Das Glasperlenspiel
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Das Glasperlenspiel ist Hermann Hesses intellektuelle Antwort auf die Barbarei des Hitlerfaschismus. Mit der Utopie seiner p?dagogischen Provinz Kastalien entwirft der Autor dar?ber hinaus eine Gegenwelt zu Diktatur und Verbrechen des Dritten Reichs und stellt die Frage nach den erzieherisch-bildenden M?glichkeiten des Geistes. Die in sich geschlossene geistige Welt der Zucht und der Askese in Kastalien findet h?chsten Ausdruck und Vollendung in der Kunst des Glasperlenspiels: einem Spiel, bei dem »s?mtliche Inhalte und Werte unserer Kultur« miteinander kommunizieren. Der Roman basiert auf der Idee einer ?berzeitlichen Biografie des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht, der in einigen Wiedergeburten gro?e Epochen der Menschheitsgeschichte miterlebt.
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Die drei Lebensläufe
Der Regenmacher
Es war vor manchen tausend Jahren, und die Frauen waren an der Herrschaft: in Stamm und Familie waren es die Mutter und Großmutter, welchen Ehrfurcht und Gehorsam erwiesen wurde, bei Geburten galt ein Mädchen sehr viel mehr als ein Knabe.
Im Dorf war eine Ahnfrau, wohl hundert oder mehr Jahre alt, von allen wie eine Königin verehrt und gefürchtet, obwohl sie schon seit Menschengedenken nur selten noch einen Finger rührte oder ein Wort sprach. An vielen Tagen saß sie vor dem Eingang ihrer Hütte, ein Gefolge von dienenden Verwandten um sie, und es kamen die Frauen des Dorfes, ihr Ehrfurcht zu erweisen, ihr ihre Angelegenheiten zu erzählen, ihre Kinder zu zeigen und zum Segnen zu bringen; es kamen die Schwangeren und baten, sie möge ihren Leib berühren und ihnen den Namen für das Erwartete geben. Die Ahnmutter legte manchmal die Hand auf, manchmal nickte sie nur oder schüttelte den Kopf oder blieb auch regungslos. Worte sagte sie selten; sie war nur da; sie war da, saß und regierte, saß und trug das weißgelbe Haar in dünnen Strähnen um das lederne, weitsichtige Adlergesicht, saß und empfing Verehrung, Geschenke, Bitten, Nachrichten, Berichte, Anklagen, saß und war allen bekannt als die Mutter von sieben Töchtern, als die Großmutter und Urahne von vielen Enkeln und Urenkeln, saß und trug auf den scharfgefalteten Zügen und hinter der braunen Stirn die Weisheit, die Überlieferung, das Recht, die Sitte und Ehre des Dorfes.
Es war ein Abend im Frühling, bewölkt und früh dunkelnd. Vor der Lehmhütte der Urahne saß nicht sie selbst, aber ihre Tochter, die war kaum weniger weiß und würdig und auch nicht sehr viel weniger alt als die Urahne. Sie saß und ruhte, ihr Sitz war die Türschwelle, ein flacher Feldstein, bei kaltem Wetter mit einem Fell belegt, und weiter außen im Halbkreise hockten am Boden, im Sand oder Gras, ein paar Kinder und ein paar Weiber und Buben; die hockten hier an jedem Abend, an dem es nicht regnete oder fror, denn sie wollten die Tochter der Urahne erzählen hören, Geschichten erzählen oder Sprüche singen. Früher hatte dies die Urahne selbst getan, jetzt war sie allzu alt und nicht mehr mitteilsam, und an ihrer Stelle kauerte und erzählte die Tochter, und wie sie die Geschichten und Sprüche alle von der Urgroßmutter hatte, so hatte sie von ihr auch die Stimme, die Gestalt, die stille Würde der Haltung, der Bewegungen und des Sprechens, und die Jüngeren unter den Zuhörern kannten sie viel besser als ihre Mutter und wußten schon beinahe nichts mehr davon, daß sie an Stelle einer anderen saß und die Geschichten und Weistümer des Stammes mitteilte. Von ihrem Munde floß an den Abenden der Quell des Wissens, sie verwahrte den Schatz des Stammes unter ihrem weißen Haar, hinter ihrer sanft gefurchten alten Stirn wohnte die Erinnerung und der Geist der Siedlung. Wenn einer wissend war und Sprüche oder Geschichten kannte, so hatte er sie von ihr. Außer ihr und der Uralten gab es nur noch einen Wissenden im Stamm, der aber verborgen blieb, einen geheimnisvollen und sehr schweigsamen Mann, den Wetter- oder Regenmacher.
Unter den Zuhörenden kauerte auch der Knabe Knecht und neben ihm ein kleines Mädchen, das hieß Ada. Dieses Mädchen hatte er gern und begleitete und beschützte es oft, nicht aus Liebe eigentlich, davon wußte er noch nichts, er war selber noch ein Kind, sondern weil sie die Tochter des Regenmachers war. Ihn, den Regenmacher, verehrte und bewunderte Knecht sehr, nächst der Urahne und ihrer Tochter niemand so wie ihn. Aber sie waren Frauen. Sie konnte man verehren und fürchten, doch konnte man nicht den Gedanken fassen und den Wunsch in sich hegen, zu werden, was sie waren. Der Wettermacher nun war ein ziemlich unnahbarer Mann, es war für einen Knaben nicht leicht, sich in seiner Nähe zu halten; man mußte Umwege gehen, und einer der Umwege zum Wettermacher war Knechts Sorge um dessen Kind. Er holte es so oft wie möglich in des Wettermachers etwas abgelegener Hütte ab, um am Abend vor der Hütte der Alten zu sitzen und sie erzählen zu hören, und brachte sie dann wieder heim. So hatte er auch heute getan und hockte nun neben ihr in der dunklen Schar und hörte zu.