Arc de Triomphe
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Es war auch wichtiger, dachte Ravic. Der kleine Zirkel, der vor dem Chaos schützte. — Wohin käme man sonst?
Er saß vor dem Café Triomphe. Die Nacht war blaß und wolkig. Es war warm, und irgendwo zuckten lautlose Blitze. Das Leben kroch dichter auf den Bürgersteigen dahin. Eine Frau mit einem atlasblauen Hut setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Zahlst du mir einen Vermouth?« fragte sie.
»Ja. Aber laß mich allein. Ich warte auf jemand.«
»Wir können zusammen warten.«
»Besser nicht. Ich warte auf eine Ringkämpferin vom Palace du Sport.«
Die Frau lächelte. Sie war so dick bemalt, daß man das Lächeln nur in den Lippen sah. Alles andere war wie eine weiße Maske. »Komm mit mir«, sagte sie. »Ich habe eine süße Wohnung. Und ich bin gut.«
Ravic schüttelte den Kopf. Er legte einen Fünffrankschein auf den Tisch. »Hier. Adieu. Und alles Gute.«
Die Frau nahm den Schein, faltete ihn und schob ihn unter ihr Strumpfband. »Cafard?« fragte sie.
»Nein.«
»Ich bin gut gegen Cafard. Habe eine sehr nette Freundin. Jung«, fügte sie nach einer Pause hinzu. »Brüste wie der Eiffelturm.«
»Ein anderes Mal.«
»Schön.« Die Frau stand auf und setzte sich ein paar Tische weiter. Sie sah noch einige Male herüber, dann kaufte sie eine Sportzeitung und begann, die Sportresultate zu lesen.
Ravic starrte in den Wirbel, der sich unablässig an den Tischen vorbeischob. Die Kapelle im Innenraum spielte Wiener Walzer. Die Blitze wurden stärker. Eine Gruppe von jungen Homosexuellen nahm wie ein Papageienschwarm am Nebentisch kokett lärmend Platz. Sie trugen Backenbärte, die neueste Mode, und ihre Jacken hatten zu breite Schultern und zu enge Taillen.
Ein Mädchen blieb an Ravics Tisch stehen und sah ihn an. Sie kam ihm vage bekannt vor — aber er kannte so viele. Sie sah aus wie eine der zarteren Huren mit dem Hilflosigkeitsappell.
»Kennen Sie mich nicht wieder?« fragte sie.
»Natürlich«, sagte Ravic. Er hatte keine Ahnung. »Wie geht es?«
»Gut. Aber Sie kennen mich wirklich nicht mehr?«
»Ich vergesse Namen. Aber ich kenne Sie natürlich. Es ist lange her, seit wir uns zuletzt gesehen haben.«
»Ja. Sie haben Bobo damals einen guten Schrecken eingejagt.« Sie lächelte. »Sie haben mir das Leben gerettet, und jetzt kennen Sie mich nicht wieder.«
Bobo. Leben gerettet. Die Hebamme. Ravic erinnerte sich jetzt. »Sie sind Lucienne«, sagte er. Natürlich. »Damals waren Sie krank. Heute sind Sie gesund. Das ist es. Deshalb habe ich Sie nicht gleich erkannt.«
Lucienne strahlte. »Wirklich! Sie erinnern sich tatsächlich! Vielen Dank für die hundert Frank, die Sie von der Hebamme zurückbekommen haben.«
»Das — ach ja...« Er hatte ihr damals nach seinem Mißerfolg bei der Madame Boucher von sich aus etwas geschickt. »Es war leider nicht alles.«
»Es war genug. Ich hatte schon das Ganze verloren gegeben.«
»Gut. Wollen Sie etwas mit mir trinken, Lucienne?«
Sie nickte und setzte sich behutsam neben ihn. »Einen Cinzano mit Selters.«
»Was machen Sie, Lucienne?«
»Mir geht es sehr gut.«
»Sind Sie noch mit Bobo?«
»Ja, natürlich. Aber er ist jetzt anders, besser.«
»Gut.«
Es war nicht viel zu fragen. Die kleine Näherin war eine kleine Hure geworden. Dafür hatte er sie zusammengeflickt. Bobo hatte den Rest besorgt. Angst vor Kindern brauchte sie nicht mehr zu haben. Ein Grund mehr. Sie war noch im Anfang; das bißchen Kindlichkeit gab ihr noch den Anreiz für ältere Routiniers — ein Stückchen Porzellan, das noch nicht abgeschabt war durch zu vielen Gebrauch. Sie trank vorsichtig wie ein Vogel, aber die Augen wanderten schon umher. Es war nichts gerade Erheiterndes. Auch nichts für großes Bedauern. Just ein bißchen Leben, das rutschte. »Bist du zufrieden?« fragte er.
Sie nickte. Er sah, daß sie wirklich zufrieden war. Sie fand alles ganz richtig. Es gab nichts zu dramatisieren. »Sind Sie allein?« fragte sie.
»Ja, Lucienne.«
»An solch einem Abend?«
»Ja.«
Sie blickte ihn scheu an und lächelte. »Ich habe Zeit«, sagte sie.
Was ist los mit mir? dachte Ravic. Sehe ich so hungrig aus, daß mir bereits jede Hure ein Stück käuflicher Liebe anträgt? »Es ist zu weit, zu dir zu fahren, Lucienne. Ich habe nicht so viel Zeit.«
»Wir können nicht zu mir fahren. Bobo darf nichts davon wissen.«
Ravic sah sie an. »Weiß Bobo nie etwas davon?«
»Doch. Von den andern weiß er es. Er paßt ja auf.« Sie lächelte.
»Er ist noch so jung. Er glaubt, daß ich ihm sonst das Geld nicht gebe. Von Ihnen will ich kein Geld.«
»Darf Bobo deshalb nichts wissen?«
»Nicht deshalb. Aber er würde eifersüchtig werden. Und dann wird er wild.«
»Wird er bei allen eifersüchtig?«
Lucienne blickte erstaunt auf. »Natürlich nicht. Das andere ist doch Geschäft .«
»Nur dann also, wenn es kein Geld kostet?«
Lucienne zögerte. Dann errötete sie langsam. »Nicht deshalb. Nur, wenn er denkt, daß noch etwas anderes dabei ist.« Sie zögerte wieder. »Daß ich etwas fühle.«
Sie blickte nicht auf. Ravic nahm ihre Hand, die verloren auf dem Tisch lag. »Lucienne«, sagte er. »Es ist hübsch, daß du dich erinnert hast. Und daß du mit mir gehen willst. Du bist reizend, und ich würde dich mitnehmen. Aber ich kann mit niemand schlafen, den ich einmal operiert habe. Verstehst du das?«
Sie hob die langen, dunklen Wimpern und nickte rasch. »Ja.« Sie stand auf. »Dann will ich jetzt gehen.«
»Adieu, Lucienne. Alles Gute. Nimm dich in acht, daß du nicht krank wirst.«
»Ja.«
Ravic schrieb etwas auf einen Zettel. »Besorge dir dies, wenn du es noch nicht hast. Es ist das Beste. Und gib nicht alles Geld an Bobo.«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Sie wußte und er wußte auch, daß sie es trotzdem tun würde. Ravic blickte ihr nach, bis sie in der Menge verschwand. Dann winkte er dem Kellner.
Die Frau mit dem blauen Hut kam vorbei. Sie hatte die Szene beobachtet. Sie fächelte sich mit ihrer zusammengefalteten Zeitung und zeigte einen Mund voll falscher Zähne. »Entweder du bist impotent oder schwul, mein Süßer«, sagte sie freundlich im Vorbeigehen. »Viel Glück und herzlichen Dank.«
Ravic ging durch die warme Nacht. Die Blitze wehten über die Dächer. Die Luft war still. Am Louvre fand er den Eingang erleuchtet. Die Türen standen offen. Er ging hinein.
Es war eine der Nachtausstellungen. Ein Teil der Säle war erleuchtet. Er ging durch die ägyptische Ausstellung, die aussah wie ein riesiges, erhelltes Grab. Versteinert hockten und standen die Könige von vor dreitausend Jahren und starrten die Gruppen von umherwandernden Studenten, Frauen in vorjährigen Hüten und älteren gelangweilten Männern reglos aus granitenen Augen an. Es roch nach Staub, toter Luft und Unsterblichkeit.
In der griechischen Abteilung fl üsterten vor der Venus von Milo einige Mädchen, die ihr in nichts glichen. Ravic blieb stehen. Nach dem Granit und dem grünen Syenit der Ägypter war der Marmor dekadent und weich. Die sanft füllige Venus hatte etwas von einer zufriedenen, badenden Hausfrau; schön und ohne Gedanken. Apollo, der Eidechsentöter, war ein Homosexueller, der mehr turnen sollte. Aber sie standen in Sälen, das tötete sie. Es tötete die Ägypter nicht; sie waren für Gräber und Tempel gemacht. Die Griechen brauchten Sonne, Luft und Säulen, durch die das goldene Licht Athens schien.
Ravic ging weiter. Die große Halle mit den Treppen kam ihm kühl entgegen. Und plötzlich, hoch über allem, schwebte die Nike von Samothrake.
Es war lange her, daß er sie gesehen hatte. Das letztemal war es an einem grauen Tag gewesen, der Marmor war unansehnlich erschienen, und im schmutzigen Winterlicht des Museums hatte die Prinzessin des Sieges gezögert und gefroren. Jetzt aber stand sie hoch über den Treppen, auf dem Vorbau des Marmorschiffbruchstücks, angeleuchtet von Scheinwerfern, strahlend, die Flügel weit ausgebreitet, die Kleider vom Wind eng an den schreitenden Körper gepreßt, hell und bereit, abzufliegen. Hinter ihr schien das weinfarbene Meer von Salamis zu rauschen, und der Himmel war dunkel vor dem Samt der Erwartung.