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Bitterschokolade (Горький шоколад)

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Bitterschokolade (Горький шоколад)
Название: Bitterschokolade (Горький шоколад)
Дата добавления: 16 январь 2020
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Bitterschokolade (Горький шоколад) - читать бесплатно онлайн , автор Пресслер Мириам

Mirjam Pressler, geboren 1940 in Darmstadt, besuchte die Hochschule f?r Bildende K?nste in Frankfurt und lebt heute als freischaffende Autorin und ?bersetzerin in M?nchen. Im Programm Beltz & Gelberg erschienen u.a. die Romane Bitterschokolade (Oldenburger Jugendbuchpreis 1980), Kratzer im Lack, Novemberkatzen, Nickel Vogelpfeifer (Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 1987), Wenn das Gl?ck kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen (Deutscher Jugendliteraturpreis) sowie die Biographie ?ber Anne Frank Ich sehne mich so. F?r ihr ?bersetzerwerk wurde Mirjam Press­ler mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises 1994 ausge­zeichnet.

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Romane Bitterschokolade

1

»Eva«, sagte Herr Hochstein. Eva senkte den Kopf, griff nach ihrem Fьller, schrieb. »Eva«, sagte Herr Hochstein noch einmal. Eva senkte den Kopf tiefer, griff nach Lineal und Bleistift, zeichnete die Pyramide. Sie hцrte ihn nicht. Sie wollte ihn nicht hцren. Nicht aufstehen, nicht zur Tafel gehen. Jetzt hatte sie gewa­ckelt. Blind tastete sie nach dem Federmдppchen, lieЯ ihre Finger ьber die Gegenstдnde gleiten, harte Blei­stifte, ein kleiner, kantiger Metallspitzer, der Kugel­schreiber mit der abgebrochenen Klammer, aber kein Radiergummi. Sie nahm ihre Schultasche auf die Knie, suchte mit gesenktem Kopf. Man kann lange nach ei­nem Radiergummi wьhlen. Ein Radiergummi ist klein in einer Schultasche.

»Barbara«, sagte Herr Hochstein. In der dritten Rei­he erhob sich Babsi und ging zur Tafel. Eva schaute nicht auf. Aber sie wusste trotzdem, wie Babsi ging, mit schmalen, langen Beinen, mit dem kleinen Hintern in engen Jeans.

Eva fand den Radiergummi und hдngte die Schulta­sche wieder an den Haken. Sie radierte die verwackelte Linie und zog sie neu.

»Gut hast du das gemacht, Barbara«, sagte Herr

Hochstein. Babsi kam durch den schmalen Gang zwi­schen den Bankreihen zurьck und setzte sich. In ihr Stuhlrьcken hinein schrillte die Glocke.

Dritte Stunde Sport. Gekicher und Lachen im Um­kleideraum. Es wьrde ein heiЯer Tag werden, es war jetzt schon heiЯ. Eva zog ihre schwarzen Leggings an, wie immer, und dazu ein schwarzes T-Shirt mit kurzen Дrmeln. Sie gingen zum Sportplatz. Frau Madler pfiff und alle stellten sich in einer Reihe auf. Handball.

»Alexandra und Susanne wдhlen die Mannschaft.«

Eva kauerte sich nieder, цffnete die Schleife an ihrem linken Turnschuh, zog den Schnьrsenkel heraus und fдdelte ihn neu ein.

Alexandra sagte: »Petra.«

Susanne sagte: »Karin.«

Eva hatte den Schnьrsenkel durch die beiden unters­ten Lцcher geschoben und zog ihn gerade, sorgfдltig zog sie die beiden Teile auf gleiche Lдnge.

»Karola.« - »Anna.« - »Ines.« - »Nina.« - »Kath-rin.«

Eva fдdelte langsamer.

»Maxi.« - »Ingrid.« - »Babsi.« - »Monika.« - »Fran-ziska.« - »Christine.«

Eva begann mit der Schleife. Sie kreuzte die Bдnder und zog sie zusammen.

»Sabine Mьller.« - »Lena.« - »Claudia.« - »Ruth.« -»Sabine Karl.«

Eva lieЯ das Band ьber ihre Finger gleiten, legte die

Schleife und hielt sie zwischen Daumen und Zeigefin­ger fest.

»Irmgard.« — »Maja.« - »Inge.« - »Ulrike.« - »Han­na.« - »Kerstin.«

Ich mьsste meine Turnschuhe mal wieder waschen, dachte Eva, sie haben es nцtig.

»Gabi.« - »Anita.« - »Agnes.« - »Eva.«

Eva zog die Schleife fest und erhob sich. Sie war in Alexandras Gruppe.

Eva schwitzte. Der SchweiЯ rann ihr von der Stirn ьber die Augenbrauen, ьber die Backen und manchmal sogar in die Augen. Immer wieder musste sie ihn mit dem Unterarm und dem Handrьcken wegwischen. Der Ball war hart und schwer, und die Finger taten ihr weh, wenn sie ihn einmal erwischte.

Auch die anderen hatten groЯe SchweiЯflecken unter den Armen, als die Stunde zu Ende war. Eva ging sehr langsam zum Umkleideraum, sie zog sich sehr langsam aus. Als sie sich ihr groЯes Handtuch ьbergehдngt hatte und die Tьr aufmachte, waren nur noch ein paar Mдdchen im Duschraum. Sie ging zur hintersten Du­sche, zu der in der Ecke. Nun beeilte sie sich, lieЯ das kalte Wasser ьber Rьcken und Bauch laufen, nicht ьber den Kopf, das Fцnen dauerte bei ihr zu lange. Mit den Hдnden klatschte sie sich Wasser ins Gesicht. Die Zementwand bekam dunkle Flecken, wo sie nass geworden war. Jetzt war Eva ganz allein im Dusch­raum. In aller Ruhe trocknete sie sich ab und hдngte

sich das Handtuch wieder so ьber die Schulter, dass es ihren Busen und ihren Bauch verdeckte. Im Umkleide-rauni war niemand mehr. Als sie sich gerade ihren Rock angezogen hatte, цffnete Frau Madler die Tьr. »Ach, Eva, du bist noch da. Bring mir doch nachher den Schlьssel.«

Eva kreuzte die Arme vor ihrer Brust und nickte.

Die groЯe Pause hatte schon angefangen. Eva holte sich ihr Buch aus dem Klassenzimmer und ging in den Pausenhof. Sie drдngte sich zwischen den Mдdchen hindurch bis zu ihrer Ecke am Zaun. Ihre Ecke! Sie setzte sich auf den Zementsockel des Zaunes und blдt­terte in ihrem Buch, suchte die Stelle, an der sie gestern Abend aufgehцrt hatte zu lesen. Neben ihr standen Lena, Babsi, Karola und Tine. Babsi war aber doch die Schцnste. Dass sie sich das traute, das enge, weiЯe T-Shirt ьber der nackten Brust!

Eva fand die Stelle im Buch. Ich betrachtete den To­ten, seine ausgezehrte Gestalt. Die Falten in seinem Gesicht, obwohl er hцchstens fьnfunddreiЯig sein mochte. Er war einen fьr die Indios typischen Tod ge­storben. An Entkrдftung. Sie kauen Kokablдtter, um den Hunger zu unterdrьcken, und eines Tages fallen sie um und sind tot.

»Ich war gestern in der Disko. Mit Johannes, dem Sohn von Dr. Braun.«

»Mensch, Babsi, das ist ja toll. Wie ist der denn so, so aus der Nдhe?«

»Prima. Und tanzen kann der!«

Eva las weiter in »Warum zeigst du der Welt das Licht?« Vom schlanken Schlemmer bis hin zur Holly­woodkur fiel mir alles ein. Von der Vernichtung der Ьberproduktion in der EWG bis zu den Appetithem­mern, die in den Schaufenstern der Apotheken ange­priesen werden.

»Seid ihr mit seinem Auto gefahren?«

»Natьrlich.«

»Mein Bruder ist mit ihm in einer Klasse.«

Er hatte Hunger, ich wusste es. Auch ich hatte Hun­ger, und ich konnte meine Rцcke nur mehr mit Sicher­heitsnadeln daran hindern, mir am Kцrper herunterzu­rutschen. Ich machte die natьrlichste Abmagerungskur der Welt. Ich hatte wenig zu essen.

Die Mдdchen kicherten. Eva konnte nichts mehr verstehen, sie flьsterten jetzt. Franziska setzte sich ne­ben Eva.

»Was liest du denn?«

Eva klappte das Buch zu, den noch nicht gelesenen Teil zwischen Ringfinger und Mittelfinger haltend.

»Warum zeigst du der Welt das Licht?«, las Franzis­ka laut. »Ich kenne es auch. Gefдllt es dir?«

Eva nickte. »Es ist spannend. Und manchmal trau­rig.«

»Magst du traurige Bьcher?«

»Ja. Ich finde, wenn ein Buch gut sein soll, muss man wenigstens einmal weinen kцnnen beim Lesen.«

»Ich weine eigentlich nie beim Lesen. Aber im Kino, wenn es traurig ist, weine ich sehr schnell.«

»Bei mir ist es umgekehrt. Im Kino weine ich nie, aber beim Lesen oft. Ich gehe aber auch selten ins Kino.«

»Wir kцnnten doch mal zusammen gehen. Magst du?«

Eva zuckte mit den Schultern. »Kцnnten wir.«

Wann weinte sie? Welche Stellen in Bьchern waren es, die sie zum Weinen brachten? Eigentlich immer Worte wie Liebe, Streicheln, Vertrauen, Einsamkeit, richtig kitschige Worte. Eva betrachtete Karola und Lena. Lena hatte den Arm um Karola gelegt, sehr be­sitzergreifend, sehr selbstbewusst. So, genau so, hatte Karola frьher den Arm um sie gelegt. Eva kannte das Gefьhl von Wдrme, das man fьhlt, wenn man von je­mand anders den Arm um die Schulter gelegt be­kommt, so ganz offen, vor allen anderen, so selbstver­stдndlich. Es tat weh, das zu sehen. Wussten denn die, die das taten, die ihre Vertrautheit miteinander de­monstrierten, nicht, wie weh das den anderen tat? De­nen, die niemand hatten, die allein waren, ohne Nдhe, ohne jemanden, den man unbefangen anfassen konnte, wenn man wollte.

Eva stand auf. »Ich hole mir noch einen Tee«, sagte sie. Sie wollte Franziska nicht verletzen, die Einzige, von der sie begrьЯt wurde, wenn sie morgens in die Klasse kam.

Eva kam immer spдt, im letzten Moment. An der Ecke FriedrichstraЯe/ElisabethstraЯe war eine Nor­maluhr, dort wartete sie immer, bis es vier Minuten vor acht war, um ja nicht zu frьh anzukommen, um dem morgendlichen >WeiЯt-du-gestern-habe-ich< zu entge­hen.

Der Tee schmeckte schal und sьЯlich. Er war nur heiЯ.

Eva stand vor dem Schaufenster des Feinkostladens Schneider. Sie hatte sich dicht an die Schaufensterschei­be gestellt, damit sie ihr Bild im Glas nicht sehen musste, eine verzerrte, verschwommene Eva. Sie wollte das nicht sehen. Sie wusste auch so, dass sie zu fett war. Jeden Tag, fьnfmal in der Woche, konnte sie sich mit anderen vergleichen. Fьnf Vormittage, an denen sie gezwungen war zuzuschauen, wie die anderen in ihren engen Jeans herumliefen. Nur sie war so fett. Sie war so fett, dass keiner sie anschauen mochte. Als sie elf oder zwцlf Jahre alt gewesen war, hatte es damit ange­fangen, dass sie immer Hunger hatte und nie satt wur­de. Und jetzt, mit fьnfzehn, wog sie einhundertvier-unddreiЯig Pfund. Siebenundsechzig Kilo, und sie war nicht besonders groЯ.

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