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Das Glasperlenspiel

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Das Glasperlenspiel
Название: Das Glasperlenspiel
Автор: Hesse Hermann
Дата добавления: 15 январь 2020
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Das Glasperlenspiel - читать бесплатно онлайн , автор Hesse Hermann

Das Glasperlenspiel ist Hermann Hesses intellektuelle Antwort auf die Barbarei des Hitlerfaschismus. Mit der Utopie seiner p?dagogischen Provinz Kastalien entwirft der Autor dar?ber hinaus eine Gegenwelt zu Diktatur und Verbrechen des Dritten Reichs und stellt die Frage nach den erzieherisch-bildenden M?glichkeiten des Geistes. Die in sich geschlossene geistige Welt der Zucht und der Askese in Kastalien findet h?chsten Ausdruck und Vollendung in der Kunst des Glasperlenspiels: einem Spiel, bei dem »s?mtliche Inhalte und Werte unserer Kultur« miteinander kommunizieren. Der Roman basiert auf der Idee einer ?berzeitlichen Biografie des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht, der in einigen Wiedergeburten gro?e Epochen der Menschheitsgeschichte miterlebt.

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Der Sohn Turu freilich war sehr unzufrieden damit, daß er das große Schauspiel versäumt und verschlafen hatte. Mochte es nun so oder so gedeutet werden, eine große Sache war es in jedem Fall, und vielleicht würde in seinem ganzen Leben sich Ähnliches nicht mehr zeigen, es war ihm ein Erlebnis und Weltwunder entgangen, eine ganze Weile schmollte er deswegen mit dem Vater. Nun, dies Schmollen wurde überwunden, denn der Alte entschädigte ihn durch vermehrte zärtliche Aufmerksamkeit und zog ihn mehr als je zu allen Verrichtungen seines Amtes heran, sichtlich gab er im Vorgefühl kommender Dinge sich gesteigerte Mühe, in Turu vollends einen möglichst vollkommenen und eingeweihten Nachfolger zu erziehen. Sprach er auch nur selten mit ihm über jenen Sternregen, so nahm er ihn doch immer rückhaltloser in seine Geheimnisse, seine Praktiken, sein Wissen und Forschen mit auf, ließ sich von ihm auch bei Gängen, Versuchen, Naturbelauschungen begleiten, die er bisher mit niemand geteilt hatte.

Der Winter kam und verging, ein feuchter und eher milder Winter. Keine Sterne stürzten mehr, keine großen und ungewöhnlichen Dinge geschahen, das Dorf war beruhigt, fleißig gingen die Jäger auf Beute aus, am Gestänge über den Hütten klapperten überall bei windigem Frostwetter die Bündel von aufgehängten, steifgefrorenen Tierfellen, auf geglätteten langen Scheiten zog man über den Schnee die Holzlasten vom Walde her. Gerade während der kurzen Frostperiode starb eine alte Frau im Dorf, man konnte sie nicht gleich begraben; eine Reihe von Tagen, bis der Boden wieder etwas auftaute, hockte der gefrorene Leichnam neben der Hüttentür.

Der Frühling erst bestätigte zum Teil die üblen Vorahnungen des Wettermachers. Es wurde ein ausgesprochen schlechter, vom Monde verratener, lustloser Frühling ohne Trieb und Saft, immer war der Mond im Rückstande, niemals trafen die verschiedenen Zeichen zusammen, deren es bedurfte, um den Tag der Aussaat zu bestimmen, dürftig blühten die Blumen der Wildnis, tot hingen die geschlossenen Knospen an den Zweigen. Knecht war sehr bekümmert, ohne es sich anmerken zu lassen, nur Ada und namentlich Turu sahen, wie es an ihm zehrte. Er nahm nicht nur die üblichen Beschwörungen vor, sondern brachte auch private, persönliche Opfer dar, kochte für die Dämonen wohlriechende, wollüstig machende Breie und Aufgüsse, schnitt sich den Bart kurz und verbrannte die Haare in der Neumondnacht, vermengt mit Harz und feuchter Rinde, einen dicken Rauch erzeugend. Solange als möglich vermied er die öffentlichen Veranstaltungen, das Gemeindeopfer, die Bittgänge, die Trommlerchöre, solange als irgend möglich ließ er das verwünschte Wetter dieses bösen Frühlings seine Privatsorge sein. Immerhin mußte er, als der übliche Termin der Aussaat schon erheblich überschritten war, der Ahnmutter Bericht erstatten; und siehe, auch hier stieß er auf Unglück und Widerwärtigkeit. Die alte Ahnfrau, ihm gut Freund und beinah mütterlich wohlgesinnt, empfing ihn nicht, sie fühlte sich schlecht, lag im Bett, alle Pflichten und Besorgnisse hatte sie ihrer Schwester übergeben, und diese Schwester war gegen den Regenmacher recht kühl gesinnt, sie hatte nicht das strenge, gerade Wesen der Älteren, neigte etwas zu Zerstreuungen und Spielereien, und dieser Hang hatte ihr den Trommler und Gaukler Maro zugeführt, der verstand, ihr angenehme Stunden zu bereiten und ihr zu schmeicheln, und Maro war Knechts Feind. Gleich bei der ersten Unterredung witterte Knecht die Kühle und Abneigung, obwohl ihm mit keinem Wort widersprochen wurde. Seine Darlegungen und Vorschläge, nämlich mit der Aussaat und auch mit etwaigen Opfern und Umgängen noch zu warten, wurden gutgeheißen und angenommen, aber die Alte hatte ihn doch kalt und wie einen Untergebenen empfangen und behandelt, und sein Wunsch, die kranke Ahnmutter sehen oder ihr doch Arznei bereiten zu dürfen, wurde abschlägig beschieden. Betrübt und wie ärmer geworden, mit einem schlechten Geschmack im Gaumen, kam er von dieser Unterredung zurück, und einen halben Mond lang bemühte er sich auf seine Weise, eine Witterung zu schaffen, welche die Aussaat erlaubt hätte. Aber das Wetter, oft so gleichgerichtet mit den Strömungen seines Innern, verhielt sich hartnäckig höhnisch und feindselig, nicht Zauber noch Opfer schlug an. Es blieb dem Regenmacher nicht erspart, er mußte nochmals zur Schwester der Ahnmutter, diesmal war es schon wie ein Bitten um Geduld, um Aufschub; und er merkte sogleich, daß sie mit Maro, dem Hanswurst, über ihn und seine Sache müsse gesprochen haben, denn beim Gespräch über die Notwendigkeit, den Säetag zu bestimmen oder aber öffentliche Bittzeremonien anzuordnen, spielte das alte Weib allzusehr die Allwissende und brauchte einige Ausdrücke, die sie nur von Maro haben konnte, dem einstigen Regenmacherlehrling. Knecht bat sich noch drei Tage aus, stellte alsdann die gesamte Konstellation neu und günstiger dar und legte die Aussaat auf den ersten Tag des dritten Mondviertels. Die Alte fügte sich und sprach den rituellen Spruch dazu; der Beschluß wurde dem Dorf verkündigt, alles rüstete sich zur Saatfeier. Und nun, wo für eine Weile alles wieder geordnet schien, zeigten die Dämonen von neuem ihre Mißgunst. Ausgerechnet einen Tag vor der ersehnten und vorbereiteten Aussaatfeier starb die alte Ahnmutter, die Feier mußte verschoben und statt ihrer die Bestattung angesagt und vorbereitet werden. Es war eine Feier ersten Ranges; hinter der neuen Dorfmutter, ihren Schwestern und Töchtern hatte der Regenmacher seinen Platz, im Ornat der großen Bittgänge, unter der hohen spitzen Fuchsfellmütze, von seinem Sohn Turu assistiert, der die zweitönige Hartholzklapper schlug. Der Verstorbenen sowohl wie ihrer Schwester, der neuen Ältesten, wurde viel Ehre erwiesen. Maro mit den von ihm angeführten Trommlern drängte sich stark vor und fand Beachtung und Beifall. Das Dorf weinte und feierte, es genoß Wehklage und Festtag, Trommelmusik und Opfer, es war ein schöner Tag für alle, aber die Aussaat war wieder verschoben. Knecht stand würdig und gefaßt, war aber tief bekümmert; es schien ihm, als begrabe er mit der Ahnmutter alle guten Zeiten seines Lebens.

Bald darauf fand, auf Wunsch der neuen Ahnmutter ebenfalls mit besonderer Großartigkeit, die Aussaat statt. Feierlich umschritt die Prozession die Felder, feierlich streute die Alte die ersten Händevoll Samen ins Gemeindeland, zu beiden Seiten gingen ihre Schwestern, jede einen Beutel mit Körnern tragend, aus dem die Älteste schöpfte. Knecht atmete ein wenig auf, als diese Begehung endlich vollzogen war.

Aber die so festlich ausgesäte Frucht sollte keine Freude und keine Ernte bringen, es war ein gnadenloses Jahr. Mit einem Rückfall in Winter und Frost beginnend, übte das Wetter in diesem Frühling und Sommer alle nur ersinnlichen Tücken und Feindseligkeiten, und im Sommer, als endlich ein dünnstehendes, halbhohes, mageres Wachstum die Felder bedeckte, kam das Letzte und Schlimmste, eine ganz unerhörte Trockenheit, wie seit Menschengedenken keine gewesen war. Woche um Woche kochte die Sonne im weißlichen Hitzedunst, die kleineren Bäche versiegten, vom Dorfweiher blieb nur ein schmutziger Sumpf übrig, Paradies der Libellen und einer ungeheuerlichen Brut von Stechmücken, in der dürren Erde klafften die Spalten tief, man konnte zusehen, wie die Ernte erkrankte und abdorrte. Je und je zog sich Gewölk zusammen, aber die Gewitter blieben trocken, und fiel einmal ein Spritzer Regen, so folgte ihm tagelang ein dörrender Ostwind, oft schlug der Blitz in hohe Bäume, deren halbverdorrte Wipfel in schnell verloderten Feuern verbrannten.

»Turu,« sagte Knecht eines Tages zu seinem Sohn, »diese Sache wird nicht gut ausgehen, wir haben alle Dämonen gegen uns. Mit dem Sternenfall hat es angefangen. Es wird mir, so denke ich, das Leben kosten. Merke dir: wenn ich geopfert werden muß, dann trittst du in der gleichen Stunde mein Amt an, und als erstes verlangst du, daß mein Leib verbrannt und die Asche auf die Felder gestreut wird. Ihr werdet einen Winter mit großem Hunger haben. Aber das Unheil wird dann gebrochen sein. Du mußt sorgen, daß niemand das Saatgut der Gemeinde angreift, es muß Todesstrafe darauf stehen. Das kommende Jahr wird besser werden, und man wird sagen: gut, daß wir den neuen, jungen Wettermacher haben.«

Im Dorf herrschte Verzweiflung, Maro hetzte, nicht selten wurden dem Regenmacher Drohungen und Verwünschungen zugerufen. Ada wurde krank und lag von Erbrechen und Fiebern geschüttelt. Die Umgänge, die Opfer, die langen, herzerschütternden Trommelchöre konnten nichts mehr gutmachen. Knecht leitete sie, es war sein Amt, aber wenn die Leute wieder auseinanderliefen, stand er allein, ein gemiedener Mann. Er wußte, was notwendig war, und wußte auch, daß Maro schon von der Ahnmutter seine Opferung verlangt hatte. Seiner Ehre und seinem Sohn zuliebe tat er den letzten Schritt: er bekleidete Turu mit dem großen Ornat, nahm ihn mit zur Ahnmutter, empfahl ihn als seinen Nachfolger und legte selber sein Amt nieder, indem er sich zum Opfer anbot. Sie sah ihn eine kleine Weile neugierig prüfend an, dann nickte sie und sagte ja.

Die Opferung wurde noch am selben Tage vollzogen. Das ganze Dorf wäre mitgegangen, aber es lagen viele an der Ruhr krank, auch Ada lag schwer krank. Turu in seinem Ornat mit der hohen Fuchsfellmütze wäre beinah einem Hitzschlag erlegen. Alle Angesehenen und Würdenträger, soweit sie nicht krank lagen, kamen mit, die Ahnmutter mit zwei Schwestern, die Ältesten, der Vorstand des Trommlerchors, Maro. Hinterher folgte ungeordnet der Volkshaufe. Beschimpft wurde der alte Regenmacher von keinem, es ging recht schweigsam und beklommen zu.

Man zog in den Wald und suchte dort eine große rundliche Lichtung auf, sie hatte Knecht selbst zum Ort der Handlung bestimmt. Die meisten Männer hatten ihre Steinäxte mit, um an dem Holzstoß für die Verbrennung mitzuarbeiten. In der Lichtung angekommen, ließ man den Regenmacher in der Mitte stehen und bildete einen kleinen Kreis um ihn, weiter außen im größeren Kreis stand die Menge. Da alle ein unentschlossenes und verlegenes Schweigen bewahrten, ergriff der Regenmacher selbst das Wort. »Ich bin euer Regenmacher gewesen,« sagte er, »ich habe meine Sache viele Jahre lang so gut gemacht, als ich konnte. Jetzt sind die Dämonen gegen mich, es will mir nichts mehr glücken. Darum habe ich mich zum Opfer gestellt. Das versöhnt die Dämonen. Mein Sohn Turu wird euer neuer Regenmacher sein. Nun tötet mich, und wenn ich tot bin, dann folget genau den Vorschriften meines Sohnes. Lebet wohl! Und wer wird mich töten? Ich empfehle den Trommler Maro, er wird der geeignete Mann dafür sein.«

Er schwieg, und niemand rührte sich. Turu, dunkelrot unter der schweren Fellmütze, blickte gequält im Kreise herum, spöttisch verzog sich seines Vaters Mund. Endlich stampfte die Ahnmutter wütend mit dem Fuße auf, winkte Maro her und schrie ihn an: »Vorwärts doch! Nimm die Axt und tu es!« Maro, die Axt in Händen, stellte sich vor seinem einstigen Lehrmeister auf, er haßte ihn noch mehr als sonst, der Zug von Spott auf diesem schweigsamen alten Mund tat ihm bitter weh. Er hob die Axt und schwang sie über sich, zielend hielt er sie oben schwebend, starrte dem Opfer ins Gesicht und wartete, daß es die Augen schlösse. Allein dies tat Knecht nicht, er hielt die Augen unentwegt offen und blickte den Mann mit der Axt an, beinah ohne Ausdruck, aber was an Ausdruck zu sehen war, schwebte zwischen Mitleid und Spott.

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