Ansichten eines Clowns
Ansichten eines Clowns читать книгу онлайн
Внимание! Книга может содержать контент только для совершеннолетних. Для несовершеннолетних чтение данного контента СТРОГО ЗАПРЕЩЕНО! Если в книге присутствует наличие пропаганды ЛГБТ и другого, запрещенного контента - просьба написать на почту [email protected] для удаления материала
»Viel zu rasch«, sagte mein Vater, »du ißt zu hastig. Setz dich jetzt endlich. Trinkst du nichts?«
»Nein«, sagte ich, »ich wollte mir Kaffee machen, aber der ist ja mißlungen.«
»Soll ich dir welchen machen?« fragte er.
»Kannst du das denn?« fragte ich.
»Man rühmt mir nach, daß ich einen sehr guten Kaffee mache«, sagte er.
»Ach, laß nur«, sagte ich, »ich trinke etwas Sprudel, so wichtig ist das nicht.«
»Aber ich machs gern«, sagte er.
»Nein«, sagte ich, »danke. Es sieht in der Küche abscheulich aus. Eine riesige Kaffeepfütze, offene Konservenbüchsen, Eierschalen auf dem Boden.«
»Na gut«, sagte er, »wie du willst.« Er wirkte auf eine unangemessene Weise gekränkt. Er goß mir Sprudel ein, hielt mir sein Zigarettenetui hin, ich nahm eine, er gab mir Feuer, wir rauchten. Er tat mir leid. Ich hatte ihn mit meinem Teller voll Bohnen wahrscheinlich ganz aus dem Konzept gebracht. Er hatte sicher damit gerechnet, bei mir das vorzufinden, was er sich unter Bohème vorstellt: ein gekonntes Durcheinander und allerlei Modernes an Decke und Wänden, aber die Wohnung ist auf eine zufällige Art stillos eingerichtet, fast spießig, und ich merkte, daß ihn das bedrückte. Die Anrichte hatten wir nach einem Katalog gekauft, die Bilder an den Wänden waren lauter Drucke, nur zwei gegenstandlose darunter, einzig hübsch zwei Aquarelle von Monika Silvs, die über der Kommode hängen: Rheinlandschaft III und Rheinlandschaft IV, dunkelgraue Töne mit kaum sichtbaren weißen Spuren. Die paar hübschen Sachen, die wir haben, Stühle, ein paar Vasen und der Teewagen in der Ecke, hat Marie gekauft. Mein Vater ist ein Mensch, der Atmosphäre braucht, und die Atmosphäre in unserer Wohnung machte ihn nervös und stumm.
»Hat Mutter dir erzählt, daß ich hier bin?« fragte ich schließlich, als wir die zweite Zigarette ansteckten, ohne ein Wort gesprochen zu haben.
»Ja«, sagte er, »warum kannst du ihr solche Sachen nicht ersparen.«
»Wenn sie sich nicht mit ihrer Komiteestimme gemeldet hätte, wäre alles anders gekommen«, sagte ich.
»Hast du was gegen dieses Komitee?« fragte er ruhig.
»Nein«, sagte ich, »es ist sehr gut, daß die rassischen Gegensätze versöhnt werden, aber ich habe eine andere Auffassung von Rasse als das Komitee. Neger zum Beispiel sind ja geradezu der letzte Schrei — ich wollte Mutter schon einen Neger, den ich gut kenne, als Krippenfigur anbieten, und wenn man bedenkt, daß es einige hundert Negerrassen gibt. Das Komitee wird nie arbeitslos. Oder Zigeuner«, sagte ich, »Mutter sollte einmal welche zum Tee einladen. Direkt von der Straße. Es gibt noch Aufgaben genug.«
»Darüber wollte ich nicht mit dir reden«, sagte er.
Ich schwieg. Er sah mich an und sagte leise: »Ich wollte mit dir über Geld reden.« Ich schwieg weiter. »Ich nehme an, daß du in ziemlicher Verlegenheit bist. Sag doch was.«
»Verlegenheit ist hübsch gesagt. Ich werde wahrscheinlich ein Jahr lang nicht auftreten können. Sieh hier.« Ich zog das Hosenbein hoch und zeigte ihm mein geschwollenes Knie, ich ließ die Hose wieder runter und zeigte mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf meine linke Brust. »Und hier«, sagte ich. »Mein Gott«, sagte er, »Herz?« »Ja«, sagte ich, »Herz.«
»Ich werde Drohmert anrufen und ihn bitten, dich zu empfangen. Er ist der beste Herzspezialist, den wir haben.«
»Mißverständnis«, sagte ich, »ich brauche Drohmert nicht zu konsultieren.«
»Du sagtest doch: Herz.«
»Vielleicht hätte ich Seele, Gemüt, Inneres sagen sollen — mir schien Herz angebracht.« »Ach so«, sagte er trocken, »diese Geschichte.« Sicher hatte Sommerwild ihm beim Skat in der Herren-Union, zwischen Hasenpfeffer, Bier und einem Herz-Solo ohne drei, die »Geschichte« erzählt. Er stand auf, fing an, auf und ab zu gehen, blieb dann hinter dem Sessel stehen, stützte sich auf die Sessellehne und blickte auf mich herunter.
»Es klingt sicher dumm«, sagte er, »wenn ich dir ein großes Wort sage, aber — weißt du, was dir fehlt? Dir fehlt das, was den Mann zum Manne macht: sich abfinden können.«
»Das habe ich heute schon einmal gehört«, sagte ich.
»Dann hörs zum dritten Mal: finde dich ab.«
»Laß«, sagte ich müde.
»Was glaubst du wohl, wie mir zumute war, als Leo zu mir kam und sagte, er würde katholisch. Es war so schmerzlich für mich wie Henriettes Tod — es hätte mich nicht so geschmerzt, wenn er gesagt hätte, er würde Kommunist. Darunter kann ich mir was vorstellen, wenn ein junger Mensch einen falschen Traum träumt, von sozialer Gerechtigkeit und so weiter. Aber das.« Er klammerte sich an die Sessellehne und schüttelte heftig den Kopf. »Das. Nein. Nein.« Es schien ihm ernst zu sein. Er war ganz blaß geworden und sah viel älter aus, als er ist.
»Setz dich, Vater«, sagte ich, »trink jetzt einen Kognak.«
Er setzte sich, nickte zu der Kognakflasche hin, ich holte ein Glas aus der Anrichte, goß ihm ein, und er nahm den Kognak und trank ihn, ohne mir zu danken oder zuzuprosten. »Du verstehst das sicher nicht«, sagte er.
»Nein«, sagte ich.
»Mir ist bange um jeden jungen Menschen, der an diese Sache glaubt«, sagte er, »deshalb hat es mich so schrecklich getroffen, aber auch damit habe ich mich abgefunden — abgefunden. Was siehst du mich so an?«
»Ich muß dir etwas abbitten«, sagte ich, »wenn ich dich im Fernsehen sah, habe ich gedacht, du wärst ein großartiger Schauspieler. Sogar ein bißchen Clown.«
Er sah mich mißtrauisch an, fast gekränkt, und ich sagte rasch: »Nein wirklich, Papa, großartig.« Ich war froh, daß ich das Papa wiedergefunden hatte.
»Sie haben mich einfach in diese Rolle gedrängt«, sagte er.
»Sie steht dir gut«, sagte ich, »und was du daran spielst, ist gut gespielt.«
»Ich spiele nichts daran«, sagte er ernst, »gar nichts, ich brauche nichts zu spielen.« »Schlimm«, sagte ich, »für deine Gegner.«
»Ich habe keine Gegner«, sagte er empört.
»Noch schlimmer für deine Gegner«, sagte ich.
Er sah mich wieder mißtrauisch an, lachte dann und sagte: »Aber ich empfinde sie wirklich nicht als Gegner. «
»Noch viel schlimmer, als ich dachte«, sagte ich, »wissen die, mit denen du da dauernd über Geld redest, gar nicht, daß ihr das Wichtigste immer verschweigt — oder habt ihrs abgesprochen, bevor ihr auf den Schirm gezaubert werdet?« Er goß sich Kognak ein, sah mich fragend an: »Ich habe mit dir über deine Zukunft sprechen wollen.«
»Augenblick«, sagte ich, »mich interessiert einfach, wie das gemacht wird. Ihr redet immer von Prozenten, zehn, zwanzig, fünf, fünfzig Prozent — aber ihr sagt nie, wieviel Prozent von was?« Er sah fast dumm aus, als er das Kognakglas hob, trank und mich ansah. »Ich meine«, sagte ich, »ich habe nicht viel Rechnen gelernt, aber ich weiß, daß hundert Prozent von einem halben Pfennig ein halber Pfennig sind, während fünf Prozent von einer Milliarde fünfzig Millionen sind... verstehst du?«
»Mein Gott«, sagte er, »hast du soviel Zeit, fernzusehen?«
»Ja«, sagte ich, »seit dieser Geschichte, wie du sie nennst, seh ich viel fern — es macht mich so schön leer. Ganz leer, und wenn man seinen Vater alle drei Jahre einmal sieht, freut man sich doch, wenn man ihn mal auf dem Fernsehschirm sieht. Irgendwo in einer Kneipe, bei Bier, im Halbdunkel. Manchmal bin ich richtig stolz auf dich, wie geschickt du es verhinderst, daß irgendeiner nach der Prozentzahl fragt.«
»Du irrst«, sagte er kühl, »ich verhindere gar nichts.«
»Ist es denn nicht langweilig, gar keine Gegner zu haben?« Er stand auf und sah mich böse an. Ich stand auch auf. Wir stellten uns beide hinter unsere Sessel, legten die Arme auf die Lehne.
Ich lachte und sagte: »Als Clown interessiere ich mich natürlich für die modernen Formen der Pantomime. Einmal, als ich allein im Hinterzimmer einer Kneipe saß, hab ich den Ton ausgeschaltet. Großartig. Das Eindringen des l'art pour l'art in die Lohnpolitik, in die Wirtschaft. Schade, daß du meine Nummer Aufsichtsratssitzung nie gesehen hast.«