Schlaflos
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Das Grauen kehrt nach Derry, Maine, zur?ck. Acht Jahre nach den in "Es" geschilderten Ereignissen, geschehen dort wieder seltsame Dinge. Ralph Roberts leidet zunehmend an Schlaflosigkeit und sieht pl?tzlich die K?pfe seiner Mitmenschen von einer bunten Aura umgeben.
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Helen hörte auf zu weinen und sah ihn mit ruhigen, großen Augen an, als könnte sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Dann füllten sich diese Augen allmählich mit einem erschreckend heftigen Zorn.
»Wie kannst du das fragen? Wie kannst du das auch nur fragen?«
»Nun… weil…« Er verstummte, da er nicht weitersprechen konnte. Mit Wut hätte er zu allerletzt gerechnet.
»Wenn sie uns jetzt aufhalten, haben sie gewonnen«, sagte Helen. »Begreifst du das nicht? Gretchen ist tot, Merrilee ist tot, High Ridge ist mit allem, was die meisten Frauen besaßen, bis auf die Grundmauern niedergebrannt, und wenn sie uns jetzt aufhalten, dann haben sie gewonnen.«
Nun stellte ein Teil von Ralphs Verstand - ein tief verborgener Teil - einen schrecklichen Vergleich an. Ein anderer Teil, der Helen liebte, wollte ihn unterdrücken, aber es war zu spät. Ihre Augen sahen wie die von Charlie Pickering aus, als Pickering neben ihm in der Bibliothek gesessen hatte, und mit einem Kopf, der so einen Blick zustande brachte, konnte man nicht vernünftig reden.
»Wenn sie uns jetzt aufhalten, haben sie gewonnen!« schrie sie. Natalie fing in ihren Armen lauter an zu weinen. »Kapierst du das nicht? Verdammt noch mal, kapierst du das nicht? Wir werden es niemals zulassen! “Niemals! Niemals! Niemals!«
Sie hob unvermittelt die freie Hand in die Höhe und ging um das Gebäude herum. Ralph streckte die Hand nach ihr aus, berührte aber nur ihre Bluse mit den Fingerspitzen. Das war alles.
»Erschießt mich nicht!« rief Helen den Polizisten auf der anderen Seite des Hauses zu. »Erschießt mich nicht, ich bin eine der Frauen! Ich bin eine der Frauen! Ich bin eine der Frauen!«
Ralph lief ihr hinterher - ohne nachzudenken, rein instinktiv -, aber Lois zog ihn am Gürtel zurück. »Du solltest besser nicht da vorgehen, Ralph. Du bist ein Mann, und sie glauben vielleicht -«
»Hallo, Ralph! Hallo, Lois!«
Sie drehten sich beide zu der neuen Stimme um. Ralph erkannte sie auf der Stelle und war gleichzeitig überrascht und nicht überrascht. Hinter der Wäscheleine mit ihrer Last brennender Laken und Kleidungsstücke stand in einer verwaschenen Flannellhose und Converse-Turnschuhen, die mit Isolierband geklebt worden waren, Dorrance Marstellar. Sein Haar, so fein wie das von Natalie (aber weiß statt braun), wurde vom Oktoberwind, der über den Hügel fegte, aus seinem Gesicht geweht. Wie üblich hielt er ein Buch in der Hand.
»Kommt schon, ihr beiden«, sagte er und winkte ihnen lächelnd. »Beeilt euch und kommt mit. Wir haben nicht viel Zeit.«
Er führte sie einen zugewachsenen, wenig benutzten Trampelpfad entlang, der in westlicher Richtung vom Haus wegführte. Anfangs wand er sich durch einen einigermaßen großen Garten, in dem alles abgeerntet worden war, außer
Kürbissen und Melonen, dann in einen Hain, wo die Äpfel gerade zu voller Reife gelangten, und durch eine dichte Brombeerhecke, wo Dornen überall nach ihrer Kleidung zu greifen schienen. Als sie aus dem Brombeerdickicht in ein düsteres Wäldchen mit Fichten und Rottannen kamen, überlegte sich Ralph, daß sie sich inzwischen auf der Newport zugewandten Seite des Hügels befinden mußten.
Dorrance schritt für einen Mann seines Alters kräftig aus, und das durchgeistigte Lächeln verschwand nie von seinem Gesicht. Das Buch, das er bei sich trug, war von Love, Poems 1950-1960 von einem Autor namens Robert Creeley. Ralph hatte noch nie von ihm gehört, aber er ging davon aus, daß Mr. Creeley auch noch nie von Elmore Leonard, Ernest Haycox oder Louis L’Amour gehört haben dürfte. Er versuchte nur einmal, den alten Dor anzusprechen, als die drei schließlich den Fuß eines Hangs erreicht hatten, wo Kiefernnadeln einen glatten und trügerischen Teppich bildeten. Direkt vor ihnen floß ein kalter Bach schäumend vorbei.
»Dorrance, was machst du hier? Wie bist du hergekommen, da wir schon dabei sind? Und wo, um alles in der Welt, willst du hin?«
»Oh, ich beantworte selten Fragen«, entgegnete der alte Dor breit grinsend. Erbetrachtete den Bach, dann hob er einen Finger und deutete auf das Wasser. Eine kleine braune Forelle sprang in die Luft, schüttelte helle Tropfen von der Schwanzflosse und fiel ins Wasser zurück. Ralph und Lois sahen einander mit identischen Habe-ich-das-gerade-wirklich-gesehen?Mienen an.
»Nee, nee«, fuhr Dor fort und trat vom Ufer auf einen feuchten Stein. >Kaum je. Zu schwierig. Zu viele Möglichkeiten. Zu viele Ebenen… was, Ralph? Die Welt ist voller Ebenen, oder nicht? Wie geht es dir, Lois?«
»Prima«, sagte sie geistesabwesend und beobachtete Dorrance, der auf einer Reihe geschickt plazierter Steine den Bach überquerte. Das tat er mit seitlich ausgestreckten Armen, wodurch er wie der älteste Akrobat der Welt aussah. Gerade als er das andere Ufer erreicht hatte, ertönte ein heftiges Aufwallen vom Hügel hinter ihnen - nicht ganz eine Explosion.
Soviel zu den Öltanks, dachte Ralph.
Dor drehte sich auf der anderen Seite des Bachbetts zu ihnen um und lächelte sein verklärtes Buddha-Lächeln. Ralph stieg ohne bewußte Absicht und ohne das Gefühl eines geistigen Blinzeins auf. Farben strömten in den Tag ein, aber er bemerkte es kaum; seine ganze Aufmerksamkeit galt Dorrance, und er vergaß zehn Sekunden lang sogar zu atmen.
Ralph hatte in den vergangenen Monaten Auren vieler Farben gesehen, aber keine kam auch nur in die Nähe der prunkvollen Hülle um den alten Mann, den Don Veazie einmal als »ausgesprochen nett, aber wirklich ein ziemlicher Narr« beschrieben hatte. Es war, als wäre Dorrance’ Aura durch ein Prisma gebrochen worden… oder einen Regenbogen. Er versprühte Licht in blendenden Farben: Blau folgte Magenta, Magenta folgte Rot, Rot folgte Rosa, Rosa folgte das cremige Gelb-Weiß einer reifen Banane.
Er spürte, wie Lois’ Hand nach seiner tastete, und ergriff sie.
[»Mein Gott, Ralph, siehst du es? Siehst du, wie wunderschön er ist?«]
[»Aber sicher.«]
[»Was ist er? Ist er überhaupt ein Mensch?«]
[»Ich weiß n -«]
[»Hört auf, alle beide. Kommt wieder runter.«]
Dorrance lächelte immer noch, aber die Stimme, die sie in ihren Köpfen hörten, war befehlsgewohnt und kein bißchen verschwommen. Und bevor Ralph sich mittels bewußter Gedankenanstrengung nach unten zurückversetzen konnte, spürte er einen Stoß. Die Farben und die gesteigerte Besonderheit der Geräusche verschwanden sofort aus dem Tag.
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit«, sagte Dor. »Es ist schon Mittag.«
»Mittag?« fragte Lois. »Das kann nicht sein! Es war nicht einmal neun, als wir hierher gekommen sind, und das kann höchstens eine halbe Stunde her sein!«
»Die Zeit vergeht schneller, wenn man höher ist«, sagte der alte Dor. Er sprach feierlich, aber seine Augen funkelten. »Fragt jemand, der Samstagabends Bier trinkt und Country-Musik hört. Kommt jetzt! Beeilt euch! Die Uhr tickt! Überquert den Bach!«
Lois ging als erste, sie hüpfte vorsichtig von Stein zu Stein und breitete dabei wie Dorrance die Arme aus. Ralph folgte ihr und hielt die Hände zu ihren beiden Seiten in Hüfthöhe, damit er sie halten könnte, falls sie stürzte, aber letztendlich war er derjenige, der beinahe gestolpert und ins Wasser gefallen wäre. Er konnte es vermeiden, aber nur, indem er einen Fuß bis zum Knöchel durchnäßte. Ihm war, als könnte er irgendwo in einem entlegenen Winkel seines Kopfes Carolyn lachen hören.
»Kannst du uns gar nichts sagen, Dor?« fragte er, als sie die andere Seite erreicht hatten. »Wir tappen ziemlich im Dunkeln.« Und nicht nur geistig oder seelisch, dachte er. Er war in seinem ganzen Leben noch nie in diesem Wald gewesen, nicht einmal als junger Mann, um Wild oder Rebhühner zu jagen. Wenn der Weg, auf dem sie gingen, einfach aufhören sollte, oder falls der alte Dor das verlor, was bei ihm als Orientierung galt, was dann?
»Ja«, antwortete Dor sofort. »Ich kann dir eines sagen, und das ist absolut sicher.«
»Was?«
