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Der Wanderer und sein Schatten

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Der Wanderer und sein Schatten
Название: Der Wanderer und sein Schatten
Дата добавления: 15 январь 2020
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Der Wanderer und sein Schatten - читать бесплатно онлайн , автор Nietzsche Friedrich

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Vorsicht im Zitieren.  — Die jungen Autoren wissen nicht, daß der gute Ausdruck, der gute Gedanke sich nur unter seinesgleichen gut ausnimmt, daß ein vorzügliches Zitat ganze Seiten, ja das ganze Buch vernichten kann, indem es den Leser warnt und ihm zuzurufen scheint:»Gib acht, ich bin der Edelstein und rings um mich ist Blei, bleiches, schmähliches Blei!«Jedes Wort, jeder Gedanke will nur in seiner Gesellschaft leben: das ist die Moral des gewählten Stils.

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Wie soll man Irrtümer sagen?  — Man kann streiten, ob es schädlicher sei, wenn Irrtümer schlecht gesagt werden oder gut wie die besten Wahrheiten. Gewiß ist, daß sie im ersteren Fall auf doppelte Weise dem Kopfe schaden und schwerer aus ihm zu entfernen sind; aber freilich wirken sie nicht so sicher wie im zweiten Falle: sie sind weniger ansteckend.

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Beschränken und vergrößern.  — Homer hat den Umfang des Stoffes beschränkt, verkleinert, aber die einzelnen Szenen aus sich wachsen lassen und vergrößert — und so machen es später die Tragiker immer von neuem: jeder nimmt den Stoff in noch kleineren Stücken als sein Vorgänger, jeder aber erzielt eine reichere Blütenfülle innerhalb dieser abgegrenzten, umfriedeten Gartenhecken.

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Literatur und Moralität sich erklärend.  — Man kann an der griechischen Literatur zeigen, durch welche Kräfte der griechische Geist sich entfaltete, wie er in verschiedene Bahnen geriet und woran er schwach wurde. Alles das gibt ein Bild davon ab, wie es im Grunde auch mit der griechischen Moralität zugegangen ist und wie es mit jeder Moralität zugehen wird: wie sie erst Zwang war, erst Härte zeigte, dann allmählich milder wurde, wie endlich Lust an gewissen Handlungen, an gewissen Konventionen und Formen entstand, und daraus wieder ein Hang zur alleinigen Ausübung, zum Alleinbesitz derselben: wie die Bahn sich mit Wettbewerbenden füllt und überfüllt, wie Übersättigung eintritt, neue Gegenstände des Kampfes und Ehrgeizes aufgesucht, veraltete ins Leben erweckt werden, wie das Schauspiel sich wiederholt und die Zuschauer des Zuschauens überhaupt müde werden, weil nun der ganze Kreis durchlaufen scheint — und dann kommt ein Stillstehen, ein Ausatmen: die Bäche verlieren sich im Sande. Es ist das Ende da, wenigstens ein Ende.

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Welche Gegenden dauernd erfreuen.  — Diese Gegend hat bedeutende Züge zu einem Gemälde, aber ich kann die Formel für sie nicht finden, als Ganzes bleibt sie mir unfaßbar. Ich bemerke, daß alle Landschaften, die mir dauernd zusagen, unter aller Mannigfaltigkeit ein einfaches geometrisches Linien-Schema haben. Ohne ein solches mathematisches Substrat wird keine Gegend etwas künstlerisch Erfreuendes. Und vielleicht gestattet diese Regel eine gleichnishafte Anwendung auf den Menschen.

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Vorlesen.  — Vorlesen können setzt voraus, daß man vortragen könne: man hat überall blasse Farben anzuwenden, aber die Grade der Blässe in genauen Proportionen zu dem immer vorschwebenden und dirigierenden, voll und tief gefärbten Grundgemälde, das heißt nach dem Vortrage derselben Partie zu bestimmen. Also muß man dieses letzteren mächtig sein.

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Der dramatische Sinn.  — Wer die feineren vier Sinne der Kunst nicht hat, sucht alles mit dem gröbsten, dem fünften zu verstehen: dies ist der dramatische Sinn.

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Herder.  — Herder ist alles das nicht, was er von sich wähnen machte (und selber zu wähnen wünschte): kein großer Denker und Erfinder, kein neuer treibender Fruchtboden mit einer urwaldfrischen unausgenutzten Kraft. Aber er besaß im höchsten Maße den Sinn der Witterung, er sah und pflückte die Erstlinge der Jahreszeit früher als alle anderen, welche dann glauben konnten, er habe sie wachsen lassen: sein Geist war zwischen Hellem und Dunklem, Altem und Jungem und überall dort wie ein Jäger auf der Lauer, wo es Übergänge, Senkungen, Erschütterungen, die Anzeichen inneren Quellens und Werdens gab: die Unruhe des Frühlings trieb ihn umher, aber er selber war der Frühling nicht! — Das ahnte er wohl zuzeiten, und wollte es doch sich selber nicht glauben, er, der ehrgeizige Priester, der so gern der Geister-Papst seiner Zeit gewesen wäre! Dies ist sein Leiden: er scheint lange als Prätendent mehrerer Königtümer, ja eines Universalreiches gelebt zu haben und hatte seinen Anhang, welcher an ihn glaubte: der junge Goethe war unter ihm. Aber überall, wo zuletzt Kronen wirklich vergeben wurden, ging er leer aus: Kant, Goethe, sodann die wirklichen ersten deutschen Historiker und Philologen nahmen ihm weg, was er sich vorbehalten wähnte, — oft aber auch im stillsten und geheimsten nicht wähnte. Gerade wenn er an sich zweifelte, warf er sich gern die Würde und die Begeisterung um: dies waren bei ihm allzuoft Gewänder, die viel verbergen, ihn selber täuschen und trösten mußten. Er hatte wirklich Begeisterung und Feuer, aber sein Ehrgeiz war viel größer! Dieser blies ungeduldig in das Feuer, daß es flackerte, knisterte und rauchte — sein Stil flackert, knistert und raucht — aber er wünschte die große Flamme, und diese brach nie hervor! Er saß nicht an der Tafel der eigentlich Schaffenden: und sein Ehrgeiz ließ nicht zu, daß er sich bescheiden unter die eigentlich Genießenden setzte. So war er ein unruhiger Gast, der Vorkoster aller geistigen Gerichte, die sich die Deutschen in einem halben Jahrhundert aus allen Welt- und Zeitreichen zusammenholten. Nie wirklich satt und froh, war Herder überdies allzu häufig krank: da setzte sich bisweilen der Neid an sein Bett, auch die Heuchelei machte ihren Besuch. Etwas Wundes und Unfreies blieb an ihm haften: und mehr als irgend einem unserer sogenannten» Klassiker «geht ihm die einfältige wackere Mannhaftigkeit ab.

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Geruch der Worte.  — Jedes Wort hat seinen Geruch: es gibt eine Harmonie und Disharmonie der Gerüche und also der Worte.

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Der gesuchte Stil.  — Der gefundene Stil ist eine Beleidigung für den Freund des gesuchten Stils.

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Gelöbnis.  — Ich will keinen Autor mehr lesen, dem man anmerkt, er wollte ein Buch machen: sondern nur jene, deren Gedanken unversehens ein Buch wurden.

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Die künstlerische Konvention.  — Dreiviertel Homer ist Konvention; und ähnlich steht es bei allen griechischen Künstlern, die zu der modernen Originalitätswut keinen Grund hatten. Es fehlte ihnen alle Angst vor der Konvention; durch diese hingen sie ja mit ihrem Publikum zusammen. Konventionen sind nämlich die für das Verständnis der Zuhörer eroberten Kunstmittel, die mühevoll erlernte gemeinsame Sprache, mit welcher der Künstler sich wirklich mitteilen kann. Zumal wenn er, wie der griechische Dichter und Musiker, mit jedem seiner Kunstwerke sofort siegen will — da er öffentlich mit einem oder zweien Nebenbuhlern zu ringen gewöhnt ist — , so ist die erste Bedingung, daß er sofort auch verstanden werde: was aber nur durch die Konvention möglich ist. Das, was der Künstler über die Konvention hinaus erfindet, das gibt er aus freien Stücken darauf und wagt dabei sich selber daran, im besten Fall mit dem Erfolge, daß er eine neue Konvention schafft. Für gewöhnlich wird das Originale angestaunt, mitunter sogar angebetet, aber selten verstanden; der Konvention hartnäckig ausweichen heißt: nicht verstanden werden wollen. Worauf weist also die moderne Originalitätswut hin?

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Affektation der Wissenschaftlichkeit bei Künstlern.  — Schiller glaubte, gleich anderen deutschen Künstlern, wenn man Geist habe, dürfe man über allerlei schwierige Gegenstände auch wohl mit der Feder improvisieren. Und nun stehen seine Prosa-Aufsätze da — in jeder Beziehung ein Muster, wie man wissenschaftliche Fragen der Ästhetik und Moral nicht angreifen dürfe — und eine Gefahr für junge Leser, welche, in ihrer Bewunderung des Dichters Schiller, nicht den Mut haben, vom Denker und Schriftsteller Schiller gering zu denken. — Die Versuchung, welche den Künstler so leicht und so begreiflicherweise befällt, auch einmal über die gerade ihm verbotene Wiese zu gehen und in der Wissenschaft ein Wort mitzusprechen — der Tüchtigste nämlich findet zeitweilig sein Handwerk und seine Werkstätte unausstehlich — , diese Versuchung bringt den Künstler so weit, aller Welt zu zeigen, was sie gar nicht zu sehen braucht, nämlich daß es in seinem Denkzimmerchen eng und unordentlich aussieht — warum auch nicht? er wohnt ja nicht darin! — , daß die Vorratsspeicher seines Wissens teils leer, teils mit Krimskrams gefüllt sind — warum auch nicht? es steht dies sogar im Grunde dem Künstler-Kinde nicht übel an — , namentlich aber, daß selbst für die leichtesten Handgriffe der wissenschaftlichen Methode, die selbst Anfängern geläufig sind, seine Gelenke zu ungeübt und schwerfällig sind — und auch dessen braucht er sich wahrlich nicht zu schämen! — Da gegen entfaltet er oftmals keine geringe Kunst darin, alle die Fehler, Unarten und schlechten Gelehrtenhaftigkeiten, wie sie in der wissenschaftlichen Zunft vorkommen, nachzuahmen, im Glauben, dies eben gehöre, wenn nicht zur Sache, so doch zum Schein der Sache; und dies gerade ist das Lustige an solchen Künstler-Schriften, daß hier der Künstler, ohne es zu wollen, doch tut, was seines Amtes ist: die wissenschaftlichen und unkünstlerischen Naturen zu parodieren. Eine andere Stellung zur Wissenschaft als die parodische sollte er nämlich nicht haben, soweit er eben der Künstler und nur der Künstler ist.

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Die Faust-Idee.  — Eine kleine Nähterin wird verführt und unglücklich gemacht; ein großer Gelehrter aller vier Fakultäten ist der Übeltäter. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein? Nein, gewiß nicht! Ohne die Beihilfe des leibhaftigen Teufels hätte es der große Gelehrte nicht zustande gebracht. — Sollte dies wirklich der größte deutsche» tragische Gedanke «sein, wie man unter Deutschen sagen hört? — Für Goethe war aber auch dieser Gedanke noch zu fürchterlich; sein mildes Herz konnte nicht umhin, die kleine Nähterin,»die gute Seele, die nur einmal sich vergessen«, nach ihrem unfreiwilligen Tode in die Nähe der Heiligen zu versetzen; ja selbst den großen Gelehrten brachte er, durch einen Possen, der dem Teufel im entscheidenden Augenblick gespielt wird, noch zur rechten Zeit in den Himmel, ihn,»den guten Menschen «mit dem» dunklen Drange«: — dort im Himmel finden sich die Liebenden wieder. — Goethe sagt einmal, für das eigentlich Tragische sei seine Natur zu konziliant gewesen.

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