Das Glasperlenspiel
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Das Glasperlenspiel ist Hermann Hesses intellektuelle Antwort auf die Barbarei des Hitlerfaschismus. Mit der Utopie seiner p?dagogischen Provinz Kastalien entwirft der Autor dar?ber hinaus eine Gegenwelt zu Diktatur und Verbrechen des Dritten Reichs und stellt die Frage nach den erzieherisch-bildenden M?glichkeiten des Geistes. Die in sich geschlossene geistige Welt der Zucht und der Askese in Kastalien findet h?chsten Ausdruck und Vollendung in der Kunst des Glasperlenspiels: einem Spiel, bei dem »s?mtliche Inhalte und Werte unserer Kultur« miteinander kommunizieren. Der Roman basiert auf der Idee einer ?berzeitlichen Biografie des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht, der in einigen Wiedergeburten gro?e Epochen der Menschheitsgeschichte miterlebt.
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Ich kehre aus der Historie zurück, und das Ergebnis, die Anwendung auf heute und auf uns ist diese: unser System und Orden hat den Höhepunkt der Blüte und des Glückes, welche das rätselhafte Spiel des Weltgeschehens zuweilen dem Schönen und Wünschenswerten gestattet, schon überschritten. Wir sind im Niedergang, der sich vielleicht noch sehr lange hinziehen kann, aber in jedem Falle kann uns nichts Höheres, Schöneres und Wünschenswerteres mehr zufallen, als was wir schon besessen haben, der Weg führt abwärts; wir sind geschichtlich, glaube ich, reif zum Abbau, und er wird unzweifelhaft erfolgen, nicht heut und morgen, aber übermorgen. Ich schließe dies nicht etwa nur aus einer allzu moralischen Beurteilung unserer Leistungen und Fähigkeiten, ich schließe es noch weit mehr aus den Bewegungen, die ich in der Außenwelt sich vorbereiten sehe. Es nähern sich kritische Zeiten, überall spürt man die Vorzeichen, die Welt will wieder einmal ihren Schwerpunkt verlegen. Machtverschiebungen bereiten sich vor, sie werden nicht ohne Krieg und Gewalt sich vollziehen, eine Bedrohung des Friedens nicht nur, sondern auch des Lebens und der Freiheit droht vom fernen Osten her. Mag unser Land und seine Politik sich neutral halten, mag unser ganzes Volk einstimmig (was es jedoch nicht tut) beim Bisherigen verharren und uns und den kastalischen Idealen treu bleiben wollen, es wird vergeblich sein. Schon jetzt sprechen manche unsrer Parlamentarier gelegentlich recht deutlich davon, daß Kastalien ein etwas teurer Luxus für unser Land sei. Sobald es zu ernstlichen kriegerischen Rüstungen, Rüstungen zur Abwehr nur, genötigt sein wird, und das kann bald geschehen, wird es zu großen Sparmaßnahmen kommen, und trotz aller Wohlgesinntheit der Regierung für uns wird ein großer Teil davon uns treffen. Wir sind stolz darauf, daß unser Orden und die Stetigkeit der geistigen Kultur, die er gewährleistet, vom Lande verhältnismäßig bescheidene Opfer verlangen. Im Vergleich mit andern Zeitaltern, namentlich der feuilletonistischen Frühzeit mit ihren üppig dotierten Hochschulen, ihren zahllosen Geheimräten und luxuriösen Instituten sind diese Opfer in der Tat nicht groß, und verschwindend klein sind sie verglichen mit denen, welche im kriegerischen Jahrhundert der Krieg und die Rüstung verschlang. Aber eben diese Rüstung wird vielleicht in Bälde wieder oberstes Gebot sein, im Parlament werden die Generäle wieder dominieren, und wenn das Volk vor die Wahl gestellt wird, Kastalien zu opfern oder sich der Gefahr von Krieg und Untergang auszusetzen, so wissen wir, wie es stimmen wird. Es wird alsdann auch ohne Zweifel sofort eine kriegerische Ideologie in Schwung kommen und namentlich die Jugend ergreifen, eine Schlagwort-Weltanschauung, nach welcher Gelehrte und Gelehrtentum, Latein und Mathematik, Bildung und Geistespflege nur soweit als lebensberechtigt gelten, als sie kriegerischen Zwecken zu dienen vermögen.
Die Woge ist schon unterwegs, einmal wird sie uns wegspülen. Vielleicht wird das gut und notwendig sein. Vorerst aber steht uns, sehr zu verehrende Kollegen, nach dem Maß unserer Einsicht in das Geschehen, nach dem Maß unseres Erwachtseins und unsrer Tapferkeit jene beschränkte Freiheit des Entschließens und Handelns zu, welche dem Menschen gegönnt ist und welche die Weltgeschichte zur Menschengeschichte macht. Wir können, wenn wir wollen, die Augen schließen, denn die Gefahr ist noch einigermaßen fern; vermutlich werden wir, die wir heute Magister sind, alle noch m Ruhe zu Ende amten und uns in Ruhe zum Sterben legen können, ehe die Gefahr nahe kommt und allen sichtbar wird. Für mich jedoch, und wohl nicht für mich allein, würde diese Ruhe nicht die des guten Gewissens sein. Ich möchte nicht in Ruhe weiter mein Amt verwalten und Glasperlenspiele spielen, zufrieden damit, daß das Kommende ja wohl mich nicht mehr am Leben treffen werde. Nein, sondern mir scheint es notwendig, mich zu erinnern, daß auch wir Unpolitischen der Weltgeschichte angehören und sie machen helfen. Darum sagte ich am Eingang meines Schreibens, daß meine Amtstüchtigkeit geschmälert oder doch bedroht sei, denn ich kann nicht hindern, daß ein großer Teil meiner Gedanken und Sorgen durch die zukünftige Gefahr in Anspruch genommen ist. Ich versage es zwar meiner Phantasie, mit den Formen zu spielen, welche das Unheil für uns und mich etwa annehmen könnte. Aber ich kann mich der Frage nicht verschließen: was haben wir und was habe ich zu tun, um der Gefahr zu begegnen? Darüber sei mir noch ein Wort erlaubt.
Den Anspruch Platons, daß der Gelehrte, vielmehr der Weise, im Staate zu herrschen habe, möchte ich nicht vertreten. Die Welt war damals jünger. Und Platon, obwohl der Stifter einer Art von Kastalien, ist keineswegs ein Kastalier gewesen, sondern ein geborener Aristokrat, von königlicher Herkunft. Auch wir sind zwar Aristokraten und bilden einen Adel, doch ist es einer des Geistes, nicht des Blutes. Ich glaube nicht daran, daß es den Menschen jemals gelingen werde, einen Blutadel zugleich mit dem geistigen Adel zu züchten, er wäre die ideale Aristokratie, sie bleibt aber ein Traum. Wir Kastalier sind, obwohl gesittete und ganz kluge Leute, zum Herrschen nicht geeignet; wir würden, wenn wir regieren müßten, es nicht mit der Kraft und Naivität tun, deren der echte Regent bedarf, auch würde dabei unser eigentliches Feld und unsre eigenste Sorge, die Pflege eines vorbildlichen geistigen Lebens, schnell vernachlässigt werden. Zum Herrschen braucht man keineswegs dumm und brutal zu sein, wie eitle Intellektuelle zuweilen meinten, wohl aber bedarf es zum Herrschen einer ungebrochenen Freude an einer nach außen gewendeten Aktivität, einer Leidenschaft des sich Identifizierens mit Zielen und Zwecken, und gewiß auch einer gewissen Raschheit und Unbedenklichkeit in der Wahl der Wege zum Erfolg. Lauter Eigenschaften also, welche ein Gelehrter – denn Weise wollen wir uns nicht nennen – nicht haben darf und nicht hat, denn für uns ist Betrachtung wichtiger als Tat, und in der Wahl der Mittel und Methoden, um zu unsern Zielen zu gelangen, haben wir ja gelernt, so skrupulös und mißtrauisch wie nur möglich zu sein. Also wir haben nicht zu regieren und haben nicht Politik zu machen. Wir sind Fachleute des Untersuchens, Zerlegens und Messens, wir sind die Erhalter und beständigen Nachprüfer aller Alphabete, Einmaleinse und Methoden, wir sind die Eichmeister der geistigen Maße und Gewichte. Gewiß sind wir auch noch vieles andre, können unter Umständen auch Neuerer, Entdecker, Abenteurer, Eroberer und Umdeuter sein, unsre erste und wichtigste Funktion aber, derentwegen das Volk unser bedarf und uns erhält, ist jene Sauberhaltung aller Wissensquellen. Es kann im Handel, in der Politik und wo immer vielleicht gelegentlich eine Leistung und Genialität bedeuten, aus einem U ein X zu machen, bei uns aber niemals.
In früheren Epochen verlangte man bei aufgeregten, sogenannten »großen« Zeiten, bei Krieg und Umsturz, gelegentlich von den Intellektuellen, sie sollten sich politisieren. Namentlich im spätfeuilletonistischen Zeitalter war dies der Fall. Zu seinen Forderungen gehörte auch die nach der Politisierung oder Militarisierung des Geistes. So wie die Kirchenglocken zum Guß von Kanonenrohren, wie die noch unreife Schuljugend zum Nachfüllen der dezimierten Truppen, so sollte der Geist als Kriegsmittel beschlagnahmt und verbraucht werden.
Natürlich können wir diese Forderung nicht anerkennen. Daß ein Gelehrter im Notfall vom Katheder oder Studiertisch weggeholt und zum Soldaten gemacht werde, auch daß er unter Umständen sich freiwillig dazu melde, daß ferner in einem vom Krieg ausgesogenen Lande der Gelehrte sich in allem Materiellen bis zum Äußersten und bis zum Hunger zu bescheiden habe, darüber ist kein Wort zu verlieren. Je höher die Bildung eines Menschen, je größer die Privilegien, die er genoß, desto größer sollen im Fall der Not die Opfer sein, die er bringt; wir hoffen, dies werde einst jedem Kastalier selbstverständlich sein. Wenn wir aber bereit sind, unser Wohlsein, unsre Bequemlichkeit, unser Leben dem Volk zu opfern, wenn es in Gefahr ist, so schließt das nicht mit ein, daß wir den Geist selbst, die Tradition und Moral unsrer Geistigkeit, den Interessen des Tages, des Volkes oder der Generäle zu opfern bereit wären. Ein Feigling, wer sich den Leistungen, Opfern und Gefahren entzieht, die sein Volk zu bestehen hat. Aber ein Feigling und Verräter nicht minder, wer die Prinzipien des geistigen Lebens an materielle Interessen verrät, wer also z. B. die Entscheidung darüber, was zweimal zwei sei, den Machthabern zu überlassen bereit ist! Den Sinn für die Wahrheit, die intellektuelle Redlichkeit, die Treue gegen die Gesetze und Methoden des Geistes irgendeinem andern Interesse opfern, auch dem des Vaterlands, ist Verrat. Wenn im Kampf der Interessen und Schlagworte die Wahrheit in Gefahr kommt, ebenso entwertet, entstellt und vergewaltigt zu werden wie der Einzelmensch, wie die Sprache, wie die Künste, wie alles Organische und kunstvoll Hochgezüchtete, dann ist es unsre einzige Pflicht, zu widerstreben und die Wahrheit, das heißt das Streben nach Wahrheit, als unsern obersten Glaubenssatz zu retten. Der Gelehrte, der als Redner, als Autor, als Lehrer wissentlich das Falsche sagt, wissentlich Lügen und Fälschungen unterstützt, handelt nicht nur gegen organische Grundgesetze, er tut außerdem, jedem aktuellen Anschein zum Trotz, seinem Volke keinen Nutzen, sondern schweren Schaden, er verdirbt ihm Luft und Erde, Speise und Trank, er vergiftet das Denken und das Recht und hilft allem Bösen und Feindlichen, das dem Volke Vernichtung droht.
Der Kastalier soll also nicht Politiker werden; er soll zwar im Notfall seine Person, niemals aber die Treue gegen den Geist opfern. Geist ist wohltätig und edel nur im Gehorsam gegen die Wahrheit; sobald er sie verrät, sobald er die Ehrfurcht ablegt, käuflich und beliebig biegsam wird, ist er das Teuflische in Potenz, ist sehr viel schlimmer als die animalische, triebhafte Bestialität, welche immer noch etwas von der Unschuld der Natur behält.
Ich überlasse es jedem von Ihnen, verehrte Kollegen, sich seine Gedanken darüber zu machen, worin die Pflichten des Ordens bestehen, wenn das Land und der Orden selbst gefährdet sind. Es wird da verschiedene Auffassungen geben. Auch ich habe die meinige, und im vielen Erwägen aller hier angeregten Fragen bin ich für meine Person zu einer klaren Vorstellung dessen gekommen, was für mich Pflicht und erstrebenswert sei. Dies nun führt mich zu einem persönlichen Gesuch an die verehrliche Behörde, mit welchem mein Memorandum schließen soll.
Von den Magistern, aus welchen unsre Behörde besteht, stehe ich als Magister Ludi wohl meinem Amte nach der Außenwelt am fernsten. Der Mathematiker, der Philologe, der Physiker, der Pädagoge und alle anderen Magister arbeiten auf Gebieten, welche sie mit der profanen Welt gemein haben; auch in den nichtkastalischen, den gewöhnlichen Schulen unsres und jedes Landes bilden Mathematik und Sprachlehre die Grundlagen des Unterrichts, auch an den weltlichen Hochschulen wird Astronomie, Physik, auch von völlig Ungelehrten wird Musik getrieben; alle diese Disziplinen sind uralt, viel älter als unser Orden, sie waren lange vor ihm da und werden ihn überleben. Einzig das Glasperlenspiel ist unsre eigene Erfindung, unsre Spezialität, unser Liebling, unser Spielzeug, es ist der letzte differenzierteste Ausdruck unsrer speziell kastalischen Art von Geistigkeit. Es ist zugleich das kostbarste und das unnützeste, das geliebteste und zugleich das zerbrechlichste Kleinod in unserem Schatz. Es ist das erste, das zugrunde gehen wird, wenn der Fortbestand von Kastalien in Frage gestellt wird; nicht nur, weil es in sich das gebrechlichste unserer Besitztümer ist, sondern auch schon, weil es für die Laien ohne Zweifel das entbehrlichste Stück von Kastalien ist. Wenn es sich darum handeln wird, jede entbehrliche Ausgabe dem Lande zu ersparen, so wird man die Eliteschulen einschränken, die Fonds zur Erhaltung und Vermehrung der Bibliotheken und Sammlungen kürzen und schließlich streichen, unsre Mahlzeiten reduzieren, unsre Kleidung nicht mehr erneuern, aber man wird sämtliche Hauptdisziplinen unsrer Universitas Litterarum fortbestehen lassen, nur nicht das Glasperlenspiel. Mathematik braucht man auch, um neue Schußwaffen zu erfinden, aber daß aus der Schließung des Vicus Lusorum und der Abschaffung unsres Spieles dem Land und Volke der geringste Schaden erwachsen könne, wird niemand glauben, am wenigsten die Militärs. Das Glasperlenspiel ist der extremste und gefährdetste Teil unsres Gebäudes. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß es gerade der Magister Ludi, der Vorsteher unsrer weltfremdesten Disziplin, ist, der die kommenden Erdbeben als erster vorausfühlt oder dies Gefühl doch als erster vor der Behörde ausspricht.