Das Glasperlenspiel

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Das Glasperlenspiel
Название: Das Glasperlenspiel
Автор: Hesse Hermann
Дата добавления: 15 январь 2020
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Das Glasperlenspiel - читать бесплатно онлайн , автор Hesse Hermann

Das Glasperlenspiel ist Hermann Hesses intellektuelle Antwort auf die Barbarei des Hitlerfaschismus. Mit der Utopie seiner p?dagogischen Provinz Kastalien entwirft der Autor dar?ber hinaus eine Gegenwelt zu Diktatur und Verbrechen des Dritten Reichs und stellt die Frage nach den erzieherisch-bildenden M?glichkeiten des Geistes. Die in sich geschlossene geistige Welt der Zucht und der Askese in Kastalien findet h?chsten Ausdruck und Vollendung in der Kunst des Glasperlenspiels: einem Spiel, bei dem »s?mtliche Inhalte und Werte unserer Kultur« miteinander kommunizieren. Der Roman basiert auf der Idee einer ?berzeitlichen Biografie des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht, der in einigen Wiedergeburten gro?e Epochen der Menschheitsgeschichte miterlebt.

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»Schon gut,« hörte er die Stimme des Alten sagen, »schon gut, daß du zu einem frommen Mann gehen und beichten willst. Diese Leute verstehen allerhand, sage ich dir, sie können mehr als bloß Brot essen, und mancher von ihnen ist zauberkundig. Wenn er einem anspringenden Löwen nur ein Wörtchen zuruft, so duckt er sich, der Räuber, zieht den Schwanz ein und schleicht sich davon. Sie können Löwen zahm machen, sage ich dir; einem von ihnen, der ein besonders heiliger Mann war, haben sogar seine zahmen Löwen das Grab gegraben, als er gestorben war, haben die Erde wieder hübsch über ihm zusammengescharrt, und lange Zeit haben immer zwei von ihnen Tag und Nacht an seinem Grab die Wacht gehalten. Und nicht bloß Löwen verstehen sie zahm zu kriegen, diese Leute. Einer von ihnen hat einmal einen römischen Zenturionen, ein grausames Biest von einem Soldaten und den größten Hurenbruder von ganz Askalon, ins Gebet genommen und ihm das böse Herz geknetet, so daß der Kerl klein und ängstlich davonging wie eine Maus und ein Loch suchte, um sich zu verstecken. Man hat den Burschen nachher kaum wiedererkannt, so still und klein war er geworden. Allerdings, und das gibt zu denken, ist der Mann bald darauf gestorben.«

»Der heilige Mann?«

»O nein, der Zenturio. Varro hieß er. Seit der Büßer ihn zusammengestaucht und ihm das Gewissen geweckt hatte, ist er ziemlich schnell zusammengefallen, bekam zweimal das Fieber und ist nach einem Vierteljahr ein toter Mann gewesen. Na, nicht schade um ihn. Aber immerhin, ich habe mir oft gedacht: der Büßer hat ihm nicht bloß den Teufel ausgetrieben, er wird wohl auch ein Sprüchlein über ihn gesprochen haben, das ihn unter die Erde gebracht hat.«

»Ein so frommer Mann? Das kann ich nicht glauben.«

»Glaube es oder glaube es nicht, mein Lieber. Aber von dem Tag an war der Mensch wie verwandelt, um nicht zu sagen verhext, und ein Vierteljahr nachher…«

Es war eine kleine Weile still, dann fing der Jüngere wieder an: »Es gibt da einen Büßer, er muß hier irgendwo in der Nähe leben, er soll ganz allein an einer kleinen Quelle wohnen, am Weg nach Gaza, Josephus heißt er, Josephus Famulus. Von dem habe ich viel gehört.«

»So, und was denn?«

»Er soll schauderhaft fromm sein und namentlich niemals eine Frau ansehen. Wenn je einmal an seinem abgelegenen Ort ein paar Kamele durchkommen, und auf einem hockt ein Weib, so mag es noch so dick verschleiert sein, er wendet den Rücken und verschwindet alsbald ins Geklüft. Es sind viele zu ihm beichten gegangen, sehr viele.«

»Wird nicht so schlimm sein, sonst hätte ich wohl auch schon von ihm gehört. Und was kann er denn, dein Famulus?«

»Oh, man geht eben zu ihm beichten, und wenn er nicht gut wäre und nichts verstünde, so würden die Leute ja nicht zu ihm laufen. Übrigens heißt es von ihm, er sage kaum ein Wort, es gebe bei ihm kein Schelten und Andonnern, keine Strafen und nichts dergleichen, er soll ein sanfter und sogar schüchterner Mann sein.«

»Ja, was tut er denn dann, wenn er nicht schilt und nicht straft und das Maul nicht auftut?«

»Er soll bloß zuhören und wunderbar seufzen und das Kreuz schlagen.«

»Ach was, einen schönen Winkelheiligen habet ihr da! Du wirst doch nicht so töricht sein und diesem schweigsamen Onkel nachlaufen.«

»Doch, das will ich. Finden werde ich ihn schon, es kann nicht weit mehr von hier sein. Es stand ja heut abend so ein armer Bruder hier bei der Tränke herum, den frage ich morgen früh, er sieht selber wie ein Büßer aus.«

Der Alte erhitzte sich. »Laß du deinen Quellenbüßer nur in seiner Grotte hocken! Ein Mann, der bloß zuhört und seufzt und vor den Weibern Angst hat und nichts kann und versteht! Nein, ich werde dir sagen, zu wem du gehen mußt. Es ist zwar weit von hier, noch über Askalon hinaus, aber dafür ist es auch der beste Büßer und Beichtvater, den es überhaupt gibt. Dion heißt er, und man nennt ihn Dion Pugil, das heißt den Faustkämpfer, weil er sich mit allen Teufeln rauft, und wenn einer ihm seine Schandtaten beichtet, dann, mein Guter, seufzt der Pugil nicht und behält das Maul zu, sondern legt los und tut dem Mann den Rost herunter, daß es eine Art hat. Manche soll er verprügelt haben, einen hat er eine ganze Nacht auf nackten Knien in den Steinen knien lassen und ihm dann erst noch auferlegt, vierzig Groschen den Armen zu geben. Das ist ein Mann, Brüderchen, du wirst sehen und staunen; wenn er dich so richtig anschaut, dann schlottert dir schon das Gebein, durch und durch blickt dich der. Da wird nichts geseufzt, der Mann hat es in sich, und wenn einer nicht mehr recht schlafen kann oder schlechte Träume und Gesichte hat und dergleichen, den stellt dir der Pugil wieder in den Senkel, sage ich dir. Ich sage es dir nicht, weil ich Weiber habe von ihm schwatzen hören. Ich sage es dir, weil ich selber bei ihm gewesen bin. Jawohl, ich selber, so ein armer Tropf ich sein mag, ich habe einst den Büßer Dion aufgesucht, den Faustkämpfer, den Gottesmann. Hingegangen bin ich elend und mit lauter Schande und Unrat im Gewissen, und fortgegangen bin ich hell und sauber wie der Morgenstern, so wahr ich David heiße. Merke dir: Dion heißt er, mit Zunamen Pugil. Den suchst du auf, sobald du kannst, du wirst dein Wunder erleben. Präfekten, Älteste und Bischöfe haben sich bei ihm Rat geholt.«

»Ja,« meinte der andere, »wenn ich wieder einmal in jene Gegend komme, will ich mir's überlegen. Aber heut ist heut, und hier ist hier, und da ich heut hier bin und da in der Nähe jener Josephus sein muß, von dem ich so viel Gutes gehört habe…«

»Gutes gehört! Was hast du denn an diesem Famulus für einen Narren gefressen?«

»Es hat mir gefallen, daß er nicht schimpft und wüst tut. Mir gefällt das, muß ich sagen. Ich bin ja kein Zenturio und auch kein Bischof; ich bin ein kleiner Mann und bin eher schüchtern, ich könnte nicht viel Feuer und Schwefel vertragen; ich habe weiß Gott nichts dagegen, wenn man mich eher sanft anfaßt, so ist das nun einmal mit mir.«

»Das hätte manch einer gern. Sanft anfassen! Wenn du gebeichtet und gebüßt und Strafe auf dich genommen und dich gesäubert hast, dann meinetwegen, dann ist es vielleicht am Platz, dich sanft anzufassen, aber nicht, wenn du unrein und stinkend wie ein Schakal vor deinem Beichtvater und Richter stehst!«

»Nun ja, nun ja. Wir sollten nicht so laut sein, die Leute wollen doch schlafen.«

Plötzlich kicherte er vergnügt vor sich hin. »Übrigens, etwas Drolliges hat man mir von ihm auch erzählt.«

»Von wem?«

»Von ihm, vom Büßer Josephus. Also der hat es so im Brauch, wenn einer ihm seine Sachen erzählt und gebeichtet hat, dann grüßt und segnet er ihn zum Abschied und gibt ihm einen Kuß auf die Wange oder auf die Stirn.«

»So, tut er? Komische Gewohnheiten hat er schon.«

»Und nun ist er ja so sehr scheu vor den Frauen, weißt du. Da soll einmal eine Hure aus der Gegend in Mannskleidern zu ihm gegangen sein, und er merkt nichts und hört sich ihre Lügengeschichten an und wie sie mit Beichten fertig ist, verneigt er sich vor ihr und gibt ihr feierlich einen Kuß.«

Der Alte setzte zu einem heftigen Gelächter an, der andere machte schnell »Bst, bst!,« und nun bekam Josef nichts mehr zu hören als eine Weile noch dies halb erstickte Lachen.

Er blickte zum Himmel, scharf und dünn stand die Mondsichel hinter den Kronen der Palmen, er schauerte von der Nachtkälte. Wunderlich wie in einem Zerrspiegel, und doch aufschlußreich, hatte ihm das Abendgespräch der Kamelführer seine eigene Person und die Rolle vor Augen gefühlt, der er untreu geworden war. Und eine Hure also hatte sich diesen Spaß mit ihm gemacht. Nun, dies war nicht das Schlimmste, wenn auch schlimm genug. Er hatte lange nachzudenken über die Unterhaltung der beiden fremden Männer. Und als er sehr spät endlich einschlafen konnte, konnte er es nur, weil sein Nachdenken nicht vergeblich gewesen war. Es hatte zu einem Ergebnis, zu einem Entschluß geführt, und mit diesem jungen Entschluß im Herzen schlief er tief und ungestört bis zum Tagesanbruch.

Sein Entschluß aber war eben jener, welchen der jüngere von den beiden Kameltreibern nicht hatte fassen können. Sein Entschluß war, dem Rat des älteren zu folgen und den Dion, genannt Pugil, aufzusuchen, von dem er ja längst schon wußte und dessen Lob ihm heut so eindringlich war gesungen worden. Dieser berühmte Beichtvater, Seelenrichter und Ratgeber würde auch für ihn einen Rat, ein Urteil, eine Strafe, einen Weg wissen; ihm wollte er sich stellen wie einem Vertreter Gottes und willig annehmen, was er ihm verordnen würde.

Anderntags verließ er schon den Rastplatz, als die beiden Männer noch schliefen, und erreichte an diesem Tag in mühevoller Wanderung einen Ort, den er von frommen Brüdern bewohnt wußte und von dem aus er auf den üblichen Reiseweg gegen Askalon zu gelangen hoffte.

Bei der Ankunft gegen Abend blickte eine kleine grüne Oasenlandschaft ihn freundlich an, er sah Bäume ragen und hörte eine Ziege meckern, glaubte im grünen Schatten die Umrisse von Hüttendächern zu entdecken und Menschennähe zu wittern, und als er zögernd näher trat, meinte er einen Blick auf sich gerichtet zu spüren. Er blieb stehen und spähte umher, da sah er unter den ersten Bäumen, an einen Stamm gelehnt, eine Gestalt sitzen, einen aufrecht sitzenden alten Mann mit einem eisgrauen Bart und einem würdigen, aber strengen und starren Gesicht, der blickte ihn an und mochte ihn schon eine Weile angeblickt haben. Der Blick des alten Mannes war fest und scharf, aber ohne Ausdruck, wie der Blick eines Mannes, der zu beobachten gewohnt, aber nicht neugierig und beteiligt ist, der die Menschen und Dinge an sich herankommen läßt und sie zu erkennen sucht, sie aber nicht herbeizieht und einlädt.

»Gelobt sei Jesus Christus,« sagte Josef. Mit einem Murmeln gab der Greis Antwort.

»Mit Verlaub,« sagte Josef, »seid Ihr ein Fremdling wie ich, oder seid Ihr ein Bewohner dieser schönen Siedlung?«

»Ein Fremder,« sagte der Weißbärtige.

»Ehrwürdiger, so könnet Ihr mir vielleicht sagen, ob es möglich ist, von hier aus auf den Weg nach Askalon zu kommen?«

»Es ist möglich,« sagte der Alte. Und nun richtete er sich langsam, mit etwas steifen Gliedern, auf, ein hagerer Riese. Er stand und blickte in die leere Weite hinaus. Josef fühlte, daß dieser greise Riese wenig Lust zu einem Redewechsel habe, aber eine Frage wollte er doch noch wagen.

»Erlaubet mir noch eine einzige Frage, Ehrwürdiger,« sagte er höflich und sah die Augen des Mannes wieder aus der Ferne zurückkehren. Kühl und aufmerksam blickten sie ihn an.

»Kennet Ihr vielleicht den Ort, wo Vater Dion zu finden ist, genannt Dion Pugil?«

Der Fremde zog die Brauen ein wenig zusammen, und sein Blick wurde noch kühler. »Ich kenne ihn,« sagte er knapp. »Ihr kennet ihn?« rief Josef. »Oh, dann saget ihn mir, denn dorthin, zu Vater Dion, geht meine Reise.«

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