Der Wiedersacher
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Auf der Suche nach einer Tankstelle sto?en Brenner und Astrid auf ein seltsames, uraltes Kloster, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Doch allzuschnell holt sie die Gegenwart ein. ?ber ihren H?uptern bricht ein flammendes Inferno aus, als ein arabischer Terrorist und die US-Luftwaffe sich ein letztes Gefecht liefern. Danach geschehen Zeichen und Wunder: Menschen, die Brenner vergl?hen sah, sind noch am Leben, und ein unheimlicher Priester enth?llt ihm die unglaubliche Kunde, da? das Ende der Welt angebrochen sei und der Widersacher nun auf Erden wandle.
"Mit diesem neuen Roman wird Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein seine Fan-Gemeinde sicher noch vergr??ern k?nnen. Die irrwitzige Mischung aus Spannung, Fantasy und Horror l??t den Leser eintauchen in eine atemberaubene Lekt?re, von der man nicht so schnell los kommt." Berliner Morgenpost
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Ob es etwas mit seinem Traum zu tun hatte? Er versuchte sich genauer daran zu erinnern, aber wie meistens, wenn er mit klopfendem Herze n und einem schalen Geschmack im Mund aufwachte, ging es nicht. Die Bilder waren da, aber sie ließen sich einfach nicht zu einem sinnvollen Ablauf zusammenfügen.
Wahrscheinlich, weil es keinen gab, dachte er. Er hatte sich irgendwelches wirres Zeug zusammenphantasiert, wie in jeder der vergangenen Nächte, und etwas davon in die Welt des Wachens mitgenommen. Nachdem es seinem Körper trotz aller Anstrengung nicht gelungen war, ihn im Stich zu lassen, machte er jetzt offenbar gemeinsame Sache mit seinem Unterbewußtsein. So einfach war das.
Unendlich vorsichtig stemmte er sich weiter hoch, bis er sich auf die Ellbogen aufgerichtet hatte und einen etwas größeren Teil seines Zimmers überblicken konnte. Der graue Nebel war noch da, aber er hatte sich gelichtet. Brenner konnte jetzt tatsächlich einen billigen Tisch und drei Plastikstühle auf der anderen Seite des Zimmers erkennen und darüber ein schwarzes Rechteck: das abgedunkelte Fenster, dessen Abwesenheit ihm bisher solche Angst bereitet hatte. Daneben befand sich ein etwas kleinerer, verwaschener Fleck von hellerer Farbe – wahrscheinlich ein Bild, einer jener billigen Drucke, wie sie in Krankenhauszimmern der zweiten Klasse üblich waren. Und da war noch mehr.
Brenner stürzte jäh in einen Strudel von einander widersprechenden Emotionen und Gedanken. Das Gefühl, gefangen – eingekerkert – zu sein, war noch immer da, aber er empfand auch eine Erleichterung, die an Euphorie grenzte, und ein fast hysterisches Vergnügen an Dingen, die er in den letzten dreißig Jahren seines Lebens als selbstverständlich hingenommen hatte. Er spürte seinen Körper so intensiv wie niemals zuvor, jeden einzelnen Quadratzentimeter seiner Haut, jedes Haar, jede Nadel, die in ihm steckte, jeden Verband und jede Elektrode, die sie auf die eine oder andere Art an ihm befestigt hatten, und er spürte jetzt eigentlich zum erstenmal, wie viele Quellen unterschiedlich intensiver Schmerzen er in und an sich hatte. Aber selbst dieser Schmerz war zugleich beinahe wohltuend, denn er war da, und das allein war wichtig. Schmerz war etwas Schlimmes, aber nichts zu empfinden war schlimmer. Und zugleich sah er Dinge, die er vor dreiTagen noch nicht einmal registriert hätte, hätte man ihn mit der Nase darauf gestoßen. Er sah jedes winzige Stäubchen auf seinem Nachttisch, die mikroskopisch feinen Kratzer an dem verchromten Bettgestell, jede einzelne Faser der weißen Verbände, in denen seine Hände steckten.
Wäre er etwas weniger »high« gewesen, dann hätte er vielleicht begriffen, daß er noch immer so gut wie blind war. Der Teil des Universums, den er sehen konnte, maß vielleicht fünf Meter, aber das waren vier Meter mehr als noch vor ein paar Stunden. Der Arzt hatte recht gehabt: Sein Sehvermögen kehrte zurück.
Ganz vorsichtig drehte er den Kopf und sah nach rechts. In dieser Richtung hörte seine Welt nach wie vor nach einem knappen Meter auf, aber sie verlor sich jetzt nicht mehr in grauem Nebel, in dem ein paar Lichter schwammen und manchmal verwaschene Umrisse, sondern endete vor einer mit weißer Rauhfaser tapezierten Wand, vor der ein verchromter Instrumentenwagen stand.
Dieser Anblick war ernüchternd. Das technische Aufgebot, das ihn überwachte, war nicht annähernd so gewaltig, wie er erwartet hatte. Auf dem Wagen standen drei schuhkartongroße Geräte, die mit einigen Kabeln untereinander und zwei oder drei weiteren Drähten mit ihm verbunden waren. Einer davon sah schon ein wenig schäbig aus. Brenner war fast ein wenig enttäuscht. Nach allem, was er durchgemacht hatte, hatte er eigentlich ein wenig mehr Aufwand verdient. Aber was erwartete er, dachte er spöttisch. Schließlich war er nur Kassenpatient.
Mutig geworden, stemmte er sich noch ein bißchen weiter hoch. Einer der verchromten Kästen reagierte mit einem ärgerlichen Fiepen darauf, und zwei oder drei rote Digitalanzeigen begannen hektisch zu flackern, aber der befürchtete Alarm blieb noch immer aus. Entweder waren die Dinger kaputt, oder er hatte sich in den letztenTagen eine ganze Menge eingebildet, nicht nur jede Menge Science-Fiction-Apparaturen neben seinem Bett, die es gar nicht gab. Er zog langsam die Beine an den Körper, setzte sich schließlich ganz auf und versuchte auch die Arme zu heben. Er löste damit keinen Alarm aus, aber es ging trotzdem nicht. Seine linke Schulter tat erbärmlich weh, und in seinem rechten Handrücken steckte eine Nadel, die jeden Versuch, die Hand zu bewegen, zu einem Abenteuer machte, das ihm die Tränen in die Augen steigen ließ. Er hatte noch nie Schmerzen ertragen können.
Trotzdem biß er die Zähne zusammen, ignorierte das Pochen und Brennen in seiner linken Schulter und versuchte sich die Nadel aus der Hand zu ziehen. Es blieb bei dem Versuch. Der Schmerz war so heftig, daß man kein bekennender Feigling wie er sein mußte, um sich darum zu drücken.
Er ließ die Nadel, wo sie war, zog aber nach einer Sekunde des Überlegens den dünnen Plastikschlauch ab, an dem sie saß.
Ein dünner Strom einer farblosen Flüssigkeit begann herauszutropfen und das Bettlaken dunkel zu färben. Brenner sah dem einen Moment lang zu, dann verknotete er den Schlauch aus einem absurden Ordnungsbedürfnis heraus, so daß das Tröpfeln aufhörte. Ein rascher Blick auf den Gerätewagen zeigte ihm, daß die Digitalziffern mittlerweile vor der elektronischen Variante einesTobsuchtsanfalles zu stehen schienen, aber der erwartete Alarm blieb immer noch aus. Vielleicht ertönte er in diesem Moment auch irgendwo in dem Bereitschaftszimmer auf der anderen Seite des Flures, aber niemand kam.
Brenner schlug vorsichtig die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und verzog das Gesicht, als seine bloßen Füße den eiskalten Kunststoffboden berührten. Seine Zehen begannen sich zu verkrampfen, so daß er die Füße anhob, bis er den Boden nur noch mit den Fersen berührte. Er wartete ein paar Sekunden, dann löste er mit der Linken ungeschickt die beiden Elektroden, die mit Heftpflaster über seinem Herzen und an der rechten Schläfe befestigt waren. Spätestens jetzt hätte eigentlich ein Notruf ausgelöst werden müssen, aber die verchromten Kästen neben seinem Bett zeigten noch immer keine Wirkung. Soweit die Segnungen derTechnik!
Ihm wurde ein wenig schwindlig, aber wem wäre es nicht schwindlig geworden, wenn er drei Tage reglos im Bett gelegen hätte und sich zum erstenmal aufsetzte? Brenner atmete zweimal tief ein und aus, dann senkte er tapfer beide Füße auf den eisigen Boden und belastete sie mit seinem Körpergewicht.
Wer hatte behauptet, daß es keine Wunder mehr gab? Er konnte nicht nur aus eigener Kraft stehen, die Krämpfe in seinen Zehen kamen auch nicht zurück, und er fühlte sich sogar kräftig genug für eine Expedition, die er auch unverzüglich in Angriff nahm. Das Ergebnis war verblüffend – er schaffte es nicht nur bis zum Fenster, er war auch hinterher keineswegs erschöpft, sondern fühlte sich im Gegenteil kräftiger als zuvor. Sein Körper kam ihm mit einem Mal vor wie eine Maschine, die bisher im Leerlauf vor sich hin getuckert hatte, aber nur einen kleinen Stups brauchte, um aufTouren zu kommen. Vielleicht, dichte er, war er hier einfach falsch. Statt in ein Krankenhaus Wäre er besser in eine Autowerkstatt gegangen, um das Standgas höher einstellen zu lassen.
Sein penken funktionierte noch immer auf diese seltsame, schizophrene Weise. Die aus Hysterie geborgene Albernheit überwog noch immer, aber darunter waren auch noch andere, viel ernstere Ebenen; es war, als hörte er verschiedene Stimmen, die in unterschiedlichenTonarten und über gänzlich verschiedene Dinge sprachen, und einige dieser Gespräche waren nicht besonders angenehm.
Da war eine Stimme, die ihm erklärte, daß er Blödsinn dachte und auf dem besten Wege war, sich noch ein paar Schrammen mehr einzuhandeln und seinen Krankenhausaufenthalt zu verlängern, und eine andere, die immer noch darauf beharrte, daß er hier gar nicht im Krankenhaus, sondern gefangen war; ohne ihm allerdings zu verraten, wo oder von wem. Oder gar warum.