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Justiz

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Justiz
Название: Justiz
Дата добавления: 15 январь 2020
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Justiz - читать бесплатно онлайн , автор Дюрренматт Фридрих

Justiz ist ein (Kriminal-) Roman. Er behandelt den ?ffentlichen Mord eines schweizer Kantonsrates an einem Professoren; erz?hlt aus der Ich-Perspektive des jungen Anwaltes Sp?t, der den Auftrag des verurteilten Kantonsrates annimmt, den Mord unter der Annahme, dieser sei nicht der M?rder, erneut zu untersuchen.

Der junge Anwalt (…) erkennt zu sp?t, in welche Falle ihn die Justiz geraten l??t, weil er sie mit der Gerechtigkeit verwechselt. “ (Friedrich D?rrenmatt)

D?rrenmatt begann nach eigenen Worten mit der Arbeit an Justiz im Jahr 1957, der Roman sollte nach einigen Monaten abgeschlossen sein. Da jedoch Arbeit an anderen Werken dazwischen kam, blieb Justiz liegen, bis D?rrenmatt schlie?lich die Arbeit daran ganz einstellte. Im Jahr 1980 wollte er den Roman als 30. Band seiner Werkausgabe abschlie?en, scheiterte jedoch daran, dass er die urspr?nglich geplante Handlung nicht mehr rekonstruieren konnte. 1985 schlie?lich setzte er sich erneut daran, entwickelte auf dem vorhandenen Fragment eine neue Handlung; und so erschien der Roman, „wenn auch wohl in einem anderen Sinn als urspr?nglich geplant.

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Mörder handeln im allgemeinen aus handfesten Motiven. Aus Hunger oder aus Liebe. Geistige Motive sind selten und dann in der Verzerrung, die sie durch die Politik erfahren haben. Religiöse Motive kommen kaum mehr vor und führen direkt ins Irrenhaus. Der Kantonsrat jedoch handelte aus Wissenschaftlichkeit. Das scheint absurd. Aber er war ein Denker. Seine Motive waren nicht konkret, sondern abstrakt. Hier mußte man ihn fassen. Er liebte das Billard nicht als Spiel an sich, sondern weil es ihm als Modell der Wirklichkeit diente. Als eine ihrer möglichen Vereinfachungen (Modell der Wirklichkeit, ich brauche einen Lieblingsausdruck Mocks, des Bildhauers, der sich viel mit Physik abgibt und wenig bildhauert, ein wirrer Spinnbruder, bei dem ich in letzter Zeit öfters in seinem Atelier sitze — wo soll man hierzulande nach Mitternacht noch trinken —, mit dem ein Gespräch seiner Taubheit wegen nur schwer möglich ist, der mir aber viele Lichter ansteckt). Aus dem gleichen Grunde beschäftigte sich Kohler mit den Naturwissenschaften und der Mathematik. Sie stellten für ihn ebenfalls» Modelle der Wirklichkeit «dar. Doch genügten ihm diese Modelle nicht mehr, er mußte zum Mord schreiten, um ein neues» Modell «zu schaffen. Er experimentierte mit einem Verbrechen, der Mord wurde eine bloße Methode. Deshalb der Auftrag an Knulpe, die Folgen des Mordes zu bestimmen, deshalb aber auch der groteske Auftrag, einen anderen» möglichen «Mörder zu suchen. Erst jetzt in seinem Arbeitszimmer, allein mit den Dingen, mit denen sich der Alte beschäftigte, begriff ich das Gespräch, das ich mit ihm im Zuchthaus geführt hatte.»Es gilt, die Wirklichkeit auszuloten, die Wirkungen einer Tat exakt auszumessen «und» wir haben das Wirkliche umzudenken, um ins Mögliche vorzustoßen«. Der Dr.h.c. hatte mit offenen Karten gespielt, aber ich hatte sein Spiel nicht begriffen. Erst wenn sein Spiel ernst genommen wurde, kam das Motiv zum Vorschein: er hatte getötet, um zu beobachten, gemordet, um die Gesetze zu untersuchen, die der menschlichen Gesellschaft zugrunde liegen. Hätte er jedoch dieses Motiv vor Gericht zugegeben, wäre es als bloße Ausrede betrachtet worden. Das Motiv war zu abstrakt für die Justiz. Aber das Denken der Wissenschaft ist nun einmal so beschaffen. Seine Abstraktheit ist sein Schutz. Doch kann es aus seiner Geborgenheit auf einmal hervorbrechen und gefährlich werden. Dann stehen wir ihm wehrlos gegenüber. Daß mit Kohlers Experiment etwas Ähnliches geschah, ist nicht zu bestreiten: Wissenschaftlicher Geist ging auf Mord aus. Damit ist weder der Kantonsrat freigesprochen noch die Wissenschaft angegriffen. Je geistiger das Motiv eines Gewaltakts, desto böser ist es, je bewußter, desto weniger zu entschuldigen. Es wird unmenschlich. Eine Blasphemie. Insofern sah ich damals richtig, in dieser Hinsicht bestätigte sich meine Vision. Sie bewahrte mich davor, Kohler zu bewundern und ihn je als unschuldig zu betrachten. Sie half mir, ihn zu verabscheuen. Die Gewißheit, daß er der Mörder war, konnte mich von dieser Stunde an niemals verlassen. Bedauerlich war nur, daß ich damals nicht die Gefährlichkeit der Partie erkannte, die Kohler mit meiner Hilfe nun weiterführte. Ich glaubte, Mitmachen sei nichts weiter als eine harmlose technische Angelegenheit, ohne Folgen. Ich stellte mir vor, die Partie würde sich im leeren Raum abspielen, allein im Geiste eines gotteslästerlichen Menschen. Sein Spiel begann mit einem Mord. Warum erkannte ich damals nicht, daß es zwangsläufig zu einem zweiten Mord führen mußte, zu einem Mord, den nicht mehr der Dr. h. c., sondern wir verüben mußten, wir, die Vertreter der Justiz, mit der der Alte spielte?

Zweitens seelisch: Eine große Begegnung verlangt nicht nur einen genauen Rahmen, sie erhebt auch Anspruch, in einer ihr angemessenen Verfassung berichtet zu werden. Deshalb gewaltig gesoffen und gehurt. Getrunken habe ich zuerst einige Liter Apfelwein, stilwidrig, ich weiß (Preisfrage), doch trank ich ihn nur, um mich in Fahrt zu bringen, als das Mädchen dabei war, ging ich zum Kognak über. Keine Angst, mein Magen war immer unverwüstlich. Das Mädchen war übrigens nicht Giselle (die mit der bemerkenswerten Figur), sondern Monika (oder Marie oder Marianne, jedenfalls begann ihr Name mit M), es ging groß her, später wußte sie eine Menge Volkslieder aus deutschen Filmen, ich schlief ein, noch später war sie mit meinem Bargeld verschwunden. Ich war inzwischen zu Birnenschnaps übergegangen und fand sie in einem alkoholfreien Cafe in der Nähe des Bellevue. Ich stöberte sie mit Giselle und mit deren Beschützer wieder auf (der schon erwähnte Lucky), welcher sich auch als ihr Beschützer erwies. Ich stellte sie zur Rede, und er stellte humanerweise das Finanzielle richtig, Marlene (oder Monika oder Magdalena) mußte herausgeben. Überhaupt ging es menschlich zu. Sogar nobel, die Kellnerin übersah, daß ich meine Flasche Williamine mitgebracht hatte, wir tranken alle vier. Dann kam Hélène, ganz unverhofft, ganz unerwartet, wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Aus einer schlechteren Welt. Seit ich sie mit Stüssi-Leupin gesehen hatte — wann war das, vor zwei Monaten, drei, vor einem halben Jahr? — , hatte ich nicht an sie gedacht, zwar noch, als einst, in irgendeiner Nacht, gegen den Morgen zu, die nackte Giselle über mir wie ein geschaukelter Buddha thronte, aber dann nicht mehr, bestimmt nicht mehr — nur noch flüchtig, als ich über die regennasse Straße beim Bellevue ging, aber das zählt nicht, war nur eine Auswirkung des Wetterumsturzes aufs Gemüt —, und nun stand sie da, mußte mich direkt im Café gesucht haben. Ich mußte lachen, alles lachte. Hélène blieb ruhig, freundlich, überlegen, klar, alles was man will an tadelloser Haltung, das war ja das Verzweifelte, daß sie sich immer beherrschte, ruhig, freundlich, überlegen, klar blieb, ich hätte sie töten, ermorden, erdrosseln, vergewaltigen können, zu einer Hure machen, das wäre mir das liebste gewesen.

«Ich habe mit Ihnen zu reden, Herr Spät«, sagte sie und sah mich bittend an.

«Was ist denn das für ein Mädchen?«fragte Giselle.

«Ein feines Mädchen«, erklärte ich,»ein Mädchen aus gutem Hause, das Töchterlein eines Mörders.»

«Mit wem schläft sie denn?«wollte Marianne (oder Magdalene oder Madeleine) wissen.

«Sie liegt mit einem Super-Rechtsanwalt im Bett«, erläuterte ich,»mit dem Star aller juristischen Stare, mit einem ausgebildeten Galgenvogel, mit dem großen Allerweltsadvokaten Stüssi-Leupin, jeder Fick ist da ein juristischer Akt.»

«Herr Spät«, sagte Hélène.

«Nehmen Sie Platz«, antwortete ich.»Wünschen Sie auf dem Schoß dieses famosen Herrn Lucky zu sitzen, der diese zwei Mädchen beschützt und dessen Rechtsanwalt zu sein ich die Ehre habe, oder wünschen Sie einen Sessel?»

«Einen Sessel«, antwortete Hélène leise.

Lucky schob ihr einen Sessel zu, höflich, piekfein, eben ganz der weltmännische Lucky mit dem schwarzen Schnurrbärtchen, dem Palmolive-Gesicht und dem braunen Apostelblick, verbeugte sich sogar, stank meilenweit nach Parfüm und Camel. Sie setzte sich zögernd.»Eigentlich wollte ich mit Ihnen allein reden«, sagte sie.

«Unnötig«, lachte ich.»Wir haben hier keine Geheimnisse. Mit Fräulein Giselle schlafe ich seit Wochen, mit der wackeren Monika oder Marianne, weiß der Teufel, wie sie heißt, diese Nacht. Sie sehen, es geht öffentlich genug zu. Also schießen Sie los.»

Hélène hatte Tränen in den Augen.

«Sie haben mich einmal etwas gefragt.»

«Weiß.»

«Als ich mit Herrn Stüssi-Leupin Kaffee…»

«Es ist mir vollkommen klar, was Sie meinen«, unterbrach ich sie,»nur brauchen Sie nicht vor diesen Schuft noch ein Herr zu setzen.»

«Ich hatte damals den Sinn Ihrer Frage nicht verstanden«, sagte sie leise.

Es war auf einmal still geworden. Giselle war von meinem Schoß geglitten, schminkte sich. Ich wurde wütend, goß Williamine hinunter, bemerkte plötzlich, daß meine Haare verklebt waren, mein Gesicht schweißig, daß meine Augen brannten, daß ich mich nicht rasiert hatte, daß ich stank, die plötzliche Verlegenheit der Mädchen ärgerte mich gewaltig, es war, als ob sie sich vor Hélène schämten, als ob Heilsarmeestimmung sich ausbreitete, ich hätte alles zusammenschlagen können, die Welt war verkehrt. Hélène hätte kriechen sollen vor diesen Mädchen, sollte auch kriechen. Ich trank immer mehr Williamine, ohne etwas zu sagen, stierte einfach in das stille Gesicht vor mir mit den großen dunklen Augen.

«Fräulein Hélène Kohler«, lallte ich, mich erhebend, umständlich, schwankend, aber es ging.»Fräulein Hélène Kohler, ich will Ihnen nun eine Erklärung, eine grundsätzliche Erklärung abgeben — jawohl, abgeben, das ist das richtige Wort. Ich habe Sie mit Ihrem Beischläfer — Ruhe, meine Damen — ich habe Sie, Hélène Kohler, mit Ihrem Beischläfer Stüssi-Leupin getroffen. Stimmt. Ich habe Sie gefragt, ob Sie am Mordtag die Stewardeß gewesen seien, und zwar im Flugzeug, das den englischen Minister nach seiner jämmerlichen Insel bringen sollte. Stimmt, stimmt, stimmt. Sie haben diese Frage bejaht. Und nun will ich Ihnen das Entscheidende geradeheraus ins Gesicht schleudern — jawohl, schleudern, mit Wucht, Hélène Kohler: Im Mantel des Ministers ist ein Revolver gewesen. Diesen Revolver haben Sie zu sich genommen, das haben Sie ja als Stewardeß leicht gekonnt, und dieser Revolver war die Waffe Ihres werten Herrn Papa gewesen, die nie gefundene Mordwaffe, das wissen Sie genau. Sie sind eine Mittäterin, Hélène Kohler, nicht nur die Tochter eines Mörders, sondern selber eine Mörderin. Sie sind mir verhaßt, Hélène Kohler, ich kann Sie nicht mehr riechen, denn Sie stinken nach Mord wie Ihr hündischer Vater und nicht nur nach Schnaps und Hurerei wie ich. Sie sollen lebendigen Leibes verfaulen, ich wünsche Ihnen den Krebs in Ihre werte Gebärmutter, denn kämen Sie mit einem kleinen Stüssi-Leupin nieder, ginge es mit unserer Welt zu Ende, sie wäre zu zerbrechlich, ein solches Monstrum zu tragen. Dafür ist mir die Welt aber trotz ihrer Sünden zu schade, diesen wunderschönen Huren zuliebe, an die Sie nicht heranreichen, Gnädigste, die ein ehrliches Gewerbe betreiben und nicht ein mörderisches, meine Heißgeliebte, und nun verduften Sie gefälligst, hauen Sie ab. Legen Sie sich unter Ihren Staradvokaten…»

Sie ging. Was sich dann ereignete, ist mir nicht mehr deutlich. Ich stürzte, glaube ich, lag jedenfalls bäuchlings auf dem Boden, ein Tischchen fiel möglicherweise auch um, die Flasche Williamine lief aus (das ist ganz sicher), ein Gast mit Denkerstirne und Brille beschwerte sich, die Wirtin kam herangesegelt, eine richtige Hurenmami, Lucky, der Noble, brachte mich auf die Toilette, ich ärgerte mich plötzlich über seinen Schnurrbart, begann ihn zu schlagen, er war früher Amateurboxer gewesen, es gab Blut, ich lag im Pissoir, es war unangenehm, vor allem weil es so was faustdick aufgetragen Symbolisches an sich hatte, wie in einem schlechten Film, auf einmal kam die Polizei, Wachtmeister Stuber mit zwei Mann. Sie nahmen mich für einige Stunden auf die Wache. Verhör, Protokoll usw.

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