Ecce homo. Wie man wird, was man ist
Ecce homo. Wie man wird, was man ist читать книгу онлайн
Ecce homo. Wie man wird, was man ist ist eine autobiographische Schrift des Philosophen Friedrich Nietzsche. Nietzsche arbeitete von Oktober 1888 bis zu seinem Zusammenbruch Anfang 1889 an dem Werk, das zum ersten Mal 1908 im Auftrag des Nietzsche-Archivs ver?ffentlicht wurde. Es ist nicht vollst?ndig ?berliefert und in seiner heute anerkannten Form erst seit den 1970ern bekannt.
In Ecce homo gibt Nietzsche r?ckblickend Deutungen seiner philosophischen Schriften und pr?sentiert sich selbst und seine Erkenntnisse als schicksalhafte Ereignisse von weltbewegender Gr??e. Dabei stehen die Themen seines Sp?twerks, besonders die Kritik am Christentum und die angek?ndigte „Umwertung aller Werte“, im Vordergrund.
Es gibt unterschiedliche Ansichten dar?ber, wie glaubw?rdig Nietzsches Darstellungen sind und wie sehr die Schrift bereits von seiner Geisteskrankheit beeinflusst ist. Dennoch sind Nietzsches Selbstdeutungen in Ecce homo oft als Ausgangspunkt f?r weitere biographische und philosophische Deutungen seines Werks genommen worden. Als letztes gr??eres Werk Nietzsches – die gleichzeitig entstandenen, kleineren Werke Nietzsche contra Wagner und Dionysos-Dithyramben sind im Wesentlichen aus ?lterem Material kompiliert – nimmt es in der Nietzsche-Rezeption eine Sonderstellung ein.
Внимание! Книга может содержать контент только для совершеннолетних. Для несовершеннолетних чтение данного контента СТРОГО ЗАПРЕЩЕНО! Если в книге присутствует наличие пропаганды ЛГБТ и другого, запрещенного контента - просьба написать на почту [email protected] для удаления материала
Dies war für Deutsche gesagt: denn überall sonst habe ich Leser — lauter ausgesuchte Intelligenzen, bewährte, in hohen Stellungen und Pflichten erzogene Charaktere; ich habe sogar wirkliche Genies unter meinen Lesern. In Wien, in St. Petersburg, in Stockholm, in Kopenhagen, in Paris und New-York — überall bin ich entdeckt: ich bin es nicht in Europa's Flachland Deutschland ... Und, dass ich es bekenne, ich freue mich noch mehr über meine Nicht-Leser, solche, die weder meinen Namen, noch das Wort Philosophie je gehört haben; aber wohin ich komme, hier in Turin zum Beispiel, erheitert und vergütigt sich bei meinem Anblick jedes Gesicht. Was mir bisher am meisten geschmeichelt hat, das ist, dass alte Hökerinnen nicht Ruhe haben, bevor sie mir nicht das Süsseste aus ihren Trauben zusammengesucht haben. Soweit muss man Philosoph sein. — . Man nennt nicht umsonst die Polen die Franzosen unter den Slaven. Eine charmante Russin wird sich nicht einen Augenblick darüber vergreifen, wohin ich gehöre. Es gelingt mir nicht, feierlich zu werden, ich bringe es höchstens bis zur Verlegenheit ... Deutsch denken, deutsch fühlen — ich kann Alles, aber das geht über meine Kräfte ... Mein alter Lehrer Ritschl behauptete sogar, ich concipirte selbst noch meine philologischen Abhandlungen wie ein Pariser romancier — absurd spannend. In Paris selbst ist man erstaunt über »toutes mes audaces et finesses« — der Ausdruck ist von Monsieur Taine —; ich fürchte, bis in die höchsten Formen des Dithyrambus findet man bei mir von jenem Salze beigemischt, das niemals dumm — »deutsch« — wird, esprit ... Ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen. — Wir wissen Alle, Einige wissen es sogar aus Erfahrung, was ein Langohr ist. Wohlan, ich wage zu behaupten, dass ich die kleinsten Ohren habe. Dies interessirt gar nicht wenig die Weiblein —, es scheint mir, sie fühlen sich besser von mir verstanden? ... Ich bin der Antiesel par excellence und damit ein welthistorisches Unthier, — ich bin, auf griechisch, und nicht nur auf griechisch, der Antichrist...
Ich kenne einigermassen meine Vorrechte als Schriftsteller; in einzelnen Fällen ist es mir auch bezeugt, wie sehr die Gewöhnung an meine Schriften den Geschmack »verdirbt«. Man hält einfach andre Bücher nicht mehr aus, am wenigsten philosophische. Es ist eine Auszeichnung ohne Gleichen, in diese vornehme und delikate Welt einzutreten, — man darf dazu durchaus kein Deutscher sein; es ist zuletzt eine Auszeichnung, die man sich verdient haben muss. Wer mir aber durch Höhe des Wollens verwandt ist, erlebt dabei wahre Ekstasen des Lernens: denn ich komme aus Höhen, die kein Vogel je erflog, ich kenne Abgründe, in die noch kein Fuss sich verirrt hat. Man hat mir gesagt, es sei nicht möglich, ein Buch von mir aus der Hand zu legen, — ich störte selbst die Nachtruhe ... Es giebt durchaus keine stolzere und zugleich raffinirtere Art von Büchern: sie erreichen hier und da das Höchste, was auf Erden erreicht werden kann, den Cynismus; man muss sie sich ebenso mit den zartesten Fingern wie mit den tapfersten Fäusten erobern. Jede Gebrechlichkeit der Seele schliesst aus davon, ein für alle Male, selbst jede Dyspepsie: man muss keine Nerven haben, man muss einen fröhlichen Unterleib haben. Nicht nur die Armut, die Winkel-Luft einer Seele schliesst davon aus, noch viel mehr das Feige, das Unsaubere, das Heimlich-Rachsüchtige in den Eingeweiden: ein Wort von mir treibt alle schlechten Instinkte ins Gesicht. Ich habe an meinen Bekannten mehrere Versuchsthiere, an denen ich mir die verschiedene, sehr lehrreich verschiedene Reaktion auf meine Schriften zu Gemüthe führe. Wer nichts mit ihrem Inhalte zu thun haben will, meine sogenannten Freunde zum Beispiel, wird dabei »unpersönlich«: man wünscht mir Glück, wieder »so weit« zu sein, — auch ergäbe sich ein Fortschritt in einer grösseren Heiterkeit des Tons ... Die vollkommen lasterhaften »Geister«, die »schönen Seelen«, die in Grund und Boden Verlognen, wissen schlechterdings nicht, was sie mit diesen Büchern anfangen sollen, — folglich sehn sie dieselben unter sich, die schöne Folgerichtigkeit aller »schönen Seelen«,. Das Hornvieh unter meinen Bekannten, blosse Deutsche, mit Verlaub, giebt zu verstehn, man sei nicht immer meiner Meinung, aber doch mitunter, zum Beispiel ... Ich habe dies selbst über den Zarathustra gehört ... Insgleichen ist jeder »Femininismus« im Menschen, auch im Manne, ein Thorschluss für mich: man wird niemals in dies Labyrinth verwegener Erkenntnisse eintreten. Man muss sich selbst nie geschont haben, man muss die Härte in seinen Gewohnheiten haben, um unter lauter harten Wahrheiten wohlgemuth und heiter zu sein. Wenn ich mir das Bild eines vollkommnen Lesers ausdenke, so wird immer ein Unthier von Muth und Neugierde daraus, ausserdem noch etwas Biegsames, Listiges, Vorsichtiges, ein geborner Abenteurer und Entdecker. Zuletzt: ich wüsste es nicht besser zu sagen, zu wem ich im Grunde allein rede, als es Zarathustra gesagt hat: wem allein will er sein Räthsel erzählen?
Euch, den kühnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen Segeln auf furchtbare Meere einschiffte, —
euch, den Räthsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit Flöten zu jedem Irrschlunde gelockt wird:
— denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und wo ihr errathen könnt, da hasst ihr es, zu erschliessen ...
Ich sage zugleich noch ein allgemeines Wort über meine Kunst des Stils. Einen Zustand, eine innere Spannung von Pathos durch Zeichen, eingerechnet das tempo dieser Zeichen, mitzutheilen — das ist der Sinn jedes Stils; und in Anbetracht, dass die Vielheit innerer Zustände bei mir ausserordentlich ist, giebt es bei mir viele Möglichkeiten des Stils — die vielfachste Kunst des Stils überhaupt, über die je ein Mensch verfügt hat. Gut ist jeder Stil, der einen inneren Zustand wirklich mittheilt, der sich über die Zeichen, über das tempo der Zeichen, über die Gebärden — alle Gesetze der Periode sind Kunst der Gebärde — nicht vergreift. Mein Instinkt ist hier unfehlbar. — Guter Stil an sich — eine reine Thorheit, blosser »Idealismus«, etwa, wie das »Schöne an sich«, wie das »Gute an sich«, wie das »Ding an sich«... Immer noch vorausgesetzt, dass es Ohren giebt — dass es Solche giebt, die eines gleichen Pathos fähig und würdig sind, dass die nicht fehlen, denen man sich mittheilen darf. — Mein Zarathustra zum Beispiel sucht einstweilen noch nach Solchen — ach! er wird noch lange zu suchen haben! — Man muss dessen werth sein, ihn zu hören ... Und bis dahin wird es Niemanden geben, der die Kunst, die hier verschwendet worden ist, begreift: es hat nie jemand mehr von neuen, von unerhörten, von wirklich erst dazu geschaffnen Kunstmitteln zu verschwenden gehabt. Dass dergleichen gerade in deutscher Sprache möglich war, blieb zu beweisen: ich selbst hätte es vorher am härtesten abgelehnt. Man weiss vor mir nicht, was man mit der deutschen Sprache kann, — was man überhaupt mit der Sprache kann. — Die Kunst des grossen Rhythmus, der grosse Stil der Periodik zum Ausdruck eines ungeheuren Auf und Nieder von sublimer, von übermenschlicher, Leidenschaft ist erst von mir entdeckt; mit einem Dithyrambus wie dem letzten des dritten Zarathustra, »die sieben Siegel«, überschrieben, flog ich tausend Meilen über das hinaus, was bisher Poesie hiess.
— Dass aus meinen Schriften ein Psychologe redet, der nicht seines Gleichen hat, das ist vielleicht die erste Einsicht, zu der ein guter Leser gelangt — ein Leser, wie ich ihn verdiene, der mich liest, wie gute alte Philologen ihren Horaz lasen. Die Sätze, über die im Grunde alle Welt einig ist, gar nicht zu reden von den Allerwelts-Philosophen, den Moralisten und andren Hohltöpfen, Kohlköpfen — erscheinen bei mir als Naivetäten des Fehlgriffs: zum Beispiel jener Glaube, dass »unegoistisch« und egoistisch« Gegensätze sind, während das ego selbst bloss ein »höherer Schwindel«, ein »Ideal« ist ... Es giebt weder egoistische, noch unegoistische Handlungen: beide Begriffe sind psychologischer Widersinn. Oder der Satz »der Mensch strebt nach Glück« ... Oder der Satz »das Glück ist der Lohn der Tugend«... Oder der Satz »Lust und Unlust sind Gegensätze«... Die Circe der Menschheit, die Moral, hat alle psychologica in Grund und Boden gefälscht — vermoralisirt — bis zu jenem schauderhaften Unsinn, dass die Liebe etwas »Unegoistisches« sein soll ... Man muss fest auf sich sitzen, man muss tapfer auf seinen beiden Beinen stehn, sonst kann man gar nicht lieben. Das wissen zuletzt die Weiblein nur zu gut: sie machen sich den Teufel was aus selbstlosen, aus bloss objektiven Männern ... Darf ich anbei die Vermuthung wagen, dass ich die Weiblein kenne? Das gehört zu meiner dionysischen Mitgift. Wer weiss? vielleicht bin ich der erste Psycholog des Ewig-Weiblichen. Sie lieben mich Alle — eine alte Geschichte: die verunglückten Weiblein abgerechnet, die »Emancipirten«, denen das Zeug zu Kindern abgeht. — Zum Glück bin ich nicht Willens mich zerreissen zu lassen: das vollkommne Weib zerreisst, wenn es liebt ... Ich kenne diese liebenswürdigen Mänaden ... Ah, was für ein gefährliches, schleichendes, unterirdisches kleines Raubthier! Und so angenehm dabei! ... Ein kleines Weib, das seiner Rache nachrennt, würde das Schicksal selbst über den Haufen rennen. — Das Weib ist unsäglich viel böser als der Mann, auch klüger; Güte am Weibe ist schon eine Form der Entartung ... Bei allen sogenannten »schönen Seelen« giebt es einen physiologischen Übelstand auf dem Grunde, — ich sage nicht Alles, ich würde sonst medicynisch werden. Der Kampf um gleiche Rechte ist sogar ein Symptom von Krankheit: jeder Arzt weiss das. — Das Weib, je mehr Weib es ist, wehrt sich ja mit Händen und Füssen gegen Rechte überhaupt: der Naturzustand, der ewige Krieg zwischen den Geschlechtern giebt ihm ja bei weitem den ersten Rang. — Hat man Ohren für meine Definition der Liebe gehabt? es ist die einzige, die eines Philosophen würdig ist. Liebe — in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhass der Geschlechter. — Hat man meine Antwort auf die Frage gehört, wie man ein Weib kurirt — »erlöst«? Man macht ihm ein Kind. Das Weib hat Kinder nöthig, der Mann ist immer nur Mittel: also sprach Zarathustra. — »Emancipation des Weibes« — das ist der Instinkthass des missrathenen, das heisst gebäruntüchtigen Weibes gegen das wohlgerathene, — der Kampf gegen den »Mann« ist immer nur Mittel, Vorwand, Taktik. Sie wollen, indem sie sich hinaufheben, als »Weib an sich«, als »höheres Weib«, als »Idealistin« von Weib, das allgemeine Rang-Niveau des Weibes herunterbringen; kein sichereres Mittel dazu als Gymnasial-Bildung, Hosen und politische Stimmvieh-Rechte. Im Grunde sind die Emancipirten die Anarchisten in der Welt des »Ewig-Weiblichen«, die Schlechtweggekommenen, deren unterster Instinkt Rache ist ... Eine ganze Gattung des bösartigsten »Idealismus« — der übrigens auch bei Männern vorkommt, zum Beispiel bei Henrik Ibsen, dieser typischen alten Jungfrau — hat als Ziel das gute Gewissen, die Natur in der Geschlechtsliebe zu vergiften ... Und damit ich über meine in diesem Betracht ebenso honnette als strenge Gesinnung keinen Zweifel lasse, will ich noch einen Satz aus meinem Moral-Codex gegen das Laster mittheilen: mit dem Wort Laster bekämpfe ich jede Art Widernatur oder wenn man schöne Worte liebt, Idealismus. Der Satz heisst: »die Predigt der Keuschheit ist eine öffentliche Aufreizung zur Widernatur. Jede Verachtung des geschlechtlichen Lebens, jede Verunreinigung desselben durch den Begriff »unrein« ist das Verbrechen selbst am Leben, — ist die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist des Lebens.« —