Die Leiden des jungen Werther
Die Leiden des jungen Werther читать книгу онлайн
«Die Leiden des jungen Werthers» lautet der Titel eines von Johann Wolfgang Goethe verfassten Briefromans, in dem der junge Rechtspraktikant Werther bis zu seinem Freitod ?ber seine ungl?ckliche Liaison mit der anderweitig verlobten „Lotte“ berichtet.
Der Roman Die Leiden des jungen Werthers (1774) war nach dem Sturm und Drang-Drama G?tz von Berlichingen (1773) Goethes zweiter gro?er Erfolg. Die Handlung tr?gt autobiographische Z?ge. Goethe gestaltet hier literarisch-frei seine platonische Beziehung zu der bereits verlobten Charlotte Buff. In sie hatte er sich verliebt, als er von Mai bis September 1772 Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar war. Das Motiv f?r den tragischen Ausgang dieser Liebe, die Selbstt?tung Werthers, lieferte Goethe der Suizid seines Freundes Karl Wilhelm Jerusalem, Gesandtschaftssekret?r in Wetzlar. Der hatte sich in eine verheiratete Frau verliebt, die f?r ihn unerreichbar blieb. Die literarische Figur der Lotte im Roman tr?gt auch Z?ge von Maximiliane von la Roche, einer weiteren Bekanntschaft des jungen Goethe aus der Entstehungszeit des Romans. Von ihr stammen die schwarzen Augen Lottes. Charlotte Buff hatte blaue Augen.
Die Erstausgabe erschien im Herbst 1774 zur Leipziger Buchmesse und wurde gleich zum Bestseller. Eine ?berarbeitete Fassung folgte 1787. Der Roman lie? Goethe 1774 gleichsam ?ber Nacht in Deutschland ber?hmt werden. Kein weiteres Buch Goethes wurde von so vielen seiner Zeitgenossen gelesen. Der Briefroman ist dem Sturm und Drang zuzuordnen.
Текст взят с сайта Ильи Франка (http://www.frank.deutschesprache.ru)
Внимание! Книга может содержать контент только для совершеннолетних. Для несовершеннолетних чтение данного контента СТРОГО ЗАПРЕЩЕНО! Если в книге присутствует наличие пропаганды ЛГБТ и другого, запрещенного контента - просьба написать на почту [email protected] для удаления материала
Diese Liebe, diese Treue, diese Leidenschaft ist also keine dichterische Erfindung. Sie lebt, sie ist in ihrer größten Reinheit unter der Klasse von Menschen, die wir ungebildet, die wir roh nennen. Wir Gebildeten — zu Nichts Verbildeten! Lies die Geschichte mit Andacht, ich bitte dich. Ich bin heute still, indem ich das hinschreibe; du siehst an meiner Hand, daß ich nicht so strudele und sudele wie sonst. Lies, mein Geliebter, und denke dabei, daß es auch die Geschichte deines Freundes ist. Ja so ist mir's gegangen, so wird mir's gehn, und ich bin nicht halb so brav, nicht halb so entschlossen als der arme Unglückliche, mit dem ich mich zu vergleichen mich fast nicht getraue.
Am 5. September
Sie hatte ein Zettelchen an ihren Mann aufs Land geschrieben, wo er sich Geschäfte wegen aufhielt. Es fing an:»Bester, Liebster, komme, sobald du kannst, ich erwarte dich mit tausend Freuden«. — Ein Freund, der hereinkam, brachte Nachricht, daß er wegen gewisser Umstände so bald noch nicht zurückkehren würde. Das Billett blieb liegen und fiel mir abends in die Hände. Ich las es und lächelte; sie fragte worüber? — »Was die Einbildungskraft für ein göttliches Geschenk ist, «rief ich aus, «ich konnte mir einen Augenblick vorspiegeln, als wäre es an mich geschrieben«. — Sie brach ab, es schien ihr zu mißfallen, und ich schwieg.
Am 6. September
Es hat schwer gehalten, bis ich mich entschloß, meinen blauen einfachen Frack, in dem ich mit Lotten zum erstenmale tanzte, abzulegen, er ward aber zuletzt gar unscheinbar. Auch habe ich mir einen machen lassen ganz wie den vorigen, Kragen und Aufschlag, und auch wieder so gelbe Weste und Beinkleider dazu. Ganz will es doch die Wirkung nicht tun. Ich weiß nicht — ich denke, mit der Zeit soll mir der auch lieber werden.
Am 12. September
Sie war einige Tage verreist, Alberten abzuholen. Heute trat ich in ihre Stube, sie kam mir entgegen, und ich küßte ihre Hand mit tausend Freuden.
Ein Kanarienvogel flog von dem Spiegel ihr auf die Schulter. — »Einen neuen Freund, «sagte sie und lockte ihn auf ihre Hand, «er ist meinen Kleinen zugedacht. Er tut gar zu lieb! Sehen Sie ihn! Wenn ich ihm Brot gebe, flattert er mit den Flügeln und pickt so artig. Er küßt mich auch, sehen Sie?»
Als sie dem Tierchen den Mund hinhielt, drückte es sich so lieblich in die süßen Lippen, als wenn es die Seligkeit hätte fühlen können, die es genoß.
«Er soll Sie auch küssen.»sagte sie und reichte den Vogel herüber. — Das Schnäbelchen machte den Weg von ihrem Munde zu dem meinigen, und die pickende Berührung war wie ein Hauch, eine Ahnung liebevollen Genusses.
«Sein Kuß«, sagte ich, «ist nicht ganz ohne Begierde, er sucht Nahrung und kehrt unbefriedigt von der leeren Liebkosung zurück».
«Er ißt mir auch aus dem Munde.»sagte sie. — Sie reichte ihm einige Brosamen mit ihren Lippen, aus denen die Freuden unschuldig teilnehmender Liebe in aller Wonne lächelten.
Ich kehrte das Gesicht weg. Sie sollte es nicht tun, sollte nicht meine Einbildungskraft mit diesen Bilern himmlischer Unschuld und Seligkeit reizen und mein Herz aus dem Schlafe, in den es manchmal die Gleichgültigkeit des Lebens wiegt, nicht wecken! — Und warum nicht? — Sie traut mir so! Sie weiß, wie ich sie liebe!
Am 15. September
Man möchte rasend werden, Wilhelm, daß es Menschen geben soll ohne Sinn und Gefühl an dem wenigen, was auf Erden noch einen Wert hat. Du kennst die Nußbäume, unter denen ich bei dem ehrlichen Pfarrer zu St… mit Lotten gesessen, die herrlichen Nußbäume, die mich, Gott weiß, immer mit dem größten Seelenvergnügen füllten! Wie vertraulich sie den Pfarrhof machten, wie kühl! Und wie herrlich die Äste waren! Und die Erinnerung bis zu den ehrlichen Geistlichen, die sie vor vielen Jahren pflanzten. Der Schulmeister hat uns den einen Namen oft genannt, den er von seinem Großvater gehört hatte; und so ein braver Mann soll er gewesen sein, und sein Andenken war immer heilig unter den Bäumen. Ich sage dir, dem Schulmeister standen die Tränen in den Augen, da wir gestern davon redeten, daß sie abgehauen worden — abgehauen! Ich möchte toll werden, ich könnte den Hund ermorden, der den ersten Hieb dran tat. Ich, der ich mich vertrauern könnte, wenn so ein paar Bäume in meinem Hofe stünden und einer davon stürbe vor Alter ab, ich muß zusehen. Lieber Schatz, eins ist doch dabei: was Menschengefühl ist! Das ganze Dorf murrt, und ich hoffe, die Frau Pfarrerin soll es an Butter und Eiern und übrigem Zutrauen spüren, was für eine Wunde sie ihrem Orte gegeben hat. Denn sie ist es, die Frau des neuen Pfarrers (unser alter ist auch gestorben), ein hageres, kränkliches Geschöpf, das sehr Ursache hat, an der Welt keinen Anteil zu nehmen, denn niemand nimmt Anteil an ihr. Eine Närrin, die sich abgibt, gelehrt zu sein, sich in die Untersuchung des Kanons meliert, gar viel an der neumodischen, moralisch-kritischen Reformation des Christentumes arbeitet und über Lavaters Schwärmereien die Achseln zuckt, eine ganz zerrüttete Gesundheit hat und deswegen auf Gottes Erdboden keine Freude. So einer Kreatur war es auch allein möglich, meine Nußbäume abzuhauen. Siehst du, ich komme nicht zu mir! Stelle dir vor: die abfallenden Blätter machen ihr den Hof unrein und dumpfig, die Bäume nehmen ihr das Tageslicht, und wenn die Nüsse reif sind, so werfen die Knaben mit Steinen darnach, und das fällt ihr auf die Nerven, das stört sie in ihren tiefen Überlegungen, wenn sie Kennikot, Semler und Michaelis gegen einander abwiegt. Da ich die Leute im Dorfe, besonders die alten, so unzufrieden sah, sagte ich:»warum habt ihr es gelitten?«-»wenn der Schulze will, hier zu Lande, «sagten sie, «was kann man machen?«— aber eins ist recht geschehen. Der Schulze und der Pfarrer, der doch auch von seiner Frauen Grillen, die ihm ohnedies die Suppen nicht fett machen, was haben wollte, dachten es mit einander zu teilen; da erfuhr es die Kammer und sagte:» hier herein?«denn sie hatte noch alte Prätensionen an den Teil des Pfarrhofes, wo die Bäume standen, und verkaufte sie an den Meistbietenden. Sie liegen! O, wenn ich Fürst wäre! Ich wollte die Pfarrerin, den Schulzen und die Kammer — Fürst! — ja wenn ich Fürst wäre, was kümmerten mich die Bäume in meinem Lande!
Am 10. Oktober
Wenn ich nur ihre schwarzen Augen sehe, ist mir es schon wohl! Sieh, und was mich verdrießt, ist, daß Albert nicht so beglückt zu sein scheinet, als er — hoffte — als ich — zu sein glaubte — wenn — ich mache nicht gern Gedankenstriche, aber hier kann ich mich nicht anders ausdrücken — und mich dünkt deutlich genug.
Am 10. Oktober
Ossian hat in meinem Herzen den Humor verdrängt. Welch eine Welt, in die der Herrliche mich führt! Zu wandern über die Heide, umsaust vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln die Geister der Väter im dämmernden Lichte des Mondes hinführt. Zu hören vom Gebirge her, im Gebrülle des Waldstroms, halb verwehtes Ächzen der Geister aus ihren Höhlen, und die Wehklagen des zu Tode sich jammernden Mädchens, um die vier moosbedeckten, grasbewachsenen Steine des Edelgefallnen, ihres Geliebten. Wenn ich ihn dann finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Heide die Fußstapfen seiner Väter sucht und, ach, ihre Grabsteine findet und dann jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hinblickt, der sich ins rollende Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele lebendig werden, da noch der freundliche Strahl den Gefahren der Tapferen leuchtete und der Mond ihr bekränztes, siegrückkehrendes Schiff beschien. Wenn ich den tiefen Kummer auf seiner Stirn lese, den letzten verlassenen Herrlichen in aller Ermattung dem Grabe zuwanken sehe, wie er immer neue, schmerzlich glühende Freuden in der kraftlosen Gegenwart der Schatten seiner Abgeschiedenen einsaugt und nach der kalten Erde, dem hohen, wehenden Grase niedersieht und ausruft:»Der Wanderer wird kommen, kommen, der mich kannte in meiner Schönheit, und fragen:» wo ist der Sänger, Fingals trefflicher Sohn?«Sein Fußtritt geht über mein Grab hin, und er fragt vergebens nach mir auf der Erde«. — O Freund! Ich möchte gleich einem edlen Waffenträger das Schwert ziehen, meinen Fürsten von der zückenden Qual des langsam absterbenden Lebens auf einmal befreien und dem befreiten Halbgott meine Seele nachsenden.