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Narzi? und Goldmund

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Narzi? und Goldmund
Название: Narzi? und Goldmund
Автор: Hesse Hermann
Дата добавления: 15 январь 2020
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Narzi? und Goldmund - читать бесплатно онлайн , автор Hesse Hermann

Hermann Hesses Erz?hlung ?ber den Gegensatz zwischen Geist- und Sinnenmenschen und ihre produktive Vereinigung im K?nstler ist eine moderne Gestaltung des Don-Juanund Casanova-Motivs. Sie ist aber auch ein Loblied der Freundschaft, voller Abenteuer in einem zeitlosen Mittelalter. Kl?sterlicher und st?dtischer Kunstbetrieb, Zigeunerm?dchen und Vagantenpoesie: »Alle diese Elemente deutsch-romantischer Erz?hlkunst vereinen sich hier in seltener Vollst?ndigkeit« (Rolf Schneider). Jahre bevor der Nationalsozialismus die kulturellen Traditionen Deutschlands mi?brauchte, hat Hesse in diesem Roman die Idee von Deutschland und deutschem Wesen, die er seit seiner Kindheit in sich trug, dargestellt und ihr seine »Liebe gestanden, gerade weil ich alles, was heute spezifisch deutsch ist, so sehr hasse«, schrieb er 1933. Zu Hesses Lebzeiten war Narzi? und Goldmund das erfolgreichste seiner B?cher. Die deutsche Gesamtauflage von 1930 bis heute betr?gt mehr als zwei Millionen Exemplare. ?bersetzt ist der Roman mittlerweile in drei?ig Sprachen.

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Sechstes Kapitel

Eines Tages rief Pater Anselm Goldmund in seine Apotheke, seine hübsche, wunderbar duftende Kräuterkammer. Hier kannte Goldmund sich gut aus. Der Pater zeigte ihm eine gedörrte Pflanze, zwischen Papierblättern sauber aufbewahrt, und fragte ihn, ob er diese Pflanze kenne und genau beschreiben könne, wie sie draußen im Felde aussehe. Ja, das konnte Goldmund; die Pflanze hieß Johanniskraut. Deutlich mußte er alle ihre Merkmale beschreiben. Der alte Mönch war zufrieden und gab seinem jungen Freunde den Auftrag, am Nachmittag ein gutes Bündel solcher Pflanzen zu sammeln, deren Lieblingsstandorte er ihm angab. »Du bekommst dafür einen schulfreien Nachmittag, mein Lieber, du wirst nichts dagegen haben und wirst nichts dabei verlieren. Auch die Kenntnis der Natur nämlich ist eine Wissenschaft, nicht bloß eure blöde Grammatik.« Goldmund bedankte sich für den sehr willkommenen Auftrag, ein paar Stunden Blumen zu sammeln, statt in der Schule zu sitzen. Damit die Freude vollkommen würde, erbat er sich vom Stallmeister das Pferd Bleß, und bald nach Tische holte er das Tier aus .dem Stall, das ihn heftig begrüßte, sprang auf und trabte sehr zufrieden in den warmen leuchtenden Tag hinaus. Ein Stündchen oder mehr ritt er spazieren, genoß die Luft und den Felderduft und vor allem das Reiten, dann erinnerte er sich seiner Aufgabe und suchte einen der Plätze auf, die ihm der Pater beschrieben hatte. Dort band er das Pferd unter einem schattigen Ahorn an, plauderte mit ihm, gab ihm Brot zu fressen und machte sich dann auf die Pflanzensuche. Einige Stücke Ackerland lagen hier brach, von vielerlei Unkraut überwuchert, kleine kümmerliche Mohnpflanzen mit letzten blassen Blüten und schon vielen reifen Samenkapseln standen da zwischen verdorrten Wickenranken und himmelblau blühender Wegwarte und verfärbtem Knöterich, ein paar Haufen zusammengeworfener Feldsteine zwischen zwei Feldern waren von Eidechsen bewohnt, hier standen auch schon die ersten gelb blühenden Stauden Johanniskraut, und Goldmund fing an zu pflücken. Als er eine gute Handvoll beisammen hatte, setzte er sich auf die Steine und ruhte. Es war heiß, und er blickte begehrlich zum Schattendunkel eines fernen Waldrandes hinüber, aber so weit wollte er doch nicht von den Pflanzen und von seinem Pferde weggehen, das er von hier aus noch sehen konnte. Er blieb auf den warmen Feldkieseln sitzen, hielt sich ganz still, um die geflohenen Eidechsen wieder hervorkommen zu sehen, roch am Johanniskraut und hielt dessen kleine Blättchen gegen das Licht, um die hundert winzigen Nadelstiche in ihnen zu betrachten.

Wunderlich, dachte er, da hat jedes von den tausend kleinen Blättchen diesen kleinwinzigen Sternhimmel in sich gestochen, fein wie eine Stickerei. Wunderlich und unbegreiflich war doch alles, die Eidechsen, die Pflanzen, auch die Steine, überhaupt alles. Der Pater Anselm, der ihn so gern mochte, der konnte nun sein Johanniskraut nicht selbst mehr holen, er hatte es in den Beinen und war an manchen Tagen unbeweglich, und seine Arzneikunst konnte es nicht heilen. Vielleicht würde er schon bald eines Tages sterben, und die Krauter in der Kammer dufteten weiter, aber der alte Pater war nicht mehr da. Vielleicht aber lebte er auch noch lange, vielleicht zehn oder zwanzig Jahre, und hatte dann immer noch dieselben weißen dünnen Haare und dieselben drolligen Faltenbündel um die Augen; aber er selbst, Goldmund, was würde in zwanzig Jahren mit ihm sein? Ach, alles war unverständlich und eigentlich traurig, obwohl es auch schön war. Man wußte nichts. Man lebte und lief auf der Erde herum oder ritt durch die Wälder, und manches schaute einen so fordernd und versprechend und sehnsuchterweckend an: ein Stern am Abend, eine blaue Glockenblume, ein schilfgrüner See, das Auge eines Menschen oder einer Kuh, und manchmal war es, als müsse jetzt gleich etwas Niegesehenes und doch lang Ersehntes geschehen, ein Schleier von allem fallen; aber dann ging es vorüber, und es geschah nichts, und das Rätsel wurde nicht gelöst und der geheime Zauber nicht entbunden, und zuletzt wurde man alt und sah so pfiffig aus wie der Pater Anselm oder so weise wie der Abt Daniel und wußte vielleicht noch immer nichts, wartete und horchte noch immer.

Er hob ein leeres Schneckenhaus auf, es klirrte schwach zwischen den Steinen und war ganz warm von der Sonne. Versunken betrachtete er die Windungen des Gehäuses, die eingekerbte Spirale, die launige Verjüngung des Krönchens, den leeren Schlund, in dem es perlmuttern schimmerte. Er schloß die Augen, um die Formen nur mit den tastenden Fingern zu erfühlen, das war eine alte Gewohnheit und Spielerei von ihm. Die Schnecke zwischen den losen Fingern drehend, tastete er gleitend, ohne Druck, ihre Formen liebkosend nach, beglückt vom Wunder der Formung, vom Zauber des Körperlichen. Dies, dachte er träumerisch, war einer der Nachteile der Schule und der Gelehrsamkeit: es schien eine der Tendenzen des Geistes zu sein, alles so zu sehen und darzustellen, als ob es flach wäre und nur zwei Dimensionen hätte. Irgendwie schien ihm damit ein Mangel und Unwert des ganzen Verstandeswesens bezeichnet, doch vermochte er den Gedanken nicht festzuhalten, die Schnecke entglitt seinen Fingern, er fühlte sich müde und schläfrig. Den Kopf über seine Krauter gebückt, die im Welken mehr und mehr zu duften begannen, schlief er in der Sonne ein. Über seine Schuhe liefen die Eidechsen, auf seinen Knien welkten die Pflanzen, unter dem Ahorn wartete Bleß und wurde ungeduldig.

Vom fernen Walde her kam jemand gegangen, ein junges Weib m einem verblichenen blauen Rock, ein rotes Tüchlein ums schwarze Haar gebunden, mit braungebranntem Sommergesicht. Das Weib kam näher, ein Bündel in der Hand, eine kleine brennrote Steinnelke im Munde. Sie sah den Sitzenden, betrachtete ihn lange aus der Entfernung, neugierig und mißtrauisch, sah, daß er schlafe, kam behutsam näher, auf braunen nackten Füßen, blieb dicht vor Goldmund stehen und sah ihn an. Ihr Mißtrauen schwand, der hübsche schlafende Jüngling sah nicht gefährlich aus, er gefiel ihr wohl – wie kam der hierher auf die Brachfelder? Blumen hatte er gepflückt, sah sie mit Lächeln, sie waren schon welk.

Goldmund öffnete die Augen, aus Traumwäldern zurückkommend. Sein Kopf lag weich, er lag im Schoß einer Frau, in seine verschlafenen verwunderten Augen blickten fremde nahe Augen warm und braun. Er erschrak nicht, es war keine Gefahr, freundlich schienen die warmen braunen Sterne herab. Nun lächelte die Frau unter seinem erstaunten Blick, lächelte sehr freundlich, und langsam begann auch er zu lächeln. Auf seine lächelnden Lippen kam ihr Mund herab, sie begrüßten sich in einem sanften Kuß, bei welchem Goldmund alsbald jenes Abends im Dorfe und des kleinen Mädchens mit den Zöpfen gedenken mußte. Aber der Kuß war noch nicht zu Ende. Der Frauenmund verweilte an dem seinen, spielte weiter, neckte und lockte und ergriff zuletzt seine Lippen mit Gewalt und Gier, ergriff sein Blut und weckte es auf bis ins Innerste, und im langen stummen Spiel gab die braune Frau, ihn sacht belehrend, sich dem Knaben hin, ließ ihn suchen und finden, ließ ihn erglühen und stillte die Glut. Die holde kurze Seligkeit der Liebe wölbte sich über ihm, glühte golden und brennend auf, neigte sich und erlosch. Mit geschlossenen Augen lag er, das Gesicht auf der Brust des Weibes. Es war kein Wort gesprochen worden. Das Weib hielt stille, streichelte leise sein Haar, ließ ihn langsam zu sich kommen. Endlich tat er die Augen auf.

»Du«, sagte er. »Du! Wer bist du denn?« »Ich bin Lise«, sagte sie.

»Lise«, sprach er nach, den Namen kostend. »Lise, du bist lieb.«

Sie brachte ihren Mund nahe an sein Ohr und flüsterte hinein: »Du, ist es das erstemal gewesen? Hast du vor mir noch keine liebgehabt?«

Er schüttelte den Kopf. Dann plötzlich richtete er sich auf und blickte um sich, übers Feld und an den Himmel. »Oh«, rief er, »die Sonne ist schon ganz tief. Ich muß zurück.«

»Wohin denn?«

»Ins Kloster, zum Pater Anselm.«

»Nach Mariabronn? Da gehörst du hin? Willst du denn nicht noch bei mir bleiben?«

»Ich möchte gerne.«

»So bleib doch!«

»Nein, es wäre unrecht. Ich muß auch noch mehr von dem Kraut sammeln.«

»Bist du denn im Kloster?«

»Ja, ich bin Schüler. Aber ich bleibe nicht mehr dort. Kann ich zu dir kommen, Lise? Wo wohnst du denn, wo bist du zu Haus?«

»Ich wohne nirgends, mein Schatz. Willst du mir aber nicht deinen Namen sagen? – So, Goldmund heißest du? Gib mir noch einen Kuß, Goldmündchen, dann kannst du ja gehen.«

»Du wohnst nirgends? Wo schläfst du denn?«

»Wenn du willst, mit dir im Wald oder auf dem Heu. Kommst du heut nacht?«

»O ja. Wohin? Wo finde ich dich?«

»Kannst du schreien wie ein Käuzchen?«

»Ich habe es nie probiert.«

»Probiere es.«

Er versuchte es. Sie lachte und war zufrieden. »Dann komm heut nacht aus dem Kloster und schreie wie ein Käuzchen, ich bin in der Nähe. Gefalle ich dir denn, Goldmündlein, mein Kindlein?«

»Ach, du gefällst mir sehr, Lise. Ich komme. Behüt dich Gott, jetzt muß ich weiter.«

Auf dampfendem Pferd kam Goldmund in der Dämmerung ins Kloster zurück und war froh, daß er den Pater Anselm sehr beschäftigt fand. Ein Bruder hatte sich barfuß im Bach vergnügt und sich dabei einen Scherben in den Fuß getreten. Jetzt galt es, Narziß aufzufinden. Er fragte einen der dienenden Brüder, die im Refektorium aufwarteten. Nein, sagten sie, Narziß käme nicht zum Nachtmahl, er habe Fasttag und werde jetzt wohl schlafen, da er nachts Vigilien halte. Goldmund rannte. Seines Freundes Schlafstätte während der langen Exerzitien war eine der Büßerzellen im innern Kloster. Ohne Besinnen lief er hin. Er horchte an der Tür, nichts war zu hören. Leise trat er ein. Daß es streng verboten war, kam jetzt nicht in Betracht.

Auf der schmalen Pritsche lag Narziß, in der Dämmerung glich er einem Toten, wie er starr mit bleichem, spitzem Gesicht auf dem Rücken lag, die Hände über der Brust gekreuzt. Er hatte aber die Augen offen und schlief nicht. Stumm blickte er Goldmund an, ohne Vorwurf, doch ohne sich zu rühren und sichtlich so in einer Versunkenheit befangen, so in einer andern Zeit und Welt gegenwärtig, daß er Mühe hatte, den Freund zu erkennen und seine Worte zu verstehen.

»Narziß! Verzeih, verzeih, Lieber, daß ich dich störe, es geschieht nicht aus Mutwillen. Ich weiß, daß du jetzt eigentlich nicht mit mir sprechen darfst, aber tue es dennoch, ich bitte dich sehr darum.«

Narziß besann sich, einen Augenblick heftig blinzelnd, als gebe er sich Mühe, wach zu werden. »Ist es notwendig?« fragte er mit erloschener Stimme.

»Ja, es ist notwendig. Ich komme, um von dir Abschied zu nehmen.«

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