Clavigo
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Clavigo ist ein Trauerspiel in f?nf Akten von Johann Wolfgang von Goethe mit Beaumarchais als B?hnenfigur. Im Mai 1774 in nur acht Tagen geschrieben, lag das B?hnenmanuskript bereits im Juli 1774 als erstes gedrucktes Werk des Autors Goethe vor. Am 23. August 1774 wurde das St?ck von der Ackermannschen Gesellschaft in Hamburg uraufgef?hrt.
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Vierter Akt
Clavigos Wohnung
Carlos allein.
Es ist löblich, daß man dem Menschen, der durch Verschwendung oder andere Torheiten zeigt, daß sein Verstand sich verschoben hat, von Amts wegen Vormünder setzt. Tut das die Obrigkeit, die sich doch sonst nicht viel um uns bekümmert, wie sollten wir's nicht an einem Freunde tun? Clavigo, du bist in übeln Umständen! Noch hoff' ich! Und wenn du nur noch halbweg lenksam bist wie sonst, so ist's eben noch Zeit, dich vor einer Torheit zu bewahren, die bei deinem lebhaften, empfindlichen Charakter das Elend deines Lebens machen und dich vor der Zeit ins Grab bringen muß. Er kommt.
Clavigo nachdenkend.
Clavigo.
Guten Tag, Carlos.
Carlos.
Ein schwermütiges, gepreßtes: Guten Tag! Kommst du in dem Humor von deiner Braut?
Clavigo.
Es ist ein Engel! Es sind vortreffliche Menschen!
Carlos.
Ihr werdet doch mit der Hochzeit nicht so sehr eilen, daß man sich noch ein Kleid dazu kann sticken lassen?
Clavigo.
Scherz oder Ernst, bei unserer Hochzeit werden keine gestickten Kleider paradieren.
Carlos.
Ich glaub's wohl.
Clavigo.
Das Vergnügen an uns selbst, die freundschaftliche Harmonie sollen der Prunk dieser Feierlichkeit sein.
Carlos.
Ihr werdet eine stille, kleine Hochzeit machen?
Clavigo.
Wie Menschen, die fühlen, daß ihr Glück ganz in ihnen selbst beruht.
Carlos.
In den Umständen ist es recht gut.
Clavigo.
Umständen! Was meinst du mit den Umständen?
Carlos.
Wie die Sache nun steht und liegt und sich verhält.
Clavigo.
Höre, Carlos, ich kann den Ton des Rückhalts an Freunden nicht ausstehen. Ich weiß, du bist nicht für diese Heirat; demungeachtet, wenn du etwas dagegen zu sagen hast, sagen willst: so sag's geradezu! Wie steht denn die Sache? wie verhält sie sich?
Carlos.
Es kommen einem im Leben mehr unerwartete, wunderbare Dinge vor, und es wäre schlimm, wenn alles im Gleise ginge. Man hätte nichts, sich zu verwundern, nichts, die Köpfe zusammenzustoßen, nichts in Gesellschaft zu verschneiden.
Clavigo.
Aufsehn wird's machen.
Carlos.
Des Clavigo Hochzeit! das versteht sich. Wie manches Mädchen in Madrid harrt auf dich, hofft auf dich, und wenn du ihnen nun diesen Streich spielst?
Clavigo.
Das ist nun nicht anders.
Carlos.
Sonderbar ist's. Ich habe wenig Männer gekannt, die so großen und allgemeinen Eindruck auf die Weiber machten als du. Unter allen Ständen gibt's gute Kinder, die sich mit Planen und Aussichten beschäftigen, dich habhaft zu werden. Die eine bringt ihre Schönheit in Anschlag, die ihren Reichtum, ihren Stand, ihren Witz, ihre Verwandte. Was macht man mir nicht um deinetwillen für Komplimente! Denn wahrlich, weder meine Stumpfnase, noch mein Krauskopf, noch meine bekannte Verachtung der Weibe, kann mir so was zuziehen.
Clavigo.
Du spottest.
Carlos.
Wenn ich nicht schon Vorschläge, Anträge in Händen gehabt hätte, geschrieben von eignen zärtlichen, kritzlichen Pfötchen, so unorthographisch, als ein originaler Liebesbrief eines Mädchens nur sein kann. Wie manche hübsche Duenna ist mir bei der Gelegenheit unter die Finger gekommen!
Clavigo.
Und du sagtest mir von allen dem nichts?
Carlos.
Weil ich dich mit leeren Grillen nicht beschäftigen wollte, und niemals raten konnte, daß du mit einer einzigen Ernst gemacht hättest. O Clavigo, ich habe dein Schicksal im Herzen getragen wie mein eigenes! Ich habe keinen Freund als dich; die Menschen sind mir alle unerträglich, und du fängest auch an, mir unerträglich zu werden.
Clavigo.
Ich bitte dich, sei ruhig!
Carlos.
Brenn einem das Haus ab, daran er zehen Jahre gebauet hat, und schick ihm einen Beichtvater, der ihm die christliche Geduld empfiehlt! — Man soll sich für niemand interessieren als für sich selbst; die Menschen sind nicht wert —
Clavigo.
Kommen deine feindseligen Grillen wieder?
Carlos.
Wenn ich aufs neue ganz drein versinke, wer ist schuld dran als du? Ich sagte zu mir: Was soll ihm jetzt die vorteilhafteste Heirat? ihm, der es für einen gewöhnlichen Menschen weit genug gebracht hätte; aber mit seinem Geist, mit seinen Gaben ist es unverantwortlich — ist es unmöglich, daß er bleibt, was er ist. — Ich machte meine Projekte. Es gibt so wenig Menschen, die so unternehmend und biegsam, so geistvoll und fleißig zugleich sind. Er ist in alle Fächer gerecht; als Archivarius kann er sich schnell die wichtigsten Kenntnisse erwerben, er wird sich notwendig machen, und laßt eine Veränderung vorgehn, so ist er Minister.
Clavigo.
Ich gestehe dir, das waren oft auch meine Träume!
Carlos.
Träume! So gewiß ich den Turm erreiche und erklettere, wenn ich drauf losgehe, mit dem festen Vorsatze, nicht abzulassen, bis ich ihn erstiegen habe, so gewiß hättest du auch alle Schwierigkeiten überwunden. Und hernach wär mir für das übrige nicht bang gewesen. Du hast kein Vermögen von Hause, desto besser; das hätte dich auf die Erwerbung eifriger, auf die Erhaltung aufmerksamer gemacht. Und wer am Zoll sitzt, ohne reich zu werden, ist ein Pinsel. Und dann seh ich nicht, warum das Land dem Minister nicht so gut Abgaben schuldig ist als dem König. Dieser gibt seinen Namen her und jener die Kräfte. Wenn ich denn mit allem dem fertig war, dann sah ich mich erst nach einer Partie für dich um. Ich sah manch stolzes Haus, das die Augen über deine Abkunft zugeblinkt hätte, manches der reichsten, das dir gern den Aufwand deines Standes verschafft haben würde, nur an der Herrlichkeit des zweiten Königs teilnehmen zu dürfen — und nun —
Clavigo.
Du bist ungerecht, du setzest meinen gegenwärtigen Zustand zu tief herab. Und glaubst du denn, daß ich mich nicht weiter treiben, nicht auch noch mächtigere Schritte tun kann?
Carlos.
Lieber Freund, brich du einer Pflanze das Herz aus, sie mag hernach treiben und treiben, unzählige Nebenschößlinge — es gibt vielleicht einen starken Busch, aber der stolze königliche Wuchs des ersten Schusses ist dahin. Und denke nur nicht, daß man diese Heirat bei Hofe gleichgültig ansehen wird. Hast du vergessen, was für Männer dir den Umgang, die Verbindung mit Marien mißrieten? Hast du vergessen, wer dir den klugen Gedanken eingab, sie zu verlassen? Soll ich dir sie an den Fingern herzählen?
Clavigo.
Der Gedanke hat mich auch schon gepeinigt, daß so wenige diesen Schritt billigen werden.
Carlos.
Keiner! Und deine hohen Freunde sollten nicht aufgebracht sein, daß du, ohne sie zu fragen, ohne ihren Rat, dich so geradezu hingegeben hast, wie ein unbesonnener Knabe auf dem Markt sein Geld gegen wurmstichige Nüsse wegwirft?
Clavigo.
Das ist unartig, Carlos, und übertrieben.
Carlos.
Nicht um einen Zug. Denn daß einer aus Leidenschaft einen seltsamen Streich macht, das laß ich gelten. Ein Kammermädchen zu heiraten, weil sie schön ist wie ein Engel! gut, der Mensch wird getadelt, und doch beneiden ihn die Leute.
Clavigo.
Die Leute, immer die Leute.
Carlos.
Du weißt, ich frage nicht ängstlich nach andrer Beifall, doch das ist ewig wahr: wer nichts für andere tut, tut nichts für sich; und wenn die Menschen dich nicht bewundern, oder beneiden, bist du auch nicht glücklich.
Clavigo.
Die Welt urteilt nach dem Scheine. O! wer Mariens Herz besitzt, ist zu beneiden!
Carlos.
Was die Sache ist, scheint sie auch. Aber freilich dacht ich, daß das verborgene Qualitäten sein müssen, die dein Glück beneidenswert machen; denn was man mit seinen Augen sieht, mit seinem Menschenverstande begreifen kann —
Clavigo.
Du willst mich zugrunde richten.
Carlos.
Wie ist das zugegangen? wird man in der Stadt fragen. Wie ist das zugegangen? fragt man bei Hofe. Um Gottes willen, wie ist das zugegangen? Sie ist arm, ohne Stand; hätte Clavigo nicht einmal ein Abenteuer mit ihr gehabt, man wüßte gar nicht, daß sie in der Welt ist. Sie soll artig sein, angenehm, witzig! — Wer wird darum eine Frau nehmen? Das vergeht so in den ersten Zeiten des Ehestands. Ach! sagt einer, sie soll schön sein, reizend, ausnehmend schön. — Da ist's zu begreifen, sagt ein anderer —
Clavigo wird verwirrt, ihm entfährt ein tiefer Seufzer.
Ach!
Carlos.
Schön? O! sagt die eine, es geht an! Ich hab sie in sechs Jahren nicht gesehn, da kann sich schon was verändern, sagt eine andere. Man muß doch achtgeben, er wird sie bald produzieren, sagt die dritte. Man fragt, man guckt, man geht zu Gefallen, man wartet, man ist ungeduldig, erinnert sich immer des stolzen Clavigo, der sich nie öffentlich sehn ließ, ohne eine stattliche, herrliche, hochäugige Spanierin im Triumph aufzuführen, deren volle Brust, ihre glühenden Wangen, ihre heißen Augen die Welt ringsumher zu fragen schienen: bin ich nicht meines Begleiters wert? und die in ihrem Übermut den seidnen Schlepprock so weit hinten aus in Wind segeln ließ als möglich, um ihre Erscheinung ansehnlicher und würdiger zu machen. — Und nun erscheint der Herr — und allen Leuten versagt das Wort im Munde — kommt angezogen mit seiner trippelnden, kleinen, hohläugigen Französin, der die Auszehrung aus allen Gliedern spricht, wenn sie gleich ihre Totenfarbe mit Weiß und Rot überpinselt hat. O Bruder, ich werde rasend, ich laufe davon, wenn mich nun die Leute zu packen kriegen und fragen und quästionieren und nicht begreifen können —