Der Schwarm
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Ein Fischer verschwindet vor Peru, spurlos. Цlbohrexperten stoЯen in der norwegischen See auf merkwьrdige Organismen, die hunderte Quadratkilometer Meeresboden in Besitz genommen haben. Wдhrenddessen geht mit den Walen entlang der Kьste British Columbias eine unheimliche Verдnderung vor. Nichts von alledem scheint miteinander in Zusammenhang zu stehen. Doch Sigur Johanson, norwegischer Biologe und Schцngeist, glaubt nicht an Zufдlle. Auch der indianische Walforscher Leon Anawak gelangt zu einer beunruhigenden Erkenntnis: Eine Katastrophe bahnt sich an. Doch wer oder was lцst sie aus? Wдhrend die Welt an den Abgrund gerдt, kommen die Wissenschaftler zusammen mit der britischen Journalistin Karen Weaver einer ungeheuerlichen Wahrheit auf die Spur.
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Anawak überlegte. »Hat die NASA nicht irgendwann mal eine Botschaft ins All gefunkt?«
»Ach so.« Ihre Augen blitzten. »Sie meinen, wir sollten nicht faul rumsitzen und horchen, sondern selber Laut geben. Ja, hat sie. 1974 haben wir eine Botschaft von Arecibo nach M 13 geballert, das ist ein Kugelsternhaufen um die Ecke. Aber das löst nicht wirklich unser Problem. Jede Nachricht irrt verloren durch den interstellaren Raum, ob sie nun von uns kommt oder von anderen. Es wäre ein unglaublicher Zufall, wenn jemand sie empfangen würde. Außerdem ist Horchen preiswerter als Senden.«
»Trotzdem. Es würde die Chancen erhöhen.«
»Vielleicht wollen wir das ja gar nicht.«
»Warum nicht?«, fragte Anawak verblüfft. »Ich denke…«
»Wir wollen es schon. Aber eine Menge Leute sähe so was mit Skepsis. Man ist vielerorts der Meinung, es wäre besser, andere gar nicht erst auf sich aufmerksam zu machen. Sie könnten kommen und uns die schone Erde wegnehmen. Huh! Sie könnten uns verspeisen.«
»Das ist doch Blödsinn.«
»Ich weiß nicht, ob es Blödsinn ist. Ich persönlich glaube ja auch, dass eine Intelligenz, die es zu interstellarer Raumfahrt gebracht hat, über das Krawallstadium hinweg sein müsste. Andererseits — ich denke, ganz lässt sich das Argument nicht vom Tisch wischen. Menschen sollten besser darüber nachdenken, wie sie sich bemerkbar machen. Ansonsten bestünde die Gefahr, missverstanden zu werden.«
Anawak schwieg. Plötzlich hatten ihn die Wale wieder.
»Sind Sie nicht manchmal entmutigt?«, fragte er.
»Wer ist das nicht. Aber dafür gibt’s Zigaretten und Videofilme.«
»Und wenn Sie Ihr Ziel erreichen?«
»Gute Frage, Leon.« Crowe machte eine Pause und strich mit den Fingern gedankenverloren über die Tischdecke. »Im Grunde frage ich mich seit Jahren, was eigentlich unser wirkliches Ziel ist. Ich glaube, wenn ich die Antwort wüsste, würde ich aufhören zu forschen. Eine Antwort ist immer das Ende der Suche. Vielleicht quält uns die Einsamkeit unserer Existenz. Die Vorstellung, ein Zufall zu sein, der sich nirgendwo wiederholt hat. Vielleicht wollen wir aber auch den Gegenbeweis erbringen, dass es niemanden außer uns gibt und wir den besonderen Platz in der Schöpfung einnehmen, der uns angeblich gebührt. Ich weiß es nicht. Warum erforschen Sie Wale und Delphine?«
»Ich bin … neugierig.«
Nein, das stimmt nicht ganz, dachte er im selben Moment. Es ist mehr als bloße Neugierde. Also, wonach suche ich?
Crowe hatte Recht. Im Grunde taten sie das Gleiche. Jeder horchte in seinen Kosmos und hoffte, Antworten zu erlangen. Jeder trug eine tiefe Sehnsucht nach Gesellschaft in sich, nach der Gesellschaft intelligenter Wesen, die keine Menschen waren.
Verrückt, das Ganze.
Crowe schien seine Gedanken zu erraten.
»Am Ende steht nicht die andere Intelligenz«, sagte sie. »Machen wir uns nichts vor. Am Ende steht die Frage, was die andere Intelligenz von uns übrig lässt. Wer wir dann sind. Und was wir nicht mehr sind.« Sie lehnte sich zurück und lächelte ihr freundliches, attraktives Lächeln. »Wissen Sie, Leon, ich glaube, am Ende steht ganz einfach die Frage nach dem Sinn.«
Im Folgenden redeten sie über alles Mögliche, aber nicht mehr von Walen oder fremden Zivilisationen. Gegen halb elf, nachdem sie vor dem Kamin im Salon noch einen Drink genommen hatten — Crowe Bourbon, Anawak wie üblich Wasser —, verabschiedeten sie sich. Crowie hatte ihm erzählt, dass sie am übernächsten Morgen abreisen werde. Sie begleitete ihn nach draußen. Die Wolken hatten sich endgültig verzogen. Über ihnen spannte sich ein Sternenhimmel, der sie in sich hineinzusaugen schien. Eine Weile sahen sie einfach nur hinauf.
»Bekommen Sie nicht manchmal genug von Ihren Sternen?«, fragte Anawak.
»Bekommen Sie genug von Ihren Walen?«
Er lachte. »Nein. Bestimmt nicht.«
»Ich hoffe sehr, Sie finden die Tiere wieder.«
»Ich werd’s Ihnen erzählen, Sam.«
»Ich werde es auch so erfahren. Bekanntschaften sind flüchtig. Es war ein schöner Abend, Leon. Wenn wir uns mal wieder über den Weg laufen, sollte es mich freuen, aber Sie wissen ja, wie das geht. Achten Sie auf Ihre Schützlinge. Ich glaube, die Tiere haben in Ihnen einen guten Freund. Sie sind ein guter Mensch.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»In meiner Lage liegen Glauben und Wissen zwangsläufig auf einer Wellenlänge. Passen Sie auf sich auf.«
Sie schüttelten einander die Hände.
»Vielleicht sehen wir uns ja als Orcas wieder«, scherzte Anawak.
»Wieso gerade als Orcas?«
»Die Kwakiutl-Indianer glauben, dass jeder, der im Leben ein guter Mensch war, als Orca wiedergeboren wird.«
»So? Das gefällt mir!« Crowe grinste übers ganze Gesicht. Die meisten ihrer vielen Falten, stellte Anawak fest, kamen offenbar vom Lachen.
»Und glauben Sie es auch?«
»Natürlich nicht.«
»Warum nicht? Sind Sie nicht selber einer?«
»Ein was?«, fragte er, obwohl ihm klar war, was sie meinte.
»Ein Indianer.«
Anawak spürte, wie er sich innerlich versteifte. Er sah sich durch ihre Augen. Einen mittelgroßen Mann von gedrungener Statur, mit breiten Wangenknochen und kupferfarbener Haut, die Augen leicht geschlitzt, das dichte, in die Stirn fallende Haar tiefschwarz und glatt.
»So etwas in der Art«, sagte er nach einer zu langen Pause.
Samantha Crowe musterte ihn. Dann brachte sie das Päckchen mit den Zigaretten aus ihrer Windjacke zum Vorschein, zündete sich eine an und nahm einen tiefen Zug.
»Tja. Davon bin ich leider auch besessen. Alles Gute, Leon.«
»Alles Gute, Sam.«
13. März
Sigur Johanson sah und hörte eine Woche nichts von Tina Lund. In der Zwischenzeit sprang er für einen erkrankten Professor ein und hielt ein paar Vorlesungen mehr als geplant. Er war zudem beschäftigt mit der Abfassung eines Artikels für National Geographie und der Aufstockung seines Weinkellers, weshalb er die eingeschlafene Korrespondenz mit einem Bekannten im elsässischen Riquewihr wieder aufnahm, der als Repräsentant der renommierten Kelterei Hügel amp; Fils im Besitz gewisser Raritäten war. Einige davon beabsichtigte sich Johanson zum Geburtstag zu schenken. Nebenher hatte er eine 1959er Vinyl-Einspielung des Nibelungenrings von Sir Georg Solti aufgetrieben und begonnen, sich damit die Abende zu verkürzen. Lunds Würmer verkrochen sich unter der vereinten Übermacht von Hügel und Solti in die zweite Reihe, zumal bislang keine weiteren Ergebnisse über sie vorlagen.
Am neunten Tag nach ihrem Zusammentreffen rief Lund ihn schließlich an, offenbar bester Laune.
»Du klingst so verdammt ausgelassen«, konstatierte Johanson. »Muss ich mir Sorgen um deine wissenschaftliche Objektivität machen?«
»Vielleicht«, orakelte sie fröhlich.
»Erklär dich.«
»Später. Hör zu, die Thorvaldson wird morgen am Kontinentalrand sein und einen Roboter runterlassen. Hast du Lust dabei zu sein?«
Johanson überschlug im Geist seine Termine. »Ich bin vormittags beschäftigt«, sagte er. »Muss Studenten mit dem Sexappeal von Schwefelbakterien vertraut machen.«
»Das ist blöde. Das Schiff legt in aller Herrgottsfrühe ab.«
»Wo?«
»In Kristiansund.«
Kristiansund lag eine gute Autostunde südwestlich von Trondheim an einer von Wind und Wellen umtosten Felsenküste. Vom nahe gelegenen Flughafen gingen Helikopterflüge hinaus zu den Bohrinseln, die sich auf dem Nordseeschelf und entlang der norwegischen Rinne aneinander reihten. Rund siebenhundert Plattformen zur Förderung von Öl und Gas lagen allein vor Norwegen.
»Kann ich nicht nachkommen?«, schlug Johanson vor.
»Ja, vielleicht«, sagte Lund nach kurzem Schweigen. »Gar keine schlechte Idee. Wenn ich so darüber nachdenke, könnten wir eigentlich beide nachkommen.