Der Antichrist
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Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum ist eines der Sp?twerke Friedrich Nietzsches. Er schrieb die polemische Abrechnung mit dem Christentum im Sp?tsommer und Herbst 1888. Da Nietzsche sich bis zu seinem geistigen Zusammenbruch wenige Monate sp?ter nicht konkret um eine Publikation bem?ht hatte, wurde das Manuskript zun?chst zur?ckgehalten und erst 1894 vom Nietzsche-Archiv herausgegeben, allerdings mit mehreren M?ngeln. Streitigkeiten um eine korrekte Edition des Werks zogen sich — wie bei allen Sp?twerken Nietzsches — bis in die zweite H?lfte des 20. Jahrhunderts hin.
Wie in mehreren seiner letzten Werke philosophiert Nietzsche auch hier „mit dem Hammer“ und will alte Werte „umwerten“. Unter R?ckgriff auf einige seiner fr?heren Schriften b?ndelt er seine Kritik am Christentum, der er eine bisher nicht gekannte Sch?rfe gibt. In oft pr?gnanten S?tzen kritisiert er das Christentum der Priester, das im Wesentlichen von Paulus begr?ndet worden sei und das unter anderem das Erbe der griechischen und r?mischen Antike vernichtet habe. Des Weiteren gibt er eine originelle psychologische Deutung von Jesus. Er spricht sich gegen die Mitleidsethik aus, attackiert die christliche Theologie und die aus seiner Sicht davon abh?ngige (deutsche) Philosophie sowie den j?disch-christlichen Gottesbegriff, und stellt dem Christentum andere Religionen wie Buddhismus, Islam oder Brahmanismus als in unterschiedlicher Hinsicht ?berlegen gegen?ber.
Das Werk ist von zentraler Bedeutung in Nietzsches sp?ter Philosophie.
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— Ich gebe ein Paar Proben von dem, was sich diese kleinen Leute in den Kopf gesetzt, was sie ihrem Meister in den Mund gelegt haben: lauter Bekenntnisse» schöner Seelen«. —
«Und welche euch nicht aufnehmen und hören, da geht von dannen hinaus und schüttelt den Staub ab von euren Füssen, zu einem Zeugniss über sie. Ich sage euch.- Wahrlich, es wird Sodom und Gomorrha am jüngsten Gerichte erträglicher ergehn, denn solcher Stadt«(Marc. 6,11) — Wie evangelisch!…
«Und wer der Kleinen Einen ärgert, die an mich glauben, dem wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehängt würde und er in das Meer geworfen würde«(Marc. 9,42) — Wie evangelisch!…
«Ärgert dich dein Auge, so wirf es von dir. Es ist dir besser, dass du einäugig in das Reich Gottes gehest, denn dass du zwei Augen habest und werdest in das höllische Feuer geworfen; da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht erlischt«(Marc. 9, 47) — Es ist nicht gerade das Auge gemeint…
«Wahrlich, ich sage euch, es stehen Etliche hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis dass sie sehen das Reich Gottes in Kraft kommen«(Marc. 9, 1). — Gut gelogen, Löwe…
«Wer mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn…«(Anmerkung eines Psychologen. Die christliche Moral wird durch ihre Denn's widerlegt: ihre» Gründe «widerlegen, — so ist es christlich) Marc. 8, 34. —
«Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch gemessen werden.«(Matth- 7, 1) — Welcher Begriff von Gerechtigkeit, von einem» gerechten «Richter!…
«Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Thun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und so ihr nur zu euren Brüdern freundlich thut, was thut ihr Sonderliches? Thun nicht die Zöllner auch also?«(Matth. 5, 46) — Princip der» christlichen Liebe«: sie will zuletzt gut bezahlt sein…
«Denn so ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, wird euch euer Vater im Himmel auch nicht vergeben«(Matth. 6, 15) — Sehr compromittirend für den genannten» Vater»…
«Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen«(<Matth 6,33>). Solches Alles. nämlich Nahrung, Kleidung, die ganze Nothdurft des Lebens. Ein Irrthum, bescheiden ausgedrückt… Gleich darauf erscheint Gott als Schneider, wenigstens in gewissen Fällen…
«Freuet euch alsdann und hüpfet: denn siehe, euer Lohn ist gross im Himmel. Desgleichen thaten ihre Väter den Propheten auch«(< Luc. 6, 23 >) Unverschämtes Gesindel! Es vergleicht sich bereits mit den Propheten…
«Wisset ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnet? So jemand den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben: denn der Tempel Gottes ist heilig, der seid ihr«(Paul. I Cor. 3, 16) — Dergleichen kann man nicht genug verachten…
«Wisset ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden? So denn nun die Welt soll von euch gerichtet (werden): seid ihr denn nicht gut genug, geringere Sachen zu richten?«(Paul. I Cor. 6, 2) Leider nicht bloss die Rede eines Irrenhäuslers… Dieser fürchterliche Betrüger fährt wörtlich fort:»Wisset ihr nicht, dass wir über die Engel richten werden? Wie viel mehr über die zeitlichen Güter!»…
«Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Thorheit gemacht? Denn dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch thörichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben. Nicht viel Weise nach dem Fleische, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern was thöricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, dass er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, dass er zu Schanden mache, was stark ist. Und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da Nichts ist, dass er zu Nichte mache, was Etwas ist. Auf dass sich vor ihm kein Fleisch rühme«(Paul. I Cor. I, 20 ff) — Um diese Stelle, ein Zeugniss allerersten Ranges für die Psychologie jeder Tschandala-Moral, zu verstehn, lese man die erste Abhandlung meiner Genealogie der Moral: in ihr wurde zum ersten Mal der Gegensatz einer vornehmen und einer aus Ressentiment und ohnmächtiger Rache gebornen Tschandala-Moral an's Licht gestellt. Paulus war der grösste aller Apostel der Rache…
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— Was folgt daraus? Dass man gut thut, Handschuhe anzuziehn, wenn man das neue Testament liest. Die Nähe von so viel Unreinlichkeit zwingt beinahe dazu. Wir würden uns» erste Christen «so wenig wie polnische Juden zum Umgang wählen: nicht dass man gegen sie auch nur einen Einwand nöthig hätte… Sie riechen beide nicht gut. — Ich habe vergebens im neuen Testamente auch nur nach Einem sympathischen Zuge ausgespäht; Nichts ist darin, was frei, gütig, offenherzig, rechtschaffen wäre. Die Menschlichkeit hat hier noch nicht ihren ersten Anfang gemacht, — die Instinkte der Reinlichkeit fehlen… Es giebt nur schlechte Instinkte im neuen Testament, es giebt keinen Muth selbst zu diesen schlechten Instinkten. Alles ist Feigheit, Alles ist Augen-Schliessen und Selbstbetrug darin.
Jedes Buch wird reinlich, wenn man eben das neue Testament gelesen hat: ich las, um ein Beispiel zu geben, mit Entzücken unmittelbar nach Paulus jenen anmuthigsten, übermüthigsten Spötter Petronius, von dem man sagen könnte, was Domenico Boccaccio über Cesare Borgia an den Herzog von Parma schrieb:»é tutto festo«— unsterblich gesund, unsterblich heiter und wohlgerathen… Diese kleinen Mucker verrechnen sich nämlich in der Hauptsache. Sie greifen an, aber Alles, was von ihnen angegriffen wird, ist damit ausgezeichnet. Wen ein» erster Christ «angreift, den besudelt er nicht… Umgekehrt: es ist eine Ehre,»erste Christen «gegen sich zu haben. Man liest das neue Testament nicht ohne eine Vorliebe für das, was darin misshandelt wird, — nicht zu reden von der» Weisheit dieser Welt«, welche ein frecher Windmacher» durch thörichte Predigt «umsonst zu Schanden zu machen sucht… Aber selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten haben ihren Vortheil von einer solchen Gegnerschaft: sie müssen schon etwas werth gewesen sein, um auf eine so unanständige Weise gehasst zu werden. Heuchelei — das wäre ein Vorwurf, den» erste Christen «machen dürften! — Zuletzt waren es die Privilegirten: dies genügt, der Tschandala-Hass braucht keine Gründe mehr. Der» erste Christ«— ich fürchte, auch der» letzte Christ«, den ich vielleicht noch erleben werde- ist Rebell gegen alles Privilegirte aus unterstem Instinkte, — er lebt, er kämpft immer für» gleiche Rechte«… Genauer zugesehn, hat er keine Wahl. Will man, für seine Person, ein» Auserwählter Gottes «sein — oder ein» Tempel Gottes«, oder ein» Richter der Engel«—, so ist jedes andre Princip der Auswahl, zum Beispiel nach Rechtschaffenheit, nach Geist, nach Männlichkeit und Stolz, nach Schönheit und Freiheit des Herzens, einfach» Welt«, — das Böse an sich… Moral: jedes Wort im Munde eines» ersten Christen «ist eine Lüge, jede Handlung, die er thut, eine Instinkt-Falschheit, — alle seine Werthe, alle seine Ziele sind schädlich, aber wen er hasst, was er hasst, das hat Werth… Der Christ, der Priester-Christ in Sonderheit, ist ein Kriterium für Werthe — Habe ich noch zu sagen, dass im ganzen neuen Testament bloss eine einzige Figur vorkommt, die man ehren muss? Pilatus, der römische Statthalter. Einen Judenhandel ernst zu nehmen — dazu überredet er sich nicht. Ein Jude mehr oder weniger — was liegt daran?… Der vornehme Hohn eines Römers, vor dem ein unverschämter Missbrauch mit dem Wort» Wahrheit «getrieben wird, hat das neue Testament mit dem einzigen Wort bereichert, das Werth hat, — das seine Kritik, seine Vernichtung selbst ist:»was ist Wahrheit!»…
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— Das ist es nicht, was uns abscheidet, dass wir keinen Gott wiederfinden, weder in der Geschichte, noch in der Natur, noch hinter der Natur, — sondern dass wir, was als Gott verehrt wurde, nicht als» göttlich«, sondern als erbarmungswürdig, als absurd, als schädlich empfinden, nicht nur als Irrthum, sondern als Verbrechen am Leben… Wir leugnen Gott als Gott… Wenn man uns diesen Gott der Christen bewiese, wir würden ihn noch weniger zu glauben wissen. — In Formel: deus, qualem Paulus creavit, dei negatio. — Eine Religion, wie das Christenthum, die sich an keinem Punkte mit der Wirklichkeit berührt, die sofort dahinfällt, sobald die Wirklichkeit auch nur an Einem Punkte zu Rechte kommt, muss billiger Weise der» Weisheit der Welt«, will sagen der Wissenschaft, todtfeind sein, — sie wird alle Mittel gut heissen, mit denen die Zucht des Geistes, die Lauterkeit und Strenge in Gewissenssachen des Geistes, die vornehme Kühle und Freiheit des Geistes vergiftet, verleumdet, verrufen gemacht werden kann. Der» Glaube «als Imperativ ist das Veto gegen die Wissenschaft, — in praxi die Lüge um jeden Preis… Paulus begriff, dass die Lüge — dass» der Glaube «noth that; die Kirche begriff später wieder Paulus. — jener» Gott«, den Paulus sich erfand, ein Gott, der» die Weisheit der Welt«(im engern Sinn die beiden grossen Gegnerinnen alles Aberglaubens, Philologie und Medizin)»zu Schanden macht«, ist in Wahrheit nur der resolute Entschluss des Paulus selbst dazu:»Gott «seinen eignen Willen zu nennen, thora, das ist urjüdisch. Paulus will» die Weisheit der Welt «zu Schanden machen: seine Feinde sind die guten Philologen und Ärzte alexandrinischer Schulung — , ihnen macht er den Krieg. In der That, man ist nicht Philolog und Arzt, ohne nicht zugleich auch Antichrist zu sein. Als Philolog schaut man nämlich hinter die» heiligen Bücher«, als Arzt hinter die physiologische Verkommenheit des typischen Christen. Der Arzt sagt» unheilbar«, der Philolog» Schwindel".
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— Hat man eigentlich die berühmte Geschichte verstanden, die am Anfang der Bibel steht, — von der Höllenangst Gottes vor der Wissenschaft?… Man hat sie nicht verstanden. Dies Priester-Buch par excellence beginnt, wie billig, mit der grossen inneren Schwierigkeit des Priesters: er hat nur Eine grosse Gefahr, folglich hat» Gott «nur Eine grosse Gefahr. —
Der alte Gott, ganz» Geist«, ganz Hohe<r>priester, ganz Vollkommenheit, lustwandelt in seinem Garten: nur dass er sich langweilt. Gegen die Langeweile kämpfen Götter selbst vergebens. Was thut er? Er erfindet den Menschen, — der Mensch ist unterhaltend… Aber siehe da, auch der Mensch langweilt sich. Das Erbarmen Gottes mit der einzigen Noth, die alle Paradiese an sich haben, kennt keine Grenzen: er schuf alsbald noch andre Thiere. Erster Fehlgriff Gottes: der Mensch fand die Thiere nicht unterhaltend, — er herrschte über sie, er wollte nicht einmal» Thier «sein. — Folglich schuf Gott das Weib. Und in der That, mit der Langeweile hatte es nun ein Ende, — aber auch mit Anderem noch! Das Weib war der zweite Fehlgriff Gottes. — »Das Weib ist seinem Wesen nach Schlange, Heva«— das weiss jeder Priester;»vom Weib kommt jedes Unheil in der Welt«— das weiss ebenfalls jeder Priester.»Folglich kommt von ihm auch die Wissenschaft«… Erst durch das Weib lernte der Mensch vom Baume der Erkenntniss kosten. — Was war geschehn? Den alten Gott ergriff eine Höllenangst. Der Mensch selbst war sein grösster Fehlgriff geworden, er hatte sich einen Rivalen geschaffen, die Wissenschaft macht gottgleich, — es ist mit Priestern und Göttern zu Ende, wenn der Mensch wissenschaftlich wird! — Moral: die Wissenschaft ist das Verbotene an sich, — sie allein ist verboten. Die Wissenschaft ist die erste Sünde, der Keim aller Sünde, die Erbsünde. Dies allein ist Moral. — »Du sollst nicht erkennen«. — der Rest folgt daraus. — Die Höllenangst Gottes verhinderte ihn nicht, klug zu sein. Wie wehrt man sich gegen die Wissenschaft? das wurde für lange sein Hauptproblem. Antwort: fort mit dem Menschen aus dem Paradiese! Das Glück, der Müssiggang bringt auf Gedanken, — alle Gedanken sind schlechte Gedanken… Der Mensch soll nicht denken. — Und der» Priester an sich «erfindet die Noth, den Tod, die Lebensgefahr der Schwangerschaft, jede Art von Elend, Alter, Mühsal, die Krankheit vor Allem, — lauter Mittel im Kampfe mit der Wissenschaft! Die Noth erlaubt dem Menschen nicht, zu denken… Und trotzdem! entsetzlich! Das Werk der Erkenntniss thürmt sich auf, himmelstürmend, götter-andämmernd, — was thun! — Der alte Gott erfindet den Krieg, er trennt die Völker, er macht, dass die Menschen sich gegenseitig vernichten (die Priester haben immer den Krieg nöthig gehabt…) Der Krieg — unter Anderem ein grosser Störenfried der Wissenschaft! — Unglaublich! Die Erkenntniss, die Emancipation vom Priester, nimmt selbst trotz Kriegen zu. — Und ein letzter Entschluss kommt dem alten Gott:»der Mensch ward wissenschaftlich, — es hilft Nichts, man muss ihn ersäufen!»…
