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Das Glasperlenspiel

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Das Glasperlenspiel
Название: Das Glasperlenspiel
Автор: Hesse Hermann
Дата добавления: 15 январь 2020
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Das Glasperlenspiel - читать бесплатно онлайн , автор Hesse Hermann

Das Glasperlenspiel ist Hermann Hesses intellektuelle Antwort auf die Barbarei des Hitlerfaschismus. Mit der Utopie seiner p?dagogischen Provinz Kastalien entwirft der Autor dar?ber hinaus eine Gegenwelt zu Diktatur und Verbrechen des Dritten Reichs und stellt die Frage nach den erzieherisch-bildenden M?glichkeiten des Geistes. Die in sich geschlossene geistige Welt der Zucht und der Askese in Kastalien findet h?chsten Ausdruck und Vollendung in der Kunst des Glasperlenspiels: einem Spiel, bei dem »s?mtliche Inhalte und Werte unserer Kultur« miteinander kommunizieren. Der Roman basiert auf der Idee einer ?berzeitlichen Biografie des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht, der in einigen Wiedergeburten gro?e Epochen der Menschheitsgeschichte miterlebt.

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Eine Ausnahme machte Fritz Tegularius, den wir nächst Ferromonte wohl den treuesten Freund im Leben Josef Knechts nennen dürfen. Dieser seinen Gaben nach zum Höchsten bestimmte, durch einen Mangel an Gesundheit, Gleichgewicht und Selbstvertrauen aber schwer behinderte Mann war gleichen Alters wie Knecht, um die Zeit von dessen Aufnahme in den Orden also gegen vierunddreißig Jahre, und war ihm vor etwa zehn Jahren bei einem Glasperlenspielkurs das erstemal begegnet, und Knecht hatte schon damals gespürt, wie sehr dieser stille und etwas melancholische Jüngling sich zu ihm hingezogen fühlte. Mit seinem Spürsinn für Menschen, der ihm, wennschon unbewußt, auch damals schon eigen war, erfühlte er auch die Wesensart dieser Liebe; sie war eine zur bedingungslosen Hingabe und Unterordnung bereite Freundschaft und Verehrung, von einer Schwärmerei beinahe religiösen Charakters durchglüht, aber durch innere Vornehmheit und auch durch ein ahnungsvolles Gefühl der Innern Tragik beschattet und in Schranken gehalten. Damals noch von der Designori-Epoche her erschüttert und sensibel, ja mißtrauisch gemacht, hatte Knecht diesen Tegularius mit konsequenter Strenge in Distanz gehalten, obwohl auch er sich von dem interessanten und ungewöhnlichen Kameraden angezogen fühlte. Zur Charakterisierung diene uns ein Blatt aus den amtlichen Geheimaufzeichnungen Knechts, wie er sie um Jahre später zur ausschließlichen Verfügung der obersten Behörde führte. Es heißt da:

»Tegularius. Dem Referenten persönlich befreundet. In Keuperheim mehrfach ausgezeichneter Schüler, guter Altphilologe, stark philosophisch interessiert, arbeitete über Leibniz, Bolzano, später Plato. Der begabteste, glänzendste Glasperlenspieler, den ich kenne. Er wäre der prädestinierte Magister Ludi, wäre nicht, im Zusammenhang mit seiner zarten Gesundheit, sein Charakter dazu vollkommen ungeeignet. T. darf niemals zu einer leitenden, repräsentativen oder organisatorischen Stellung gelangen, es wäre für ihn und für das Amt ein Unglück. Sein Mangel äußert sich körperlich in Depressionszuständen, Perioden der Schlaflosigkeit und nervöser Schmerzen, seelisch zeitweise in Melancholie, heftigem Einsamkeitsbedürfnis, Angst vor Pflicht und Verantwortung, vermutlich auch in Gedanken an Selbstmord. Der so schwer Gefährdete hält sich mit Hilfe der Meditation und einer großen Selbstzucht so tapfer aufrecht, daß die meisten in seiner Umgebung keine Ahnung von der Schwere seines Leidens haben und lediglich seine große Schüchternheit und Verschlossenheit zur Kenntnis nehmen. Ist T. also leider zur Führung höherer Ämter nicht geeignet, so ist er im Vicus Lusorum dennoch ein Kleinod, ein ganz unersetzlicher Schatz. Die Technik unsres Spieles beherrscht er so wie ein großer Musikant sein Instrument, er trifft blindlings die zarteste Nuance und ist auch als Lehrer nicht zu verachten. In den höhern und höchsten Wiederholungskursen – für die untern ist er mir zu schade – wüßte ich mich ohne ihn kaum mehr zu behelfen; wie er die Probespiele der Jünglinge analysiert, ohne sie je zu entmutigen, wie er ihnen hinter die Schliche kommt, alles Nachgeahmte oder nur Dekorative unfehlbar erkennt und bloßlegt, wie er in einem gut fundierten, aber noch unsichern und verkomponierten Spiel die Fehlerquellen findet und aufzeigt wie tadellose anatomische Präparate, ist etwas ganz Einziges. Dieser unbestechliche und scharfe Blick beim Analysieren und Korrigieren ist es vor allem, der ihm die Achtung der Schüler und Kollegen sichert, welche sonst durch sein unsicheres und ungleiches, schüchtern-scheues Auftreten stark in Frage gestellt wäre. Was ich über die Genialität des T. als Glasperlenspieler sagte, die ganz ohne ihresgleichen ist, möchte ich durch ein Beispiel illustrieren. In der ersten Zeit meiner Freundschaft mit ihm, als wir beide in den Kursen schon nicht mehr viel an Technik zu lernen fanden, gab er mir einmal in einer Stunde besonderen Vertrauens Einblick in einige Spiele, die er damals komponiert hatte. Ich fand sie auf den ersten Blick glänzend erfunden und irgendwie neuartig und originell im Stil, bat mir die aufgezeichneten Schemata zum Studium aus und fand in diesen Spielkompositionen, richtigen Dichtungen, etwas so Erstaunliches und Eigenartiges, daß ich es hier nicht glaube verschweigen zu dürfen. Diese Spiele waren kleine Dramen von beinahe rein monologischer Struktur und spiegelten das individuelle, ebenso gefährdete wie geniale Geistesleben ihres Autors wider wie ein vollkommenes Selbstbildnis. Es wurde nicht nur zwischen den verschiedenen Themen und Themengruppen, auf denen das Spiel ruhte und deren Folge und Gegenüberstellung sehr geistreich war, dialektisch konzertiert und gestritten, sondern es wurde auch die Synthese und Harmonisierung der gegensätzlichen Stimmen nicht in der üblichen, der klassischen Weise aufs Letzte gebracht, vielmehr erlitt diese Harmonisierung eine ganze Reihe von Brechungen und blieb jedesmal, wie ermüdet und verzweifelt, vor der Auflösung stehen und verklang in Frage und Zweifel. Es bekamen jene Spiele dadurch nicht nur eine aufregende und meines Wissens bisher nie gewagte Chromatik, sondern die ganzen Spiele wurden zum Ausdruck eines tragischen Zweifels und Verzichtes, sie wurden zur bildhaften Feststellung der Fragwürdigkeit jeder geistigen Bemühung. Dabei waren sie in ihrer Geistigkeit sowohl wie in ihrer spieltechnischen Kalligraphie und Vollendung so außergewöhnlich schön, daß man darüber hätte weinen können. Jedes dieser Spiele strebte so innig und ernsthaft zur Lösung und verzichtete auf die Lösung schließlich mit so edler Entsagung, daß es wie eine vollkommene Elegie auf die allem Schönen inwohnende Vergänglichkeit und die allen hohen Geisteszielen letztlich inwohnende Fragwürdigkeit war. – Item, Tegularius sei, falls er mich oder meine Amtsdauer überlebt, als ein äußerst zartes, kostbares, aber gefährdetes Gut empfohlen. Er soll sehr viel Freiheit genießen, sein Rat soll in allen Spielfragen von Wichtigkeit gehört werden. Doch sollen ihm Schüler nie zur alleinigen Leitung anvertraut werden.«

Dieser merkwürdige Mann war im Lauf der Jahre wirklich Knechts Freund geworden. Er war gegen Knecht, in dem er außer dem Geist auch etwas wie eine Herrennatur bewunderte, von einer rührenden Ergebenheit, und vieles, was wir über Knecht wissen, ist durch ihn überliefert. Er war vielleicht im engsten Kreis der jüngern Glasperlenspieler der einzige, der seinen Freund wegen des ihm gewordenen Auftrags nicht beneidete, und der einzige, für welchen dessen Abberufung auf Ungewisse Zeit ein so tiefer, beinahe unerträglicher Schmerz und Verlust war.

Josef selbst empfand den neuen Zustand, sobald er jenen gewissen Schreck über das plötzliche Verlorengehen seiner geliebten Freiheit überwunden hatte, freudig, er spürte Lust zur Reise, Lust zur Betätigung und Neugierde auf die fremde Welt, in die man ihn sandte. Übrigens ließ man den jungen Ordensbruder nicht ohne weiteres nach Mariafels reisen; er wurde zuerst drei Wochen in die »Polizei« gesteckt. So hieß unter den Studenten jene kleine Abteilung im Apparat der Erziehungsbehörde, welche man etwa ihr Politisches Departement oder auch ihr Außenministerium nennen könnte, wenn dies nicht doch etwas gar zu großartige Namen für eine kleine Sache wären. Hier wurden ihm die Verhaltungsmaßregeln für Ordensbrüder beim Aufenthalt in der Welt draußen beigebracht, und beinahe jeden Tag widmete ihm Herr Dubois, der Vorstand dieses Amtes, persönlich eine Stunde. Diesem gewissenhaften Mann nämlich schien es bedenklich, an einen solchen Außenposten einen noch unbewährten und noch vollkommen weltunkundigen Mann zu schicken; er machte kein Hehl daraus, daß er den Entschluß des Glasperlenspielmeisters mißbillige, und gab sich doppelte Mühe, den jungen Ordensbruder über die Gefahren der Welt und die Mittel, ihnen wirksam zu begegnen, mit freundlicher Sorgfalt aufzuklären. Und die väterlich besorgte, redliche Gesinnung des Vorstandes traf mit der Willigkeit des jungen Mannes, sich belehren zu lassen, so glücklich zusammen, daß in diesen Stunden seiner Einführung in die Regeln des Umgangs mit der Welt Josef Knecht seinem Lehrer richtig lieb wurde und dieser ihn zuletzt beruhigt und mit vollem Zutrauen in seine Mission entlassen konnte. Er versuchte sogar, mehr aus Wohlwollen als aus Politik, ihm noch von sich aus eine Art von Auftrag mitzugeben. Herr Dubois gehörte, schon als einer der wenigen »Politiker« Kastaliens, zu jener sehr kleinen Gruppe von Beamten, deren Gedanken und Studien zum größern Teil dem staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Fortbestände Kastaliens, seinem Verhältnis zur Außenwelt und seiner Abhängigkeit von ihr galten. Die allermeisten Kastalier, die Beamten nicht minder als die Gelehrten und Studierenden, lebten in ihrer pädagogischen Provinz und ihrem Orden als in einer stabilen, ewigen und sich von selbst verstehenden Welt, von welcher sie freilich wußten, daß sie nicht immer dagewesen, daß sie einmal entstanden, und zwar in Zeiten tiefster Not langsam und unter bittern Kämpfen entstanden war, entstanden am Ende der kriegerischen Epoche ebensowohl aus einer asketisch-heroischen Selbstbesinnung und Anstrengung der Geistigen wie aus einem tiefen Bedürfnis der erschöpften, verbluteten und verwahrlosten Völker nach Ordnung, Norm, Vernunft, Gesetz und Maß. Sie wußten das und wußten um die Funktion aller Orden und »Provinzen« der Welt: sich des Regierens und Wettbewerbs zu enthalten und dafür eine Stetigkeit und Dauer der geistigen Fundamente aller Maße und Gesetze zu gewährleisten. Daß aber diese Ordnung der Dinge sich keineswegs von selbst verstehe, daß sie eine gewisse Harmonie zwischen Welt und Geist voraussetze, deren Störung immer wieder möglich war, daß die Weltgeschichte, alles in allem genommen, das Wünschenswerte, Vernünftige und Schöne keineswegs anstrebe und begünstige, sondern höchstens je und je als Ausnahme dulde, dies wußten sie nicht, und die heimliche Problematik ihrer kastalischen Existenz wurde von fast allen Kastaliern im Grunde nicht wahrgenommen, sondern eben jenen wenigen politischen Köpfen überlassen, deren der Vorstand Dubois einer war. Von ihm, von Dubois, erfuhr Knecht, nachdem er sein Vertrauen gewonnen hatte, eine summarische Einführung in die politischen Grundlagen Kastaliens, welche ihn anfänglich eher abstoßend und uninteressant anmutete gleich den meisten seiner Ordensbrüder, ihm dann jene Bemerkung Designoris über die Möglichkeit einer Gefährdung Kastaliens ins Gedächtnis zurückrief und mit ihr den ganzen, scheinbar längst verwundenen und vergessenen, bittern Nachgeschmack seiner jugendlichen Auseinandersetzungen mit Plinio und ihm dann plötzlich höchst wichtig und zu einer Stufe auf seinem Weg des Erwachens wurde.

Am Ende ihres letzten Beisammenseins sagte ihm Dubois: »Ich glaube, ich kann dich nun ziehen lassen. Du wirst dich streng an den Auftrag halten, den der ehrwürdige Magister Ludi dir gab, und nicht minder an die Verhaltungsmaßregeln, die wir dir hier mitgegeben haben. Es war mir angenehm, dir behilflich sein zu können; du wirst sehen, daß die drei Wochen nicht verloren waren, die wir dich hier aufgehalten haben. Und wenn du jemals den Wunsch verspüren solltest, mir deine Zufriedenheit mit meinen Informationen und mit unsrer Bekanntschaft zu beweisen, so zeige ich dir einen Weg dazu. Du wirst in ein Benediktinerstift kommen, und falls du dort eine Weile bleibst und das Vertrauen der Patres gewinnst, wirst du vermutlich im Kreis dieser ehrwürdigen Herren und ihrer Gäste auch politische Gespräche hören und politische Stimmungen verspüren. Wenn du mich davon gelegentlich benachrichtigen wolltest, wäre ich dankbar dafür. Verstehe mich richtig: du sollst keineswegs dich als eine Art von Spion betrachten oder ein dir von den Patres erwiesenes Vertrauen mißbrauchen. Du sollst mir keine Mitteilung machen, die dein Gewissen dir nicht erlaubt. Daß wir etwaige Informationen nur im Interesse unsres Ordens und Kastaliens zur Kenntnis nehmen und verwerten, dafür bin ich dir Bürge. Wir sind keine wirklichen Politiker und haben keinerlei Macht, aber auch wir sind auf die Welt angewiesen, die uns braucht oder duldet. Es kann uns unter Umständen von Nutzen sein, es zu erfahren, wenn ein Staatsmann im Kloster einkehrt, oder der Papst für krank gilt, oder neue Anwärter auf die Liste der künftigen Kardinäle kommen. Wir sind nicht auf deine Mitteilungen angewiesen, wir haben mancherlei Quellen, aber eine kleine Quelle mehr kann nicht schaden. Geh nun, du brauchst heute zu meiner Anregung weder ja noch nein zu sagen. Nimm dir nichts vor, als vorerst deinen amtlichen Auftrag gut auszuführen und uns bei den geistlichen Vätern Ehre zu machen. Ich wünsche gute Reise.«

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