen Küche, dünstete sie in Olivenöl an und gab Riso di Carnaroli dazu, den venezianischen Risottoreis. Er wendete die Reiskörner mit einem Holzlöffel, bis sie sämtlich von Öl überzogen waren, goss kochenden Geflügelfond an und rührte weiter, damit die Masse nicht anbrannte. Zwischendurch schnitt er Steinpilze in Streifen, erhitzte sie in Butter und ließ sie auf kleiner Flamme brutzeln.
Lund sah fasziniert zu. Johanson wusste, dass sie nicht kochen konnte. Sie brachte die Geduld nicht auf. Er entkorkte eine Flasche Rotwein, dekantierte ihn und füllte zwei Gläser. Das übliche Procedere. Es funktionierte immer. Es wurde gegessen, getrunken, geredet, zusammengerückt. Es folgte, was eben folgte, wenn ein alternder Bohémien und eine junge Frau an einen einsamen, romantischen Ort fuhren.
Verdammte Automatismen!
Warum zum Teufel hatte sie mitkommen wollen?
Er hätte einiges darum gegeben, den Dingen an diesem Abend einfach ihren Lauf zu lassen. Lund saß am Küchenblock, trug einen seiner Pullover und wirkte so entspannt wie seit langem nicht mehr. Ihre Gesichtszüge hatten etwas ungewohnt Weiches angenommen. Johanson war irritiert. Er hatte sich oft einzureden versucht, dass sie eigentlich nicht sein Typ war, zu hektisch, zu nordisch mit ihren glatten, weißblonden Haaren und Augenbrauen. Jetzt musste er sich eingestehen, dass nichts von alledem zutraf.
Du hättest ein schönes, ruhiges Wochenende verbringen können, dachte er. Aber du wolltest es ja unbedingt kompliziert haben, Idiot.
Sie aßen in der Küche. Lund wurde mit jedem Glas ausgelassener. Sie alberten herum und öffneten eine weitere Flasche.
Um Mitternacht sagte Johanson: »Es ist nicht wirklich kalt draußen. Lust auf eine Bootstour?«
Sie stützte das Kinn in die Hände und grinste ihn an. »Mit Schwimmen?«
»Würde ich an deiner Stelle bleiben lassen. Vielleicht in ein bis zwei Monaten. Dann ist es hier wärmer. Nein, wir fahren in die Mitte des Sees, nehmen die Flasche mit und …«
Er machte eine Pause.
»Und?«
»Gucken uns die Sterne an.«
Ihre Blicke blieben aneinander hängen. Jeder auf seiner Seite des Küchenblocks, die Arme aufgestützt, sahen sie einander an, und Johanson fühlte, wie sein innerer Widerstand zusammenbrach. Er hörte sich Dinge sagen, die er nicht hatte sagen wollen, sah sich sämtliche Register ziehen und die notwendigen Hebel und Schalter betätigen, um die Maschinerie in Gang zu setzen. Er weckte Erwartungen, bestärkte sich und Lund darin, zu tun, weswegen man nun mal gemeinsam an einen verlassenen See fuhr, wünschte sie zurück nach Trondheim und zugleich in seine Arme, rückte ihr näher, bis er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte, verfluchte den Lauf des Geschicks und konnte es zugleich kaum erwarten.
»Gut. Dann mal los.«
Draußen war es windstill. Sie liefen den Steg entlang und sprangen ins Boot, Es geriet ins Schaukeln, und Johanson ergriff ihren Arm. Er hätte laut auflachen können! Wie im Film, schoss es ihm durch den Kopf. Wie in einem gottverdammten Kitschfilm mit Meg Ryan. Beim Stolpern kommt man sich näher. Du liebe Güte.
Es war ein kleines Holzboot, das ihm der ehemalige Besitzer des Hauses mitverkauft hatte. Der Bug war überplankt, um Stauraum zu schaffen. Lund setzte sich im Schneidersitz darauf, während Johanson den Außenborder startete. Das Motorengeräusch störte den Frieden keineswegs. Es fügte sich harmonisch ein in die wundersam belebte Nacht der Wälder, ein Tuckern und tiefes Brummen wie von einer überdimensionalen Hummel.
Während der kurzen Fahrt fiel kein Wort. Schließlich drosselte Johanson den Motor und stellte ihn aus. Sie trieben ein gutes Stück vom Haus entfernt. Er hatte die Verandabeleuchtung angelassen, und sie spiegelte sich im ufernahen Wasser als kräuseliger Streifen. Hier und da erklang leises Plätschern, wenn ein Fisch an die Oberfläche schoss, um nach Insekten zu schnappen. Johanson balancierte zu Lund hinüber, in der Rechten die halb volle Flasche. Das Boot schaukelte sacht.