Die weisse Massai
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Von beiden tief enttäuscht will ich nur noch weg, so schnell wie möglich. Nach längerem Hin und Her bestimmt Mama, daß Lketinga in der Manyatta schlafen soll und wir morgen weitersehen. Mein Mann geht aber nicht ohne Napirai. Ich schreie ihn an, er solle mein Kind, das er ja sowieso nicht als seines betrachtet, in Ruhe lassen. Doch er verschwindet mit ihr in der Dunkelheit.
Allein sitze ich auf dem Bett und verfal e in einen schlimmen Weinkrampf. Natürlich könnte ich den Wagen nehmen und das Dorf verlassen, aber ohne mein Kind kommt diese Möglichkeit nicht in Frage. Draußen höre ich Stimmen und Gelächter. Einige Leute scheinen sich über den Vorfal zu freuen. Nach einer Weile erscheint der Veterinär mit seiner Frau, um nach mir zu sehen. Sie haben alles mitangehört und versuchen, mich zu beruhigen. In dieser Nacht schließe ich kein Auge, sondern bete, daß wir eines Tages von hier wegkommen. Von meiner Liebe ist im Moment nur blanker Haß geblieben. Wie sich alles in der kurzen Zeit so wandeln konnte, kann ich nicht begreifen.
Am frühen Morgen gehe ich schnel in den hinteren Teil des Shops, um den Boys mitzuteilen, daß Lketinga Rachepläne gegen den einen von ihnen hegt. Dann eile ich zur Mama, da ich Napirai immer noch stillen muß. Mama sitzt mit ihr vor der Hütte.
Mein Mann schläft noch. Ich nehme mein Kind, stil e es, und Mama fragt mich doch tatsächlich, ob Lketinga der Vater sei. Mit Tränen in den Augen antworte ich nur:
„Yes.“
Ohnmacht und Wut
Mein Mann kriecht aus der Manyatta und befiehlt mir, in unsere Blockhütte zu kommen. Auch die Boys holt er zu uns. Wie so häufig stehen einige Neugierige herum. Mir klopft das Herz bis zum Hals, ich weiß nicht, was passieren wird. Erregt redet er auf mich ein und fragt vor al en Anwesenden, ob ich mit diesem Boy geschlafen habe. Er wil es jetzt wissen. Ich schäme mich sehr, und gleichzeitig überkommt mich eine Riesenwut. Wie ein Richter führt er sich auf und merkt gar nicht, wie lächerlich er uns macht. „No“, schreie ich ihn an, „you are crazy!“
Noch bevor ich mehr sagen kann, bekomme ich die erste Ohrfeige. Wütend schleudere ich ihm mein Zigarettenpaket an den Kopf. Da dreht er sich um und richtet seinen Rungu gegen mich. Doch bevor er ihn benutzen kann, reagieren die Boys und der Veterinär. Sie halten ihn fest, reden empört auf ihn ein und meinen, es wäre besser, wenn er für einige Zeit in den Busch ginge, bis er wieder einen klaren Kopf hat. Daraufhin nimmt er seine Speere und zieht ab. Ich stürze in mein Haus und wil niemand mehr sehen.
Zwei Tage bleibt er weg, während ich das Haus nicht verlasse. Wegfahren könnte ich nicht, da mir auch gegen Bezahlung niemand helfen würde. Den ganzen Tag höre ich deutsche Musik oder lese Gedichte, die mir helfen, meine Gedanken zu sammeln. Gerade bin ich dabei, einen Brief nach Hause zu schreiben, als unvermutet mein Mann erscheint. Er stellt die Musik ab und fragt, warum bei uns gesungen werde und woher ich diese Kassette habe. Natürlich hatte ich sie schon immer, was ich möglichst ruhig vorbringe. Er glaubt es nicht. Dann entdeckt er den Brief an meine Mutter. Ich muß ihn vorlesen, aber er bezweifelt, daß ich den Inhalt richtig wiedergebe. Also zerreiße ich den Brief und verbrenne ihn. Zu Napirai sagt er kein Wort, als wäre sie gar nicht hier. Er ist relativ ruhig, und so versuche ich, ihn nicht zu reizen. Letztlich muß ich mich mit ihm versöhnen, wenn ich hier eines Tages wegkommen wil.
Die Tage verstreichen ruhig, da auch der Boy nicht mehr in Barsaloi wohnt. Von James erfahre ich, daß er zu Verwandten gezogen ist. Der Shop bleibt geschlossen, und nach vierzehn Tagen haben wir kein Essen mehr. Ich will nach Maralal, aber mein Mann verbietet es. Er erklärt, andere Frauen leben auch nur von Milch und Fleisch.
Immer wieder spreche ich von Mombasa. Falls wir dorthin ziehen, würde mich meine Familie sicher unterstützen. Für hier oben gibt es kein Geld mehr. Wir könnten auch jederzeit hierher zurückkommen, wenn es mit dem Geschäft nicht klappen sollte. Als eines Tages auch James sagt, er müsse Barsaloi verlassen, um einen Job zu finden, fragt Lketinga zum ersten Mal, was wir denn in Mombasa machen würden.
Sein Widerstand läßt offensichtlich nach. Ich habe mir auch viel Mühe gegeben.
Meine Musik und die Bücher habe ich vernichtet. Briefe schreibe ich keine mehr.
Sogar im Intimen lasse ich ihn gewähren, wenn auch widerwil ig. Ich habe nur ein Ziel: Weg von hier, und zwar mit Napirai!
Ich schwärme von einem schönen Massai-Shop mit vielen Souvenirs. Für die Reise nach Mombasa könnten wir alles im Shop an die Somalis verkaufen. Selbst die Wohnungseinrichtung bringt noch Geld, da hier sonst keine Möglichkeit besteht, zu Bett, Stuhl oder Tisch zu kommen. Wir könnten auch eine Abschiedsdisco veranstalten, um Geld zu verdienen und uns gleichzeitig von den Menschen zu verabschieden. James könnte uns begleiten und beim Aufbau des Geschäftes helfen. Ich rede und rede und versuche, meine Nervosität zu verbergen. Er darf nicht merken, wie wichtig sein Einverständnis für mich ist.
Schließlich meint er gelassen: „Corinne, maybe we go to Mombasa in two or three months.“
Erschrocken frage ich, warum er noch so lange warten will. Dann sei Napirai ein Jahr alt und brauche mich nicht mehr, sie könne bei seiner Mama bleiben. Diese Aussage erschreckt mich zutiefst. Für mich ist klar, nur mit Napirai wegzugehen, was ich ihm auch ruhig mitteile. Ich brauche meine Tochter, sonst habe ich keine Freude am Arbeiten. Jetzt hilft mir auch James. Er will auf Napirai aufpassen. Und falls wir gehen wollen, müsse es jetzt sein, fügt James hinzu, da er in drei Monaten sein Beschneidungsfest hat. Dann gehört er zu den Kriegern und mein Mann zu den Alten. Das Fest dauert ein paar Tage, und danach darf er lange Zeit nur mit den gerade beschnittenen Männern zusammen sein. Wir beraten hin und her und einigen uns, in knapp drei Wochen aufzubrechen.
Am 4. Juni ist mein 30. Geburtstag, und den will ich in Mombasa feiern. Voller Ungeduld lebe ich nur noch auf den Tag hin, an dem wir Barsaloi verlassen werden.
Da es Monatsbeginn ist, wollen wir die Disco so rasch wie möglich durchführen.
Wir fahren das letzte Mal nach Maralal, um Bier und andere Getränke zu organisieren. In Maralal will mein Mann, daß ich in die Schweiz telefoniere, um abzuklären, ob wir für Mombasa Geld bekommen. Ich täusche das Gespräch vor und teile ihm anschließend mit, es sei alles in Ordnung. Sobald wir in Mombasa sind, solle ich mich wieder melden.
Die Disco ist wieder ein großer Erfolg. Mit Lketinga habe ich abgemacht, daß wir um Mitternacht zusammen eine Abschiedsrede halten werden, da die Leute von unserem Weggehen nichts ahnen. Nach einiger Zeit schleicht sich mein Mann jedoch davon. Um Mitternacht stehe ich also alleine da, und ich bitte den Veterinär, meine Rede, die ich in Englisch vorbereitet habe, in Suaheli für die Arbeiter und in Massai für die Einheimischen zu übersetzen.
James stellt die Musik aus, und al e halten verblüfft inne. Nervös stehe ich in der Mitte des Raumes und bitte um Aufmerksamkeit. Zuerst entschuldige ich die Abwesenheit meines Mannes. Dann eröffne ich mit Bedauern, daß dies unsere letzte Disco sei und wir in gut zwei Wochen Barsaloi verlassen, um ein neues Business in Mombasa zu starten. Es sei uns einfach nicht möglich, mit einem teuren Wagen hier oben zu existieren. Auch sei meine Gesundheit sowie die meiner Tochter dauernd gefährdet. Ich bedanke mich bei al en für ihre Treue zum Shop und wünsche ihnen viel Glück mit der neuen Schule.
Kaum habe ich meine Rede beendet, entsteht große Aufregung, und alle reden durcheinander. Sogar der Mini-Chief ist bedrückt und sagt, jetzt, nachdem mich alle akzeptiert haben, könne ich doch nicht einfach weggehen. Zwei andere sprechen lobende Worte über uns und bedauern den Verlust, den sie mit unserem Wegzug erleiden werden. Allen hätten wir etwas Leben und Abwechslung geboten, ganz zu schweigen von den vielen Hilfeleistungen mit meinem Wagen. Die Leute klatschen.