Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung
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1806 — Vizeadmiral Sir Richard Bolitho hat das Kap der Guten Hoffnung von den Holl?ndern zur?ckerobert. Aber in London ist man von dieser Leistung nicht sonderlich beeindruckt, dort ist er wegen seiner Aff?re mit Lady Catherine Sommervell gesellschaftlich ge?chtet. Man beordert ihn schleunigst nach D?nemark, wo die zweite Schlacht um Kopenhagen bevorsteht. Denn Enlgand schickt seine "h?lzernen Mauern" — seine Schiffe — weltweit aus, um sich dahinter unbehindert auszudehnen.
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Allday lehnte sich gegen die feuchten Finknetze. Sie würden vollgestopft mit Hängematten sein, wenn das Schiff erst auf dem neuen Kurs lag. Land voraus? Wahrscheinlich. Doch Allday spürte Kapitän Polands Unrast, so wie er sich auch seiner eigenen Ängste bewußt war. Gewöhnlich war er froh, ja sogar erleichtert, das Land verlassen und wieder an Bord eines Schiffes gehen zu können. Aber diesmal war es nicht so gewesen.
Allday hatte gehört, wie man an Bord über den Mann sprach, dem er diente und den er liebte wie sonst niemanden. Nein, die Truculent war nicht ihr Schiff. Er betastete diesen Gedanken im Geist wie eine frische Narbe. Die Truculent war nicht zu vergleichen mit der alten Hyperion.
Es war am 15. Oktober geschehen, vor weniger als vier Monaten. In seinem Herzen spürte er immer noch das Krachen jener fürchterlichen Breitseiten, die Schreie, den Wahnsinn und dann… Der alte Schmerz zuckte durch seine Brust, und er griff nach ihm mit der Faust, schluckte Luft und wartete darauf, daß er aufhörte. Das war in einem anderen Ozean, einer anderen Schlacht gewesen, aber eine brennende Erinnerung an ihr gemeinsames Schicksal. Allday ahnte, was Poland hinter seiner regungslosen Miene dachte. Männer wie er konnten Richard Bolitho nie verstehen. Sie wollten es auch gar nicht.
Allday rieb sich die Brust und grinste. Ja, sie beide hatten viel gesehen und viel zusammen erlebt, Vizeadmiral Sir Richard Bolitho und er. Das Schicksal hatte sie zusammengespleißt. Allday wischte sich Gischtflocken aus dem Gesicht und schüttelte den langen geteerten Zopf über seinem Kragen. Die meisten Leute glaubten wahrscheinlich, daß es Bolitho an nichts mangelte. Seine letzten Ruhmestaten wurden in den Häfen und Kneipen Englands besungen, und Charles Dibdin oder einer seiner Freunde hatte sogar eine Ballade darüber komponiert:»Wie die Hyperion uns den Weg freischoß…«Das waren die Worte eines sterbenden Matrosen gewesen, dessen Hand Bolitho an jenem schrecklichen Tag bis zuletzt gehalten hatte, obwohl er gleichzeitig an hundert anderen Stellen benötigt wurde.
Nur die, die an seinen Gefechten teilgenommen hatten, wußten, wie Bolitho wirklich war. Sie kannten die Kraft und die Hingabe des Mannes mit den goldenen Schulterstücken, der seine Leute auch dann noch begeistern konnte, wenn sie halb wahnsinnig waren oder taub vom höllischen Lärm der Schlacht. Der sie Mut fassen ließ, selbst im Angesicht des sicheren Todes. Trotzdem blieb Bolitho ein Außenseiter, über den die Londoner Gesellschaft die Nase rümpfte und in den Kaffeehäusern Gerüchte verbreitete. Allday richtete sich seufzend auf. Der Schmerz kam nicht wieder. Die Schwätzer wären alle überrascht gewesen, wenn sie gewußt hätten, wie wenig Bolitho sich darum scherte. Er hörte Polands kurzes Kommando:»Einen guten Mann nach oben, wenn ich bitten darf!»
Allday fühlte fast Mitleid mit dem Ersten, als der antwortete:»Bereits geschehen, Sir. Ich habe einen Gehilfen des Masters in den Fockmast geschickt, als die Wache an Deck kam.»
Beim Weggehen funkelte Poland den müßigen Bootssteurer des Admirals an.»Nur die Achterdeckswache und meine Offiziere dürfen hier. «Aber er verschluckte den Rest und trat zum Kompaß.
Allday stapfte den Niedergang hinunter und tauchte wieder in die Gerüche und Geräusche des Schiffes ein: Teer, Farbe, Tauwerk und Salz. Er hörte gebellte Kommandos, das Quietschen von Spieren und Blöcken, das Stampfen Dutzender nackter Füße, als die Männer ihre Kraft gegen den Druck von Wasser und Wind warfen und das Schiff über Stag ging, auf den neuen Kurs.
An der Tür zur Achterkajüte stand der Posten der Seesoldaten steif unter einer wild tanzenden Lampe. In seinem roten Rock kippte er fast um, als das Ruder hart übergelegt wurde. Allday nickte ihm zu und stieß die Lamellentür auf. Er mißbrauchte seine Vorrechte selten, aber es machte ihn stolz, hier nach eigenem Willen kommen und gehen zu können. Wieder etwas, das Kapitän Poland ärgerte, dachte er und kicherte. Fast stieß er mit Ozzard zusammen, Bolithos schmächtigem Steward, der sich mit ein paar Hemden zum Waschen davondrückte, grau und unauffällig wie ein Maulwurf.»Wie geht's ihm?»
Ozzard sah sich um. Hinter den Schlafstellen und Polands Schwingkoje lag die Kajüte fast noch im Dunkeln — bis auf eine einsame Laterne. Er murmelte:»Hat sich nicht bewegt. «Dann war er verschwunden: verläßlich, verschwiegen und immer da, wenn er gebraucht wurde. Ozzard brütete wohl immer noch über seinem Verhalten an jenem Tag im Oktober, als die alte Hyperion zwar den Kampf gewonnen, aber danach untergegangen war. Nur Allday wußte, daß Ozzard vorgehabt hatte, mit ihr zu sterben, mit all den Toten und Verwundeten. Der Grund dafür war sein Geheimnis. Ob Bolitho ihn ahnte?
Dann sah er Bolithos bleiche Gestalt vor den breiten Heckfenstern. Er saß auf der Bank, ein Knie angezogen, und sein Hemd leuchtete weiß vor dem bewegten Wasser draußen.
Allday sagte unsicher:»Ich hole noch eine Laterne, Sir Richard.»
Bolitho wandte den Kopf, aber seine grauen Augen blieben im Schatten.»Es wird bald hell genug sein, mein Freund. «Unwillkürlich berührte er sein linkes Augenlid.»Wir werden heute wohl Land sichten.»
So ruhig gesagt, dachte Allday, und doch mußten ihm Kopf und Herz von Erinnerungen überquellen, von guten und bösen. Aber seine Stimme verriet nichts davon, auch nichts von der Sehschwäche seines linken Auges.
«Wenn nicht, wird Käpt'n Poland gottslästerlich fluchen, darauf wette ich«, sagte Allday.
Bolitho lächelte und wandte sich wieder der See zu, die ums Ruder kochte, als würde gleich ein großer Fisch das Wasser durchstoßen, um nach der Fregatte zu schnappen. Er liebte die Morgendämmerung auf See. Auf so vielen und so unterschiedlichen Gewässern hatte er sie erlebt, von den stillen blauen Tiefen der großen Südsee bis zu den wütenden grauen Wüsten des Atlantiks. Jedes Meer hatte sich ihm so unverwechselbar eingeprägt wie die Schiffe und die Männer, die sich mit ihm gemessen hatten.
Er hatte gehofft, daß der neue Tag ihm Befreiung bringen würde von seinen bohrenden Gedanken. Ein gutes, sauberes Hemd, eine gründliche Rasur von Allday — danach fühlte er sich meist wohler. Aber diesmal nicht.
Wieder hörte er die Pfeifen schrillen und konnte sich leicht die systematische Hektik an Deck vorstellen, als die Segel getrimmt und Brassen und Fallen dichtgeholt wurden. Insgeheim würde er wohl immer der Fregattenkapitän bleiben, der er einst gewesen war, als Allday an Bord kam, geschnappt von einem Preßkommando. Seit damals hatten sie viele tausend Meilen gesegelt und zu viele Männer verloren: Gesichter, so schnell weggewischt wie Kreidestriche von einer Tafel.
Bolitho sah das erste Licht auf den Wellenkämmen; zu beiden Seiten des Ruders teilte sich golden der Schaum, als die Morgensonne über die Kimm zu steigen begann. Da stand er auf und stützte sich aufs Fenstersüll, um der See ins Gesicht zu blicken.
Er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen, an den Admiral, der ihm den verhaßten Befehl gegeben hatte. Vergeblich hatte er protestiert, es war das einzige Kommando, das ihm die Admiralität nach seinem schrecklichen Fieber zugebilligt hatte.
«Schließlich waren Sie doch einmal Fregattenkapitän, Bolitho. «Ja, aber vor zwölf Jahren — oder noch länger! Am Ende hatte man ihm die alte Hyperion geben müssen und das wohl auch nur wegen der blutigen Revolution in Frankreich und wegen des Krieges, der ihr folgte und bis zu diesem Tag tobte.
Die Hyperion wurde das wichtigste Schiff seines Lebens. Viele hatten an seiner Urteilsfähigkeit gezweifelt, als er sich den alten Vierundsiebziger als Flaggschiff erbat. Aber sie schien die richtige Wahl zu sein, die einzige. Und nun war sie im letzten Oktober gesunken, nachdem sie im Mittelmeer Bolithos Geschwader gegen eine viel stärkere Streitmacht spanischer Schiffe angeführt hatte, die sein alter Feind, Admiral Don Alberto Casares, kommandierte. Es war ein verzweifeltes Gefecht gewesen, und von den ersten Breitseiten an war der Ausgang völlig ungewiß. Obwohl es unmöglich schien, hatten sie die Spanier schließlich doch geschlagen und sogar einige Prisen mit nach Gibraltar gebracht.