Insel der Freibeuter
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Buch
Auf der Karibikinsel Juan Griego kommt es im 17. Jahrhundert zu Spannungen: Unter der F?hrung von Miguel Heredia setzen sich die Bewohner, zumeist arme Perlenfischer, zur Wehr gegen die hohen Steuern, die ihnen auferlegt werden. Der spanische Statthalter Hernando Pedrarias Gotarredona begibt sich pers?nlich an den Schauplatz, um f?r Ruhe und Ordnung zu sorgen – ein Auftritt, der f?r Miguel h?chst unerfreuliche Folgen hat. Denn seine Ehefrau Emiliana, geblendet vom Reichtum und der Macht des einflu?reichen Spaniers, verl??t ihre Familie und folgt Hernando. Wenig sp?ter geraten Miguel und sein Sohn Sebastian auf das Schiff des ber?chtigten Piraten Jacare Jack, eines kauzigen Schotten, der es durch ?berf?lle auf spanische Handelsflotten zu einem ansehnlichen Verm?gen gebracht hat. Jack findet Gefallen an dem klugen und furchtlosen Jungen und ernennt ihn nach einiger Zeit zu seinem Nachfolger. Als frischgebackener Jacare Jack ist es Sebastians erste Tat, eine Gruppe Afrikaner zu befreien, die als Sklaven nach Jamaika verkauft werden sollten. Und hinter dem Sklavenhandel steht, wie Sebastian erf?hrt, niemand anders als der Verf?hrer seiner Mutter! Der junge Pirat setzt alles daran, dem verha?ten Schurken das Handwerk zu legen. Doch Hernando ist ein kaltbl?tiger und grausamer Gegner, und als er erkennen mu?, wie gef?hrlich ihm Sebastian und dessen unerschrockene Schwester Celeste werden, sinnt er auf Rache…
Autor
Alberto Vazquez-Figueroa, 1936 in Santa Cruz de Tenerife geboren, verbrachte einen gro?en Teil seiner Kinder- und Jugendjahre in Marokko. Nach seinem Studium in Madrid arbeitete er als Auslandskorrespondent in Afrika und S?damerika. Vazquez-Figueroa, der neben seinen journalistischen Arbeiten zahlreiche Romane und Sachb?cher ver?ffentlicht hat, lebt heute in Spanien.
Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »Piratas«
bei Plaza & Janes Editores, S. A. Barcelona
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»Einen armen Irren um Rat zu fragen kommt aufs gleiche hinaus, wie einen armen Teufel um Almosen zu bitten: Das einzige, was du erreichst, ist seine Demütigung.«
Daß ein Mensch sich selbst als armen Irren bezeichnete, war eigentlich sehr seltsam, doch hatten die vergangenen fahre, die er mit stumpfsinnigem Messerschleifen zugebracht hatte, Miguel Heredia – der im Grunde niemals verrückt gewesen war zur bitteren Schlußfolgerung veranlaßt, daß er tatsächlich geisteskrank war, und offensichtlich hatte er keine Scheu, das offen zuzugeben.
Kurz bevor in dieser Nacht ein roter Halbmond am Horizont erschien, nahm Lucas Castano neben dem Jungen aus Margarita am Vordersteven des Schiffs Platz und wollte wissen:
»Und nun?«
Sebastián musterte ihn eisern, um seinerseits zu fragen:
»Wem kann ich vertrauen?«
»Dir selbst.«
»Niemandem sonst?« entsetzte sich der Junge.
»Das scheint dir wenig?« lautete die ironische Antwort. »Was hilft es dir, auf hundert Männer zu vertrauen, wenn du selbst scheiterst?« Der Panamese deutete vielsagend auf das Achterkastell. »Dort schläft der Kapitän, so vom Fieber geschüttelt und von den Würmern zerfressen, daß er kaum noch eine Waffe halten kann, doch nicht einer dieser Mistkerle hat auch nur den Mumm, die Stimme zu heben.« Er grinste übers ganze Gesicht: »Du mußt lernen, zu befehlen.«
»Und wer bringt mir das bei?«
»Das lehren sie nicht einmal in Salamanca, mein Sohn. Nicht einmal dort.«
Im Morgengrauen rief der Schotte Sebastián zu sich in die Kajüte.
»Wie hast du dich entschieden?«
»Ich werde das Schiff nehmen.«
»Und die Flagge?«
»Die auch.«
»Wenn das so ist, solltest du auch meinen Namen übernehmen. Du tust mir damit einen Gefallen, und dir übrigens auch.«
»Warum das denn?« erstaunte sich der Margariteno.
»Wenn Kapitän Jacare Jack weiter in der Karibik Schiffe überfällt, wird keiner ihn mit einem reichen Mann aus Westindien in Verbindung bringen, der nach Aberdeen zurückgekehrt ist. Und wenn sie dich eines schlechten Tages erwischen, wird keiner auf die Idee kommen, daß ein bartloses Jüngelchen Jacare Jack sein könnte, der seit über zwanzig Jahren die Meere unsicher macht.«
»Ganz schön raffiniert!«
»Dieses Schiff ist für Seitenwinde wie geschaffen.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Wind von achtern hilft allen in gleicher Weise, doch alle Winde auszunutzen gelingt nur den Schlauen.« Er sah ihn von der Seite an. »Wo bewahrst du deine Perlen auf?«
»Auf der Insel.«
»Wir können dort haltmachen, um sie zu holen, und dann läßt du mich in England von Bord. Ab dann gehört das Schiff dir.«
»In England?« entgegnete Sebastian schockiert. »Aber das liegt doch…!«
»Südlich von Schottland«, unterbrach ihn Kapitän Jack belustigt. »Nichts ist perfekt. Nicht einmal meine Heimat…« Er streckte ihm die Hand entgegen, in die Sebastian kräftig einschlug, und schloß: »Also abgemacht, aber das bleibt für den Augenblick lieber unter uns. Einigen wirst du gar nicht gefallen.«
»Und wer sind die?«
»Das mußt du selber rausfinden, und zwar lieber früher als später…«Jacare Jack nickte ihm zum Abschied zu. »Und jetzt sag Lucas, daß er Kurs auf die Insel nehmen soll, und laß mich ausruhen. Jetzt wo ich weiß, daß ich bald zu Hause sein werde, kann ich ja vielleicht etwas schlafen.«
»Habt Ihr noch ein Haus in Aberdeen?«
Traurig schüttelte der Schotte den Kopf.
»Ich bin auf der Straße aufgewachsen und mit zwölf auf mein erstes Schiff gegangen. Jedes Haus, das ich mir dort kaufe, wird mein Haus sein, doch gibt es da eines, unter dessen Portal ich manche Nacht geschlafen habe, von dem habe ich immer geträumt.« Er lächelte bitter. »Dafür brauche ich deine Perlen.«
Wieder zurück an Deck, suchte Sebastián Lucas Castafio, um ihm den Befehl des Schotten zu überbringen. Der Panamese verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln.
»Gehen wir deine Perlen holen?«
»Möglich.«
»Das heißt, daß wir bald einen neuen Kapitän kriegen.«
Der Angesprochene zuckte fast unmerklich mit den Schultern.
»Auch möglich.«
»Gratuliere, Junge!« lautete die ehrliche Antwort des Adjutanten, während er Sebastian herzlich auf die Schultern klopfte. »Und alles Glück der Welt. Du wirst es brauchen…«
Als hielte er damit einen bedeutenden Abschnitt im Leben des Schiffs für beendet, fuhr er den wachhabenden Steuermann an:
»He, du verdammter Maure! Kurs Nordost!« Und zu den zwei Männern gewandt, die auf Deck in einer Ecke Karten spielten: »Und ihr zwei, kümmert euch um das Manöver!«
»Was soll denn jetzt diese Kursänderung?« wollte einer von ihnen wissen, der sich nur unwillig aus einem Spiel reißen ließ.
»Hier befiehlt der Kapitän und kein Hurensohn… Noch Fragen?«
Es gab keine Fragen mehr, denn schließlich war es ziemlich egal, welchen Kurs sie steuerten, solange das Meer ruhig, die Winde günstig waren und sich kein Segel am Horizont zeigte.
Die meisten Schiffe brachen von einem Hafen auf und fuhren irgendwo hin, daher war dort das Leben an Bord von der Notwendigkeit bestimmt, früher oder später das Ziel zu erreichen. Die flüchtige jacare dagegen vagabundierte von einem Ort zum anderen, stets bereit, sich auf ein ahnungsloses Opfer zu stürzen oder eine schnelle Flucht zu unternehmen, wenn der Feind zu mächtig war. Das bloße Segeln war daher eine monotone Lebensweise ohne große Überraschungen.
Ein Überfall war eine Angelegenheit von Stunden, doch eine Beute konnte Wochen, ja Monate auf sich warten lassen. Daher hatte sich die Besatzung der Jacare daran gewöhnt, das schnittige Schiff als ihren heimatlichen Herd anzusehen, und die Geduld als ihre Verbündete.
Man aß, schlief, schrubbte die Decks, schwatzte oder spielte Karten, wohl wissend, daß das harte Geschäft der Piraten in erster Linie langweilige Routine bedeutete. Aufgrund der langen Mußestunden erinnerte die verwahrloste Besatzung eher an eine Bande von Vagabunden als an eine schlagkräftige Truppe von Halunken, die in der Lage war, eine ganze Flotte zu versenken.
Sebastián Heredia fing an, jeden einzelnen unter die Lupe zu nehmen, um herauszufinden, wer von ihnen auf die verlockende Idee kommen könnte, ihm ein Messer in den Rücken zu jagen, um das Kommando an sich zu reißen. Und er kam zur schmerzlichen Überzeugung, daß er nahezu die Hälfte der Mannschaft loswerden mußte, wenn er in Zukunft noch ruhig schlafen wollte.
Als die sichere Zuflucht der Grenadinen schon in Sichtweite war, weihte er den Kapitän in seine Gedanken ein. Der beschränkte sich darauf, mit beiden Händen anzudeuten, wie gleichgültig ihm das war.
»Sobald dir das Schiff gehört, kannst du machen, was du willst. Eines aber solltest du wissen: Wenn du einige von ihnen zum Teufel schickst, werden die anderen glauben, daß du vor ihnen Angst hattest, und von da an kannst du von ihnen nur noch Verrat erwarten.« Er gab ihm einen herzlichen Handschlag, als wollte er seinem Sohn die letzten Ratschläge mit auf den Weg geben, und fuhr im gleichen Ton fort: »Wer Kapitän eines Schiffs wie dieses sein will, muß gleich vom ersten Tag an klar machen, was es geschlagen hat. Wenn du das nicht schaffst, verzichtest du lieber gleich, bevor es zu spät ist.«
»Und wenn einer gegen mich rebelliert?«
»Dann hängst du ihn am Großmast auf. Dafür ist er da. Erst dann kommen die Segel.«
Das war eine seltsame Lebensanschauung, aber Sebastián Heredia mußte zugeben, daß es anders tatsächlich nicht ging, wenn er fünfzig zähnefletschende Seewölfe befehligen wollte. Wenn seine eigene Aufgabe darin bestand, sich mit Gewalt fremdes Eigentum anzueignen, dann mußte er akzeptieren, daß ein anderer versuchen würde, ihm das seine abzunehmen. In diesem Fall konnte er nur mit gleicher Münze heimzahlen: mit Gewalt.
Wenn er den schweren Weg einschlug, Anführer der Piraten zu werden, gab es nur eine Möglichkeit, Erfolg zu haben: Sie mußten ihn als ihren Besten ansehen. Als sie im Morgengrauen vor der kargen Insel Mayero Anker warfen, hatte er sich schon eine Lebensanschauung zu eigen gemacht, der er den Rest seiner Tage treu bleiben sollte: Was immer er tat, er würde es mit seinem Gewissen vereinbaren können, auch wenn es ihm nicht behagen sollte.