Schlaflos
Schlaflos читать книгу онлайн
Das Grauen kehrt nach Derry, Maine, zur?ck. Acht Jahre nach den in "Es" geschilderten Ereignissen, geschehen dort wieder seltsame Dinge. Ralph Roberts leidet zunehmend an Schlaflosigkeit und sieht pl?tzlich die K?pfe seiner Mitmenschen von einer bunten Aura umgeben.
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[»Ja, Mr. A., ich glaube, das ist gut genug.«]
Als Ralph von seinem kleinen Opfer herunterrollte, hatte er ein flaues Gefühl im Magen und den Eindruck - der falsch sein mußte, oder nicht? -, daß sich sein Hals öffnete und schloß wie die Schale einer Muschel. Er betrachtete einen Moment das blutbefleckte Skalpell, dann beugte er den Arm und warf es so weit weg, wie er konnte. Es flog durch den Torbogen und verschwand im angrenzenden Lagerraum.
Aber dafür, dachte Ralph. Nun war ihm nicht mehr nach Erbrechen zumute. Mehr zum Weinen.
Atropos erhob sich langsam auf die Knie und sah sich mit den benommenen Augen eines Mannes um, der einen ungeheuren Sturm überlebt hat. Er sah sein Ohr auf dem Boden liegen und hob es auf. Er drehte es in seinen kleinen Händen und betrachtete die Knorpelstränge an der Rückseite. Dann sah er zu Ralph auf. Tränen des Schmerzes und der Demütigung schwammen in seinen Augen, aber es war auch noch etwas anderes darin zu sehen - eine so ungeheure und tödliche Wut, daß Ralph davor zurückschrak. Seine Vorsichtsmaßnahmen und Vorkehrungen wirkten angesichts dieser Wut lächerlich unzureichend. Er wich einen taumelnden Schritt zurück und zeigte mit einem zitternden Finger auf Atropos.
[»Denk an dein Versprechen.«]
Atropos fletschte die Zähne zu einem tückischen Grinsen. Der Hautlappen an der Seite seines Gesichts schwang hin und her wie ein schlaffes Segel, das rohe Fleisch darunter näßte und blutete.
[Selbstverständlich denke ich daran - wie könnte ich es vergessen? Ich werde dir sogar noch eines machen. Zwei zum Preis von einem, könnte man sagen.]
Atropos machte eine Geste, an die sich Ralph noch deutlich vom Dach des Krankenhauses erinnerte, er spreizte die ersten beiden Finger der rechten Hand zu einem V und zog sie nach oben, so daß ein roter Bogen in der Luft entstand. Dahinter konnte man undeutlich, wie durch einen Nebel aus Blutstropfen, das Red Apple erkennen. Er wollte fragen, wer da im Vordergrund am Bordstein der Harris Avenue stand… aber dann wußte er es plötzlich. Er sah Atropos mit erschrockenen Augen an.
[»Himmel, nein! Das kannst du nicht!«]
Das Grinsen auf Atropos’ Gesicht wurde noch breiter.
[Weißt du, das hatte ich auch von dir gedacht, Kurzer. Aber ich habe mich geirrt. Du auch. Paß auf.]
Atropos bewegte die gespreizten Finger ein Stück weiter. Ralph sah jemand mit einer Baseballmütze der Boston Red Sox aus dem Red Apple kommen, und diesmal wußte Ralph sofort, wen er vor sich sah. Diese Peerson rief der anderen auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwas zu, und dann spielte sich etwas Schreckliches ab. Ralph wandte sich voller Ekel von dem blutigen Bild der Zukunft zwischen Atropos’ winzigen Fingern ab.
Aber er hörte, als es passierte.
[Der, den ich dir als ersten gezeigt habe, gehört dem Zufall, Kurzer - mit anderen Worten, mir. Und nun kommt mein Versprechen: Wenn du mir weiter in die Quere kommst, wird passieren, was ich dir gerade gezeigt habe. Du kannst nichts tun, keine Warnung aussprechen, die es verhindern wird. Aber wenn du jetzt aufgibst — wenn du und die Frau, wenn ihr beide einfach zur Seite tretet und die Ereignisse ihren Lauf nehmen laßt -, dann verzichte ich darauf.]
Die Obszönitäten, die so einen großen Teil von Atropos üblichen Sprüchen bildeten, waren abgestreift worden wie ein gebrauchtes Kostüm, und zum erstenmal wurde Ralph bewußt, wie wahrhaft alt und auf bösartige Weise gerissen dieses Wesen war.
[Denk daran, was die Junkies sagen, Kurzer: Sterben ist leicht, Leben ist hart. Das ist ein wahres Sprichwort. Wenn einer das wissen muß, dann ich. Also, was meinst du? Kommen dir Zweifel?]
Ralph stand mit gesenktem Kopf und geballten Fäusten in der schmutzigen Kammer. Lois’ Ohrringe brannten in einer Hand wie kleine, heiße Kohlen. Auch Eds Ring schien an seinem Körper zu brennen, und er wußte, nichts auf der Welt würde ihn daran hindern, ihn aus der Tasche zu holen und wie das Skalpell ins Nebenzimmer zu werfen. Er erinnerte sich an eine Geschichte, die er vor etwa tausend Jahren in der Schule gelesen hatte. Sie trug den Titel »Die Dame - oder der Tiger?«, und nun wußte er, wie es war, wenn man eine so schreckliche Macht besaß… und vor einer so schrecklichen Entscheidung stand. Oberflächlich gesehen schien es einfach zu sein; was war schon ein Leben verglichen mit zweitausenddreihundert?
Aber dieses eine Leben-!
Aber es ist ja nicht so, daß es jemals jemand erfahren müßte, dachte er kalt. Niemand, abgesehen vielleicht von Lois… und Lois würde meine Entscheidung akzeptieren. Carolyn hätte es vielleicht nicht getan, aber sie sind grundverschiedene Frauen.
Ja, aber hatte er das Recht?
[Selbstverständlich, Ralph - darum geht es bei diesen Fragen von Leben und Tod in Wirklichkeit: Wer das Recht hat. Diesmal bist du es. Also, was sagst du?]
[»Ich weiß nicht, was ich sage. Ich weiß nicht, was ich denke. Ich weiß nur, ich wünschte, ihr drei hättet mich EINFACH IN RUHE GELASSEN!«]
Ralph Roberts hob den Kopf zur wurzeldurchzogenen Decke von Atropos’ Behausung und schrie.
Kapitel 27
Fünf Minuten später streckte Ralph den Kopf aus den Schatten unter der alten umgestürzten Eiche heraus. Er sah Lois sofort. Sie kniete vor ihm und sah ihm ängstlich durch das Dickicht der Wurzeln ins Gesicht. Er hob eine schmutzige, blutüberströmte Hand, die sie ergriff, um ihm einen Halt zu geben, während er die letzten Stufen heraufkam - knorrige Wurzeln, die mehr Ähnlichkeit mit Leitersprossen hatten.
Ralph wand sich unter dem Baum hervor, drehte sich auf den Rücken und atmete die herrliche, frische Luft in vollen Zügen ein. Er glaubte, daß die Luft in seinem ganzen Leben noch nie so angenehm gerochen hätte. Trotz allem war er ungeheuer dankbar, draußen zu sein. Frei zu sein.
[»Ralph? Alles in Ordnung?«]
Er drehte ihre Hand um, küßte die Handfläche und legte die Ohrringe dann dorthin, wo seine Lippen gewesen waren.
[»Ja. Bestens. Die gehören dir.«]
Sie betrachtete sie neugierig, als hätte sie noch nie Ohrringe gesehen - weder diese noch andere -, dann steckte sie sie in die Tasche.
[»Du hast sie im Spiegel gesehen, Lois, richtig?«]
[»Ja, und es hat mich wütend gemacht… aber ich glaube, eigentlich war ich nicht überrascht, im tiefsten Inneren nicht.«]
[»Weil du es gewußt hast.«]
[»Ja, ich schätze, das habe ich. Vielleicht schon, als wir Atropos zum erstenmal mit Bills Hut gesehen haben. Ich habe es nur…du weißt schon… verdrängt.«]
Sie sah ihn durchdringend und abschätzend an.
[»Aber lassen wir meine Ohrringe jetzt - was ist da unten passiert? Wie bist du entkommen?«]
Ralph hatte Angst, daß sie zuviel sehen würde, wenn sie ihn lange auf diese gründliche Art und Weise betrachtete.
Außerdem fürchtete er, wenn er sich nicht bald in Bewegung setzen würde, würde er nie mehr aufstehen können; seine Müdigkeit war inzwischen so gewaltig, sie glich einem riesigen, verkrusteten Objekt - möglicherweise einem vor langer Zeit gesunkenen Ozeanriesen -, das in ihm lag, ihn rief und versuchte, ihn in die Tiefe zu ziehen. Er stand auf. Er durfte nicht zulassen, daß einer von ihnen in die Tiefe gezogen wurde, jetzt nicht. Die Neuigkeiten, die der Himmel verkündete, waren nicht so schlimm, wie sie hätten sein können, aber schlimm genug - es war mindestens achtzehn Uhr. Überall in Derry setzten sich Leute, die das Thema Abtreibung keinen Scheißdreck interessierte (mit anderen Worten, die große Mehrheit), zum Abendessen hin. Im Bürgerzentrum würden die Türen jetzt geöffnet werden; 1000 Fernsehscheinwerfer würden sie anstrahlen, Minicams würden Livebilder der ersten Abtreibungsbefürworter übertragen, die an Dan Dalton und seinen schilderschwingenden Friends of Life vorbeifuhren. Nicht weit von hier entfernt sangen Leute das alte Lieblingslied von Ed Deepneau: Hey, hey, Susan Day, how many kids did you kill today? Was auch immer er und Lois tun würden, sie mußten es in den nächsten sechzig bis neunzig Minuten tun. Die Uhr tickte.
