Der Wiedersacher
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Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.
"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost
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Es war, als erwachte er aus einemTraum. Er war in Schweißgebadet, und in seinem Mund war plötzlich ein bitterer Geschmack, als hätte er etwas Schlechtes gegessen, aber das Gefühl, belauert und angestarrt zu werden, war nicht mehr da. Ganz plötzlich wußte Salid, welchem Feind er da in der Dunkelheit begegnet war.
Der Angst.
Er hatte geglaubt, zu wissen, was Angst bedeutete, aber das stimmte nicht. Er kannte alle möglichen Arten der Furcht: Furcht um sein Leben; die Furcht, seinen Gegnern in die Hände zu fallen; die Furcht zu versagen; Furcht vor Schmerzen und Krankheit und tausend andere. Aber er begriff erst jetzt, daß es eine übergeordnete, viel schlimmere Art gab, eine, die keinen Grund und keinen Auslöser brauchte. Nicht die Furcht vor etwas, sondern pure, reine Angst, die einfach da war und gegen die es keinen Schutz gab. Hier, in dieser dunklen Wäschekammer, vielleicht dem lächerlichsten Ort auf der Welt für eine solche Erkenntnis, hatte er sie kennengelernt.
Und er wußte jetzt, daß sie immer bei ihm sein würde, ganz gleich, ob es hell oder dunkel war, ob er hier drinnen oder draußen auf dem Flur war, ob allein oder inmitten Tausender von Menschen. Er hatte etwas berührt, an diesem Morgen im Wald, und diese Berührung hatte einenTeil seines Menschseins vergiftet und zu etwas anderem gemacht. Etwas, das von nun an für den Rest seines Lebens in ihm sein würde. Und das ihn am Schluß besiegen mußte.
Während der letzten halben Stunde hatte er nicht mehr auf die Uhr gesehen, aber Weichsler hätte trotzdem auf die Minute genau sagen können, wie spät es war. Die Anzahl der Zigarettenstummel zu seinen Füßen war um weitere fünf gestiegen, und er hätte sich auch jetzt eine angesteckt, wäre die Packung nicht mittlerweile leer gewesen. Er bedauerte es nicht einmal. Er hatte ohnehin nur geraucht, um seine Finger zu beschäftigen und sich abzulenken, aber es hatte nichts genutzt. Die irreale Furcht, die mit Nehrig gekommen, aber nicht wieder mit ihm gegangen war, hatte noch zugenommen. Alles, was ihm der übermäßige Nikotinkonsum eingebracht hatte,waren ein widerlich-pelziges Gefühl auf der Zunge und leichte Kopfschmerzen.
Weichsler wäre gerne nach draußen gegangen, um ein wenig frische Luft zu schnappen, aber die Erinnerung an seinen letzten Blick auf den Schulhof und das immer noch anhaltende, seidige Geräusch des Regens auf dem Dach hielten ihn nachhaltig davon ab. Außerdem war die Luft hier drinnen nicht schlecht. DieTurnhalle war groß genug, daß er schon fünf Stangen hätte rauchen müssen, um sie zu verpesten.
Außerdem hatte er den strikten Befehl, hier drinnen zu bleiben und darüber zu wachen, daß niemand dieToten stahl. Noch vor zwei Tagen hätte Weichsler über diese Formulierung gelacht, aber jetzt benutzte er sie ganz genau so in seinen Gedanken, und an den Worten war absolut nichts Komisches mehr. Wenn er überhaupt noch so etwas wie Galgenhumor gehabt hatte, so hatte Nehrigs Besuch auch noch die letzten Spuren davon ausgelöscht. Er fühlte sich einfach nur noch schlecht, und er wollte hier raus. Weg von dieserTurnhalle, diesem Ort, der sich in eine Geisterstadt verwandelt hatte, und diesem ganzen Einsatz; vor allem aber aus dieser Halle.
Bis dahin waren es noch knapp anderthalb Stunden. Eine Ewigkeit, wenn man darauf wartete, daß sie verstrich, aber trotzdem eine überschaubare Zeit. Für eine Weile hatte er sie sich damit vertrieben, daß er die Sekunden zählte und von der verbleibenden Zeit abzog; dann, indem er mit langsamen Schritten durch den Raum ging und sich auszurechnen versuchte, wie oft er dieses Hin und Her hinter sich bringen mußte, bis er endlich abgelöst wurde. Es gab noch eine ganze Anzahl ähnlicher Dinge, die er tun konnte, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie alle waren ungefähr gleich sinnvoll, und sie alle hatten eines ge mein: Sie halfen immer nur für eine kurze Zeit. Anderthalb Stunden waren anderthalb Stunden, basta, und sie wurden um so länger, wenn man sie allein und frierend in einer ungeheizten Halle vollerToter verbringen mußte.
Weichsler sah nun doch wieder auf die Uhr und stellte fest, daß gerade einmal fünf Minuten vergangen waren, seit er seine letzte Zigarette ausgetreten hatte. Vielleicht war es eine gute Idee, noch ein paar Runden zu drehen, und sei es nur, um seinen Kreislauf wieder ein bißchen in Bewegung zu bringen. Seine Füße waren trotz der dicken Winterstiefel eiskalt, und ein paar seiner Zehen fühlten sich schon fast wie abgestorben an. Auch das war etwas, das zu dieser Alptraum-Geschichte paßte: Es war viel zu kalt für die Jahreszeit. Nach dem Kalender hätte vor ein paarTagen der Frühling beginnen sollen, aber irgendwie schien sich das Jahr in der Richtung vertan zu haben, denn es wurde jedenTag ein bißchen kälter.
Er stampfte ein paarmal mit den Füßen auf, rückte das Gewehr auf seiner Schulter zurecht und begann mit langsamen Schritten die Turnhalle zu durchqueren. Sein Blick glitt über
die präzise ausgerichteten Reihen, in denen die Feldbetten dastanden, aber obwohl er mittlerweile die dritte Nacht hier drinnen verbrachte, hatte der Anblick nichts von seiner unheimlichen Wirkung eingebüßt. Nicht nur die Betten waren alle gleich, auch die schwarzen Plastiksäcke, die darauf lagen; die meisten wenigstens.
Die zwei, die Nehrig und seine Männer vorhin gebracht hatten, waren anders. Beim ersten Hinsehen war Weichsler der Unterschied gar nicht aufgefallen, aber als er, am äußersten Punkt seiner Runde angekommen, davor stehenblieb, sah er, daß sie heller waren, und offensichtlich aus einem sehr viel dünneren Material bestanden. Die Umrisse der Körper, die sie enthielten, zeichneten sich deutlich unter dem blaugrauen Plastik ab.
Weichsler fuhr sich nervös mit dem Handrücken über das Kinn. Er konnte selbst nicht sagen, warum, aber die Ankunft dieser zwei Leichensäcke hatte ihm mehr zu schaffen gemacht
als die dreihundert zuvor. Vielleicht, weil er gehofft hatte, daß es vorbei war, und diese zwei bewiesen, daß es nicht stimmte, da man offensichtlich immer noch Tote fand. Vielleicht auch, weil er sich bei all den anderen Plastikbeuteln einreden konnte, daß sie Gott weiß was enthielten: Papier, leere Büchsen, Kleider, Gras, Abfall – irgend etwas eben, nur keine Leichen. Bei diesen beiden funktionierte es nicht. Weichsler konnte sogar erkennen, daß in dem einen der zwei Säcke eine Frau lag.
Etwas flog polternd gegen die Tür. Weichsler fuhr mit einer entsetzten Bewegung herum, riß gleichzeitig das Gewehr von der Schulter und brachte sich damit selbst aus dem Gleichgewicht. Er stürzte nicht, aber er prallte ungeschickt gegen die Liege mit dem Leichnam der Frau, fiel auf ein Knie herab und riß die Liege vollends um, als er instinktiv versuchte, sich daran festzuklammern. Der Plastiksack mit derToten rutschte auf der anderen Seite herunter und prallte gegen eine weitere Liege, die sich prompt zur Seite neigte.
Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Weichsler eine furchtbare Vision: Er sah die Feldbetten wie eine Reihe angestoßener Dominosteine eine nach der anderen umstürzen und dreihundert Leichensäcke zu Boden poltern. Natürlich geschah das nicht. Nicht einmal die nächste Liege stürzte. Sie wackelte nur ein bißchen, und der schwarze Plastiksack rutschte ein wenig nach rechts, als hätte sich der Tote darin nur einmal im Schlaf gerührt, um in eine bequemere Lage zu rutschen.
Aber das Ergebnis war auch so schlimm genug. Die Liege, die er umgerissen hatte, lag auf der Seite und hatte den Leichensack halb unter sich begraben. Eines der Beine war abgebrochen, und das zersplitterte Ende hatte den dünnen Kunststoff aufgerissen. Darunter war ein Stück einer blauen Jeansjacke zu sehen. Weichsler verfluchte sich in Gedanken für seine eigene Ungeschicklichkeit, aber als er den Blick senkte und an sich herabsah, wurde er blaß. Das Gewehr war halb von seiner Schulter geglitten, als er fiel, und er hatte es an der ungesündesten aller nur denkbaren Stellen festgehalten: am Abzug. Er konnte selbst spüren, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich. Wäre die Waffe nicht gesichert gewesen, hätte er sich selbst das Knie weggeschossen.