Gebirgspass
Gebirgspass читать книгу онлайн
Auf einem fremden Planeten k?mpft seit sechzehn Jahren ein H?uflein Erdenmenschen den Kampf um’s ?berleben.
Durch eine Havarie ihres Raumschiffes, durch hohe Radioaktivit?t im Schiff und eisige K?lte au?erhalb gezwungen, den Landeplatz zu verlassen, sto?en sie endlich nach qualvoller, viele Todesopfer kostender ?berwindung einer Gebirgskette auf ein w?rmendes Niederungsgebiet. Die ?berlebenden versuchen, sich der „Wildnis“ anzupassen. Die „Erdgeborenen“ wissen um die Gefahr des Vergessens, ahnen den bereits sp?rbaren R?ckfall in eine „Urzeit“, wenn es ihnen nicht gelingt, moralische und ethische Werte der menschlichen Zivilisation und deren jahrtausendealtes Wissen weiterzugeben an die „Jugend“, damit diese die Kraft aufbringt, eines Tages den Pa? zu bezwingen, um zu dem Raumschiff zu gelangen, in der Hoffnung auf eine R?ckkehr zur Erde …
Внимание! Книга может содержать контент только для совершеннолетних. Для несовершеннолетних чтение данного контента СТРОГО ЗАПРЕЩЕНО! Если в книге присутствует наличие пропаганды ЛГБТ и другого, запрещенного контента - просьба написать на почту [email protected] для удаления материала
„Sie sieht hübsch aus“, sagte Marjana. „Ich werde sie zur Jagd mitnehmen“, sagte Dick.
„Waitkus braucht sie ja nicht mehr, er ist krank.“
Thomas führte die Flasche an die Nase und roch daran.
„Teufel noch mal“, rief er aus, „man könnte glatt den Verstand verlieren!“
„Was ist los?“ fragte Oleg, der die Flasche gern mal in die Hand genommen hätte.
„Da ist Kognak drin, Kinder! Begreift ihr denn nicht “
Kognak!“
Die Ziege war inzwischen ein Stück zur Seite gesprungen und hatte mit einem verwunderten Meckern auf sich aufmerksam gemacht.
Oleg ging zu ihr. In einer Vertiefung hinter Steinen lag ein kleiner Haufen Blechdosen und Kasserollen — einen solchen Schatz hatte Oleg noch nie zu Gesicht bekommen.
„Thomas“, rief er, „sieh mal, was ihr noch vergessen habt!“
„Nein, nicht vergessen“, erwiderte Thomas. „Wir waren zu diesem Zeitpunkt sicher, den Wald zu erreichen und machten ein letztes Picknick. Das sind Konservendosen, verstehst du? Unnütze Konservendosen.“
„Wieso unnütz?“
„Damals jedenfalls erschienen sie uns unnütz.“ Thomas führte erneut die Flasche an die Nase und roch daran. „Ich werd verrückt, das muß ein Traum sein.“ „Also stimmt es doch, daß ihr hier entlanggekommen seid“, sagte Dick. „Ich hab manchmal daran gezweifelt, dachte, die Siedlung existiere schon immer.“
„Weißt du, das dachte ich manchmal fast selber“, gestand Thomas lächelnd. Er nahm einen Schluck der Flasche, blinzelte. „Ich werde am Leben bleiben“, sagte er und fing an zu husten. Er lächelte, trotzdem weiter.
Marjana sammelte die Konservendosen ein und packte sie in den Sack. Die Ziege seufzte ein ums andre Mal und jammerte — ihr behagten die Büchsen nicht, sie waren etwas Fremdes.
„Du brauchst sie nicht mitzuschleppen“, sagte Thomas lachend, „wirklich nicht. Sie sind doch leer. Du kannst dir bei Bedarf tausend andere nehmen, verstehst du?“
„Na, ich weiß nicht“, sagte Marjana sachlich. „Wenn wir keine mehr finden, kommen uns auch die zupaß. Dann kehren wir wenigstens nicht mit leeren Händen heim. Vater kann aus diesen Büchsen alles mögliche herstellen.“
„Dann nimmst du sie auf dem Rückweg mit“, sagte Oleg. Er wollte gern von dem Kognak kosten, der Thomas so froh stimmte.
„Und wenn andere sie mitnehmen?“ fragte Marjana.
„Wer denn?“ antwortete Thomas. „Volle sechzehn Jahre hat niemand sie angerührt. Ziegenböcke aber können nichts damit anfangen.“
Marjana sammelte dennoch alle Büchsen ein, sogar die löchrigen. „Laß mich mal einen Schluck nehmen, Thomas“, sagte Dick. „Aus der Flasche.“
„Es wird dir nicht schmecken“, erwiderte Thomas. „Für Kinder und Wilde ist Kognak nicht gut.“ Er reichte Dick dennoch die Flasche.
Man muß nur darum bitten, dachte Oleg. Während ich mir alles immer bloß wünsche, greift Dick einfach zu.
„Aber vorsichtig“, warnte Thomas. „Nur kleinen Schluck.“
„Keine Angst“, sagte Dick, „wenn’s dir nicht schadet, dann mir um so weniger. Ich bin kräftiger als du.“
Thomas gab keine Antwort. Oleg hatte den Eindruck, daß er lächelte. Dick setzte die Flasche an und nahm einen Zug. Offenbar war dieser Kognak sehr bitter, denn Dick ließ das Gefäß fallen und fing, die Hand am Hals, fürchterlich an zu husten. Thomas konnte die Flasche gerade noch auffangen.
„Ich habe dich gewarnt“, sagte er vorwurfsvoll, ohne jede Spur von Mitleid.
Marjana stürzte zu Dick, der hochrot und unglücklich dastand.
„Das brennt ja scheußlich!“ brachte er schließlich heraus.
„Warum haben Sie das zugelassen?“ sagte Marjana ärgerlich zu Thomas. Sie rannte zu ihrem Sack und begann darin zu wühlen. Oleg wußte, daß sie nach einem Mittel gegen Verbrennungen suchte. „Es geht gleich vorbei“, sagte Thomas. „Du bist doch ein Wilder, Dick. Folglich mußt du eine dir unbekannte Flüssigkeit kosten, als wäre es Gift. Mit der Zungenspitze …“
Dick winkte wütend ab. „Ich hab dir vertraut“, sagte er, „eben einfach vertraut. Du hast doch auch davon getrunken.“
Dick fühlte sich erniedrigt, das vertrug er nicht.
„Hier“, sagte Marjana, „kau dieses Kraut. Es hilft.“
„Nicht nötig“, knurrte Dick.
„Es ist schon vorbei“, sagte Thomas. „Jetzt ist es ihm angenehm.“
„Stimmt nicht“, erwiderte Dick, aber das war geschwindelt.
„Hat noch jemand Lust, sich zu verbrennen.“ fragte Thomas. „Na, wie sieht’s aus, meine tapferen Stammesbrüder? Übrigens bezeichneten die amerikanischen Indianer dieses Zeug als Feuerwasser.“
„Später ergaben sie sich dann dem Trunk und verkauften ihr Land für ein Spottgeld an die weißen Siedler“, erinnerte sich Oleg an seine Geschichtstunden.
„Das also ist der bewußte Branntwein?“
„Genau. Nur daß ihr Gesöff nicht diese Qualität, hatte.“
Thomas hängte sich die Flasche um. Dick bedachte sie mit einem langen Blick — er hätte den verdammten Kognak mit Vergnügen ausgekippt und stattdessen Wasser eingefüllt. Sie ließen sich auf Steinen nieder und machten Rast.
Marjana teilte jedem eine Handvoll getrockneter Pilze und ein Stück Dörrfleisch zu. Auch die Ziege bekam Pilze.
Dick quittierte das mit einem unzufriedenen Blick, schwieg aber. Das Tier schnurpste die Mahlzeit manierlich auf und schaute das Mädchen fragend an — vielleicht war eine Zugabe drin. Die Ziege hatte es in dieser Gegend schwer, Nahrung zu finden, deshalb war sie hungrig.
„Und euer ganzes Essen war in diesen Büchsen?“ fragte Oleg.
„Nicht nur“, antwortete Thomas. „Es befand sich auch in Kisten, Schachteln, Containern, Flaschen, Tuben, Ballons, Säcken und was weiß ich sonst. Zu essen hatten wir jede Menge, das kann ich euch versichern, meine Freunde. Und dann gab’s da noch Zigaretten, von denen ich oft träume.“
Oleg begriff schlagartig, daß die Flasche, die Konservendosen und die anderen Spuren, auf die sie gestoßen waren, nicht nur ihn und Dick beeindruckten. Am meisten wirkte das alles auf Thomas. So als hätte er bis zu diesem Augenblick selbst nicht recht daran geglaubt, irgendwann einmal jenseits des Passes gewesen zu sein, eine Beziehung zu jener anderen Welt besessen zu haben, wo aus glänzenden Konservendosen gegessen und Kognak aus der Flasche getrunken wurde. Und diese, fremde, von Oleg erwünschte, für Dick freilich unnütze Welt ließ Thomas ein wenig von ihnen abrücken. Denn in Wirklichkeit gehörte Thomas zu jenen Leuten, die bereits tot waren oder an ihrem Lebensende standen. Für sie symbolisierten der Wald und die Gletscher eine Sackgasse und Ausweglosigkeit, für Oleg hingegen, noch viel mehr aber für Dick, bedeuteten sie den einzigen angestammten Platz im ganzen Universum.
„Gehen wir“, sagte Thomas und erhob sich. „Jetzt bin ich fast überzeugt, daß wir’s schaffen, auch wenn die schwierigste Wegstrecke noch vor uns liegt.“
Sie marschierten weiter. Marjana hielt sich Dicks Nähe auf, denn sie fürchtete, ihm könnte noch schlecht sein. Sie hatte die Eigenschaft, alle und jeden zu bemitleiden.
Mitunter fand Oleg das rührend, diesmal jedoch ärgerte es ihn. Man sah schließlich auf den ersten Blick, daß Dick in bester Verfassung war. Lediglich seine Augen glänzten, und er sprach lauter als gewöhnlich.
„Das ist gewissermaßen eine Tür“, sagte Thomas, der neben Oleg ging. „Eine Tür, hinter der meine Erinnerungen beginnen. Verstehst du das?“
„Ja“, sagte Oleg.
„Bis jetzt existierte alles nur in meiner Vorstellung“, fuhr Thomas fort. „Ich hatte diesen Gebirgspaß völlig vergessen. Deine Mutter trug dich auf den Armen. Sie war schon ganz von Kräften, überließ dich aber keinem anderen. Du warst sehr still. Dick dagegen brüllte, wie es sich für einen hungrigen und unglücklichen Säugling gehörte. Wirklich, du hast keinen Laut von dir gegeben. Und Egli war ständig um deine Mutter herum, beide waren höchstens fünfundzwanzig, fast noch Mädchen und schon lange befreundet. Egli wollte immerzu überprüfen, ob du noch am Leben bist, doch deine Mutter ließ das nicht zu.
Ihr war nichts geblieben außer dir. Sie klammerte sich an dich.“