Liebe Deinen Nachsten
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»Du hast für uns gesorgt, solange du es konntest.«
»Dann werde ich jetzt gehen. Alles Gute für dich, mein Kind.«
Kind, dachte Kern. Wer von uns beiden ist das Kind? Er sah seinen Vater langsam die Straße hinuntergehen, er hatte ihm versprochen, er würde ihm schreiben und ihn wiedersehen, aber er wußte, es war das letztemal, daß er ihn sah. Er blickte ihm mit weiten Augen nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann wurde es leer.
Er ging zurück. Auf der Terrasse saß Marill und las mit einem Gesicht voll Abscheu und Hohn noch immer in seiner Zeitung. Merkwürdig, wie schnell etwas einstürzen kann, dachte Kern… schon, während ein anderer immer noch die Zeitung liest. Vollwaise, Fünfzigjähriger – er lächelte krampfhaft und mit trübem Spott – Vollwaise… als ob man es nicht werden könnte, ohne daß Vater und Mutter tot waren…
DREI TAGE SPÄTER reiste Ruth Holland nach Wien. Sie hatte ein Telegramm einer Freundin erhalten, bei der sie wohnen konnte, und sie wollte versuchen, Arbeit zu bekommen und zur Universität zu gehen.
Am Abend ihrer Abreise ging sie mit Kern in das Restaurant»Zum schwarzen Ferkel«. Beide hatten bislang jeden Tag in der Volksküche gegessen; für den letzten Abend jedoch hatte ihr Kern vorgeschlagen, etwas Besonderes zu unternehmen.
Das»Schwarze Ferkel«war ein kleines, verräuchertes Lokal, das nicht teuer, aber sehr gut war. Marill hatte es Kern genannt. Er hatte ihm auch die genauen Preise gesagt und ihm besonders die Spezialität des Wirtes, Kalbsgulasch, empfohlen. Kern hatte sein Geld gezählt und ausgerechnet, daß es sogar noch für Käsekuchen hinterher als Dessert reichen mußte. Ruth hatte ihm einmal gesagt, das sei eine Leidenschaft von ihr. Als sie ankamen, erwartete sie jedoch eine peinliche Überraschung. Es gab kein Gulasch mehr. Sie waren zu spät gekommen. Sorgenvoll studierte Kern die Speisekarte. Die meisten anderen Sachen waren teurer. Neben ihm leierte der Kellner seine Litanei herunter.»Geselchtes mit Kraut, Schweinskotelett mit Salat, Paprikahuhn, frische Gansleber…«
Gansleber, dachte Kern – der Narr scheint uns für Multimillionäre zu halten. Er gab Ruth die Karte.»Was möchtest du statt Gulasch haben?«fragte er. Er hatte festgestellt, daß, wenn er Koteletts bestellte, die Käsekuchen dahin waren.
Ruth warf einen kurzen Blick auf die Karte.»Würstchen mit Kartoffelsalat«, sagte sie. Es war das Billigste.
»Ausgeschlossen«, erklärte Kern.»Das ist kein Abschiedsessen.«
»Ich esse sie sehr gerne. Nach den Suppen der Volksküche sind sie schon ein Fest.«
»Und was meinst du zu einem Fest mit Schweinskoteletts. Aber große!«
»Sind alle eins wie’s andere«, erwiderte der Kellner ungerührt.
»Was vorher? Suppe, Hors d’œuvre, Sülze?«
»Nein«, sagte Ruth, bevor Kern sie fragen konnte.
Sie bestellten noch eine Karaffe billigen Wein, dann zog der Kellner ziemlich verächtlich ab – als ahnte er, daß Kern bereits eine halbe Krone an seinem Trinkgeld fehlte.
Das Lokal war fast leer. An einem Tisch in der Ecke saß nur noch ein einziger Gast. Es war ein Mann mit einem Monokel und mit Schmissen im breiten, roten Gesicht. Er saß vor einem Glase Bier und betrachtete Kern und Ruth.
»Schade, daß der da sitzt«, sagte Kern.
Ruth nickte.»Wenn es noch jemand anderes wäre! Aber das… das erinnert einen…«
»Ja, das ist bestimmt kein Emigrant«, sagte Kern.»Eher das Gegenteil.«
»Wir wollen gar nicht hinsehen…«
Er tat es aber doch. Und er bemerkte, daß der Mann sie unentwegt weiter ansah.
»Ich weiß nicht, was er will«, sagte er ärgerlich.»Er läßt ja kein Auge von uns.«
»Vielleicht ist es ein Agent der Gestapo. Ich habe gehört, daß es hier von Spitzeln wimmelt.«
»Soll ich hingehen und ihn fragen, was er von uns will?«
»Nein!«Ruth legte erschreckt die Hand auf Kerns Arm.
Die Koteletts kamen. Sie waren knusprig und zart, und es gab frischen grünen Salat dazu. Trotzdem schmeckte es beiden nicht so, wie sie erwartet hatten. Sie waren zu unruhig.
»Er kann nicht unsertwegen hier sein«, sagte Kern.»Niemand wußte, daß wir hierher gehen würden.«
»Das nicht«, erwiderte Ruth.»Vielleicht war er zufällig hier. Aber er beobachtet uns, das sieht man…«
Der Kellner trug die Schüsseln ab. Kern blickte mißmutig hinterher. Er hatte Ruth eine Freude damit machen wollen, und nun hatte die Angst vor dem Kerl mit dem Monokel alles verdorben. Ärgerlich stand er auf; er hatte einen Entschluß gefaßt.»Einen Augenblick, Ruth…«
»Was willst du tun?«fragte sie angstvoll.»Bleib hier!«
»Nein, nein, nichts mit dem da drüben. Ich will nur einmal den Wirt sprechen.«
Er hatte zur Vorsicht, als sie fortgingen, zwei kleine Flaschen Parfüm eingesteckt. Jetzt wollte er versuchen, eine davon gegen zwei Käsekuchen beim Wirt umzutauschen. Sie waren zwar bedeutend mehr wert, aber das war ihm gleich. Nach den mißglückten Koteletts sollte Ruth wenigstens den Nachtisch haben, den sie liebte. Vielleicht konnte er auch noch einen Kaffee dazu einhandeln.
Er ging hinaus und machte dem Wirt seinen Vorschlag. Der lief sofort rot an.»Aha, Zechpreller! Fressen und dann nicht bezahlen können! Nee, mein Lieber, da gibt’s nur eins: Polizei!«
»Ich kann bezahlen, was ich verzehrt habe!«Kern hieb ärgerlich sein Geld auf den Tisch.
»Zählen Sie es nach«, sagte der Wirt zum Kellner.»Stecken Sie Ihr Gepansche ein«, schnaubte er dann Kern an.»Was wollen Sie überhaupt? Sind Sie ein Gast oder ein Hausierer?«
»Vorläufig bin ich ein Gast«, erklärte Kern wütend.»Und Sie sind…«
»Einen Augenblick!«sagte eine Stimme hinter ihm.
Kern fuhr herum. Der Fremde mit dem Monokel stand direkt hinter ihm.»Kann ich Sie einmal etwas fragen?«
Der Mann ging ein paar Schritte von der Theke weg. Kern folgte ihm. Sein Herz klopfte plötzlich wie rasend.»Sie sind deutsche Emigranten, nicht wahr?«fragte der Mann.
Kern starrte ihn an.»Was geht Sie das an!«
»Nichts«, erwiderte der Mann ruhig.»Ich habe nur gehört, worüber Sie eben verhandelten. Wollen Sie mir die Flasche verkaufen?«
Kern glaubte jetzt zu wissen, worauf der Mann hinauswollte. Wenn er ihm die Flasche verkaufte, hatte er sich unerlaubten Handels schuldig gemacht und konnte sofort verhaftet und ausgewiesen werden.
»Nein«, sagte er.
»Warum nicht?«
»Ich habe nichts zu verkaufen. Ich treibe keinen Handel.«
»Dann lassen Sie uns tauschen. Ich gebe Ihnen das dafür, was der Wirt nicht geben will: den Kuchen und den Kaffee.«
»Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie wollen«, sagte Kern.
Der Mann lächelte.»Und ich verstehe, daß Sie mißtrauisch sind. Hören Sie zu. Ich bin aus Berlin und fahre in einer Stunde wieder dahin zurück. Sie können nicht zurück…«
»Nein«, sagte Kern.
Der Mann sah ihn an.»Das ist der Grund, weshalb ich hier stehe. Und weshalb ich Ihnen gern mit dieser Kleinigkeit helfen möchte. Ich war Kompanieführer im Kriege. Einer meiner besten Leute war ein Jude. Wollen Sie mir nun die kleine Flasche geben?«
Kern reichte sie ihm.»Entschuldigen Sie«, sagte er.»Ich habe etwas ganz anderes von Ihnen gedacht.«
»Das kann ich mir vorstellen.«Der Mann lachte.»Und nun lassen Sie das junge Fräulein nicht länger allein. Es hat sicher schon Angst. Ich wünsche Ihnen beiden alles Gute!«Er gab Kern die Hand.
»Danke. Danke vielmals.«
Kern ging verwirrt zurück.»Ruth«, sagte er,»entweder ist Weihnachten, oder ich bin verrückt.«
Gleich darauf erschien der Kellner. Er trug ein Tablett mit Kaffee und einen silbernen Ständer mit Kuchen, drei Etagen übereinander.
»Was ist denn das?«fragte Ruth erstaunt.
»Das sind die Wunder von Kerns Farr-Parfüm!«
Kern strahlte und schenkte den Kaffee ein.»Wir haben jeder das Recht auf ein beliebiges’ Stück Kuchen. Was möchtest du haben, Ruth?«
»Ein Stück Käsekuchen.«
»Hier hast du ein Stück Käsekuchen. Ich nehme einen Mohrenkopf.«
»Soll ich Ihnen den Rest einpacken?«fragte der Kellner.